Papst an der Seite der Arbeiter
Während in Deutschland am Wochenende alle mit der Bundestagswahl beschäftigt waren, hat Papst Franziskus fast unbemerkt einige interessante Akzente gesetzt. Bei seinem eintägigen Besuch auf der Mittelmeerinsel Sardinien geißelte er mit seinen gewohnt scharfen Worten das aktuelle Weltwirtschaftssystem, machte zugleich aber deutlich, dass die Menschen nicht lamentieren sollten, sondern sich vielmehr engagiert für eine bessere Zukunft und eine gerechtere Welt einsetzen sollten. Am Tag zuvor hatte er wichtige Personalentscheidungen getroffen, die auch Deutschland betreffen: Erzbischof Müller wurde in seinem Amt als Chef der vatikanischen Glaubenskongregation bestätigt und es gibt einen neuen Nuntius in Deutschland: Erzbischof Eterovic.
Bei seinem Besuch auf Sardinien setzte Franziskus einmal mehr Zeichen. Die erste Begegnung galt Arbeitern und Arbeitnehmern. Auf Sardinien liegt die Arbeitslosenquote mit gut 19 Prozent weit über dem italienischen Durchschnitt. Für Franziskus ist der Schuldige ausgemacht: das aktuelle Weltwirtschaftssystem, das nicht den Menschen in den Mittelpunkt stellt, sondern den Götzen „Geld“. Franziskus kritisierte, dass heute das Geld regiere. “Arbeit, Arbeit, Arbeit. Das ist das Gebet, dass ihr schreit und es ist ein notwendiges Gebet.“ „Wo keine Arbeit ist, ist keine Würde!“ Applaus und Tränen bei den Menschen, die Franziskus begeistert empfangen hatten. Der sprach erneut von der „Kultur des Abfalls“. Sowohl die Alten wie auch die Jungen würden wie Abfall behandelt. „Und wir müssen ‚Nein‘ sagen zu dieser ‚Kultur des Abfalls‘. Wir müssen sagen: ‚Wir wollen ein gerechtes System! Ein System, das uns alle voranbringt.‘ Wir müssen sagen: ‘Wir wollen dieses Weltwirtschaftssystem nicht, das so viel Übel anrichtet. Im Zentrum müssen Mann und Frau stehen, wie Gott es will und nicht das Geld.‘“
Franziskus sprach frei, mit lauter Stimme. Er traf den Nerv der Menschen; machte Mut. Wenn man sieht, wie dieser Papst mit Massen umgeht, etwa auch am späten Nachmittag bei der Begegnung mit Jugendlichen, die er eindringlich aufforderte, an einer gerechteren und besseren Welt mitzubauen – „Wer wenn nicht ihr soll das tun?“ fragte er sie. Wenn man dies sieht und daran denkt, welchen Erfolg seine weltweite Gebetsinitiative für Syrien hatte, mag man sich gar nicht vorstellen, wenn er eine vergleichbare Aktion für mehr soziale Gerechtigkeit und eine sozialere Wirtschaftsordnung starten würde. Das könnte unangenehm werden für so manche Vertreter aus Wirtschaft und Politik. Doch der Ansatz von Franziskus ist es (bisher) nicht, im sozialpolitischen Bereich Massen zu mobilisieren. Hier richtet sich sein Appell an den Einzelnen – Arbeitnehmer wie Arbeitgeber sowie Politiker, das rechte und vor allem gerechte Maß nicht aus den Augen zu verlieren.
Das Programm auf Sardinien war ein Mammutprogramm. Sechs große Reden. Das kann hier gar nicht alles im Einzelnen aufgeführt werden. Franziskus sieht gegenwärtig die Welt in einer der größten Krisen seit mindestens vier Jahrhunderten angesichts der fundamentalen Unsicherheiten, in denen sich die Menschen vorfänden. Franziskus nannte als Beispiele dafür unter anderen die Bedrohung der Umwelt, die sozialen Verwerfungen, die schreckliche Macht der Waffen sowie das bereits benannte Wirtschaftssystem. Angesichts dieser Situation dürfte allerdings nicht Resignation die Oberhand gewinnen; vielmehr wollte Franziskus wachrütteln, Mut machen, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, nicht zu verzagen. Für Franziskus, als Oberhaupt der katholischen Kirche, liegt die Kraft dafür im christlichen Glauben. Solidarität und die Sorge um den Nächsten sind für ihn dabei Schlüsselworte. Die Reden von Sardinien lohnen die Lektüre; sie sind hoffentlich auch bald in Übersetzung vorhanden.
Am Samstag hat Papst Franziskus einige personelle Weichen gestellt. Die wichtigste ist wohl die Bestätigung des Chefs der Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard-Ludwig Müller. Zwar hatte der ehemalige Regensburger Bischof in den vergangenen Monaten immer wieder durchblicken lassen, dass er sich als gesetzt sah; doch so ganz sicher wollten zumindest Beobachter da nicht sein. Denn es fällt doch immer wieder auf, dass Papst und Müller bisweilen eine unterschiedliche Sprache zu sprechen scheinen. Franziskus spricht als Seelsorger, Müller spricht als Theologe. Franziskus „verweist“ das Thema wiederverheiratet Geschiedene an die K8-Gruppe und die nächste Bischofssynode; Müller schlägt in einem Artikel der konservativen katholischen Tageszeitung „Tagespost“ im Sommer die Tür zu. Franziskus schickt Kardinal Giovanni Lajolo zu einem „brüderlichen Besuch“ nach Limburg, um den Streit zu schlichten. Die Ergebnisse des Besuchs lassen darauf schließen, dass auch der Bischof dort nicht frei von Fehlern ist. Müller gibt – wieder in der „Tagespost“ – ein Interview und spricht von einer „Kampagne“ und „einem sich selbst tragenden Lügengebäude“. Kritisiert die vom päpstlichen Gesandten erarbeiteten Lösungsansatz, die Finanzen rund um den Bau des Diözesanzentrums in Limburg von einer Kommission der Bischofskonferenz prüfen zu lassen. Neben der Unterschiede gibt es aber auch Gemeinsamkeiten zwischen Franziskus und Müller – dazu gehört nicht zuletzt die Leidenschaft für die Armen in Lateinamerika. Müllers lange Freundschaft zum Vater der Befreiungstheologie, Gustavo Gutierrez, und dessen Theologie der klaren Option für die Armen dürfte dem Papst sehr sympathisch sein. Mit dem etwas ungleichen Paar „Müller – Franziskus“ wird es spannend bei Fragen von Lehre und Disziplin.
Interessant sind auch einige andere Personalien. Während Papst Franziskus die Spitze der Glaubenskongregation und der Missionskongregation in ihren Ämtern bestätigte, wechselte er den Chef der Kleruskongregation aus. Kardinal Mauro Piacenza wird Großpönitentiar, eine Aufgabe mit eher weniger exekutiver Macht. Piacenzas Ablösung war erwartet worden. Das Priesterbild des 69-Jährigen dürfte nicht so ganz dem des neuen Papstes entsprechen. Piacenza, der den Zölibat stets als wesensmäßig zum Priesteramt gehörig verteidigte, legte großen Wert auf Fragen von Kult und Frömmigkeit. Nicht dass Franziskus diese beiden Aspekte nicht auch wichtig fände; doch sein Akzent liegt beim Priester, der den „Geruch der Schafe“ annehmen soll, etwas anders. Piacenza war bis 2010 zweiter Mann in der Kleruskongregation hinter Kardinal Claudio Hummes. Das Verhältnis war nicht frei von Spannungen; Hummes gehört zu den engsten Vertrauten von Papst Franziskus.
Neuer Chef der Kleruskongregation wird Beniamino Stella. Der 72-jährige Italiener leitete bisher die Diplomatenakademie des Heiligen Stuhls. Zuvor war er u.a. Nuntius in Kuba (1992-1999) und Kolumbien (1999-2007). 15 Jahre Lateinamerika, dazu mehrjährige Aufenthalte in Afrika – auch hier dürfte es spannend werden, wie er das Priesterbild fortan prägen wird.
Schließlich der neue Nuntius in Deutschland: Nikola Eterovic. Eine Personalie mit zwei Seiten. Einerseits regelt Papst Franziskus damit den Botschafterposten in Berlin neu, bevor wichtige Personalentscheidungen anstehen. Der amtierende Nuntius, Jean-Claude Périsset wäre im April 75 Jahre alt geworden und hätte damit seinen Amtsverzicht einreichen müssen. Doch damit wäre ein Wechsel mitten in die Nachfolgesuche unter anderem für Köln, Freiburg und Hamburg gekommen. Hier kann der neue Nuntius, der bereits von 1999-2004 Nuntius in der Ukraine war, nun gleich richtig loslegen.
Mit entscheidend für den Zeitpunkt der Ernennung dürfte für Papst Franziskus aber auch gewesen sein, dass er sich für Eterovics alten Posten einen neuen Mann wünschte als Generalsekretär der Bischofssynode. Diesen Posten übernimmt Lorenzo Baldisseri, dem Vernehmen nach ein Vertrauter des Papstes. Baldisseri ist ebenfalls Diplomat und war auf Posten in Lateinamerika, Afrika und Asien. Zuletzt war er zweiter Mann in der Bischofskongregation und Sekretär im Konklave. Nach seiner Wahl zum Papst setzt Jorge Mario Bergoglio dem 73-Jährigen seinen roten Pileolus (Scheitelkäppchen) auf; d.h. Baldisseri kann davon ausgehen, dass er beim nächsten Konsistorium zur Kreierung neuer Kardinäle in den Senat der Kirche aufgenommen wird. Dem Italiener traut der Papst offensichtlich auch zu, die Bischofssynode dahingehen zu reformieren, dass sie in seinem Sinne zu einem echten Beratungsgremium für den Papst wird. Im Interview der vergangenen Woche hatte Franziskus ja angekündigt, dass er das wünscht und die Synoden nicht so „starr“ gestaltet werden sollen. Die nächste Synode ist im Oktober 2015. Bis dahin ist noch etwas Zeit, um die richtige Form zu finden und Reformen einzuleiten.
P.S. In Fulda beginnt ja heute die Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz. Dazu mehr im Verlauf der Woche.