Versöhnlicher Abschluss
Zum Schluss lachte dann doch die Sonne über Rio. Nach den Regentagen während der Woche, hatte Petrus mit den Teilnehmern des Weltjugendtages dann doch noch ein Einsehen. Das stimmte viele Jugendliche versöhnlich zum Abschluss des 28. Katholischen Weltjugendtags am Zuckerhut. Die Messe mit Strandparty mit dem Papst am Ende der Tage von Rio ließ die Strapazen der vergangenen Tage vergessen machen. Die Organisatoren hätten sicher gut daran getan, von Anfang an die Copacabana als zentralen Ort für alle Großveranstaltungen in den Blick zu nehmen. Das hätte Kosten gespart, die für die Vorbereitung des Campus Fidei, des großen Feldes vor den Toren Rios, das wegen des Regens jetzt nicht genutzt werden konnte, entstanden sind. Irgendwo habe ich die Zahl von acht Millionen Euro aufgeschnappt. Das hätte aber auch die Chance geboten, ein gutes Sicherheitskonzept zu erarbeiten.
Einige deutsche Jugendliche haben sich gestern Abend nicht zur Copacabana getraut. In der Gruppe aus dem Bistum Essen, die wir für einen Beitrag in der Sendung „sonntags“ diese Woche begleitet haben, waren einige vor drei Jahren bei der Loveparade in Duisburg dabei. Diese Erfahrung wirkt nach. Und in der Tat berichteten Teilnehmer der Vigil, dass auf dem Strandstreifen die Jugendlichen am Abend teilweise sehr gedrängt standen und es eigentlich keine Rettungswege gab. Alles ist gut gegangen. Aber warum haben sich die Veranstalter nicht von Anfang an darauf konzentriert? Dem Vernehmen nach gab es unterschiedliche Gründe. Die Stadt wollte keine Übernachtung an der Copacabana; die Veranstalter wollten das Element des Pilgerwegs nicht aufgeben. Zum Campus Fidei hätten die Jugendlichen allerdings rund 15 Kilometer zu Fuß gehen müssen. Das wäre bei idealem Wetter sicher für viele nicht machbar gewesen. Denn selbst die brasilianische Wintersonne, wie sie heute Morgen über der Copacabana steht, ist stark und intensiv. Da wären sicher einige auf der Strecke geblieben zwischen Rio und Campus Fidei. So war es vielleicht eine Fügung des Schicksals, dass am Ende doch alles in der Stadt stattfand. Man darf gespannt sein, welche Lehren Krakau als nächster Austragungsort 2016 aus Rio ziehen wird. Auch was die zentralen Veranstaltungen betrifft. Sie waren schön anzuschauen und gut inszeniert. Doch etwa bei der Vigil oder dem Kreuzweg waren die Millionen am Strand eigentlich nur zum Zuschauen verdammt. Gemeinsame Gebete und Gesänge gab es fast nur im Vor- und Nachprogramm. Das kam nicht bei allen gut an.
Bei den Jugendlichen fällt die Bilanz des WJT dennoch positiv aus. Es war seit langer Zeit wieder ein WJT in einem „Land des Südens“. Die letzten Veranstaltungen fanden alle in Europa (Rom, Köln, Madrid) oder einer anderen Industrienation statt (Sydney, Toronto). Zwar waren in Rio viele erfahrene WJT-Pilger dabei, die bereits an mehreren WJTs teilgenommen hatten; aber Rio war anders als die früheren Events – zumindest für die, die sich auch der konkreten Situation gestellt haben, etwa durch Besuche in Favelas oder im Rahmen der so genannten Missionswoche, in der viele Jugendliche vor den Tagen in Rio in ganz Brasilien verstreut waren und in Gastfamilien gelebt oder an Sozialprojekten mitgewirkt hatten. Unsere Protagonistin in dem Beitrag für „sonntags“ ist sich sicher, dass sie aus Rio verändert nach Hause fährt. Von daher wird dieser WJT sicher für viele ein ganz besonderes Erlebnis bleiben. Und es bleibt zu hoffen, dass er nachwirkt.
Nachwirken wird er sicherlich innerkirchlich. Papst Franziskus hat hier in Rio einige Pflöcke eingerammt, die auf Zukunft hin wegweisend sein werden und auch weit über Brasilien und Lateinamerika hinaus wirken werden. Angefangen von dem Wunsch nach Durcheinander beim Treffen mit den argentinischen Jugendlichen, über die klaren Ansagen beim Treffen mit den Bischöfen Brasiliens bis hin zur Begegnung mit Vertretern des CELAM, dem Zusammenschluss der Bischofskonferenzen Lateinamerikas und der Karibik. Dieses Treffen wurde eigens auf Wunsch von Franziskus am Sonntagmittag noch ins Programm aufgenommen. Dabei wurde der Pontifex noch einmal ähnlich deutlich wie schon am Tag zuvor gegenüber den brasilianischen Bischöfen. Während der ganzen Reise wurde deutlich, dass die CELAM-Konferenz von 2007 in Aparecida und das Schlussdokument für Franziskus theologisch und kirchlich das Zentrum sind. Er wurde nicht müde, Aparecida zu zitieren. Es lohnt also wirklich, das Papier zu lesen. Heute Mittag ging es beim Treffen mit den CELAM-Vertretern wieder ans Eingemachte: „Sorgen wir dafür, dass unsere Arbeit und die unserer Priester mehr pastoral als administrativ ist? Wer ist der hauptsächliche Nutznießer der kirchlichen Arbeit: die Kirche als Organisation oder das Volk Gottes in seiner Ganzheit?“ Oder zum Thema Mitbestimmung: „Ist es für uns ein übliches Kriterium, unser Urteil in der Pastoral auf den Ratschlag der Diözesanräte zu stützen? Sind diese Räte und jene auf Pfarreiebene für die Pastoral und die wirtschaftlichen Angelegenheiten wirkliche Räume für die Teilnahme der Laien an der Beratung, der Organisation und der pastoralen Planung? Das gute Funktionieren der Räte ist entscheidend. Ich glaube, dass wir darin noch sehr im Rückstand sind.“
Franziskus warnte wieder vor einer Klerikalisierung; aber aufgepasst: Er meint damit (auch oder in erster Linie, das gälte es noch zu klären) eine Klerikalisierung der Laien, die er in der Vergangenheit schon mehrfach scharf kritisiert hatte: „Der Klerikalismus ist ebenfalls eine sehr aktuelle Versuchung in Lateinamerika. Seltsamerweise handelt es sich in der Mehrheit der Fälle um eine sündige Komplizenschaft: Der Pfarrer klerikalisiert, und der Laie bittet ihn höflich, ihn zu klerikalisieren, weil es sich im Grunde für ihn als bequemer erweist. Das Phänomen des Klerikalismus erklärt weithin den Mangel an Reife und christlicher Freiheit in einem großen Teil des lateinamerikanischen Laientums. Entweder wächst es nicht (in der Mehrheit der Fälle) oder es kauert sich unter den Schutz von Ideologisierungen, wie wir sie schon gesehen haben, bzw. richtet sich in begrenzten Teilzugehörigkeiten ein. Es gibt in unseren Ländern eine Form von Freiheit der Laien durch Erfahrungen auf der Ebene des Volkes: der Katholik als Volk. Hier ist eine größere, im Allgemeinen gesunde Autonomie zu beobachten, die grundsätzlich in der Volksfrömmigkeit ihren Ausdruck findet. Das Kapitel des Dokuments von Aparecida über die Volksfrömmigkeit beschreibt diese Dimension gründlich. Der Entwurf der Bibelgruppen, der kirchlichen Basisgemeinden und der Pastoralräte geht in die Richtung der Überwindung des Klerikalismus und eines Anwachsens der Verantwortung der Laien.“
Es steckt viel drin in der Papstreise nach Brasilien. Wir sitzen hier am Flughafen und warten auf den Rückflug. Daher hier für heute Schluss. Doch Rio wird nachwirken. Mehr nach der Rückkehr nach Rom. Statt Papst-Live-Übertragung und WLAN gibt es hier Fußball und zu wenige Stühle für die mitgereisten Journalisten. Für viele – gerade die Kollegen der Agenturen – kein schönes Ende dieser ersten Auslandsreise von Papst Franziskus.