Erst am Anfang

Ein halbes Jahr ist er nun im Amt, Papst Franziskus. Und er hat doch schon Einiges durcheinander gewirbelt. So überraschend wie seine Wahl am 13. März für Viele erfolgte, so überraschend verliefen auch die ersten sechs Monate. Jorge Mario Bergoglio kam von außen. Das wollten viele Kardinäle nach den Skandalen der letzten Jahre und dem zunehmenden Zentralismus in der katholischen Kirche. Doch obwohl er von außen kam, hat er von Anfang an sehr selbstbewusst sein Amt ausgeführt. Mit der Weigerung in die päpstliche Wohnung im Apostolischen Palast zu ziehen und stattdessen im vatikanischen Gästehaus Santa Marta zu bleiben, setzte er gleich das erste Zeichen. Er setzte Kommissionen ein, wirbelt beständig das vatikanische Protokoll durcheinander und sucht den Kontakt zu den Menschen. Seine Worte sind klar und fordernd. Etwa bei seinem Besuch einer Flüchtlingshilfeeinrichtung in Rom am Dienstag dieser Woche, als er die Ordensgemeinschaften aufforderte, leerstehende Konvente nicht in Hotels zu verwandeln, sondern dort Flüchtlinge aufzunehmen. Auch in Deutschland sind einige Bistümer bereits dabei, ihre Immobilien daraufhin zu prüfen, ob man Flüchtlinge etwa aus Syrien aufnehmen könnte.

Überhaupt war dieser Dienstag, oder sagen wir besser diese „Halbjahres-Woche“ des Pontifikats, symptomatisch für Franziskus. Am Dienstagmorgen trifft er die Kurienchefs, um mit ihnen über die anstehende Kurienreform zu sprechen. Drei Stunden dauerte das Treffen, ungewöhnlich lang. Am Nachmittag besucht Franziskus dann die Flüchtlinge. Das erinnert an seine erste Reise. Die führte ihn auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa . Gleich zweimal sprach Franziskus dann in dieser Woche auch sehr selbstkritisch über die Kirche. Bei der Generalaudienz am Mittwoch sagte er, dass auch die Kirche „Fehler“ habe. In einem offenen Brief an einen Journalisten in der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ schrieb er: „So langsam, untreu und voller Irrtümer und Sünden die Menschen, die die Kirche bilden, auch waren und noch sind, die Kirche hat doch kein anderes Ziel als das, Jesus zu leben und zu bezeugen.“

Franziskus scheint einen sehr realistischen Blick auf die Kirche zu haben. Ein halbes Jahr ist zu kurz, um den Tanker Kirche auf einen neuen Kurs zu bringen. Doch erste Ansätze sind da. Langsam beginnt Franziskus auch seine Führungsmannschaft zu formieren. Mit der Wahl des neuen Kardinalstaatssekretärs hat er eine von vielen Seiten sehr gelobte Wahl getroffen. Erzbischof Parolin hat dann auch diese Woche gleich einen Akzent gesetzt, indem er gegenüber einer venezolanischen Zeitung erklärte, dass der Zölibat „kein Dogma der Kirche“ sei und man darüber diskutieren könne. Bleibt zu hoffen, dass es ihm nicht so ergeht wie im Jahr 2006 Kardinal Hummes. Der ehemalige Erzbischof von Sao Paolo war gerade zum neuen Präfekten der Kleruskongregation ernannt und äußerte sich kurz vor seiner Abreise nach Rom bezüglich des Zölibats wie jetzt Parolin. Kaum in Rom angekommen, hatte der Vatikan klargestellt, dass es in der Frage keine Diskussion geben werde. Hummes wirkte in seinen Jahren im Vatikan stets isoliert. Heute gehört er zu den engsten Vertrauten des amtierenden Papstes. Er war es, der den eben gewählten Kardinal Bergoglio im Konklave umarmte und sagte: „Vergiss die Armen nicht.“ Woraufhin Bergoglio den Papstnamen Franziskus wählte. (Hummes ist Franziskaner.)

P.S. Übrigens hat das Treffen zwischen Papst Franziskus und dem Vater der Befreiungstheologie, Gustavo Gutiérrez, am Mittwochmorgen im kleinen Kreis stattgefunden. Gutierrez und Erzbischof Gerhard-Ludwig Müller, der Chef der Glaubenskongregation, feierten in Santa Marta den Morgengottesdienst zusammen mit dem Papst. Danach gab es eine kurze Begegnung. Interessant ist, dass davon bisher vom Vatikan nichts offiziell verlautete. Am Mittwoch gab es zwar auch ein Interview mit Gutiérrez in der Vatikanzeitung L‘Osservatore Romano. Aber von der Begegnung wurde nichts offiziell mitgeteilt.

Es wird diskutiert in Stuttgart.

P.P.S. In Stuttgart hat heute das dritte Dialogtreffen im Rahmen des Gesprächsprozesses der Deutschen Bischofskonferenz begonnen. Es ist interessant, wie oft hier Papst Franziskus erwähnt oder zitiert wurde – und zwar von Bischöfen und Laien. Soviel Papst war selten auf einer derartigen Veranstaltung in den letzten Jahren. Im Mittelpunkt des Treffens steht die Liturgie. Ausführliches gibt es morgen im Blog. Bei einer Zwischenbilanz des bisherigen Gesprächsprozesses am Abend wurde deutlich, das Thema wiederverheiratete Geschiedene ist DAS zentrale Thema, das die Gläubigen beschäftigt. Hier sehen sie Handlungsbedarf und rechnen sich große Chancen aus, dass sich etwas ändert. Der Chef des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Alois Glück bat die Bischöfe eindringlich, bei dieser Frage zu einer guten Lösung zu kommen, da sonst der Frust sehr groß sein werde unter den Gläubigen. Am Nachmittag war schon von Bischöfen im Kontext dieses Themas zu hören, dass die Kommunionbank keine „Richterbank“ oder „Gerichtsbank“ sein dürfe.

P.P.P.S. „Papst Franziskus ist ein großer Wegbereiter einer angstfreien Kommunikation in der Kirche.“ Diese Aussage des ZdK-Präsidenten Glück passt vielleicht ganz gut ans Ende einer kurzen Halbjahresbilanz des Pontifikats.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.