Papstgeflüster – Das Vatikan-Blog

Interessantes und Hintergründiges aus dem Vatikan

Warum gerade jetzt?

Warum tritt Benedikt XVI. jetzt zurück? Darüber wird rund um den Globus auch fünf Tage nach Bekanntgabe der Entscheidung heftig diskutiert. Es gibt viel Anerkennung für den Schritt; aber auch Kritik. Bis hinein ins Kardinalskollegium und die Führungsriege der römischen Kurie gibt es einzelne Vertreter, die den Amtsverzicht für einen großen Fehler halten. Sie sehen das Papstamt beschädigt. Der Schritt birgt aber auch eine große Chance. Es liegt an den Kardinälen und am Nachfolger Benedikts, aus dem Rücktritt etwas Positives für die Kirche zu machen.

Weltweit auf Seite 1 - der Amtsverzicht (dpa)

Aber warum jetzt? Klar ist, ein Rücktritt war für Benedikt XVI. nie ein Tabu. Im Juli 2010 hat er am Grab seines Vorgängers Coelestin V., der im 13. Jahrhundert freiwillig abdankte, sein Pallium abgelegt, eines der zentralen Zeichen seines Amts. Schon damals war klar: Wer Augen hat zu sehen, der sehe! In seinem Interviewbuch „Licht der Welt“ vom November 2011 sagt er ganz offen, dass ein Rücktritt vorstellbar und angebracht ist, wenn die Kräfte nicht mehr reichen. Sein damaliger Interviewer, der Journalist Peter Seewald, berichtet jetzt von seinem letzten Treffen mit Benedikt XVI. vor etwa 10 Wochen. Seewald arbeitet derzeit an einer Biografie über Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. und hatte im letzten Jahr mehrfach die Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. In einem Artikel für das Nachrichtenmagazin Focus, der am Montag erscheint, berichtet Seewald nun über die Begegnungen. Auf die Frage, was von seinem Pontifikat noch zu erwarten sei, habe Benedikt XVI. geantwortet: „Von mir? Nicht mehr viel. Ich bin doch ein alter Mann. Die Kraft hört auf. Ich denke, das reicht aus, was ich gemacht habe.

Laut Fokus stammt diese Aussage vom Sommer (!) letzten Jahres. Da war für Benedikt XVI. die grundsätzliche Entscheidung für den Rücktritt schon gefallen; denn, wie hier schon berichtet, war für den Papst nach der Reise nach Mexiko und Kuba im März 2012 klar, dass das Amt zu strapaziös wird. Ein Rücktritt in 2012 kam für Ratzinger aber nicht in Frage. Im bereits zitierten Interviewbuch hatte er nämlich auch gesagt, dass er in schwierigen Zeiten nicht davonlaufen könne und wolle. Und 2012 war mit dem Vatikleaks-Skandal ein schwieriges Jahr. Nach den Prozessen und der Begnadigung des ehemaligen Butlers zum letzten Weihnachtsfest, war Krise fürs erste, zumindest in der Öffentlichkeit, überwunden. Dass der Vatileaks-Skandal nicht der Anlass für den Rücktritt war, behauptet nun Peter Seewald laut Fokus. Denn erstmals hatte der Papst mit einem Journalisten über das Thema gesprochen. Der Verrat habe ihn weder aus der Bahn geworfen noch amtsmüde gemacht. Es wäre „nicht so, dass ich irgendwie in eine Art Verzweiflung oder Weltschmerz verfallen würde. Es ist mir einfach unverständlich.“ So zitiert Seewald den Papst mit Blick auf die Taten des ehemaligen Kammerdieners Paolo Gabriele. Benedikt sei wichtig gewesen, dass die Justiz im Vatikan unabhängig arbeitete.

Das Gespräch mit Seewald über Vatileaks fand im Sommer statt. Am 17. Dezember traf der Papst die dreiköpfige Kardinalskommission, die er parallel zur vatikanischen Justiz mit Untersuchungen beauftragt hatte. Die Kardinäle sollen Benedikt XVI. einen zweiten Untersuchungsbericht übergeben haben. Er wurde, wie schon der erste vom Sommer 2012, nie veröffentlicht. Doch dem Vernehmen nach sollen darin erschütternde Informationen über Machenschaften und die Verhältnisse im Vatikan enthalten sein. War dieser Bericht der Auslöser für Benedikt, möglichst bald zurückzutreten? Musste er erkennen, dass seine Kraft nicht mehr für ein Aufräumen in der Kurie reicht? Mehr als Spekulation bleibt das nicht.

Fest steht, der Rücktritt wurde zum Ende des vergangenen Jahres konkreter. Als im Herbst die Schwestern des Karmel im Vatikan turnusgemäß das Kloster verließen, rückten keine neuen Ordensfrauen nach. Mit der Begründung, man müsse das Haus für Kardinäle herrichten, begannen die Umbauarbeiten. Es ist davon auszugehen, dass Benedikt XVI. Ende April/Anfang Mai in den endgültigen Altersruhesitz hinter der Apsis von Sankt Peter wird einziehen können.

Fest steht auch, dass der Terminkalender für 2013 von Anfang an schlank gehalten wurde. Es gab keine Reisen, außer dem Weltjugendtag in Rio de Janeiro. Doch immer wenn Benedikt XVI. die Jugendlichen zu diesem Treffen einlud, hat er stets vermieden, von seiner eigenen möglichen Präsens zu sprechen. Man war zwar wie selbstverständlich davon ausgegangen; doch Ratzinger hielt sich zurück. Ende November konnte man im Vatikan hören, dass man nicht davon ausgehen solle, dass Benedikt XVI. noch einmal eine lange Flugreise machen werde. Wer Ohren hat zu hören, der konnte damals hören. Doch die Anwesenden wollten oder konnten es nicht hören.

Fest steht auch, dass Benedikt XVI. mit der Ernennung seines Privatsekretärs Georg Gänswein Anfang Dezember zum Präfekten des Päpstlichen Hauses und der damit verbundenen Erhebung in den Rang eines Erzbischofs für die Zukunft seines engsten und treuesten Mitarbeiter gesorgt hat. Der Posten des Präfekten wurde durch die Beförderung James M. Harveys zum Kardinal und Erzpriester der Basilika St. Paul vor den Mauern im Konsistorium Ende November 2012 freigemacht.

Fest steht auch, dass die Kräfte Benedikt XVI. weiter abnahmen. Das ist ganz natürlich – mit weit über 85 Jahren, dem Arbeitspensum und vor allem der Verantwortung, die der Papst zu tragen hat.

Ein Rücktritt im Verlauf des Jahres hätte also nicht unbedingt überrascht – etwa zum 86. Geburtstag am 16. April. Dann wäre auch noch die Glaubensenzyklika erschienen, die man für März erwartet hatte. Eigentlich war sie vor Weihnachten schon fertig. Jetzt kommt sie gar nicht mehr, warum?

Warum gerade jetzt? Passte der Gedenktag der Muttergottes von Lourdes am 11. Februar gut als Tag für die öffentliche Ankündigung des Amtsverzichts, eines Rücktritts, weil die „Kraft des Körpers und des Geistes“ derart abgenommen hat, dass es nicht mehr reicht, das „Schifflein Petri zu steuern“? Interessant finde ich hier übrigens, dass er auch von der abnehmenden Kraft des Geistes spricht!? Passte vielleicht die Fastenzeit gut für die Suche nach einem neuen Nachfolger Petri? Als Zeit, in der die Kirche durch die Kardinäle in den Kardinalsversammlungen und dem Konklave eine Selbstvergewisserung betreibt? Buße tut? In der Predigt bei seinem letzten großen öffentlichen Gottesdienst am Aschermittwoch sprach Benedikt XVI. nicht über die Gesellschaft oder die Welt, gar den von ihm gerne bemühten Relativismus. Es ging um die Kirche! Er verurteilte Individualismen und Rivalitäten. Ist das sein schmerzliches Fazit nach knapp acht Jahren Papst?

Wollte Benedikt XVI. sich die Strapazen der anstrengenden Osterfeierlichkeiten ersparen? Pressesprecher Federico Lombardi erklärte, die Zeit nach Ostern sei eine pastoral sehr intensive Zeit für die Kardinäle in aller Welt. Da wäre ein Konklave ungelegener gekommen als jetzt vor Ostern.

Fest steht, der Rücktritt wäre auch zu einem anderen Zeitpunkt ungelegen gekommen und es hätte Diskussionen gegeben über das „warum gerade jetzt“. Wichtig ist das Faktum. Benedikt XVI. hat sich nicht von Unglückspropheten abhalten lassen, die in der Vergangenheit angesichts eines möglichen Amtsverzichts des Papstes vor negativen Konsequenzen wie einem Schisma warnten. Als Theologe ist er sich sicherlich auch bewusst, was sein Schritt für das Papstamt bedeutet. In seiner zunehmenden Schwäche beweist Benedikt XVI. vielleicht im Rückblick seine größte Stärke. Und bei der Frage nach dem „warum gerade jetzt“, liegt, wie so oft im Leben, die Wahrheit wohl in der Verbindung aus unterschiedlichen Gründen.

Ein sorgfältig vorbereiteter Rücktritt

Die katholische Kirche brauche einen Papst, der mit Entschiedenheit und Klarheit die Grundlinien des Glaubens und des Ethos der Kirche vertrete. Dies sagt der Mainzer Kardinal Karl Lehmann in der ZDF-Sendung „sonntags – TV fürs Leben“. Das Gespräch mit Moderator Gert Scobel wird morgen um 9.02 Uhr im ZDF ausgestrahlt. Ein Papst habe die Aufgabe, ein ausgewogenes Verhältnis der Einheit in der Vielfalt herzustellen. „Ich glaube, dass an manchen Stellen der Kurie, nicht überall, wieder zentralistische Tendenzen überhand genommen haben“.

Der Rücktritt Papst Benedikt XVI. habe auch ihn überrascht. Aber: „In der Rückschau sieht man die sorgfältige Vorbereitung“ dieses Schrittes durch den Papst, meinte der Kardinal und nannte als Anzeichen dafür, dass er sein Haus bestellt habe z.B. die Ernennung seines Sekretärs Georg Gänswein zum Erzbischof und das ungewöhnliche zweite Konsistorium im vergangenen Jahr (in dem der Papst die Zahl der wahlberechtigten Kardinäle noch einmal ergänzt hatte). Vielleicht hätten auch die Enttäuschungen im Amt dazu beigetragen, sagte Lehmann in Anspielung auf die Vatileaks-Affaire. Bis heute seien die Untersuchungsergebnisse der Kardinalsgruppe nicht bekannt, „vielleicht gibt es da auch noch mehr Anlass zu Enttäuschungen“.

Der Kardinal räumte auch ein, dass der Papst eher einsam gewesen sei. Dies läge in seiner Persönlichkeit, da er immer eher zurückgezogen gewesen und an seinen Schreibtisch gegangen sei, aber auch an der Atmosphäre der Kurie. Ein Papst könne nicht beliebige Kontakte haben.

Jeder Papst bringe seine Kernkompetenz mit in das Amt, „das ist kein Beruf, den man lernt“. Er brauche aber auch gute Mitarbeiter, und ob Benedikt XVI. die immer gehabt habe, könne man bezweifeln. Ein Papst sei auch nicht nur Vertreter des eigenen Amtes, sondern müsse sich auch die Sorgen und Nöte von anderen, die mit ihm zusammen sind, zu eigen machen. Kardinal Lehmann würdigte den Papst als einen großen geistigen Führer, der schon in seinen frühen Schriften auf die Einwände seiner Kritiker geantwortet habe. „Ich glaube, es war ein Segen für die Kirche, dass er mit seinem theologisch-spirituellen Ansatz eine Vertiefung des Glaubens geboten hat. Wir brauchen eigentlich nichts dringender, als dass wir selbst besser überzeugt sind von der Wahrheit des Glaubens, dass wir die Leute motivieren können“, sagte Lehmann.

Habemus presidentem

Heute ist das Thema Papstrücktritt etwas in den Hintergrund gerückt. Beim täglichen Pressebriefing von Vatikansprecher Federico Lombardi stand der neue Chef der Vatikanbank IOR im Mittelpunkt des Interesses: der Deutsche Ernst Freiherr von Freyberg. Der 54-jährige Jurist aus Frankfurt ging als Sieger aus einem siebenmonatigen Auswahlverfahren hervor. Ihm steht eine schwierige Aufgabe bevor. Die Finanzgeschäfte der Vatikanbank waren in der Vergangenheit oft undurchsichtig. Immer wieder kam es zum Streit mit der italienischen Zentralbank. Diese sah internationale Regeln gegen Geldwäsche, Finanzierung des Terrorismus und Korruption nicht ausreichend umgesetzt. Die Fachkommission des Europarats gegen Geldwäsche „Moneyval“ hatte dem Vatikan im letzten Sommer ein mittelmäßiges Zeugnis ausgestellt. Von Freyberg soll es nun zusammen mit dem Schweizer Geldwäschebekämpfer Rene Brülhart richten.

 Die Erleichterung war Pressesprecher Lombardi ins Gesicht geschrieben, als er heute Mittag den Namen verkündete. Es war fast schon, wie bei einer Papstwahl. Er zitierte den Interimspräsidenten des IOR, den deutschen Ronaldo Schmitz, mit den Worten, das sei ein großer Tag für das IOR. Doch die Freude wurde gleich wieder getrübt, als die Frage von Journalisten aufkam, ob von Freybergs zweiter Arbeitgeber, die Blohm+Voss-Gruppe in Hamburg, nicht auch Militärschiffe baue. Unruhe im Pressesaal. Man reichte Lombardi nach einigen Minuten einen Zettel mit der Nachricht, dass dies nicht (mehr) der Fall sei. Blohm+Voss baue keine Kriegsschiffe mehr. Dann am Nachmittag die Korrektur, es würden doch noch vier Stück gebaut. Also schon wieder ein Skandal? Und das, obwohl betont wurde, dass der Kandidat auf beruflichem und moralischem Gebiet geprüft worden sei!?

 Die Sache taugt nicht zum Skandal. Zwar ist es richtig, dass Blohm+Voss Shipyard gegenwärtig noch vier Fregatten für die Bundesmarine baut. Doch hierbei handelt es sich um die Abwicklung alter Verträge, als die Sparte mit Rüstungsgütern noch zu dem Firmenverbund gehörte. Seit Februar 2012 kann man bei Blohm+Voss Shipyard nur noch zivile Schiffe kaufen und reparieren lassen, so die Auskunft der Firma heute.

 Mit der Personalie von Freyberg dürfte Benedikt XVI. eine seiner letzten wichtigen Personalentscheidungen getroffen haben. Auch wenn der Jurist von der für das IOR zuständigen Kardinalskommission ernannt wurde, geschah dies erst nach Zustimmung des Papstes. Für Benedikt XVI. ist damit ein wichtiges Kapitel seines Pontifikats zumindest personell abgeschlossen. Er hatte sich stark gemacht dafür, dass die Bank sauber arbeitet. Dafür gab es auch so manchen Gegenwind im Vatikan.

Das Erbe des Papstes!?

Liturgie, Kirche, Offenbarung und der Dialog mit der Welt. Das sind für Benedikt XVI. die großen Themen des II. Vatikanischen Konzils und, wie es scheint, auch seine großen Themen. Denn er hat sie heute in den Mittelpunkt der vorletzten großen Ansprache seines Pontifikats gestellt. Es war ein bewegender Moment heute im Vatikan: der scheidende Bischof von Rom mit seinem Klerus – versammelt zur traditionellen Begegnung am Beginn der Fastenzeit. Langer Applaus, als Benedikt kommt; dann die etwas brüchige Stimme, an einigen Stellen nur schwer zu verstehen. Der Kammerdiener bringt ein Glas mit Wasser. Und dann wirkt die Situation fast so, als erzähle ein Papa oder eher ein Opa seinen Söhnen oder Enkeln von „dem“ Ereignis schlechthin. Es ist ein seltsamer Kontrast: die etwas raue, belegte Stimme und zugleich die Begeisterung, die in ihr liegt, wenn Benedikt XVI. über das II. Vatikanische Konzil spricht. 45 Minuten freie Rede.

Benedikt XVI. erzählt vom Konzil.

Er verteidigt die Liturgiereform, die endlich wieder alte Schönheit und Reichtum entdeckt habe, warnt zugleich aber vor einer Banalisierung. Vor allem die aktive Beteiligung des Volkes Gottes scheint ihm wichtig. Beim Thema Kirche erinnert er an die Reformbewegungen in der Kirche, die es bereits ab den 1930er Jahren gegeben habe. Damals habe man zu Recht formuliert – aus Sicht der Gläubigen – „Wir sind Kirche!“ Diese Vorstellung habe das Konzil dann in eine Ekklesiologie (theologische Reflexion über die Kirche) gießen wollen. Das Schlüsselwort sei Communio. Communio der Gläubigen, aber auch Communio unter den Bischöfen mit dem Papst. Das I. Vatikanum mit seiner fragmentarischen Ekklesiologie von der Unfehlbarkeit, sei komplettiert worden durch das Prinzip der Kollegialität. Ganz wichtig für Benedikt XVI.: Ökumene und interreligiöser Dialog, sowie die Öffnung der Kirche zur Welt. Die Rede war zum Abschied auch noch einmal ein klares Signal an die traditionalistische Piusbruderschaft, dass es ein zurück hinter das Konzil nicht geben kann.

Ein Satz der Ansprache wurde mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen: „Auch wenn ich mich jetzt zurückziehe, bin ich doch im Gebet euch allen immer nahe, und ich bin mir sicher, dass auch ihr mir nahe sein werdet, auch wenn ich für die Welt verborgen bleiben werde.“ Wird sich Benedikt XVI. wirklich völlig zurückziehen? Das mag unter den Journalisten hier niemand so richtig glauben. Das merkt man an den Fragen, die sie beim täglichen Briefing an Pressesprecher Lombardi stellen. Was passiert etwa mit der Glaubensenzyklika, die vorbereitet ist und bis zum 28. nicht mehr veröffentlicht wird? Eines scheint zumindest klar, Benedikt XVI. wird von seinem langjährigen Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, auch nach Castelgandolfo und später in das Kloster im Vatikan begleitet; ebenso von den vier Frauen, die ihm bisher den Haushalt führen. Gänswein behält daneben seinen Posten als Präfekt des Päpstlichen Hauses bei, wird also auch über den Terminkalender des neuen Papstes mitbestimmen. Sein Einfluss an zentraler Stelle bleibt über das Ende des Pontifikats Benedikts XVI. gesichert. Es sei denn, dieser ernennt einen neuen Präfekten.

Das Amt des Präfekten des Päpstlichen Hauses ist eines der wenigen Spitzenämter der Kurie, die mit Eintritt der Sedisvakanz nicht enden. Denn die Leiter der Dikasterien treten mit dem Rücktritt des Papstes automatisch ebenfalls zurück. Der neue Papst ist dann frei, sie wieder einzusetzen; was meistens auch geschieht, aber kein Muss ist. Auffallend ist übrigens für viele Beobachter, dass der Chef der Glaubenskongregation und enge Vertraute Benedikts XVI., Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, nicht ins Konklave mit einzieht. Er nimmt auch nicht an den Beratungen über die Situation der Kirche und ein mögliches Profil des neuen Pontifex teil, die ja in den Kardinalskongregationen, also den täglichen Kardinalsversammlungen, in der Zeit der Sedisvakanz stattfinden. Wenn Benedikt aber schon seit Mitte letzten Jahres wusste, dass er in absehbarer Zeit zurücktreten wird, warum hat er dann den Chef der „Suprema“, der wichtigsten Kurienbehörde nach dem Staatssekretariat, beim Mini-Konsistorium Ende November letzten Jahres nicht zum Kardinal gemacht?

Eine der vielen offenen Fragen in diesen Tagen. Gewissheit scheint es aber über den Beginn des Konklaves zu geben. Pressesprecher Lombardi teilt mit, dass es keinen Anlass gebe, daran zu zweifeln, dass die Kardinäle die Regeln der Wahlordnung einhalten. D.h. zwischen dem 15. und 20. Tag nach Eintritt der Sedisvakanz beginnt das Konklave – also zwischen dem 15. und 20. März. Die Kardinäle bräuchten die Zeit zum Austausch und zu Beratungen, erklärte Lombardi. Spannende Zeiten in Rom und für die katholische Kirche – Ausgang offen!

Der letzte große Gottesdienst

Rom im Ausnahmezustand – aber etwa nicht, weil hier die Massen durch die Straßen ziehen wie nach dem Tod Johannes Pauls II., sondern weil hier noch immer eine Mischung aus Schockstarre, Ungewissheit und Hauch des Historischen in der Luft liegt. Einerseits geht alles dann doch sehr schnell. Am Montag die Ankündigung des Rücktritts; heute, zwei Tage später, schon der letzte große öffentliche Gottesdienst Benedikts XVI. Andererseits wird die Welt Zeuge der Endphase eines Pontifikats, die wie in einer Art Zeitlupe vor sich geht. Zwar gab es bei Johannes Paul II. eine lange Agonie; trotzdem ging das Amtsleben weiter fast bis zum Schluss. Normalerweise endete ein Pontifikat mit dem „plötzlichen Tod“. Jetzt erlebt die Welt beinahe minutiös die letzte Phase mit, geht sehend Auges auf das Ende zu.

Beim täglichen Briefing listete heute der vatikanische Pressesprecher alle Termine des Papstes bis zum 28. Februar auf. Beinahe minutiös nimmt die Öffentlichkeit Anteil an den letzten offiziellen Akten Benedikts XVI. und angesichts der sonst sehr pompösen Feierlichkeiten im Vatikan will niemand so richtig glauben, dass sich der Papst am 28. Februar gegen 17 Uhr einfach in den Hubschrauber setzt und nach Castelgandolfo fliegt. Dort endet dann um 19.59 Uhr sein Pontifikat, ganz still und leise. Es gibt keinen Ritus etwa zum Ablegen des Fischerrings oder des Palliums – zumindest bisher. Es gibt keinen Dankgottesdienst zum Abschluss des Pontifikats. Benedikt XVI. wird sich am Vormittag des 28. mit den Kardinälen noch einmal in der Sala Clementina treffen. Doch man dürfe keine großen Reden erwarten, hieß es dazu heute im Vatikan, eher spontane Worte des Papstes und eventuell des Kardinaldekans. Die Öffentlichkeit kann sich am 27. verabschieden bei der letzten Generalaudienz am Vormittag auf dem Petersplatz.

Gläubige auf dem Petersplatz verfolgen den letzten Gottesdienst Benedikts XVI.

Genau wird natürlich jetzt auf jedes Wort Benedikt XVI. geachtet. In seiner Predigt zum Aschermittwoch schlug er noch einmal sehr selbstkritische Töne in Bezug auf die Kirche an; kritisierte Individualismen und Rivalitäten in der Kirche sowie „Sünden gegen die Einheit der Kirche“. Klingt hier auch Kritik an der römischen Kurie an? Welche Rolle spielen die Zustände im Vatikan beim Entschluss Benedikts XVI., sein Amt aufzugeben? Bisher gibt es die Predigt auf Deutsch nur in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan. Über zwei Minuten Beifall gab es zum Abschluss des Gottesdienstes. Mit Spannung wird nun das Treffen Benedikts XVI. mit den Priestern des Bistums Rom morgen Vormittag erwartet. Eigentlich wollte er dabei über das II. Vatikanische Konzil sprechen. Ob das angesichts der neuen Situation durch den Rücktritt so sein wird, ist unklar.

Unklar ist auch, was der Rücktritt für das Papstamt und die Kirche bedeutet. Von „Entzauberung“ und „Entsakralisierung“ des Papstamts ist die Rede. Hat Benedikt XVI. am Ende das Amt des Pontifex menschlicher gemacht? Er, der in seiner Amtszeit immer wieder dafür kritisiert wurde, dass er das Amt zunehmend sakralisiert habe? Wird der Bewahrer Joseph Ratzinger durch seinen spektakulären Schritt am Ende zum Wegbereiter für Reformen? Vielleicht auch, weil sein Pontifikat gezeigt hat, wie notwendig sie an verschiedenen Stellen sind? Nach wie vor Fragen über Fragen – und der Name sowie der protokollarische Rang Benedikts XVI. ab 1. März ist noch immer nicht klar. Im Vatikan rauchen die Köpfe der Kirchenrechtler und Experten – Ausnahmezustand in Rom.

Jetzt live aus Rom auf ZDF.de

Es ist sein erster Auftritt seit der historischen Rücktrittsankündigung: Papst Benedikt XVI. wird heute vermutlich die letzte große liturgische Zeremonie seines Pontifikats abhalten. Am Nachmittag (17.00) will das 85-jährige Oberhaupt der Katholiken im Petersdom in Rom die Aschermittwoch-Messe zum Beginn der Fastenzeit feiern. Zuvor ist am Vormittag (10.30) eine Generalaudienz geplant.

heute.de zeigt die Generalaudienz ab 10.25 Uhr im Livestream:

http://www.heute.de/Erster-Papst-Auftritt-seit-Rücktrittsankündigung-26578190.html

Mehr Fragen als Antworten

Am Tag 1 nach der Ankündigung des Rücktritts von Papst Benedikt XVI. zum Monatsende gibt es mehr Fragen als Antworten. Unzweifelhaft ist die weltweite Anerkennung für den mutigen Schritt Joseph Ratzingers. Im Vatikan versucht man eifrig, Antworten auf die vielen offenen Fragen zu finden. Noch ist nicht klar, wie der Titel Benedikts nach seinem Rücktritt sein wird: Alt-Papst, emeritierter Papst? Sicher ist, er ist Altbischof von Rom; denn der Papst ist ja zugleich Bischof der Ewigen Stadt. Unklar ist auch, welche protokollarischen Rang Joseph Ratzinger künftig haben wird. Das müssen die Kirchenrechtler des Vatikans nun schellstens klären.

Benedikt XVI. wird ab 28.2. um 20.01h auf jeden Fall seine Amtsgewalt verlieren und hat dann keinerlei Jurisdiktionsgewalt mehr. Die für Frühjahr erwartete Enzyklika zum Thema Glauben im Rahmen des Jahrs des Glaubens wird bis zum Ende des Pontifikats nicht mehr fertig. Ob und wie der Text eventuell anschließend publiziert wird, ist derzeit noch offen. Sicher ist auch, dass die Entscheidung Benedikts XVI. keine Kurzschlussreaktion ist oder auf eine besondere Krankheitsdiagnose zurückgeht. Schon nach der letzten großen Interkontinentalreise im März 2012 nach Mexiko und Kuba habe der Papst für sich die Entscheidung gefällt. Angesichts der unruhigen Fahrwasser aufgrund des Vatileaksskandals schien ihm aber der rechte Zeitpunkt lange noch nicht gekommen. Jetzt, nachdem sich alles etwas beruhigt hatte, udn Benedikt XVi. in den letzten Monaten erkennen musste, dass seine Kräfte – ganz natürlich – mit zunehmendem Alter weiter schwanden, entschloss der sich zum Handeln.

Bisher ist zum Ende des Pontifikats keine eigene große Feier geplant. Am 27.2. wird die wöchentliche Generalaudienz der letzte öffentliche Auftritt in der Amtszeit Benedikts XVI. sein. In Rom werden dazu Zehntausende Gläubige erwartet. Bis zu diesem Tag gibt es noch eine ganze Reihe von öffentlichen Auftritte. Mit Spannung werden nun die Reden Benedikts erwartet – etwa morgen bei der Generaldaudienz am Vormittag und dann am Nachmittag bei seinem voraussichtlich letzten Gottesdienst als Papst im Petersdom, dem Gottesdienst zum Beginn der Fastenzeit am Aschermittwoch.

Wer wird das Rennen machen?

Nach der überraschenden Ankündigung seines Rücktritts wird heftig darüber spekuliert, wer die Nachfolge von Benedikt XVI. antritt. Viele sehen die Zeit gekommen für einen Papst aus dem „Süden“, andere glauben, dass nur ein Italiener die Kurie reformieren kann. 

Eigendynamik beim Konklave

Das Rennen ist offen am Tag nach der Rücktrittsankündigung Benedikts XVI. In den Wettbüros werden schon Namen gehandelt. Doch Vorsicht ist geboten. Ein altes römisches Sprichwort besagt, wer als Papst(-favorit) ins Konklave einzieht, kommt meist als Kardinal wieder heraus. Die Zeit der Sedisvakanz und ein Konklave entwickeln durchaus eine eigene Dynamik. Selbstverständlich hat hinter den Kulissen bereits das Ringen begonnen, doch wer am Ende das Rennen macht, ist noch unklar.

Entscheidend wird sein, welche Probleme der Kirche die Kardinäle als die zentralen Fragen für die Zukunft sehen. Geht es vor allem darum, die römische Kurie, also die Verwaltung zu reformieren? Dann könnte ein Italiener große Chancen haben. Die letzten beiden Pontifikate haben gezeigt, dass ein Nichtitaliener die doch sehr von Italienern dominierte Kurie nur schwer in den Griff bekommt. Doch die Kandidaten unter den Italienern sind rar.

Mögliche Kandidaten

Oft genannt wird der Mailänder Erzbischof Kardinal Angelo Scola. Der 71-Jährige ist ein enger Vertrauter Benedikts XVI. und wurde aufgrund seiner großen Nähe zum scheidenden Pontifex mehrfach als Kronprinz bezeichnet. Die Einrichtung eines eigenen Ministeriums für Neuevangelisierung im Vatikan durch Benedikt XVI. geht auf eine Idee Scolas zurück.

Auch der vatikanische Kulturminister Gianfranco Ravasi (69) gilt als möglicher Anwärter. Er entwickelte zahlreiche Initiativen zum Dialog mit der säkularen Welt; ein Gebot der Stunde für die katholische Kirche. Manchen Kardinälen ist der quirlige Italiener allerdings etwas zu umtriebig.

Die Nicht-Italiener

Soll mit der Wahl vor allem die Weltkirche gestärkt werden, dann könnte durchaus ein nichteuropäischer Kandidat zum Zuge kommen. Weit mehr als die Hälfte der Katholiken leben heute in Lateinamerika, Afrika und Asien. Auch wenn in Fernost und auf dem schwarzen Kontinent die Katholikenzahlen steigen, steht die Kirche im Süden vor großen Herausforderungen: Freikirchen und evangelikale Gruppierungen, die Auseinandersetzung mit aggressiven Kräften im Islam und die Verschärfung der sozialen Gegensätze angesichts der Globalisierung sind nur einige Stichworte.

Mit am nächsten steht dem noch amtierenden Papst der Erzbischof von Sao Paolo, Kardinal Odilo Scherer. Der 63-Jährige hat deutsche Wurzeln und ist Mitglied in vielen wichtigen Vatikangremien. Als möglicher Kandidat gehandelt wird auch der ghanaische Kardinal Peter Turkson (64).

Ein interessanter Kandidat ist auch Kardinal Leonardo Sandri. Der 69-jährige Argentinier hat italienische Wurzeln. Er ist Chef der mächtigen vatikanischen Ostkirchenkongregation. Davor war er unter Johannes Paul II. vatikanischer Innenminister. Ob er aber als Kurialer den Willen zu notwendigen Reformen in der Zentrale mitbringt, ist ungewiss.

Das gilt auch für den Chef der Bischofskongregation, Kardinal Marc Quellet. Über den Schreibtisch des 68-jährigen Kanadiers liefen in den letzten Jahren fast alle Bischofsernennungen weltweit. Er arbeitete unter Kardinal Kasper im Ökumene-Ministerium und sammelte als Erzbischof von Quebec pastorale Erfahrung. Quellet und Sandri dürften auch das richtige Alter haben. Denn der Rücktritt Benedikts XVI. zeigt, das Amt fordert Kraft. Daher dürfte der neue Papst in einem Alter sein, dass zwischen den Extremen der letzten beiden Päpste liegt: Johannes Paul II. war bei seiner Wahl 58, Benedikt XVI. 78 Jahre alt.

Überraschend bis zum Schluss

Das war ein Paukenschlag heute Nachmittag um 12 Uhr. Papst Benedikt XVI. tritt zurück. Was niemand richtig wahr haben wollte in den letzten Wochen, ist zur Gewissheit geworden. Der Terminkalender war weitestgehend weiß für dieses Jahr. Jetzt füllt er sich: im März ein Konklave; danach ein neuer Papst, auf den nun viele gespannt warten. Schon wird eifrig über mögliche Nachfolger spekuliert. Doch bis zum 28. Februar bleibt zunächst noch Zeit, auf das zu Ende gehende Pontifikat zurückzuschauen.

Benedikt XVI. gibt am 28. Februar 2013 sein Amt auf. (dpa)

„Wir sind Papst“ titelte am 19. April 2005 die BILD. „Oh mein Gott“ auf schwarzem Hintergrund lautete die Schlagzeile der TAZ . Euphorischer Jubel – und Entsetzen. Schon 2005 bei der Wahl Papst Benedikts XVI. zeigte sich, dass der neue Papst in seinem Heimatland polarisiert. Während die einen hofften, dass Joseph Ratzinger als Papst Reformen anpackt; befürchteten die anderen dass er seine konservative Linie fortsetzt.

Am Tag des Rücktritts standen heute allerdings zunächst einmal die positiven Seiten Benedikts im Vordergrund. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz würdigte Benedikt XVI. als wahren „Pontifex – Brückenbauer“: „Er wollte Brücken bauen zwischen Glaube und Vernunft, Brücken hin zu Gott, Brücken zwischen Konfessionen und Religionen, um so dem Frieden der Welt den Weg zu bereiten und dem Reich Gottes Wachstum zu schenken.“

An einem für Deutschland sehr wichtigen Punkt, der Ökumene, hat das Brückenbauen nicht so geklappt. Hier gab es große Hoffnungen, dass es mit einem Papst aus dem Land der Reformation zu sichtbaren Fortschritten kommen werde. Diese Erwartungen wurden enttäuscht. Benedikt XVI. wollte nicht ein deutscher Pontifex sein, sondern ein Papst für die gesamte Kirche. Seine Ziele: Das katholische Profil schärfen, Verkündigung statt Politik und die Einheit der Kirche – dafür hat er sich den traditionalistischen Piusbrüdern angenähert. Dieser Aussöhnungsversuch hat viele Katholiken verunsichert, denn sie befürchteten, dass Benedikt XVI. hinter die Reformen des II. Vatikanischen Konzils zurückgehen möchte. Sein Versuch, die Gegenwart mit der Geschichte zu versöhnen, war ein gewagtes Unterfangen.

Trotz vieler Schwierigkeiten, Benedikt XVI. genießt durchaus Ansehen auch außerhalb der katholischen Kirche. Er gilt als Intellektueller, sucht das Gespräch mit anderen Religionen und der säkularen Welt. Für Deutschland, so das Fazit heute, war dieser Papst trotz aller Spannungen von großer Relevanz. Bundespräsident Joachim Gauck erklärte: „Für uns Deutsche hat dieser Papst eine besondere Bedeutung. Denn dass ein Deutscher die Nachfolge von Johannes Paul II. antrat, war von historischer Bedeutung für unser Land.“

Historisch – war nicht nur der Anfang, sondern ist auch das Ende des Pontifikats. Künftig wird kein Papst mehr unter dem Druck stehen, der erste seit langer Zeit zu sein, der zu Lebzeiten aus dem Amt scheidet. Ein revolutionärer Akt für die katholische Kirche, den Benedikt XVI. hier vollzieht, vielleicht der revolutionärste seines Pontifikats. Mit seinem Rücktritt hat Benedikt XVI. unter Umständen etwas angestoßen, dessen Tragweite heute noch längst nicht abzusehen ist.