„Vergelt’s Gott“
Das war’s. Keine 24 Stunden bleiben Papst Benedikt XVI. mehr im Amt. Bei der Generalaudienz heute Morgen wirkte er gelöst. Dass ihm die Entscheidung nicht leicht gefallen ist und er sich der Bedeutung des Schritts sehr bewusst sei, hat er noch einmal ausdrücklich betont. Aber Joseph Ratzinger scheint mit sich (und Gott) im Reinen zu sein. Ganz im Gegensatz zu manchen Kardinälen. Noch immer gibt es eine ganze Reihe kritischer Stimmen unter den Purpurträgern. Mehr oder weniger offen werden theologische, aber auch ganz praktische Bedenken vorgebracht. Der australische Kardinal George Pell etwa sieht in Benedikts Entscheidung einen „besorgniserregenden Präzedenzfall“. Er sieht die Gefahr, dass sich künftig Päpste verstärkt mit Rücktrittsforderungen konfrontiert sehen könnten, wenn sie strittige Entscheidungen treffen oder es zu Krisen käme.
Allerdings beachtet Pell nicht, dass Benedikt XVI. nicht wegen irgendwelcher Krisen zurückgetreten ist, sondern aufgrund seines Alters. Wer heute die Generalaudienz aufmerksam mitverfolgte, musste erkennen, dass der scheidende Pontifex bereits bei der spanischen Ansprache – also nach rund einer Stunde Dauer der Veranstaltung – schon mit leiserer Stimme sprach. Joseph Ratzinger geht, weil ihm die Kräfte fehlen, das Amt so auszuüben, wie er es für notwendig hält. Das schließt nicht aus, dass die Hintergründe des Vatileaksskandals eine Rolle bei seiner Entscheidungsfindung gespielt haben. Benedikt hat eingesehen, dass es mehr Kraft braucht, im Vatikan Veränderungen herbeizuführen, als ihm mit nun fast 86 Jahren zur Verfügung stehen.
Pell übersieht übrigens auch, dass Benedikt XVI. ganz klar in seinem Interviewbuch mit Peter Seewald im November 2011 sagte, dass gerade in der Krise an einen Rücktritt nicht zu denken sei: „Zurücktreten kann man in einer friedlichen Minute, oder wenn man einfach nicht mehr kann. Aber man darf nicht in der Gefahr davonlaufen und sagen, es soll ein anderer machen.“ Künftige Papstkritiker können sich bei möglichen Rücktrittsforderungen also nicht auf Benedikt XVI. berufen.
Die Äußerungen Pells und anderer Bedenkenträger zeigen, dass die Kardinäle durchaus Gesprächsbedarf haben und zwar aus ganz unterschiedlichen Gründen. Eine überstürzte Papstwahl dient niemandem; höchsten denen, die am Status Quo nichts ändern möchten und Angst um ihre Pfründe haben. Es wäre zu wünschen, dass ab Montag in Rom ein ähnlicher Effekt eintritt, wie es ihn zu Beginn des II. Vatikanischen Konzils gegeben hat. Das 50-Jahr-Jubiläum wurde ja gerade vor wenigen Wochen im Oktober gefeiert. 1962 dachten die Kurienvertreter, sie könnten ihre Vorstellungen mit ihren vorbereiteten Papieren und Personallisten schnell durchsetzen und das von vielen Kurialen sowieso nicht sehr geliebte Konzil schnell über die Bühne bekommen. Aber schon in den ersten Sitzungen durchkreuzten selbstbewusste Diözesanbischöfe aus der ganzen Welt ihre Pläne, allen voran der Kölner Erzbischof Kardinal Joseph Frings. Der forderte eine offene Debatte über Themen und Personen. Die Vertreter der Weltkirche traten selbstbewusst auf und ermöglichten so eine offene und kontroverse Debatte. Bleibt zu hoffen, dass der Konzilsgeist kräftig weht, wenn die Kardinäle sich ab nächster Woche zu ihren Beratungen in Rom treffen.