Politik bei Missbrauchsaufarbeitung gefordert

Die Deutsche Bischofskonferenz stellt den Bereich „sexueller Missbrauch und Gewalterfahrung“ neu auf. Künftig soll es einen unabhängigen Expertenrat geben, der das Monitoring der Arbeit der Bistümer und der Bischofskonferenz bei Aufarbeitung und Prävention übernehmen soll. Die Bischöfe sind dazu an die Politik herangetreten, weil etwa die Auswahl der Expertinnen und Experten unabhängig von der Kirche erfolgen soll. Doch bisher habe die Politik eher zurückhaltend reagiert, so Bischof Helmut Dieser, bei der Vorstellung des neuen Konzepts am Rande der Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz. Dennoch soll der Rat zum 1. Januar 2024 seine Arbeit aufnehmen.

Bischof Helmut Dieser (2.v.r.) und Erzbischof Stephan Burger (3.v.r.) bei der Vorstellung des neuen Konzepts in Dresden. (Quelle: Erbacher)

Expertenrat für Monitoring

Vertreter aus der Politik kritisierten oft, dass die Kirche die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in ihren Reihen allein nicht leisten könne und forderten eine unabhängige Aufarbeitung. Doch zugleich stoße er in den Gesprächen in Berlin auf große Zurückhaltung, wenn es darum gehe, dass die Politik dann auch konkret handle, erklärt Bischof Helmut Dieser. Der Aachener Bischof ist Vorsitzender der Bischöflichen Fachgruppe für Fragen des sexuellen Missbrauchs und von Gewalterfahrung. Zusammen mit seinem Stellvertreter, Erzbischof Stephan Burger aus Freiburg, habe er seit ihrer Ernennung im Herbst viele Gespräche in Berlin geführt etwa mit religionspolitischen Sprechern der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien und der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Kerstin Claus.

Die UBSKM habe zwar die Unterstützung zugesagt bei der Suche nach Mitgliedern für den Unabhängigen Expertenrat, doch von anderen politischen Playern gibt es offenbar noch keine entsprechenden Signale. Dabei wollen die Bischöfe explizit keine kirchliche Beteiligung bei der Auswahl. Bischof Dieser erklärte, die Kirche habe gelernt, dass es eine unabhängige Instanz brauche, die die Arbeit mit Blick auf Prävention und Aufarbeitung bewerte. Nur so könne am Ende Glaubwürdigkeit gewonnen werden. Der Expertenrat, in dem neben zwei Betroffenen, die Bereiche Recht, Medizin, Psychologie, Soziologie und Kriminalistik vertreten sein sollen, hat als Aufgabe vor allem das Monitoring der Arbeit in den Bistümern und auf der Ebene der Bischofskonferenz. Stellt er Fehler bei Verfahren fest, sollen diese öffentlich benannt werden. Daneben soll der Expertenrat mit staatlichen Stellen zusammenarbeiten.

Thema Missbrauch als Querschnittsaufgabe

Bei der Frühjahrsvollversammlung haben die Bischöfe auch die Mitglieder der bischöflichen Fachgruppe für Fragen des sexualisierten Missbrauchs und von Gewalterfahrungen benannt. Hier sind die wichtigsten Fachkommissionen der Bischofskonferenz künftig vertreten, die von dem Themenfeld betroffen sind. Die Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste ist durch den Vorsitzenden Bischof Michael Gerber vertreten, die Pastoralkommission durch Bischof Peter Kohlgraf, die Jugendkommission durch Bischof Stefan Oster. Zudem gehören der Fachgruppe Bischof Heinrich Timmerevers an, der sich zuletzt stark mit dem Thema geistlicher Missbrauch befasst hat, sowie Bischof Franz Jung als Vorsitzender des Verbandsrats des Verbands der Diözesen Deutschlands, dem Rechtsträger der Bischofskonferenz.

Damit ist das Thema Missbrauch stärker als Vorher in der Breite der Bischofskonferenz verankert. Laut Dieser sollen bei allen Veränderungen und der zukünftigen Arbeit die Betroffenen intensiv beteiligt werden. Deshalb sollen auch zwei Mitglieder des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz im Expertenrat mitarbeiten. Etwa ratlos schienen die Bischöfe, wie die Politik animiert werden kann, sich stärker in dem Kontext zu engagieren. Ohne die Mithilfe von dieser Seite, wird eine wirklich unabhängige Aufarbeitung nicht möglich sein. Das hat die katholische Kirche verstanden. Jetzt ist die Politik am Zug, konsequenter zu handeln und die Bischöfe auch konkret in die Pflicht zu nehmen.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

4 Kommentare

  • Erasmus
    03.03.2023, 3:35 Uhr.

    ENDLICH HAT DER DILETTANTISMUS EIN ENDE
    Ohne die Mithilfe der Politik „wird eine wirklich unabhängige Aufarbeitung nicht möglich sein. Das hat die katholische Kirche verstanden.“ (Erbacher)
    Um zu dieser Einsicht zu kommen, benötigte die Katholische Kirche Deutschlands 13 lange Jahre. Für wie viele Opfer kommt das zu spät, und wie viele Täter können nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden? Und wurde diese Einsicht dadurch befördert, dass Betroffene in Köln und Traunstein FESTSTELUNGSKLAGEN gegen die Kirche erhoben haben, ein Weg den viele weitere Geschädigte einschlagen könnten?
    Den Gutachter zu Kindesmissbrauch in der Erzdiözese München und Freising, Rechtsanwalt ULRICH WASTL, beschäftigt seit Jahren folgende Frage:
    „Was wäre gewesen, wenn die Kirche 2010 gesagt hätte, wir lassen den Staat eine Stiftung gründen, die wir mit ausreichend Geld ausstatten. Diese Stiftung hat die Aufgabe, Opfer zu entschädigen und den Missbrauch unabhängig aufzuarbeiten. Honorige Persönlichkeiten engagieren sich darin und garantieren, dass das umgesetzt wird. Hätte die Kirche das 2010 gemacht, stünde sie als der MORALISCHE LEUCHTTURM da.“ (SZ-Interview)
    Wie schade, dass diese einleuchtende Vorgehensmöglichkeit keinerlei Realisierungschance hatte. Wäre es nur um einfache Priester gegangen, hätte diese Option zumindest theoretisch bestanden. Aber nachdem es eine ganze Reihe von emeritierten und amtierenden Bischöfen gab, die sich als vertuschende Mitwisser und Mittäter schuldig gemacht hatten, musste Wastls Lösungsszenario FIKTION bleiben.
    Darüber hinaus stand im Jahr 2010 PAPST BENEDIKT XVI. an der Spitze der Katholischen Kirche, der von 1977 – 82 Münchner Erzbischof gewesen war, und dem das Münchner Gutachten vom Januar 2022 fünf konkrete Rechtsverstöße zur Last legt. Vor 13 Jahren amtierte Reinhard Marx als Nachnachfolger Josef Ratzingers als Erzbischof von München-Freising. Nachdem die Medien – bis hin zur New York Times – ihr besonderes Augenmerk auf mögliches FEHLVERHALTEN des früheren ERZBISCHOFS RATZINGER richteten, kann man sich gut vorstellen, dass die Drähte zwischen München und Rom heiß liefen. Im Gutachten lässt sich die Aussage von Ratzingers damaligem Generalvikar Gerhard Gruber nachlesen, dem damals aufgetragen wurde, zum SCHUTZ DES PAPSTES die alleinige Verantwortung zu übernehmen.
    Aktuelle Bagatellisierungen von klerikalem Missbrauch durch hohe kirchliche Amtsträger signalisieren, dass sich in der Katholischen Kirche nichts Grundlegendes verändert hat:
    Auf den GLANZ DER KIRCHE darf kein Schatten fallen, der unfehlbare Papst ist sakrosankt und klerikaler sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen wird vom Kirchenrecht nach wie vor als Verstoß gegen den Klerikerzölibat, also als ein reines SITTLICHKEITSDELIKT eingestuft. (CIC Can. 1395)

  • Wanda
    03.03.2023, 15:54 Uhr.

    Korrektur: bisher wies die Kirche die „Einmischung“ der weltlichen Gerichtsbarkeit in „ihre Belange“ immer zurück. Aber nun brennt der Rock auch in Münster und Mainz und, und, und…

  • Novalis
    05.03.2023, 8:11 Uhr.

    Und jetzt ist auch klar, wie sehr sich selbst ein Karl Lehmann verfehlt hat. Wenn das schon bei einer sonst authentisch christlichen und authentischen Person wie Lehmann so war – wie mag das erst bei jemandem wie Joseph Ratzinger oder Rudolf Graber gewesen sein?

  • Silvia
    09.03.2023, 19:35 Uhr.

    Dass die Politik sich einschaltet, ist schon lange überfällig.

    Es braucht ein von der Kirche unabhängiges, interdisziplinäres Expertenteam, das für alle Bistümmer dieselben einheitlichen Standarts zugrunde legt.

    Die bisherige Flickschusterei, wonach jedes Bistum entscheidet, ob und welche Anwaltskanzlei beauftragt wird oder ob man, wie in Essen, Soziologen beauftragt, ist unbefriedigend.

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