Wirklich Halbzeit?

Halbzeit war an diesem Wochenende beim Gesprächsprozess der Deutschen Bischofskonferenz. Der startete 2011 als Antwort auf den massiven Vertrauensverlust der katholischen Kirche im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal ein Jahr zuvor. 2015 soll er zum Ziel kommen. Halbzeit – doch der Weg ist noch lang, könnte die Bilanz des zweitägigen Treffens in Stuttgart lauten. Thema war in diesem Jahr die Liturgie. Was sich zunächst recht harmlos anhört, hat es bei näherem Hinsehen doch in sich. Denn schon in den ersten 30 Minuten lagen am Freitagmittag beinahe alle strittigen Themen auf dem Tisch: aktivere Beteiligung der Laien, gerade auch der Frauen, der Kommunionempfang für konfessionsverschiedene Paare bzw. wiederverheiratet Geschiedene, die Qualität der Gottesdienste, die Laienpredigt, der Streit um Wortgottesfeiern am Sonntag. Einzig der Zölibat war in der ersten Runde noch nicht dabei. Bis zum Freitagabend war dann aber auch dieses Thema ebenso auf dem Tisch wie auch die Frage nach den „viri probati“.

300 Teilnehmer kamen zum 3. Teil des Gesprächsprozesses nach Stuttgart.

Bischof Franz-Josef Bode brachte es bei der Abschlusspressekonferenz auf den Nenner: Liturgie ist zentral. Sie betrifft das Menschenbild, das Kirchenbild und das Gottesbild. Damit war auch klar, dass Freitagnachmittag und Samstagvormittag viel zu kurz waren, um intensiv am Hauptthema und seinen ganzen Implikationen zu arbeiten. Das verursachte denn auch durchaus Unbehagen bei vielen der rund 300 Teilnehmern. Sie hätten denn auch gerne mehr Zeit gehabt, um eine wirkliche Halbzeitbilanz des Gesprächsprozesses zu ziehen. Das wurde gestern Abend beim Abendessen versucht; doch die Zeit war knapp.

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, fasst wohl sehr realistisch den aktuellen Stand zusammen: Der Prozess habe eine integrative Kraft entwickelt, weil keine Themen unterdrückt würden. Von der Initiative auf Bundesebene seien wichtige Impulse auf Bistumsebene ausgegangen. Neues Vertrauen sei gewachsen. Es gebe eine bessere Kommunikationskultur, keine Angstkultur mehr. Der Prozess habe gezeigt, dass zwischen Reformen und Vertiefung des Glaubens kein Gegensatz bestehe, wie das immer wieder von Gegnern des Prozesses vorgebracht worden sei und werde. Glück machte aber auch deutlich, dass die Gläubigen konkrete Ergebnisse und Veränderungen von dem Prozess erwarten. Er nannte das Beispiel wiederverheiratet Geschiedene.

Bei diesem Thema setzte auch der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, an. Mehrfach betonte er, dass die Bischöfe gerade an diesem Thema bereits arbeiteten sowohl was theologische als auch was arbeitsrechtliche Fragen anbetreffe. Hier ist der Konferenzvorsitzende zuversichtlich, dass es zu Fortschritten gegenüber den bisherigen Regelungen kommen wird. Wie diese allerdings aussehen könnten, blieb offen. Zollitsch verwies auch darauf, dass ein solcher Prozess Zeit brauche, um möglichst viele mitzunehmen. Auch zwei Jahre nach dem Start ist das Projekt ja selbst innerhalb der Bischofskonferenz nicht unumstritten. In Stuttgart waren 35 der knapp 70 deutschen Bischöfe anwesend.

2x90 Minuten waren Zeit für das Gespräch in Kleingruppen.

In Stuttgart war zu spüren, dass viele Laien die Angst haben, dass der Prozess zu keinen konkreten Ergebnissen und sichtbaren Veränderungen führt. Es wurde auch deutlich, dass die Bischöfe bemüht sind, die Sorgen wahr und ernst zu nehmen, dass auch ihnen klar ist, dass sich etwas bewegen muss. Hier zeigte sich beim Thema Liturgie, dass es sicherlich eine ganze Reihe von Aufgaben gibt, die durchaus auf diözesaner oder nationaler Ebene zu lösen sind. Die Frage nach der Qualität der Liturgien wurde oft gestellt in diesen Tagen. Wie steht es um Aus- und Fortbildung in diesem Bereich? Wie steht es um die Vielfalt der Dienste und der liturgischen Formen? Kontrovers wurde etwa die Frage nach Wortgottesfeiern an Sonntagen diskutiert. Interessant ist in diesem Kontext, dass der DBK-Vorsitzende Zollitsch gegenüber der Presse am Beginn der Veranstaltung sagte, dass man die Wortgottesfeier am Sonntag auch brauche. Interessant und klar die Aussage des Essener Bischofs Overbeck: „Die Kommunionbank ist weder ein Richtstuhl noch ist sie die Disputierbank für Dogmatiker. Denn die Gemeinschaft mit Gott schenkt er jedem Mensch selber“, der sich der Osnabrücker Bischof Bode auch ausdrücklich anschloss. Beide sind Mitglied der Steuerungsgruppe des Gesprächsprozesses. Overbeck kritisierte einen neu aufkommenden Rubrizismus, d.h. das überbordene Festhalten an liturgischen Vorschriften ebenso, wie die „Häresie der Formlosigkeit“ bzw. die „Häresie der Inhaltslosigkeit“ der Liturgien und erntete großen Applaus. Stuttgart hat einmal mehr deutlich gemacht, dass es bei den notwendigen Reformen eine Reihe Dinge gibt, die auf römischer Ebene gelöst werden müssen wie der Zölibat, dass es daneben aber viele Punkte gibt, die man auf nationaler Ebene lösen kann bzw. sogar auf lokaler Ebene. Letzteres vor allem was die Qualität der Gottesdienste anbetrifft, die Frage nach der Nähe zur Lebenswelt der Menschen. Immer wieder wurde aber auch gefordert, einheitliche Regelungen auf nationaler Ebene finden, um nicht von der Willkür einzelner Pfarrer abhängig zu sein. Dies gilt etwa für die Frage nach Wortgottesfeiern an Sonntagen.

P.S. Am Rande der Konferenz wurden zwei Papiere des Katholisch-Theologischen Fakultätentags veröffentlicht. Zum einen geht es um die Segnungsfeiern bei einer erneuten Eheschließung; zum anderen um  „Sexualmoral und neue Beziehungsformen“. Vor allem letzteres Papier dürfte noch für einige Diskussion sorgen. Denn die Theologieprofessoren formulieren ihre Beziehungsethik so offen, dass darunter durchaus auch gleichgeschlechtliche Paare fallen könnten. Dies führte bereits in Stuttgart zu ersten heftigen Reaktionen von einzelnen Bischöfen.

 

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.