Nun liegt sie vor, die erste Enzyklika von zwei Päpsten: „Lumen Fidei – das Licht des Glaubens„. Papst Benedikt XVI. hatte sie als großes Schreiben im „Jahr des Glaubens“ begonnen. Papst Franziskus hat sie vollendet. Sie liest sich wie eine grundlegende (fundamentaltheologische) Abhandlung über den Glauben. Die zentrale Botschaft: Glauben ist auch in der Neuzeit vernünftig und nicht sinnlos (2). Dabei ist das „vernünftig“ durchaus im konkreten Wortsinn zu verstehen. Denn in der Enzyklika findet sich eines der Lieblingsthemen Joseph Ratzingers: das Verhältnis von Glaube und Vernunft (32ff). Auch die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Wahrheit (23ff) ist ganz ratzingerianisch; ebenso der Versuch aufzuzeigen, dass der Glaube nicht von der Wirklichkeit trennt, sondern vielmehr den Glaubenden zu einem intensiveren Leben in der Wirklichkeit führt (18). Glauben heißt demnach nicht, sich vor der Welt zu verschließen und auf ein Jenseits zu warten, sondern die Gesellschaft jetzt konkret mitzugestalten (vgl. 51). „Der Glaube ist keine Privatsache.“ (22)
Großes Medieninteresse bei der Vorstellung der Enzyklika heute im Vatikan. (ap)
Die Enzyklika bleibt bei grundsätzlichen Aussagen und wird nur äußerst selten konkret. Dies geschieht vor allem in den letzten Abschnitten. Da geht es etwa um Konsequenzen des Glaubens, der etwa zum Schutz der Familie, der Achtung der Schöpfung, nachhaltiger Entwicklung oder gerechten Regierungsformen führen soll. (55). Die Päpste wehren sich dagegen, die Wahrheit des Glaubens mit Fanatismus zu verwechseln. (25) Vielmehr handle es sich um eine „Wahrheit der Liebe“. Diese Wahrheit setze sich nicht mit Gewalt durch und unterdrücke auch den Einzelnen nicht. „Der Gläubige ist nicht arrogant; im Gegenteil, die Wahrheit lässt ihn demütig werden, da er weiß, dass nicht wir sie besitzen, sondern vielmehr sie es ist, die uns umfängt und uns besitzt. Weit davon entfernt, uns zu verhärten, bringt uns die Glaubensgewissheit in Bewegung und ermöglicht das Zeugnis und den Dialog mit allen.“ (34)
Anecken wird sicherlich die Vorstellung des Papstes, dass der Glaube nur in der Gemeinschaft der Kirche möglich ist. Die starke Betonung der Bedeutung des Lehramts, das durch die „apostolische Sukzession“ die Kontinuität des Gedächtnisses der Kirche gewährleiste, dürfte ebenfalls Widerspruch hervorrufen. Zumindest muss die Frage erlaubt sein, was mit dem „Glaubenssinn der Gläubigen“ ist, den das II. Vatikanische Konzil noch kennt (vgl. Lumen Gentium 12). Die starke Rückbindung der Theologie an das Lehramt dürfte in Theologenkreisen zu Diskussionen führen. (36) Auch die Frage nach der Einheit des Glaubens, den der Papst in der Enzyklika sehr stark betonen (68ff), wirft angesichts der Uneinigkeit des Christentums und der Aufspaltung in verschiedene Konfessionen Fragen auf. Immerhin dürften Protestanten die Passage gerne lesen, in der es um die Rechtfertigung und die Gnade „nicht aus eigener Kraft“ (Eph 2,8) geht. (19).
Der Enzyklika fehlt trotz der erwähnten Ermahnung, dass der Glaube für Christen konkrete Konsequenzen haben muss, etwas die Konkretheit und Frische des Franziskus, die in den letzten gut 100 Tagen des Pontifikats erkennbar geworden sind. Wie im Vorwort auch angedeutet, muss die Enzyklika im Zusammenhang mit den anderen großen Lehrschreiben von Papst Benedikt XVI. über die Hoffnung (Spe salvi) und die Liebe (Deus caritas est, Caritas in veritate) gelesen werden. Mit der Glaubensenzyklika wollte Benedikt die Trias „Glaube, Hoffnung, Liebe“ vollenden. Die Glaubensenzyklika ist daher vielleicht eher als theologische Grundlegung zu verstehen; die konkreten Konsequenzen, die sich daraus ergeben, finden sich in den Enzykliken über die Hoffnung und die Liebe. Ähnlich wie bei seinen Jesusbüchern legt Benedikt XVI. damit den Grundlagenteil als letztes vor. Allerdings wurde dieser nicht mehr rechtzeitig vor seinem Amtsverzicht fertig. Dass Franziskus die Glaubensenzyklika in wesentlichen Punkten übernommen hat, zeigt auch etwas von der inhaltlichen Kontinuität der beiden Päpste. Dennoch wirkt sie nach 100 Tagen Franziskus auch etwas fremd – in Sprache und Inhalt. Darin wird auch wieder die Unterschiedlichkeit der beiden Päpste deutlich.
Am Tag der Veröffentlichung der gemeinsamen Enzyklika gab es übrigens auch einen gemeinsamen Auftritt der beiden Päpste. Zur Weihe des Vatikanstaats an den Erzengel Michael und den heiligen Joseph hatte Franziskus seinen Vorgänger eingeladen. Der war dann auch zu der Zeremonie vor dem Governatorat, dem Regierungssitz des Vatikanstaats, erschienen.
Gläubige fordern bei der Beerdigung von Papst Johannes Paul II. am 8. April 2005 die sofortige Heiligsprechung. (dpa)
Zum Schluss noch die News des Tages: Papst Franziskus hat ein Konsistorium, ein Treffen aller in Rom anwesenden Kardinäle einberufen, das über die Heiligsprechung der beiden seligen Päpste Johannes XXIII. (1881-1963) und Johannes Paul II. (1920-2005) entscheiden soll. Schon seit Tagen war in Rom darüber spekuliert worden, dass die Heiligsprechung der beiden noch in diesem Jahr stattfinden könnte. Anfangs wurde als Datum der 20. Oktober genannt, zuletzt aber auch der 8. Dezember. Papst Franziskus hat heute ein Wunder auf Fürsprache des seligen Johannes Pauls II. anerkannt. Damit steht seiner Heiligsprechung nichts mehr im Wege. Etwas anders verhält es sich beim seligen Johannes XXIII. Für ihn wurde bisher noch kein neues Wunder anerkannt. Die Bemerkung von Vatikansprecher Federico Lombardi am Rande der Enzyklika-PK, der Papst könne von der Notwendigkeit eines Wunders dispensieren, zeigt, dass Franziskus den Konzilspapst wohl ohne ein weiteres Wunder zum Heiligen machen möchte. Es scheint Bergoglio ein persönliches Anliegen zu sein, Johannes XXIII. heilig zu sprechen.
Eine Heiligsprechung von Johannes Paul II. noch in diesem Jahr, also nur acht Jahre nach seinem Tod im April 2005, wäre ein Rekord in der neueren Kirchengeschichte. Das rasche Verfahren wurde vor allem aus seinem Heimatland Polen gepuscht. Allerdings gab es immer wieder auch kritische Stimmen, die eine gründlichere Aufarbeitung des Pontifikats forderten. Sie sehen etwa offene Fragen zur Rolle Papst Johannes Pauls II. beim Umgang mit Missbrauchsfällen oder auch in Bezug auf Finanzfragen. Wann das Konsistorium stattfindet, ist bisher noch offen.