Papstgeflüster – Das Vatikan-Blog

Interessantes und Hintergründiges aus dem Vatikan

Überraschend bis zum Schluss

Das war ein Paukenschlag heute Nachmittag um 12 Uhr. Papst Benedikt XVI. tritt zurück. Was niemand richtig wahr haben wollte in den letzten Wochen, ist zur Gewissheit geworden. Der Terminkalender war weitestgehend weiß für dieses Jahr. Jetzt füllt er sich: im März ein Konklave; danach ein neuer Papst, auf den nun viele gespannt warten. Schon wird eifrig über mögliche Nachfolger spekuliert. Doch bis zum 28. Februar bleibt zunächst noch Zeit, auf das zu Ende gehende Pontifikat zurückzuschauen.

Benedikt XVI. gibt am 28. Februar 2013 sein Amt auf. (dpa)

„Wir sind Papst“ titelte am 19. April 2005 die BILD. „Oh mein Gott“ auf schwarzem Hintergrund lautete die Schlagzeile der TAZ . Euphorischer Jubel – und Entsetzen. Schon 2005 bei der Wahl Papst Benedikts XVI. zeigte sich, dass der neue Papst in seinem Heimatland polarisiert. Während die einen hofften, dass Joseph Ratzinger als Papst Reformen anpackt; befürchteten die anderen dass er seine konservative Linie fortsetzt.

Am Tag des Rücktritts standen heute allerdings zunächst einmal die positiven Seiten Benedikts im Vordergrund. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz würdigte Benedikt XVI. als wahren „Pontifex – Brückenbauer“: „Er wollte Brücken bauen zwischen Glaube und Vernunft, Brücken hin zu Gott, Brücken zwischen Konfessionen und Religionen, um so dem Frieden der Welt den Weg zu bereiten und dem Reich Gottes Wachstum zu schenken.“

An einem für Deutschland sehr wichtigen Punkt, der Ökumene, hat das Brückenbauen nicht so geklappt. Hier gab es große Hoffnungen, dass es mit einem Papst aus dem Land der Reformation zu sichtbaren Fortschritten kommen werde. Diese Erwartungen wurden enttäuscht. Benedikt XVI. wollte nicht ein deutscher Pontifex sein, sondern ein Papst für die gesamte Kirche. Seine Ziele: Das katholische Profil schärfen, Verkündigung statt Politik und die Einheit der Kirche – dafür hat er sich den traditionalistischen Piusbrüdern angenähert. Dieser Aussöhnungsversuch hat viele Katholiken verunsichert, denn sie befürchteten, dass Benedikt XVI. hinter die Reformen des II. Vatikanischen Konzils zurückgehen möchte. Sein Versuch, die Gegenwart mit der Geschichte zu versöhnen, war ein gewagtes Unterfangen.

Trotz vieler Schwierigkeiten, Benedikt XVI. genießt durchaus Ansehen auch außerhalb der katholischen Kirche. Er gilt als Intellektueller, sucht das Gespräch mit anderen Religionen und der säkularen Welt. Für Deutschland, so das Fazit heute, war dieser Papst trotz aller Spannungen von großer Relevanz. Bundespräsident Joachim Gauck erklärte: „Für uns Deutsche hat dieser Papst eine besondere Bedeutung. Denn dass ein Deutscher die Nachfolge von Johannes Paul II. antrat, war von historischer Bedeutung für unser Land.“

Historisch – war nicht nur der Anfang, sondern ist auch das Ende des Pontifikats. Künftig wird kein Papst mehr unter dem Druck stehen, der erste seit langer Zeit zu sein, der zu Lebzeiten aus dem Amt scheidet. Ein revolutionärer Akt für die katholische Kirche, den Benedikt XVI. hier vollzieht, vielleicht der revolutionärste seines Pontifikats. Mit seinem Rücktritt hat Benedikt XVI. unter Umständen etwas angestoßen, dessen Tragweite heute noch längst nicht abzusehen ist.

Papst tritt zurück

Das gab es zuletzt 1294, dass ein Papst zurücktritt: Nun will Benedikt XVI. überraschend sein Amt am 28. Februar niederlegen. Das teilte er während eines öffentlichen Konsistoriums in Rom in Latein mit. Seine Begründung: Er habe nicht mehr die Kraft, das ihm anvertraute Amt weiter gut zu führen. Der neue Papst soll noch vor Ostern gewählt werden. 

Zum Rücktritt des Papstes sendet das ZDF heute, am 11.02.2013 um 14 Uhr und um 16 Uhr jeweils ein ZDFspezial.

Weitere Informationen gibt es auf http://papst.zdf.de/

Pogromstimmung gegen die Kirche?

Erzbischof Gerhard Müller scheut nicht den Konflikt – weder in seiner Regensburger Zeit als Bischof noch in seinem neuen Amt als Präfekt der Glaubenskongregation. Er liebt kräftige Worte und Vergleiche und erinnert darin an seinen verstorbenen Mitbruder Johannes Dyba. Auch der war mit seinen deftigen Vergleichen und Wortspielen stets ein Liebling der Medien, weil er gut zitierbar war und für Aufsehen sorgte. Mit seinem Interview in der „Welt“ ist Erzbischof Müller ein neuer Aufreger gelungen, als er von einer „künstlich erzeugten Wut“ gegen die katholische Kirche und ihre Kleriker sprach, „die gelegentlich schon heute an eine Pogromstimmung erinnert“.

Es waren die letzten Sätze eines langen Interviews, aber die Empörung über diese Wortwahl schwappte sofort in die Politik und führte zu einer „Pogrom-Debatte“. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), immer gerne bereit, die katholische Kirche zu kritisieren, gab gegenüber der „Welt“ umgehend ihren Protest zu Protokoll. Aber auch Grünen-Chefin Claudia Roth nannte den Vergleich „absolut inakzeptabel und gefährlich geschichtsvergessen“. Tatsächlich wird der Begriff Pogrom überwiegend im Zusammenhang mit judenfeindlichen Ausschreitungen gebraucht – in schlimmster Erinnerung sind diesbezüglich die Greueltaten der Nationalsozialisten gegen die Juden.

Ein Wort der Verteidigung kam ausgerechnet von Rabbi David Rosen, dem Direktor des amerikanisch-jüdischen Komitees für interreligiöse Angelegenheiten. Er sah es als Ergebnis einer böswilligen Absicht, wenn man in Müllers Äußerungen einen Vergleich zum Holocaust sehe. Das ehrt den Rabbiner, kann aber den Erzbischof nicht aus seiner Verantwortung für seine Wortwahl entlasten.

Es ist sicher ein Faktum, dass die kirchenkritischen Töne in der Gesellschaft zunehmen. Auch treue Katholiken formulieren ihre Schwierigkeiten mit ihrer Kirche, wie die jüngsten Umfragen mehr als deutlich zeigen. Es wäre besser, wenn Erzbischof Müller und seine Brüder im Amt mehr darüber nachdächten, warum die Kritik so gewachsen ist und welche Schritte sie unternehmen könnten, das Image der Kirche aufzubessern, als dass er die Kritiker in derart überzogener Weise und mit unzulässigen Vergleichen an den Pranger stellt.

Und er bewegt sich doch

Der Kölner Klinikskandal erregt seit zwei Wochen die Gemüter von Katholiken und Nichtkatholiken. Einer Frau, Opfer einer Vergewaltigung, wurde in katholischen Krankenhäusern Hilfe verwehrt. Kurz nach Bekanntwerden des Falls hatte sich der Kölner Erzbischof, Kardinal Joachim Meisner, beschämt gezeigt über den Vorfall in seinem Bistum, zugleich aber die strikte Ablehnung der „Pille danach“ durch die Kirche bekräftigt. Gestern nun die halbe Kehrtwende. Meisner präzisiert: Die Einnahme eines Präparats, das nach einer Vergewaltigung die Befruchtung verhindert, sei vertretbar. Ein Präparat, das die Nidation einer befruchteten Eizelle hemmt bzw. verhindert, bleibt verboten.

 

Kardinal Meisner bewegt sich. (dpa)

Meisner kommt nach Beratungen mit Experten zu dieser neuen Bewertung der Situation. Das zeigt die Bereitschaft zu Lernen und sollte beispielhaft sein für andere Bereiche. Doch zugleich muss man festhalten, dass der Schaden für die Kirche und der damit verbundene erneute Vertrauensverlust bereits groß sind. Warum konnte diese Beratung nicht schon im vergangenen Jahr stattfinden. Da wurden im Erzbistum Köln nach Testversuchen katholischer Fundamentalisten, in kirchlichen Kliniken die Pille danach zu erhalten, auf Weisung der Kirchenoberen die entsprechenden Richtlinien in den Kliniken überarbeitet. Die Frage muss erlaubt sein, ob nicht gerade dieser Druck aus der rechten Ecke zur Verunsicherung der Mitarbeiter in den kirchlichen Kliniken beitrug, die schließlich zur Abweisung des Vergewaltigungsopfers führte. Dazu kommt, dass der Vatikan schon seit Jahren etwa im Fall von vergewaltigten Ordensfrauen Präparate duldet, die eine Befruchtung verhindern.

Kardinal Meisner erntet nun viel Lob für sein Verhalten. Die Diskussionen um die kirchliche Position dürften aber weitergehen. Zumal wenn Meisner in seiner Erklärung weiter schreibt, dass in der Notsituation vergewaltigter Frauen in kirchlichen Kliniken „auch über Methoden, die nach katholischer Auffassung nicht vertretbar sind, und über deren Zugänglichkeit“ aufgeklärt werden darf. Voraussetzung ist,„ohne irgendwelchen Druck auszuüben“ auch über die katholische Position zu informieren. D.h. konkret: Künftig dürfen in kirchlichen Kliniken die Angestellten auch über die aus kirchlicher Sicht verbotene Variante der „Pille danach“ zumindest informieren, auch wenn sie diese weiter nicht abgeben dürfen.

Die neuen Vorgaben gelten zunächst einmal nur im Erzbistum Köln. Denn jeder Bischof ist für die Kliniken in seinem Bistum zuständig. Die Bischofskonferenz betont, dass es sich um die Position des Erzbischofs von Köln handle. Was ist mit dem Rest der Bischöfe? In den letzten zwei Wochen hielten sie sich in der Angelegenheit bedeckt. Man darf gespannt sein, ob bei der Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz in Trier ab 18. Februar das Thema auf der Tagesordnung stehen wird und die Bischöfe zu einem einheitlichen Meinungsbild kommen werden.

Vatikan gegen aggressive katholische Websites

Klare Worte hat heute der Chef des Päpstlichen Medienrats, Erzbischof Claudio Maria Celli, gefunden. Bei der Vorstellung der Papstbotschaft zum katholischen Weltmedientag warnte er davor, den Glauben auf katholischen Internetseiten zu aggressiv zu vertreten. Er empfehle katholischen Seiten einen respektvollen Dialog mit den anderen. „Manchmal haben wir zu aggressive Seiten“, so der italienische Kurienerzbischof. „Wenn wir keine Haltung des Respekts bewahren, läuft alles falsch“, fuhr er fort. Damit ist er ganz auf päpstlicher Linie. Benedikt XVI. stellt in seiner Botschaft, die sich in diesem Jahr den sozialen Netzwerken widmet, fest: „Auch in der digitalen Welt, wo leicht zu hitzige und polemische Stimmen zu hören sind und wo gelegentlich die Gefahr besteht, dass die Sensationslust die Oberhand behält, sind wir zu einem sorgfältigen Urteil aufgerufen.“

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um katholische Internetportale, die sich im rechtskatholischen Bereich tummeln und denunziatorische Praktiken in der katholischen Kirche unterstützen, wie etwa das Internetportal „gloria.tv“, oder das vor wenigen Monaten vom Netz gegangene „kreuz.net“, lassen diese Worte aus dem Vatikan aufhorchen. Immer mehr User sehen es als ihre Aufgabe, im Internet als Glaubenswächter aufzutreten und anderen den rechten Glauben und die Katholizität abzusprechen. Den Segen des Papstes haben sie dafür nicht; aus dem Zentrum der katholischen Kirche gibt es zu dem Treiben jetzt mahnende Worte.

Auffallend ist der positive Grundton, mit dem der Papst über die sozialen Netzwerke spricht. Er verschweigt zwar die Gefahren nicht, sieht aber vor allem die Chancen und positiven Seiten der Social Networks. Sie leisteten einen Beitrag, Dialog und Diskussion zu unterstützen sowie die Einheit unter den Menschen zu stärken. Dazu müssten sie von „Respekt, Rücksicht auf die Privatsphäre, Verantwortlichkeit und dem Bemühen um die Wahrheit geprägt sein“. Benedikt XVI. sieht in den Netzwerken natürlich auch eine Möglichkeit zur Weitergabe des Glaubens. Für Katholiken, die in einer Minderheitensituation leben, sieht er die Chance, über die Social Networks mit anderen Gläubigen in Kontakt zu kommen und so die „weltweite Gemeinschaft der Gläubigen“ erfahren zu können.

Erzbischof Celli kündigte übrigens an, dass es in kürze eine Papst-App geben wird. Über „The-Pope-App“ kann man demnächst dann per Livestream große Papstveranstaltungen mitverfolgen oder über eine von sechs Webcams einen Blick in den Vatikanstaat werfen. Bei der Technik geht der Papst also mit der Zeit. An dieser Stelle scheint er keine Berührungsängste mit der Moderne zu haben.

Blick nach Asien

Hoher Besuch aus Vietnam war heute zu Gast im Vatikan. Der Chef der Kommunistischen Partei, Nguyen Phu Tong, traf Papst Benedikt XVI. Dem war der Termin sogar so wichtig, dass er den Politiker an dem sonst audienzfreien Dienstag empfing. Über den Inhalt des Gesprächs wurde wenig bekannt. Herzlich soll es gewesen sein; Fragen von beiderseitigem Interesse habe man erörtert und den Wunsch auf eine „rasche Lösung einiger anstehender Fragen und auf eine Vertiefung der bestehenden Zusammenarbeit“ geäußert. Über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen sei es in dem Gespräch mit dem Papst nicht gegangen, erklärte hinterher Vatikansprecher Federico Lombardi. Dafür gebe es eine Dialogkommission.

 

Ungewöhnliche Begegnung im Vatikan (reuters)

In den letzten Jahren gab es wiederholt die Hoffnung, dass die 1975 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen werden könnten. Doch trotz intensivierter Kontakte ist dies bisher nicht gelungen. Seit 2008 arbeitet eine gemischte Arbeitsgruppe an der Normalisierung der Beziehungen, versucht sich über Bischofsernennungen oder Zugangsquoten für Priesterseminare zu einigen. Ende 2010 hatte Benedikt XVI. einen Sondergesandten für Vietnam ernannt. Erzbischof Leopoldo Girelli, der in Singapur seinen Sitz hat, bereist seitdem regelmäßig das Land. 2011 sprachen angesichts dieser Entwicklungen einige Vatikanbeobachter schon von einer Papstreise ins kommunistische Vietnam. Zumal Benedikt XVI. bisher noch nicht in Asien war. Doch bisher gibt es keine Anzeichen dafür. Ob die Chancen mit dem heutigen Treffen im Vatikan gestiegen sind, lässt sich noch nicht absehen. Fakt ist, die Beziehungen sind nach wie vor schwierig. So gibt es unter anderem bei Bischofsernennungen immer wieder ein zähes Ringen zwischen dem Vatikan und der Regierung in Hanoi.

Der Besuch des Kommunistenführers kommt zu einer Zeit, in der der Vatikan Asien wieder stärker in den Blick zu nehmen scheint. Zu Weihnachten überraschte Benedikt XVI. mit Grüßen an die neue kommunistische Führung in China; jetzt der Besuch aus Vietnam im Vatikan. Benedikt XVI. will für die Katholiken in den kommunistischen Ländern Freiheit – Freiheit in der Religionsausübung. Die Religionsfreiheit sieht er als Hebel für die Menschenrechte und letztendlich für eine menschenwürdigere und gerechtere Gesellschaft. Ein großes Ziel. Den Machthabern dürfte die Sprengkraft des Glaubens im ehemals kommunistischen Polen als warnendes Beispiel vor Augen stehen; ob sie die Entwicklung allerdings durch ihre restriktiven Maßnahmen gegenüber den Religionsgemeinschaften aufhalten können, scheint mehr als zweifelhaft. Auf lange Sicht dürfte nur ein Miteinander und nicht ein Gegeneinander Zukunft haben. Im Zweifelsfall hat dabei wohl die katholische Kirche den längeren Atem.

Aufarbeitung geht weiter

Der Motor stottert, aber er läuft. So ließe sich die aktuelle Situation bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche beschreiben. Letzte Woche das spektakuläre Aus der wissenschaftlichen Studie des Kriminologen Pfeiffer; gestern die Vorstellung der Ergebnisse der Missbrauchs-Hotline der Bischofskonferenz. Anfang kommender Woche treffen sich die 27 Diözesanbischöfe zur monatlichen Sitzung des „Ständigen Rats“ in Würzburg. Da steht das Thema wissenschaftliche Aufarbeitung auf der Tagesordnung. Das Desaster um die Pfeiffer-Studie hat zu einem erneuten Vertrauensverlust in der Bevölkerung – auch unter Katholiken – geführt. Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind das wichtigste Kapital, das die Kirche hat. Die Bischöfe stehen erneut unter einem großen Druck. Bleibt zu hoffen, dass sie beim Neustart der wissenschaftlichen Aufarbeitung die Geburtsfehler vermeiden, an denen die Pfeiffer-Studie letztendlich scheiterte.

Bischof Ackermann will aufklären

In dem ganzen Staub, den der Wirbel um die missglückte Studie aufgewirbelt hat, ging gestern die Vorstellung der Ergebnisse der Missbrauchs-Hotline nahezu unter. Zumal der Fokus der Berichterstattung an vielen Stellen auf den skandalösen Vorgängen in zwei Kölner katholischen Kliniken lag. Doch der Blick in die Dossiers der Hotline lohnt sich. Über 9.000 Ratsuchende hatten sich in knapp drei Jahren gemeldet. Sehr detailliert werden die Ergebnisse ausgewertet. Es wird deutlich, der Wille zur Aufarbeitung und Aufklärung ist da. Denn der Bericht ist in Teilen niederschmetternd und führt den kirchlichen Verantwortlichen einmal mehr vor Augen, welche Schuld die Institution hier auf sich geladen hat. Zwar sind die Daten nicht repräsentativ, das mindert aber nicht ihren Aussagegehalt. Von „Täterzirkeln im Heimbereich“ ist die Rede, von einer „Spiritualisierung sexueller Gewalt“ und dem Ausnutzen „moralischer Autorität“. Der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, zeigte sich tief erschüttert, „dass Priester und Seelsorger das Vertrauen, das ihnen gerade von Kindern und Jugendlichen, möglicherweise noch in besonders schwierigen Situationen, wo sie Hilfe gesucht haben, entgegengebracht wurde, auf schändliche Weise missbraucht haben.“

Das Entscheidende wird sein, welche Konsequenzen die Bischöfe nun aus diesen Ergebnissen ziehen. Allein die Tatsache, dass die gemeldeten Fälle in der katholischen Kirche seit den 1990er Jahren rückläufig sind, darf nicht beruhigen. In der Präventionsarbeit wird kirchlicherseits seit mehreren Jahren viel geleistet. Doch die Ergebnisse zeigen, dass auch strukturelle Veränderungen notwendig sind. Weniger die Lebensform, als vielmehr die starke Autoritätsposition des Priesters sei ein Risikofaktor, berichteten die Opfer. Also eine Diskussion um den Zölibat, wie er in der Öffentlichkeit oft gefordert wird, greift zu kurz. Es geht um ganz grundlegende strukturelle Fragen. Und hier wird es unbequem für die kirchlichen Hierarchen – bis hin zum Papst. Denn an dieses Thema rühren sie nicht gerne an. Dabei hat schon der umfassende Bericht, den das Erzbistum München und Freising 2010 nach Durchsicht aller Personalakten seit 1945 hat anfertigen lassen, ein „fehlinterpretiertes klerikales Selbstverstännis“ kritisiert.

Bericht zum Abschluss der Missbrauchshotline:
Teil 1, Teil 2

Weißer Terminkalender

Das Jahr beginnt ungewöhnlich im Vatikan. Der Terminkalender des Papstes für 2013 ist noch nahezu jungfräulich. Außer den üblichen Fest-Terminen des kirchlichen Jahreskalenders wie Aschermittwoch, Kar- und Ostertage etc. ist er noch weiß. Bisher gibt es keine konkreten Pläne für internationale oder inneritalienische Reisen. Das war bisher anders. Mitte Januar hatte man meist eine grobe Idee über den päpstlichen Reisekalender des Jahres. Zwar gehen alle davon aus, dass Benedikt XVI. Ende Juli zum Weltjugendtag nach Rio de Janeiro reisen wird, doch eine offizielle Bestätigung gibt es bisher nicht. Dazu gibt es Spekulationen über einige europäische Reiseziele.

Bisher letztes Reiseziel: Libanon im September 2012

So liegt etwa eine Einladung in die Slowakei vor. Dort feiert man in diesem Jahr das 1150-Jahr-Jubiläum der Missionierung durch die Slawenapostel Kyrill und Method. Eine Irlandreise ist seit dem Aufkommen des Missbrauchsskandals immer wieder im Gespräch. Ob die Zeit dafür reif ist? Andere in der Vergangenheit oft genannte Reiseziele wie die Ukraine erscheinen aktuell eher unwahrscheinlich. Ganz gleich welches europäische Land Benedikt XVI. 2013 noch besuchen wird, es fehlt auf der päpstlichen Reisekarte noch immer ein Besuch in Asien. 24 Auslandsreisen hat der Pontifex aus Deutschland bereits gemacht, doch den Kontinent mit den zum Teil größten Zuwachsraten an Katholiken weltweit hat er bisher nicht besucht; wenn man davon absieht, dass er bei seinen Visiten in der Türkei und im Heiligen Land den Kontinent gestreift hat.

Sicher scheint auch, dass im Frühjahr eine neue Enzyklika erscheinen wird – passend zum Glaubensjahr zum Thema „Glauben“. Damit schließt Benedikt XVI. nach seiner Jesustrilogie auch seine Trilogie über die zentralen Themen des Christentums „Glaube, Hoffnung (Spe salvi), Liebe (Deus caritas est) ab. Einige Beobachter hatten die Enzyklika schon für Januar erwartet. Doch das war wohl zu optimistisch. Sicher wird es in diesem Jahr auch wieder ein Konsistorium zur Kreierung neuer Kardinäle geben. Traditionell gibt es dafür zwei Termine, die gerne dafür genutzt werden: das Fest Kathedra Petri Ende Februar und das Christkönigsfest Ende November. Da seit dem letzten Konsistorium Ende November 2012 kaum neue Plätze für Kardinäle unter 80 Jahre frei geworden sind, erscheint der Novembertermin wahrscheinlicher.

Termine gib es also bisher wenig im päpstlichen Kalender. Dafür liegen aber eine ganze Reihe unerledigter Akten auf dem Schreibtisch des Papstes. Dazu gehören die Verhandlungen über die Rückkehr der traditionalistischen Piusbruderschaft. Die waren im vergangenen Jahr ins Stocken geraten, nachdem der Vatikan die Anerkennung des II. Vatikanischen Konzils und der nachkonziliaren Liturgie gefordert hatte. Kritische Äußerungen des Oberen der Piusbrüder, Erzbischof Fellay, zum Jahreswechsel über das Judentum, haben im Vatikan scharfe Kritik hervorgerufen und die Verhandlungen nicht erleichtert.

Zweites großes Thema sind die Finanzen. Hier will Benedikt XVI. saubere Konten in der Vatikanbank. Das stößt intern nicht nur auf Gegenliebe. Es ist ein zäher Prozess, im Staat des Papstes die internationalen Richtlinien gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zu implementieren. Das Ringen mit der italienischen Zentralbank zum Jahreswechsel zeigt aber, wie dringlich das Thema ist. Seit 1. Januar blockiert die Zentralbank den bargeldlosen Zahlungsverkehr mit EC- und Kreditkarten im Vatikan. Den Vatileaks-Skandal hofft man im Vatikan, mit der Begnadigung des Butlers durch den Papst vor Weihnachten abgeschlossen zu haben. Paolo Gabriele soll dem Vernehmen nach in einer Außenstelle des Vatikanischen Kinderkrankenhauses in der Nähe der Basilika Sankt Paul vor den Mauern eine neue Anstellung finden.

Theologisch-spirituell wird das Jahr bestimmt durch das bis zum 24. November andauernde Jahr des Glaubens und das Konzilsgedenken. Ob der Papst neben der Enzyklika noch weitere Akzente setzen wird, bleibt abzuwarten. Möglich ist die Seligsprechung des Konzilpapstes Paul VI. im Herbst. Durch die Anerkennung des heroischen Tugendgrades kurz vor Weihnachten hat Benedikt XVI. den Weg dafür freigemacht. Allein es fehlt noch ein Wunder. Das könnte aber im Frühjahr bestätigt werden. Eher unwahrscheinlich ist die Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II. noch in diesem Jahr. Polnische Kirchenkreise hatten zwar zwischen den Jahren ein entsprechendes Gerücht gestreut. Im Vatikan gibt es bisher dafür aber keine Bestätigung.

Tja – so ist der Eintrag über das Jahr 2013 nun doch länger geworden als geplant; aber der päpstliche Terminkalender ist trotzdem nach wie vor weiß. Das hängt sicher auch mit dem Alter des Papstes zusammen. Benedikt XVI. wird im April 86. Mehr noch als in den vergangenen Jahren muss er mit seinen Kräften haushalten. Entsprechend light gestaltet er seinen Terminkalender. So werden etwa bei Empfängen immer öfter keine Reden mehr gehalten. Die führenden Politiker der Region Latium und Roms bekamen dieses Jahr zwar eine Privataudienz zu Neujahr, aber anders als in den vergangenen Jahren üblich keine Rede mehr. Beim Antrittsbesuch neuer Botschafter wurde dieses Verfahren schon im Dezember 2011 eingeführt.

Kräfte schonen und Akzente dort setzen, wo es ihm wichtig ist. Das scheint eine der Devisen Benedikts XVI. für 2013 zu sein.

Aufarbeitung ja! Aber wie?

Der Imageschaden ist groß. Das Jahr 2013 hätte für die katholische Kirche in Deutschland kaum schlechter beginnen können. Jetzt streitet man über die Medien und Juristen, wer am Scheitern der Missbrauchsstudie Schuld hat und warum es zu dem Desaster kam. Zugleich suchen die Bischöfe nach einem neuen Partner, um die Studie doch noch fortsetzen zu können. So wird etwa der Name des Leiters des Berliner Instituts für forensische Psychiatrie der Charité, Hans-Ludwig Kröber, genannt. Gegenüber dem ZDF erklärte er am Donnerstag, dass es bisher aber noch keine Anfrage gegeben habe. Die Suche nach dem Schuldigen für das Scheitern ist müßig. In der Auseinandersetzung um die endgültige Vertragsgestaltung und hier vor allem bei den Themen Datenschutz und den Publikationsrechten haben sich beide Seiten in eine Situation manövriert, in der ein vertrauensvolles Miteinander nur noch schwer möglich war.

In der Öffentlichkeit scheint es nun so, dass allen voran das Erzbistum München-Freising zusammen mit dem Bistum Regensburg den Aufklärungswillen der Kirche bremsten. Der Münchner Generalvikar Peter Beer weist das entschieden zurück. Das Erzbistum München hatte 2010 eine unabhängige Anwältin damit beauftragt, die Personalakten von 1945 bis 2009 zu sichten und alle Missbrauchsfälle zu benennen. Über 13.000 Akten studierte die Juristin Marion Westpfahl. Als wenige Monate später die Bischofskonferenz die Studie mit Professor Pfeiffer und seinem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) initiierte, waren es in der Tat die Münchner, die als Erste Nachbesserungen beim Vertragstext forderten. Hauptkritikpunkt waren die bereits benannten Punkte. Nach und nach schlossen sich andere Bistümer an.

Unklar ist, in wieweit die plötzlichen Ängste durch Kritik von konservativen Priesterkreisen verstärkt wurden, die in der Studie einen Generalverdacht gegen alle Priester witterten und sich an Rom wendeten mit der Bitte, die Studie zu verhindern. Dass der Druck der Konservativen in dem ganzen Prozess einmal mehr eine unrühmliche Rolle spielen könnte, legt eine Formulierung nahe, die sich in einem Brief der Bischöfe an das KFN findet. Dort heißt es, die vorgeschlagenen Vertragsänderungen der Kirche würden das Projekt „gegen Einwürfe und Rechtsverfahren aus dem Bereich kritischer Priester wie auch gegenüber den Sorgen einzelner Bischöfe vollständig schützen“. Auch könnten Beispiele aus anderen Ländern die Bischöfe aufgeschreckt haben. So ist etwa der Untersuchungsbericht über die Missbrauchsfälle im irischen Bistum Cloyne (Cloyne-Bericht) für jedermann einsehbar im Internet veröffentlicht mit vielen Details und den Namen der Täter.

Schwierig sieht es mit Blick auf die Vernichtung der Akten aus. Das Kirchenrecht schreibt diese nämlich vor: „Jährlich sind die Akten der Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren, deren Angeklagte verstorben sind oder die seit einem Jahrzehnt durch Verurteilung abgeschlossen sind, zu vernichten; ein kurzer Tatbestandsbericht mit dem Wortlaut des Endurteils ist aufzubewahren.“ (CIC 489,2) Hier besteht Handlungsbedarf auf Seiten der katholischen Kirche, um Beweismaterial auch über diese 10-Jahresfrist zu sichern. Allerdings werden auch die Strafprozessunterlagen in zivilen Verfahren zum großen Teil nach 10 Jahren geschreddert. Unter anderem deshalb sahen Experten von Anfang an Probleme beim Design der Pfeiffer-Studie.

Die Zukunft wird für die Bischöfe wie für den neuen Partner nicht einfach. Die Öffentlichkeit wird peinlichst genau darauf achten, wie unabhängig und frei die Wissenschaftler arbeiten und publizieren können; die Bischöfe ihrerseits stehen unter besonderer Beobachtung, wie ernst es ihnen um die Aufklärung und Aufarbeitung ist. Dazu müssen sie sich aber auch untereinander einig sein. Das ist eine nicht zu unterschätzende Hürde in der Angelegenheit. Der öffentliche Druck ist groß; nur mit einem entschiedenen und transparenten Handeln, können die Bischöfe versuchen, den großen Imageschaden wieder wett zu machen, damit das Jahr 2013 nicht zu einem weiteren Unglücksjahr wird.

Das Scheitern eines Befreiungsschlages

Das Projekt war groß, und es sollte ein Meilenstein werden auf dem Weg, verlorenes Vertrauen wieder zu gewinnen. Im Juli 2011 hatte die Deutsche Bischofskonferenz ein Forschungsprojekt angekündigt über den sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige. Partner war das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen unter der Leitung von Professor Christian Pfeiffer. Alle Personalakten der Bistümer sollten durchforstet werden – ein Vorhaben, das weltweit einmalig ist und den unbedingten Aufklärungswillen signalisieren sollte. Doch schon kurz nach der Ankündigung stieß es auf Widerstand bei einigen Priestern, die den Datenschutz verletzt sahen. Die Beteuerung, dass die Sichtung der Akten durch kirchlich geschultes Personal erfolgen solle und lediglich Täterakten weitergeleitet würden, konnte die Befürchtungen nicht bei allen ausräumen.

Es gab neue Forderungen, Nachbesserungen im Vertrag, die jetzt dazu führten, dass der Verband der Diözesen den Vertrag mit dem Kriminologischen Institut gekündigt hat. Das Vertrauensverhältnis zu Prof. Pfeiffer sei zerrüttet, „einer weiteren konstruktiven Zusammenarbeit jede Vertrauensgrundlage entzogen“, heißt es in der Erklärung der Bischofskonferenz. Das  Projekt selbst solle jedoch fortgeführt werden. Prof. Pfeiffer seinerseits wirft den Bischöfen Zensurverhalten vor und die Vernichtung von Akten, was die Kirche ihrerseits bestreitet.

Was bleibt, ist ein schaler Beigeschmack. Das Scheitern des großangelegten Aufklärungsprojektes, das mit der Einstellung der Hotline für Missbrauchsopfer zusammenfällt, und das Ergebnis der zweiten großen Missbrauchsstudie, in der keine besonderen Auffälligkeiten und Unterschiede zwischen kirchlichen und säkularen Tätern festgestellt werden, werden den Verdacht weiter nähren, dass versucht werden soll, etwas unter den Teppich zu kehren. Der Schwung der Aufklärungsarbeit ist zumindest gebremst. Schade!