Papstgeflüster – Das Vatikan-Blog

Interessantes und Hintergründiges aus dem Vatikan

Papst der Barmherzigkeit

Beim Gottesdienst zur Inbesitznahme seiner Bischofskirche, der Lateranbasilika, hat Papst Franziskus heute erneut das Thema Barmherzigkeit ins Zentrum gestellt. Anlass war der Barmherzigkeitssonntag, den Papst Johannes Paul II. eingeführt hatte und der am Sonntag nach Ostern begangen wird. Für Franziskus ist die Barmherzigkeit allerdings nicht nur heute ein Thema. Schon beim ersten Angelus am Sonntag nach seiner Wahl (17.3.) hatte er über die Barmherzigkeit gesprochen. „Ein wenig Barmherzigkeit macht die Welt weniger kalt und viel gerechter“, sagte er damals. Heute sprach er von der Geduld Gottes, der immer darauf warte, dass der Mensch zu ihm umkehre. „Jesus führt uns diese barmherzige Geduld Gottes vor Augen, damit wir Vertrauen und Hoffnung zurückgewinnen, immer!“ Franziskus erinnerte an den Theologen Romano Guardini, der gesagt habe, „dass die Geduld Gottes auf unsere Schwäche antwortet und dies die Rechtfertigung unserer Zuversicht, unserer Hoffnung ist“. Die Geduld Gottes müsse im Menschen den Mut wecken, „zu ihm zurückzukehren, ganz gleich welchen Fehler, welche Sünde es in unserem Leben gibt“.

Wie versteht Franziskus Barmherzigkeit? Sicher scheint, Franziskus’ Barmherzigkeit bedeutet nicht, dass alles möglich ist und von der Kirche akzeptiert wird. Er spricht heute ganz klar von Sünde und Umkehr. Die Barmherzigkeit bedeutet eine bestimmte Haltung gegenüber dem Sünder, aber nicht die Akzeptanz der Sünde. Soweit ist das theologisch klar. Was heißt das aber konkret? Das lässt er bisher offen.

Papst Franziskus mit "neuem altem" Hirtenstab

Interessant ist übrigens, dass Papst Franziskus heute beim Gottesdienst im Lateran das Pastorale, den Hirtenstab, von Papst Johannes Paul II. und Paul VI. verwendet hat. Jene bronzene Ferula mit Kruzifix, die der italienische Künstler Lello Scorzelli in den 1960er Jahren für Paul VI. angefertigt hatte. Paul VI. benutzte den Hirtenstab erstmals am 8. Dezember 1965 beim feierlichen Abschlussgottesdienst des II. Vatikanischen Konzils. Auch Benedikt XVI. benutzte am Anfang seines Pontifikats diesen Hirtenstab. Ab Palmsonntag 2008 nutzte er einen anderen: einen goldenen Stab mit Kreuz und ohne Korpus. Begründet wurde der Wechsel damals zum einen mit dem geringeren Gewicht des goldenen Kreuzes; zum anderen mit dem Verweis auf die Tradition. Die Päpste hätten stets einen Hirtenstab mit Kreuz, aber ohne Korpus benutzt. Das ist seit heute wieder anders.

Wie ist diese Änderung zu deuten? Franziskus stellt sich ganz offensichtlich in die Tradition Pauls VI. und Johannes Pauls II. Doch dürfte es nicht bedeuten, dass er mit der Tradition Benedikts XVI. bricht. Vielmehr dürfte der Schlüssel zum rechten Verständnis in der Bedeutung des Kruzifixes, das den leidenden Christus in Erinnerung ruft, liegen. Der leidende Christus ist ein zentrales Motiv in der lateinamerikanischen Volksfrömmigkeit. Es gibt eine starke Identifikation des leidenden Volkes mit dem leidenden Christus. Allerdings hat das nichts mit oberflächlichem Mitleid zu tun. Für Franziskus geht vom Kreuz zugleich Hoffnung aus. Beim Kreuzweg am Kolosseum sagte Franziskus am Karfreitag: „Das Kreuz Jesu ist das Wort, mit dem Gott auf das Böse der Welt geantwortet hat. Manchmal scheint es uns, als antworte Gott nicht auf das Böse, als verharre er im Schweigen. In Wirklichkeit hat Gott gesprochen, er hat geantwortet, und seine Antwort ist das Kreuz Christi: ein Wort, das Liebe, Barmherzigkeit und Vergebung ist.“

Der Papst hört zu.

Papst Franziskus setzt die Audienzen für Kurienmitglieder fort. Heute traf er zum ersten Mal den Chef der Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, und bereits zum zweiten Mal den Chef der Ostkirchenkongregation, Leonardo Sandri. Sandri, der wie der Papst Argentinier ist, hatte bereits wenige Tage nach der Wahl eine Audienz bei Franziskus. Gestern hatte der Pontifex den Chef der Missionskongregation, Kardinal Fernando Filoni, sowie den Erzpriester der Basilika Sankt Paul vor den Mauern, Kardinal James M. Harvey, und den Cheforganisator der Internationalen Eucharistischen Weltkongresse, Erzbischof Piero Marini, getroffen. Nähere Informationen gab der Vatikan zu den Audienzen wie üblich nicht. Die Auswahl der Audienzgäste lässt allerdings aufhorchen. Das gilt weniger für Kardinal Filoni. Der zählt als Chef der Kongregation für die Evangelisierung der Völker, wie die Missionskongregation offiziell heißt, zu den mächtigsten Männern in der katholischen Kirche. Nicht umsonst wird der Inhaber dieses Postens oft als auch der „rote Papst“ bezeichnet. Filoni ist zuständig für alle Gebiete, die traditionell zu den Missionsgebieten der katholischen Kirche zählen, also weite Teile Afrikas, Asiens und auch Lateinamerikas. Aktuell sind das nach Angaben der Kongregation knapp über 1.000 Jurisdiktionsgebiete. Dass Franziskus sich mit Kardinal Filoni als einem der ersten Kurienchefs trifft, ist damit gut verständlich. Auch die Begegnung mit Erzbischof Müller liegt auf der Hand.

Doch wieso trifft er sich mit Kardinal Harvey und Erzbischof Marini? Harvey war lange Jahre Präfekt des Päpstlichen Hauses, also Vorgänger von Erzbischof Georg Gänswein. Der übernahm den Posten im Dezember letzten Jahres von Harvey. Der US-Amerikaner arbeitete seit 1988 unter Johannes Paul II. und dann anschließend auch unter Benedikt XVI. als Präfekt des Päpstlichen Hauses. Erzbischof Piero Marini war Päpstlicher Zeremonienmeister unter Johannes Paul II. Benedikt XVI. löste ihn 2007 ab. Harvey und Marini gehören also zu den engsten Vertrauten des Wojtyla-Papstes. Es ist auffallend, dass Franziskus sich mit diesen beiden trifft, noch bevor er sich etwa mit anderen Kurienchefs trifft. Bisher hatten nur die Chefs der Bischofskongregation, Kardinal Marc Quellet, der Ostkirchenkongregation, Kardinal Leonardo Sandri, und der Ordenskongregation, Kardinal Joao Braz de Aviz, sowie Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone offiziell Audienztermine beim Papst. Selbstverständlich gibt es eine Reihe von Audienzen, die nicht öffentlich gemacht werden. Franziskus hat bereits weit mehr Kardinäle und Kurienmitarbeiter getroffen, als offiziell im Bollettino des vatikanischen Presseamts verkündet wurden. Doch die Auswahl seiner Gesprächspartner gibt Rätsel auf.

Aus dem Internet: Papst Franziskus beim Frühstück.

Seit gestern sorgen zwei Fotos für Aufregung, die im Internet kursieren. Sie zeigen Papst Franziskus beim Frühstück im Speisesaal des vatikanischen Gästehauses Santa Marta, wo er ja noch immer wohnt, sowie in der Kapelle des Hauses in der letzten Reihe sitzend. Das Foto aus dem Speisesaal stammt von einem Kleriker des Erzbistums Mailand, der diese Woche an der Romwallfahrt seines Bistums teilnahm und in Santa Marta wohnte. Er stellte den Schnappschuss im Anschluss auf sein Profil in einem der sozialen Netzwerke. Schon gibt es besorgte Stimmen, Franziskus könnte künftig wieder mehr abgeschottet werden, um solche Fotos künftig zu vermeiden. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser selbst das möchte. In einem Telefonat mit einem Priester in Argentinien erklärte er jetzt noch einmal, dass er im Gästehaus bleibt, weil er „nicht isoliert sein möchte“, sondern vielmehr mit den Menschen, „Tisch, Nachrichten und Kommentare“ teilen möchte.

P.S. Die klare Linie seines Vorgängers Benedikt XVI. wird Papst Franziskus beim Thema Missbrauch fortführen. Das kündigte der Vatikan nach der Audienz für Erzbischof Müller an. Die Glaubenskongregation ist im Vatikan für das Thema zuständig. Der Papst wünsche, dass die Behörde sich vor allem dem Schutz von Minderjährigen und der Hilfe für Opfer annehme. Sie solle die erforderlichen Maßnahmen gegen Täter einleiten und die Bischofskonferenz bei der Formulierung und Überarbeitung entsprechender Richtlinien unterstützen. Diese seien wichtig für das Zeugnis und die Glaubwürdigkeit der Kirche.

Franziskus und die Frauen

„Die ersten Zeugen der Auferstehung sind die Frauen. Und das ist schön, das ist ein bisschen auch die Mission der Frauen, der Mütter, der Großmütter: Zeugnis ablegen gegenüber den Kindern, den Enkeln. Dass Jesus lebt, dass er auferstanden ist. Mütter und Frauen: macht weiter mit diesem Zeugnis!“ Mit diesen Worten richtete sich heute Papst Franziskus bei seiner zweiten Generalaudienz an die rund 30.000 Teilnehmer auf dem Petersplatz. Er würdigte die Rolle der Frauen als Erstverkünder der Auferstehung; der zentralen Botschaft des christlichen Glaubens. Beim Hören seiner wie immer sehr engagiert vorgetragenen Rede, war man gespannt, welche Folgerungen Franziskus aus dieser zentralen Rolle der Frauen am Anfang des Christentums ableiten würde. Doch dazu kam er dann nicht. Gut, er stellt fest, dass diese besondere Rolle der Frauen zum Nachdenken darüber anregen müsse, „wie die Frauen in der Kirche und auf dem Weg des Glaubens eine besondere Rolle hatten und noch heute haben, um die Türen für den Herrn zu öffnen, indem sie ihm folgen und indem sie sein Angesicht verkünden.“ Tja, was heißt das jetzt konkret für die Frauen in der Kirche? Gut, eine Generalaudienz ist nicht dazu da, theologische Abhandlungen über die Rolle der Frau vorzulegen. Aber wenn es als Denkanstoß gedacht war, darf man gespannt sein, was da noch kommt.

Papst Franziskus (reuters)

Eines war Franziskus wichtig. Die Tatsache, dass Frauen als Erstzeugen genannt werden, ist für ihn Beleg für die Historizität der Ereignisse. Im jüdischen Recht hätten Frauen und Kinder in der damaligen Zeit keine Glaubwürdigkeit als Zeugen besessen. Wenn die Evangelisten aber gerade Frauen als erste Zeugen anführten, spreche das für die Authentizität. Die Frauen kommen bei Franziskus auch besser weg als die Jünger und Apostel; denen falle es viel schwieriger zu glauben als den Frauen. Franziskus beklagte eine „Verwässerung“ des Auferstehungsglaubens, der aus einer gewissen Oberflächlichkeit oder aus Gleichgültigkeit entstehe in einer Zeit, „in der die Menschen mit tausend Sachen beschäftigt seien, die sie für wichtiger halten als den Glauben“. Am Ende seines Vortrags fordert er die Jugendlichen in einem flammenden Appell dazu auf, die Botschaft der Hoffnung, die in der Auferstehung begründet sei, in die Welt zu tragen, die ein bisschen alt geworden sei aufgrund der vielen Kriege, des Schlechten und des Bösen. „Los geht’s ihr jungen Leute!“ rief der Papst unter Applaus den vielen Jugendlichen auf dem Platz zu.

Franziskus ist sich auch heute treu geblieben. Er sprach nur auf Italienisch. Auch die Grüße etwa an die Deutschen mussten im Anschluss von einem Kleriker des Staatssekretariats aus dem Italienischen übersetzt werden. Manche Pilger sind enttäuscht; auch die wieder sehr emotionale Fahrt mit dem Papamobil über den Petersplatz im Vorfeld der Audienz kann das nicht aufwiegen.

Der Vatikan veröffentlichte heute das liturgische Programm des Papstes bis Pfingsten. Dabei fällt auf, dass Franziskus jeden Sonntag eine öffentliche Liturgie feiert. Angefangen vom nächsten Sonntag mit einem Gottesdienst zur Inbesitznahme der Lateranbasilika, seiner Bischofskirche, über eine Messe am 14. April in der Basilika Sankt Paul vor den Mauern bis zu verschiedenen Eucharistiefeiern im Petersdom und auf dem Petersplatz mit Priesterweihe, Firmung und Heiligsprechungen sowie Gottesdiensten mit Bruderschaften und den geistlichen Bewegungen zu Pfingsten. Das ist ein strammes Programm, das sich Franziskus vorgenommen hat. Umgekehrt ist es auch nur schwer vorstellbar, dass ein Mann, der es bis vor wenigen Wochen als Erzbischof von Buenos Aires gewohnt war, jeden Sonntag und auch an vielen Werktagen mit den „einfachen“ Gläubigen Gottesdienst zu feiern, plötzlich nur noch im kleinen (geschlossenen) Kreis in der Kapelle des vatikanischen Gästehauses Santa Marta seine Liturgien feiert. Diese Fülle an öffentlichen Liturgien erinnert an die Zeit Papst Johannes Pauls II. Ob Franziskus diese Schlagzahl auch nach Pfingsten wird durchhalten können, wird man sehen. Sicher muss auch er Erfahrungen sammeln in seinem neuen Amt.

P.S. Gestern hat Franziskus zum 8. Todestag seines Vorvorgängers das Grab des seligen Johannes Pauls II. im Petersdom besucht. Das vatikanische Presseamt nahm dies zum Anlass, eigens auf die Kontinuität des neuen Papstes mit seinen Vorgängern hinzuweisen. Der Besuch an den Gräbern der letzten Päpste in den vergangenen Tagen sowie die wiederholten Telefonate und das Treffen mit Benedikt XVI. seien Ausdruck „der tiefen spirituellen Kontinuität des Petrusdienstes der Päpste, die Franziskus lebe und intensiv spüre“. Es ist auffallend, dass der Vatikan in den letzten Tagen diese Kontinuität immer wieder ausdrücklich betont. Als habe man Sorge, dass angesichts des neuen Stils diese Kontinuität übersehen werden könnte oder in Vergessenheit geraten könnte; obwohl Franziskus selbst in seinen Predigten und Ansprachen durchaus deutlich macht, dass er sich in dieser Kontinuität sieht. Vertraut man da den Worten des Papstes nicht? Oder den Journalisten, die darüber berichten?

Zurück zu den Quellen

Papst Franziskus hat am Nachmittag die Nekropole unter Sankt Peter besucht und an der Stelle gebetet, an der der Apostel Petrus begraben worden sein soll. Im Anschluss an den Besuch der Ausgrabungen betete er in den vatikanischen Grotten an den Gräbern der Päpste des vergangenen Jahrhunderts: Benedikt XV., Pius XI., Pius XII., Paul VI. und Johannes Paul I. Die beiden übrigen Päpste des 20. Jahrhunderts, die seligen Johannes XXIII. und Johannes Paul II., sind ja im Petersdom in Altären beigesetzt. 45 Minuten dauerte sein Besuch in den Tiefen des Petersdoms.

Als Bischof von Rom ist Franziskus Nachfolger des Apostels Petrus, der 265. offiziell. Die spannende Frage in diesen Tagen ist, wie er sein Amt in dieser Nachfolge versteht und ausüben wird. Es deutet sich ja an, dass er wohl ein Papst eines etwas anderen Typs sein wird als seine Vorgänger. Sollte er weiter so stark den Aspekt des „Bischofs von Rom“ betonen, wird dies große Auswirkungen sowohl auf die innerkatholische „Ökumene“ als auch auf den Dialog mit den anderen christlichen Kirchen haben. Schon sieht der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I., Chancen für eine Kircheneinheit mit Rom. Es dürfte noch etwas früh sein dafür; doch spannend ist, ob Franziskus auf den Vorschlag von Bartholomäus eingeht, dass sich beide im nächsten Jahr in Jerusalem treffen sollen. 2014 jährt sich zum 50. Mal die historische Begegnung von Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras im Jahr 1964 in Jerusalem, die schließlich zur Aufhebung der gegenseitigen Exkommunikation aus dem Jahr 1054 führte. Welches historische Zeichen könnten Franziskus und Bartholomäus setzen, wenn sie sich nächstes Jahr in der Heiligen Stadt begegnen sollten?

Geht die katholische Kirche mit Franziskus zurück zu den Quellen, den Ursprüngen? Der „Vorsitz in der Liebe“, den Rom innehat und von dem Franziskus bei seinem ersten Auftritt am 13. März auf der Loggia des Petersdoms sprach, ist ein Zitat von Ignatius von Antiochien aus dem 2. Jahrhundert. Damals war die Vormachtstellung Roms gegenüber den anderen Patriarchaten, und heute müsste man wohl auch hinzufügen Ortskirchen, längst nicht so ausgeprägt wie gegenwärtig. Ein solches Kirchenmodell würde die aktuelle Verfasstheit der katholischen Kirche vielleicht nicht komplett auf den Kopf stellen, aber doch grundlegend verändern. Es würde allerdings auch bedeuten, dass auf die unteren Ebenen mehr Verantwortung zukäme: die Ortsbischöfe, die Kirchenprovinzen und die seit dem II. Vatikanischen Konzil fest in der Kirchenverfassung verankerten Bischofskonferenzen. Mehr Kollegialität, wie sie nicht nur in der Sedisvakanz von vielen Kardinälen gewünscht wurde, sondern schon seit Jahren auf dem Forderungskatalog von Reformern – Bischöfe, Kleriker und Laien – steht, bezieht sich ja nicht nur auf das Verhältnis des Papstes zum Bischofskollegium. Wenn Kollegialität als Grundprinzip ernst genommen wird, müsste es auf allen Ebenen praktiziert werden. Ob das gelingt? Da sind Zweifel sicher angebracht. Denn die Zahl der Bischöfe ist nicht gering, die gerne nur sich selbst und dann den Papst sehen, die Instanzen dazwischen aber gerne übergehen. Auch diese Haltung hat den Zentralismus der vergangenen Jahre begünstigt. Unter Papst Franziskus könnte damit jetzt Schluss sein.

P.S. Heute Mittag gab es übrigens eines der „franziskanischen“ kurzen Mittagsgebete auf dem Petersplatz. Der Papst ist dafür eigens ins offizielle Arbeitszimmer im dritten Stock des Apostolischen Palasts gegangen, um die Menge auf dem Petersplatz zu grüßen und, wie das in der Osterzeit üblich ist, das Regina Caeli zu beten. Seine Ansprache, wie immer nur auf Italienisch. Das Ganze dauerte rund zehn Minuten. Franziskus liebt es kurz, aber herzlich und würdig. Das kann man nach den Liturgien in den Kar- und Ostertagen vielleicht als ein Resümee mit Blick auf die äußere Form ziehen. Über Inhalt wurde hier ja schon viel gesagt und wird es auch in den nächsten Wochen noch viel zu sagen geben.

Frieden in der Welt und mit der Schöpfung!

Papst Franziskus geht auch an Ostern seinen eigenen Weg. Die bisher üblichen Ostergrüße in mehr als 60 Sprachen ließ der 76-jährige Pontifex schlichtweg ausfallen. Lediglich auf Italienisch dankte der nach seiner Osterbotschaft für den Blumenschmuck und rief dazu auf, die „frohe Botschaft“ des Auferstandenen in alle Familien zu tragen. Die persönliche Umkehr und die Kriege in der Welt standen im Mittelpunkt seiner knapp 15-minütigen Osteransprache. Seine zentrale Botschaft: „Jesus ist auferstanden; es gibt Hoffnung für dich [den Menschen], du bist nicht mehr unter der Herrschaft der Sünde, des Bösen! Gesiegt hat die Liebe, gesiegt hat die Barmherzigkeit!“ Dies müsse konkrete Konsequenzen für das Handeln der Menschen heute haben. Franziskus sprach von den „Wüsten“, die der Mensch heute durchquert. Ein Bild, das sein Vorgänger Benedikt XVI. auch sehr oft verwendet hat. Franziskus bezog es auch auf eines seiner Hauptthemen des Pontifikats: die Bewahrung der Schöpfung. „Wie viele Wüsten muss der Mensch auch heute durchqueren. Vor allem die Wüste in ihm selbst, wenn das Bewusstsein fehlt, Hüter all dessen zu sein, was der Schöpfer uns geschenkt hat und schenkt.“

Vor dem Urbi et Orbi feierte Papst Franziskus die Ostermesse auf dem Petersplatz.

Im zweiten Teil seiner Ansprache ging der Papst dann auf die aktuellen Konflikte in der Welt ein. Israelis und Palästinenser forderte er auf, „mutig und bereitwillig die Verhandlungen wieder aufzunehmen, um einem Konflikt ein Ende zu setzen, der schon viel zu lange andauert.“ Er erinnerte an den Konflikt im Irak und mit Blick auf Syrien beklagte er das „viele Blut“, das bereits vergossen wurde und forderte eine politische Lösung. Mali, die Zentralafrikanische Republik und die Demokratische Republik Kongo sind die Kriegsländer, die er in Afrika eigens erwähnte, dazu Nigeria, „wo die Anschläge leider nicht aufhören, die das Leben vieler Unschuldiger schwer bedrohen, und wo nicht wenige Menschen, auch Kinder, in Geiselhaft von terroristischen Gruppen sind.“ Er rief zur Überwindung der Divergenzen und zur Versöhnung zwischen Nord- und Südkorea auf.

Am Ende kam Franziskus auf Themen zu sprechen, die ihn als Erzbischof von Buenos Aires bereits stark beschäftigt haben, wenn er etwa immer wieder Korruption und Menschenhandel kritisiert hat. Heute bat er um „Frieden für die ganze Welt, die immer noch von der Gier nach schnellem Profit geteilt ist, die verwundet ist vom Egoismus, der das menschliche Leben und die Familie bedroht, vom Egoismus, der den Menschenhandel fortsetzt, die in diesem 21. Jahrhundert am weitesten verbreitete Sklaverei.“ Er kritisierte den Drogenhandel sowie die ungerechte Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und erinnerte an die Opfer von Naturkatastrophen. „Friede für diese unsere Erde!“

In seinen Formulierungen erinnerte der neue Papst an den großen Heiligen, in dessen Spur er sich bewegt. Wenn er etwa sagte, „werden wir zu Werkzeugen dieser Barmherzigkeit, zu Kanälen, durch welche Gott die Erde bewässern, die ganze Schöpfung behüten sowie Gerechtigkeit und Frieden erblühen lassen kann.“ Und fortfuhr, der auferstandene Christus möge „Hass in Liebe“, „Rache in Vergebung“, „Krieg in Frieden“ verwandeln. Wer hatte da nicht das Gebet des Franz von Assisi im Ohr, mit den Worten: „Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens, dass ich liebe, wo man hasst; dass ich verzeihe, wo man beleidigt; …“

Wird Papst Franziskus zum neuen Franz? Dann müssen sich sicher viele warm anziehen. Angesichts des radikalen Stilwechsels und der von ihm erwarteten Reformen in der Kurie gibt es schon besorgte Stimmen in Rom, er könnte sich an dem großen „Projekt“ verheben. Immer wieder wird an 1978 erinnert, wo ein lächelnder Papst, Johannes Paul I., das Werk angehen wollte, die Vatikanbank zu säubern und manch’ andere Reform umzusetzen. Nach 33 Tagen war er tot. Nicht dass jemand Franziskus dieses Schicksal wünschen würde. Aber dem ein oder anderen scheint der Wandel doch zu schnell zu gehen. Noch aber hat Franziskus sein Werk nicht begonnen. Er ist gut beraten, es mit Ruhe und Ausdauer anzugehen. Im Gebet des Franz von Assisi findet sich auch die Bitte, „dass ich verbinde, wo Streit ist“. Diese Fähigkeit wird sein Nachfolger Franziskus brauchen, um die Polarisierungen in der Kurie und der Kirche aufzubrechen. Wenn ihm das gelingt, braucht niemand Sorge zu haben, dass dieses Pontifikat nur 33 Tage dauern könnte.

P.S. Schon gibt es erste kritische Stimmen, Franziskus sei mehr „Urbi“ (Stadt) als „Orbi“ (Welt), weil er heute die Ostergrüße in 65 Sprachen weggelassen hat. Immerhin hatte das vatikanische Presseamt sie noch um 12.01 Uhr verteilt. D.h. die Entscheidung, nicht in den vielen Sprachen zu grüßen, muss sehr kurzfristig gefallen sein. Schon in den letzten Tagen fiel ja immer wieder auf, dass Franziskus den Akzent sehr stark auf sein Amt als Bischof von Rom legt und nicht vom „Papst“ spricht, eigentlich nur Italienisch redet und auch beim Angelus und der Generalaudienz keine anderen Sprachen nutzt. Im Vatikan wurde stets betont, dass sich das wieder ändern könne. Nach diesem Urbi et Orbi scheint das sehr fraglich. Aber Franziskus ist ja immer für eine Überraschung gut. Daher kann sich das doch auch alles wieder ändern – zugunsten des „Orbi“.

Keine Angst vor Neuem!

Jorge Mario Bergoglio feiert sein erstes Osterfest als Papst. Den Auftakt machte am Abend die Vigilfeier mit rund 10.000 Gläubigen im Petersdom. Dabei warnte er, Angst vor Neuem und Überraschendem zu haben. „Jesus öffne uns für die verwandelnde Neuheit, für die Überraschungen Gottes; er mache uns zu Menschen, die fähig sind, sich an das zu erinnern, was er in ihrer persönlichen Geschichte und in der der Welt gewirkt hat.“ Die Menschen sollten sich nicht in Traurigkeit und Bitterkeit verschließen, so Franziskus, sondern auf Gott vertrauen. Die Predigt reiht sich ein in die Ansprachen des neuen Pontifex, in denen er versucht, den Menschen Mut zu machen, Mut, der aus seiner Sicht im christlichen Glauben gründet.

Osternachtsfeier im Petersdom

Die Osternachtsfeier hatte keine politischen Akzente. Die Predigt des Papstes war auf den einzelnen Glaubenden zugeschnitten. Zwar ging es in den Fürbitten um die Themen Frieden, Christenverfolgung und Armut. Der eigentliche politische Akzent wird aber für morgen erwartet, wenn Papst Franziskus beim Segen Urbi et Orbi seine erste Osterbotschaft verkünden wird.

In Rom machte heute erneut ein Gerücht die Runde, das in den vergangenen Wochen immer wieder kolportiert worden war. Demnach plane Benedikt XVI. sich doch in seine bayerische Heimat zurückzuziehen. Vatikansprecher Federico Lombardi dementierte umgehend. Der emeritierte Papst werde wie geplant in einigen Wochen in das Kloster Mater Ecclesiae in den Vatikanischen Gärten umziehen. Der Umbau dort, der bereits im November begonnen hatte, werde bis Mai abgeschlossen sein. Bis dahin bleibt Benedikt XVI. in der Päpstlichen Sommerresidenz in Castel Gandolfo. Dort feiert er im Kreise seiner „päpstlichen Familie“ das Osterfest.

P.S. Ob er mit dem Mut zu Neuem auch seine Kirche gemeint hat? Viele erwarten von Franziskus grundlegende Reformen bei Strukturen und Inhalten. Die Zeit zwischen der Wahl am 13. März und den Kar- bzw. Osterfeierlichkeiten ließen dem neuen Papst wenig Zeit, grundlegende Entscheidungen vorzubereiten. Nach Ostern erwarten viele erste Zeichen. Allerdings könnte es durchaus eine Weile dauern, bis Franziskus richtig mit Veränderungen ansetzt. Zumindest was die Kurie anbetrifft, ist er doch ein Fremder und braucht wohl erst noch eine gewisse Zeit der Analyse, bis Entscheidungen fallen können.

P.P.S. Der Oberrabbiner von Rom, Riccardi Di Segno, hat Papst Franziskus ein Glückwunschreiben zum Osterfest geschickt. Darin würdigt er die christlich-jüdischen Beziehungen. Ostern stelle sowohl die Verbindung als auch den Unterschied der beiden Religionen dar. Zugleich kritisiert Di Segno in seinem Schreiben die Karfreitagsfürbitte in der außerordentlichen Form des römischen Ritus. Sie sei geprägt von „einer Geschichte des Unverständnisses“. Er hoffe, dass eines Tages Juden und Christen „gegenseitig den Sinn des Unterschieds und den Wert der Brüderlichkeit erkennen“. Die kritisierte Karfreitagsfürbitte hatte Benedikt XVI. 2008 eigens formuliert. Sie ersetzte eine Version, die zur Mission der Juden aufgerufen hatte. Doch auch die neuformulierte Bitte ist seitdem immer wieder Anlass für heftige Diskussionen und Kritik.

Buchstabe, Geist und Kreuz – Karfreitag in Rom

„Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.“ Dieses Zitat aus dem 2. Korintherbrief stand heute Nachmittag ziemlich am Ende der Predigt bei der Karfreitagsliturgie im Petersdom. Ist das die neue Marschrichtung? Der Kapuziner Raniero Cantalamessa, der als Päpstlicher Hausprediger traditionell an Karfreitag die Predigt hält, sprach von einem „Augenblick, da für die Kirche eine neue Zeit anbricht, voller Hoffnungen und Versprechen“. In den letzten Jahren hatten viele Gläubige den Eindruck, dass der Buchstabe mehr zählt als der Geist. Mit dem neuen Pontifikat verbinden viele die Hoffnung, dass sich das künftig ändern könnte. Immerhin hat Papst Franziskus gestern Abend zwei Frauen die Füße gewaschen, obwohl die liturgischen Vorgaben empfehlen, den Ritus nur an Männern zu vollziehen.

Traditionalisten sehen in diesem Vorgang bereits ein weiteres Beispiel dafür, dass es der neue Papst mit der katholischen Theologie und den Kirchengesetzten nicht so genau nimmt und befürchten nun schon das Schlimmste für Glauben und Kirche. Der Vatikan beschwichtigt und erklärt, es sei eine besondere Situation gewesen, eine Ausnahme. Doch genau damit trifft es ja den Nagel auf den Kopf. So versteht Franziskus den katholischen Glauben: der konkreten Situation der Menschen angepasst. Der Ritus der Fußwaschung brachte für ihn zum Ausdruck, was Grundprinzip der christlichen Botschaft ist: den Menschen zu dienen. Denen, die am Rande stehen, zu zeigen, dass sie ernst genommen werden und angenommen sind.

Der Päpstliche Hausprediger hat sich diese Vorstellung heute bereits zu Eigen gemacht: „In der Offenbarung sagt Jesus, dass er vor der Tür steht und anklopft (Offb 3,20). Manchmal, wie unser Papst Franziskus bemerkt, klopft er nicht um hineinzutreten, sondern um rauszugehen, zu den ‚existenziellen Vororten der Sünde, des Leidens, der Ungerechtigkeit, der religiöse Unwissenheit und Gleichgültigkeit, und aller Formen des Elends.’“ Dass Cantalamessa eine Erneuerung der Kirche forderte und den Abbau von Bürokratie ist angesichts des neuen Winds, der seit knapp drei Wochen in Rom weht, schon fast keine Besonderheit mehr. Auch wenn noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen werden soll, dass die Erneuerung der Kirche nicht eine Erfindung von Franziskus ist, sondern auch schon sein Vorgänger Benedikt XVI. dies immer wieder gefordert hatte. Nur verhallten seine Worte, weil sein Umfeld sie nicht weiter entfaltete, oder sie wurden scharf kritisiert, weil man Benedikt einen reaktionären Kurs vorwarf.

Textheft des Kreuzwegs vom Kolosseum

Doch zurück zum Geschehen in Rom. Am Abend fand dort der traditionelle Kreuzweg statt. Zwei Jugendliche aus dem Libanon hatten die Texte dazu verfasst. Sie fanden deutliche Worte. Kritisierten etwa den Machtmissbrauch durch politisch Verantwortliche, die „die Würde des Menschen und sein Recht auf Leben mit Füßen treten“. Sie kritisierten Tendenzen, „wie der blinde Laizismus, der im Namen einer vermeintlichen Verteidigung des Menschen die Werte des Glaubens und der Moral erstickt; oder der gewaltsame Fundamentalismus, der die Verteidigung religiöser Werte als Vorwand benutzt.“ Es ging um die Rechte der Frauen und die Abwanderung der Christen aus dem Nahen Osten, um Jugendliche, die Opfer von Drogen und Sekten werden, sowie um die Themen Abtreibung und Euthanasie, Krieg und Frieden im Nahen Osten.

Papst Franziskus stellte das Kreuz in den Mittelpunkt seiner kurzen Ansprache. Das Kreuz sei die Antwort Gottes auf das Böse in der Welt gewesen. „Die Christen müssen auf das Böse mit dem Guten antworten, indem sie wie Jesus das Kreuz auf sich nehmen,“ lautet seine Botschaft.

Der Papst im Knast

Viele Bischöfe feiern Gottesdienste in Gefängnissen. Meist machen sie das rund um Weihnachten. Auch Päpste waren schon oft in Gefängnissen zu Besuch, angefangen vom seligen Papst Johannes XXIII. über Johannes Paul II. und zuletzt Benedikt XVI. Der hatte im März 2007 eben jenes römische Jugendgefängnis Casal del Marmo besucht, in dem heute sein Nachfolger Franziskus war. Einerseits ist der Besuch also nichts Neues; das Besondere ist aber, dass der neue Papst ausgerechnet am Gründonnerstagabend den Gottesdienst dort feiert. In dieser Messe wird an das Letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern erinnert; gleichsam die Einsetzung der Eucharistie nach katholischem Verständnis. Wenn ein Papst einen solchen wichtigen Gottesdienst mit Häftlingen feiert, dann ist das ein starkes Zeichen. Getoppt dann noch durch den Ritus der Fußwaschung. Das Oberhaupt der katholischen Kirche, nach katholischem Verständnis der Stellvertreter Christi auf Erden, wäscht 12 Gefangenen die Füße. Was für ein Zeichen!

Das war bisher unvorstellbar. Die früheren Päpste haben bei diesem Ritus meist Klerikern die Füße gewaschen. Franziskus macht nun das, was er seit Tagen als Papst und seit vielen Jahren als Erzbischof von Buenos Aires predigt. Er geht zu denen, die am Rande (der Gesellschaft) stehen und lebt ihnen die christliche Botschaft vor, so wie er sie verstanden hat. Eine liebende Zuwendung zu denen, die am Rande stehen; nicht um sie zu missionieren, weil das hier gelegentlich in den Kommentaren so angedeutet wird. Es ist ein uneigennütziges Sich-Zuwenden, um es etwas theologisch auszudrücken. Dass Franziskus für den Gottesdienst heute ein Jugendgefängnis gewählt hat, dürfte kein Zufall sein. „Padre Bergoglio“, wie er in Argentinien genannt wurde, sorgte sich besonders um das Schicksal von Jugendlichen, ihre Ausbildung in Schule und Beruf. Mehrfach kritisierte er, dass allein im Raum Buenos Aires mehr als zwei Millionen Jugendliche ohne Arbeit und Ausbildung lebten.

50 Jugendliche nahmen an dem Gottesdienst teil. Unter den Gefangenen waren auch Nichtkatholiken. Zwei der zwölf Jugendlichen, denen der Papst die Füße gewaschen hatte, waren junge Frauen, eine von ihnen eine Muslima. Nach dem Gottesdienst traf sich Papst Franziskus in der Sporthalle des Gefängnisses noch mit den übrigen Jugendlichen und Mitarbeitern des Gefängnisses. An der Begegnung nahmen etwa 150 Personen teil. Die Jugendlichen schenkten dem Papst ein Kreuz und eine Kniebank, beides aus Holz und von ihnen selbst gefertigt. Der Papst revanchierte sich mit Eiern und „Tauben“, dem typischen Ostergebäck in Italien in Form einer Taube.

Franziskus hat mit dem Gottesdienst in Casal del Marmo ganz praktisch gezeigt, was er am Vormittag in seiner Predigt bei der Chrisammesse im Petersdom den Priestern mit auf den Weg gegeben hatte: Sie sollen Hirten sein mit dem „Geruch der Schafe“ und nicht Verwalter. Die Priester müssen das Alltagsleben der Menschen erreichen, auch in den Randgebieten wo Blutvergießen, Leiden und Blindheit herrscht. Dabei wurde der Papst auch sehr konkret und rief die Priester auf, in ihren Predigten die Alltagswirklichkeit der Menschen einzubeziehen und nicht über ihre Köpfe hinweg zu sprechen.

Übrigens hat Papst Franziskus angeordnet, dass für die Gottesdienste in den nächsten Tagen im Petersdom 4.000 Einlasskarten an die Caritas des Bistums Rom gegeben werden. Diese werden dann an Menschen verteilt, die deren Dienste in Anspruch nehmen. Die Präfektur des Päpstlichen Hauses brachte diese Geste etwas ins Schwitzen; denn die rund 9.000 Karten für die Sitzplätze im Petersdom sind über die Kar- und Ostertage heiß begehrt und in den letzten Jahren immer schnell vergriffen gewesen. So wird für viele Pilger und Touristen wohl nur der Blick auf einen der Großbildschirme auf dem Petersplatz bleiben.

P.S. Die Karten für die Teilnahme an Veranstaltungen mit dem Papst sind selbstverständlich kostenlos.

P.P.S. Interessant ist, dass Franziskus, als er beim Besuch im Gefängnis von sich selbst sprach, wieder einmal nur von „Priester“ und „Bischof“ redete, der sich im Dienst der Liebe zum Diener der Jugendlichen machen müsse, nicht vom „Papst“. Dem neuen Pontifex scheint es also ernst zu sein mit seinem etwas eigenen Amtsverständnis. Er sieht sich in erster Linie als Bischof von Rom und dann erst als Papst, sprich Oberhaupt von 1,1 Milliarden Katholiken weltweit. Man darf gespannt sein, zu welchen praktischen Konsequenzen das im Pontifikat noch führen wird.

Radikale Umkehr für die Kirche

Die Nachricht des Tages kommt heute aus Kuba. Dort hat der Erzbischof von Havanna, Jaime Lucas Ortega y Alamino, jetzt die Rede veröffentlicht, die Kardinal Bergoglio im Vorkonklave gehalten hat. Seit Tagen ist bekannt, dass diese kurze Ansprache von dreieinhalb Minuten die versammelten Kardinäle nachdrücklich beeindruckt hat. Was bei Joseph Ratzinger 2005 die Predigt beim Gottesdienst zum Einzug ins Konklave mit der berühmten Formulierung von der „Diktatur des Relativismus“ war, war bei Bergoglio diese kurze Rede vier Tage vor Beginn des Konklaves am 8. März. Kardinal Ortega bat hinterher Bergoglio um einige schriftliche Notizen des Vortrags. Mit ausdrücklicher Zustimmung des Papstes, so der kubanische Kardinal, habe er sie nun veröffentlicht.

Der Auszug des Vortrags von Kardinal Bergoglio, der seit gestern Abend im Internet kursiert.

Vier Punkte trug Bergoglio vor, die so etwas wie sein Regierungsprogramm sind. Einige der Inhalte haben sich schon in den Worten und Gesten der ersten Tage des Pontifikats abgezeichnet. Eigentliche Aufgabe der Kirche, so Bergoglio im Vorkonklave, sei die Evangelisierung. Die Kirche sei deshalb dazu berufen, aus sich herauszugehen und in die Peripherien zu gehen, nicht nur geografisch, sondern auch existentiell; also dorthin wo Sünde, Schmerz, Ungerechtigkeit, Ignoranz und jede Form von Elend herrschten. Wenn die Kirche nicht so aus sich herausgehe, werde sie selbstreferenziell. Es komme zu einem theologischen Narzissmus. Eine selbstreferenzielle Kirche schließe Christus in sich ein und lasse ihn nicht hinaus in die Welt. Letztendlich sei eine solche Kirche eine „verweltlichte Kirche“. In Anlehnung an den Konzilstheologen Henri de Lubac (1896-1991) bezeichnet Bergoglio dies als das „schlimmste Übel“,  das über die Kirche kommen könne. Da klingt übrigens etwas von der Aufforderung der Entweltlichung der Kirche Benedikts XVI. an, die er in seiner Freiburger Rede im September 2011 gefordert hatte.

Der Begriff der „spirituellen Mondänität“ Lubac’s taucht bei Kardinal Bergoglio immer wieder auf. 2007 etwa in einem Interview nach dem Konsistorium, dem Treffen aller Kardinäle in Rom, sagte der damalige Erzbischof von Buenos Aires: „Spirituelle Mondänität ist, wenn man sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Es ist das, was Jesus unter den Pharisäern erkennen kann: ‚Ihr, die ihr euch selbst verherrlicht, die ihr einander selbst verherrlicht.’“ Eine solche Kirche bezeichnete Bergoglio jetzt im Vorkonklave als „weltliche Kirche“, die in sich selbst, aus sich selbst und für sich selbst lebe. Vor diesem Hintergrund müsse man mögliche Veränderungen und Reformen der Kirche angehen, die notwendig seien für die Rettung der Seelen. Der neue Papst, so Bergoglio abschließend, müsse aus der Betrachtung und Verehrung Christi heraus der Kirche helfen, zu den „existentiellen Peripherien“ zu gehen.

Papst Franziskus heute beim Giro über den Petersplatz

Das ist es, was Franziskus nun umzusetzen versucht. Bei seiner ersten Generalaudienz heute etwa beklagte er, dass es zu viele Pfarreien gebe, die in sich verschlossen seien. „Uscire, uscire, uscire!“ lautet die Devise des neuen Pontifex, der übrigens auch heute wieder nur auf Italienisch sprach. Selbst seine Grüße an die fremdsprachigen Pilger ließ er zusammen mit einer Kurzfassung seiner Rede von Mitarbeitern des vatikanischen Staatssekretariats vortragen – auch auf Spanisch, seiner Muttersprache. Franziskus will eine Kirche, die bei den Menschen ist, die herauskommt aus der Sakristei, aus Eitelkeiten und Karrierismus. Franziskus’ Botschaft heute: „Herausgehen aus sich selbst, aus einer Art, den Glauben müde und gewohnheitsmäßig zu leben, aus der Versuchung, sich in den eigenen Schemata einzuschließen, die letztendlich dazu führen, den Horizont des kreativen Handelns Gottes zu beschneiden.“

P.S. Die „Autoreform“ (bitte hier nicht missverstehen – „auto“ im Sinne von automatisch) geht übrigens weiter. Dem Vernehmen nach benutzt jetzt auch Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone nicht mehr die große Limousine, mit der er noch im Vorkonklave täglich vorgefahren ist, sondern ein kleineres Modell eines Herstellers, der auch in Köln produziert.

P.P.S. Es wirkt schon etwas seltsam, wenn der Papst die fremden Sprachgruppen auf Italienisch grüßt und diese Grüße dann übersetzen lässt. Denn eigentlich spricht Franziskus ja neben Spanisch und Italienisch auch Deutsch, Englisch und Französisch sowie etwas Portugiesisch. Offiziell heißt es, dass der Papst keine Sprache bevorzugen oder benachteiligen will. Daher spreche er zunächst nur Italienisch. Das könne sich aber noch ändern. Wie an vielen anderen Stellen gilt auch für die Sprachen: Man ist in einer Phase des Experimentierens und Eingewöhnens. Gespannt darf man sein, ob Franziskus am Ostersonntag in über 60 Sprachen grüßen wird, wie das seine Vorgänger gemacht haben. Angeblich soll es so sein. Es bleibt spannend!

P.P.P.S. Im vatikanischen Presseamt wurde heute eine DVD vorgestellt, die das Vatikanfernsehen über den Pontifikatswechsel zusammengestellt hat. 50 Minuten emotionale Bilder wurden versprochen. Allerdings gab es noch kein Ansichtsexemplar für Journalisten. Die italienische Fassung wird ab 2. April mit der Tageszeitung Corriere della Sera verkauft. Verraten wurde aber schon, dass Kardinal Comastri in dem Film mit Zustimmung von Franziskus das Geheimnis der ersten Worte des neuen Papstes nach der Wahl lüftet. Kardinal Bergoglio sagte demnach: „Ich bin ein großer Sünder. Vertrauend auf die Barmherzigkeit und Geduld Gottes, unter Schmerzen nehme ich [die Wahl] an.“

Zimmer frei!

Papst Franziskus geht weiter seinen eigenen Weg. Bis auf Weiteres wird er nicht in die Papstwohnung im dritten Stock des Apostolischen Palasts einziehen. Das erklärte heute Vatikansprecher Federico Lombardi. Die Wohnung sei fertig renoviert; doch der neue Papst ziehe es vor, noch einige Zeit im vatikanischen Gästehaus Santa Marta zu wohnen. Wie lang das dauern wird, konnte Lombardi heute nicht sagen. Man sei in einer Phase des Experimentierens und der Einführung, so der Jesuit gegenüber Journalisten. Papst Franziskus wolle mit den Menschen leben. Deshalb bleibe er vorerst in Santa Marta. Dort sei er allerdings mittlerweile in die „Papst-Suite“ umgezogen. Zimmer Nr. 201 bietet einen kleinen Empfangsraum, in dem unter anderem die Audienzen für die Kurienmitarbeiter stattfinden. Für offizielle Termine etwa mit Politikern nutzt Franziskus die üblichen Audienzräume im zweiten Stock des Apostolischen Palasts. Auch wird er den Angelus an Sonntagen laut Lombardi vom Fenster des Arbeitszimmers in der Terza Loggia beten, wie üblich.

Vorerst unbenutzt - die Papstwohnung im 3. Stock.

In Santa Marta sind unterdessen wieder die rund 40 Kurienmitarbeiter eingezogen, die in dem Gästehaus ihre dauerhafte Bleibe haben und für die Zeit des Konklaves ausquartiert worden waren. So lebt der neue Papst unter den Kurialen und den sonstigen Gästen. Er feiert mit ihnen am Morgen um 7 Uhr die Heilige Messe und isst im Speisesaal mit ihnen. Ein Lebensstil, der noch vor wenigen Tagen für einen Pontifex undenkbar gewesen wäre, alleine schon aus Sicherheitsgründen. Denn Benedikt XVI. wurde von den Personenschützern oft weiträumig abgeschirmt. Selbst wenn er sich innerhalb des Vatikans bewegte, mussten Türen und Fenster geschlossen bleiben. Wenn Papst Ratzinger in den vatikanischen Gärten spazierte, durfte dort meist niemand sonst sein. Das hat sich nun schnell geändert. Franziskus sucht den Kontakt zu den Menschen und die Sicherheitsleute haben diesen neuen Stil in kürzester Zeit adaptiert.

So wird es sicherlich auch noch viele weitere Änderungen geben. Franziskus bewahrt sich seine Eigenständigkeit. Allein schon durch die Entscheidung, derzeit nicht in die Papstwohnung zu ziehen, setzt er ein klares Zeichen. Selbst wenn er in einigen Wochen oder Monaten doch dort einziehen sollte, signalisiert er mit seiner heutigen Entscheidung, dass die in katholischen Kreisen gerne bemühte Begründung: „Das war schon immer so!“ für ihn nicht zählt. Die vielleicht auf den ersten Blick für manche eher nebensächlich wirkende Entscheidung des Aufenthaltsorts verschafft ihm Respekt und Handlungsspielraum auch auf anderen Gebieten. Er ist und bleibt ein freier Geist. Das wird ihn nicht davon befreien, sich auch der ein oder anderen Tradition päpstlicher Amtsausübung unterordnen zu müssen. Auch Franziskus wird sich bewegen müssen. Er wird seinen Stil, den er als Erzbischof von Buenos Aires pflegte, nicht eins zu eins auf das Papstamt übertragen können. Doch er zeigt, dass er sich auch nicht allzu schnell in vorgefahrene Spuren hineindrängen lässt. Natürlich hilft ihm dabei der revolutionäre Amtsverzicht seines Vorgängers. Benedikt XVI. hat damit den Weg für Neues, Anderes frei gemacht. Der Papst, dem man immer wieder vorgeworfen hat, die Kirche nach Rückwärts hin orientieren zu wollen, hat die Möglichkeit für einen Aufbruch und einen Neuanfang geschaffen.