Papst in Irland: Aufarbeitung des Missbrauchs „um jeden Preis“

Papst Franziskus will eine Aufarbeitung des Missbrauchsskandals „um jeden Preis“. Das machte er zu Beginn seines Besuchs in Irland deutlich. Inspiriert durch eine offene und klare Rede des irischen Premierministers Leo Varadkar machte der Papst abweichend vom vorbereiteten Redetext noch einmal deutlich, dass er weltweit eine Verstärkung der Aufarbeitung wünscht, „um diese Geißel in der Kirche zu eliminieren“. Zuvor hatte er bereits festgestellt: „Das Versäumnis der kirchlichen Autoritäten – Bischöfe, Ordensobere, Priester und andere -, mit diesen abscheulichen Verbrechen angemessen umzugehen, hat zu Recht Empörung hervorgerufen und bleibt eine Ursache von Leid und Scham für die katholische Gemeinschaft.“ Er selbst teile das Gefühl, sagte er bei seiner ersten Rede in Irland vor Vertretern aus Politik, Gesellschaft und Diplomatischem Korps. Eine Bitte um Entschuldigung sprach er nicht aus und  ließ damit eine wichtige Gelegenheit verstreichen, um ein klares Signal zu setzen. Marie Collins, ein Opfer sexuellen Missbrauchs, die auch einige Zeit in der Päpstlichen Kinderschutzkommission mitarbeitete, sie dann aber unter Protest verliess, wertete die Papstansprache anschließend als „enttäuschend“. Der Papst habe „nichts Neues“ gesagt.

Papst Franziskus beim Treffen mit Vertretern aus Politik, Gesellschaft und Diplomatischem Korps. (Quelle: Erbacher)

Papst will mehr Engagement bei Aufarbeitung

Ob es klug war, den Brief von Benedikt XVI. an die Iren heranzuziehen, um die Entschlossenheit kirchlichen Handelns zu signalisieren, ist fraglich. Der Brief war seinerzeit in Teilen der irischen Bevölkerung auf scharfe Kritik gestoßen. Franziskus sprach dennoch vom „freimütigen und entschlossenen Eingreifen“ seines Vorgängers, das „weiterhin als Ansporn für die Bemühungen kirchlicher Verantwortungsträger [dient], die Fehler der Vergangenheit zu beheben und strenge Regeln zu erlassen, um sicherzustellen, dass sie sich nicht wiederholen“. Immerhin signalisiert Franziskus mit dieser Formulierung, dass noch mehr getan werden muss als bisher geschehen.

Ob ihm die Iren allerdings abnehmen, dass er die Ereignisse wirklich als „schweren Skandal“ versteht, wenn er später in der Rede an die Politiker feststellt, dass die Beziehungen zwischen Irland und dem Vatikan harmonisch seien „mit einer einzigen vorübergehenden Wolke am Horizont“, ist fraglich. Der Papst spielt dabei auf die Vorgänge der Jahre 2010 bis 2014 an, als Irland aus Protest über den Umgang des Vatikans mit dem Missbrauchsskandal seine Vatikanbotschaft in Rom auflöste und fortan nur noch mit einem nichtresidierenden Botschafter am Heiligen Stuhl vertreten war. Offiziell wurden Spargründe genannt, doch allen beteiligten war klar, dass die Differenzen rund um die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals der eigentliche Grund waren.

Die Kirche und das moderne Irland

Gleich mehrfach spielte der Papst bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in Irland auf das Thema Lebensschutz an. Erst vor wenigen Monaten hatten die Iren sich für eine Lockerung des Abtreibungsrechts ausgesprochen. Beobachter sehen in der breiten Zustimmung zu der Gesetzesänderung auch ein klares Signal der Iren an die katholische Kirche. Die hatte nach dem Missbrauchsskandal massiv an Vertrauen und Zustimmung verloren. Schon die große Zustimmung für die Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mit der Ehe im Mai 2015 wurde als Protest gegen die Kirche gewertet.

Ungewöhnlich, weil freundlich, aber bestimmt in Richtung des Gastes war die Rede des irischen Premierministers. Varadkar würdigte einerseits die großen Leistungen der katholischen Kirche im sozialen Bereich in Irlands Geschichte. Andererseits sprach er auch über die „dunklen Aspekte“ in der Kirchengeschichte und forderte den Papst mit Verweis auf den jüngsten Bericht über Missbrauch im US-Bundesstaat Pennsylvania auf, weltweit mehr für Aufklärung zu tun. Der Besuch in Irland soll nach Wunsch des Regierungschefs der Anfang eines neuen Kapitels in den Beziehungen zwischen Kirche und Staat sein. Hier werde die Kirche nicht mehr im Zentrum stehen, aber eine wichtige Rolle einnehmen, so Varadkar nach dem Treffen mit dem Papst in einem Tweet.

Mehr oder weniger direkt forderte der Regierungschef den Papst auf, sich der Moderne zu öffnen. Das Irland des 21. Jahrhunderts sei anders als das der Vergangenheit. „Irland ist ein anderes Land als vor 39 Jahren!“ Varadkar spielte damit auf den letzten Besuch eines Papstes in Irland an: 1979 war Johannes Paul II. auf der Grünen Insel. Man hätte es aber auch als Anspielung auf den ersten und bisher einzigen Besuch Bergoglios in Irland lesen, der Anfang der 1980er für einige Wochen hier Englisch lernte. Es zeichne sich heute durch eine wachsende Vielfalt aus; man habe die Gesetze modernisiert, so der Regierungschef in Anspielung auf die in den vergangenen Jahren durchgeführten Reformen im Bereich des Eherechts. Varadkar, der mit einem Mann zusammenlebt, sprach offen über neue Familienmodelle, scheiternde Ehen und die Selbstbestimmung der Frauen als gesellschaftliche Realität. Nichtsdestotrotz sei Irland ein Land mit Glauben, Geist und Werten.

Papst verurteilt Rassenhass

Man konnte durchaus den Eindruck bekommen, dass Franziskus die offene Art des irischen Premiers mochte. Der Papst ist bekannt dafür, dass er das offene Wort nicht scheut. Eine direkte Reaktion von Seiten des Vatikans gab es auf die Worte des Regierungschefs nicht. Neben dem Missbrauchsthema war in der Rede des Papstes an die Politik durchaus interessant, dass er eine ganze Reihe brisanter und aktueller gesellschaftspolitischer Themen ansprach – vom „Übel des Rassenhasses und der Fremdenfeindlichkeit“ über die Missachtung der Menschenwürde bis zur zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich. Er würdigte den Friedensprozess zwischen Irland und Nordirland und forderte dazu auf, „alle noch bestehenden Hindernisse zu überwinden und die Entstehung einer Zukunft in Eintracht, Versöhnung und gegenseitigem Verständnis zu fördern“.

Der Papst war zum Auftakt in Irland erneut deutlich in Bezug auf den Missbrauch; doch die Menschen, vor allem die Opfer, erwarten Taten; sie erwarten auch, dass der Papst auch endlich ein Wort dazu spricht, welche Verantwortung der Vatikan in der ganzen Sache hat.

P.S. Am Nachmittag traf Franziskus acht Opfer von Missbrauch. Das Gespräch in der Nuntiatur in Dublin dauerte nach Angaben des Vatikans 90 Minuten.

Autorenbild

Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

16 Kommentare

  • Silvia
    25.08.2018, 19:53 Uhr.

    Auf katholisch.de war gestern zu lesen, dass der Papst außer seinem kürzlich veröffentlichten Brief an die Gläubigen keine weiteren Maßnahmen zum Thema Missbrauch beabsichtige.

    Die Info stamme aus dem Vatikan, hieß es.

    • Jürgen Erbacher
      Jürgen Erbacher
      25.08.2018, 20:08 Uhr.

      Die Nachricht, auf die katholisch.de beruft, besagt lediglich, dass Franziskus kein weiteres Dokument mehr plant.Es gab nach dem Brief von Montag Gerüchte, er arbeite an einem umfassenden Dokument zum Thema Missbrauch. Das wurde aber dementiert. Worte gibt es ja genug, Taten sind gefordert.

    • Wanda
      26.08.2018, 16:49 Uhr.

      Traurig:
      – Heutige Überschrift der ARD-Homepage zum Irlandbesuch des Papstes „Beten gegen die offene Wunde“. Nun, da werden dem Christengott aber die Ohren klingeln…
      Und sonst ? Was ist eigentlich mit den Opfern und Tätern ? Spielen die überhaupt und konkret auch ein Rolle bei Franziskus ? Wie wär’s allmählich mal mit handfesten Massnahmen anstelle der ständig heruntergeleierten Schambekundungen ?
      Und die Hervorhebung ausgerechnet Joseph Ratzingers als beispielhaft, dem nachweislich devot-gehorsamen Erfüllungsgehilfen von JPII bei dessen Vertuschungs-/Unterdrückungspolitik in der Sache, wird in oa. Artikel zu Recht als „unglücklich“ hinterfragt.
      Mit anderen Worten: es schaut in der Amtskirche nach einem „weiter so“ aus.
      – Und was die Bemerkungen Franziskus´ zu Rassenhass und Fremdenfeindlichkeit angeht: da hätte er durchaus einen kritischen Bogen zum Thema des Missbrauchs nicht nur schlagen können sondern müssen: denn die so oft als kultur- bzw. brauchtums-üblich abgetanen gottestaatlich erlaubten Kinder-Ehen von muslimische Ankömmlingen sind nichts anderes und vergleichbar mit der klerikalen Kinderschändung.
      Dazu einige Zahlen nur aus Deutschland: allein bis einschl. Juli 2016 waren lt. Ausländer-Zentralregister insgesamt 1461 Minderjährge verheiratet, davon 361 „unter“ 14 Jahren. Über 50% stammen aus Syrien, der Rest aus Afghanistan und Irak, wo sie nach Scharia-Recht geschlossen wurden, aber auch aus röm.-kath.(!) Roma-Familien. Die Behörden der Bundesländer setzen übrigens die Dunkelziffer weit höher an.
      Genau da wäre ein klares Papstwort ohne Rücksicht auf den Dialog mit den hohen Vertretern des Islam dringend erforderlich! Friede, Freude, Eierkuchen sind es nicht wert, dass man dafür seine Ideale und Grundsätze verrät. Ausklammern und Verschweigen verkehrt sich nur ins Gegenteil, wie die Amtskirche nun erfährt: es ist der Verlust von Gläubigen.
      P.S. leider gibt es tatsächlich Richter (siehe Bamberg), welche diese gottesstaatlich sanktionierte Kinderschändung anerkennen. Unfassbar…

      • Novalis
        27.08.2018, 12:26 Uhr.

        „und vergleichbar mit der klerikalen Kinderschändung.
        Dazu einige Zahlen nur aus Deutschland: allein bis einschl. Juli 2016 waren lt. Ausländer-Zentralregister insgesamt 1461 Minderjährge verheiratet, davon 361 „unter“ 14 Jahren. Über 50% stammen aus Syrien, der Rest aus Afghanistan und Irak, wo sie nach Scharia-Recht geschlossen wurden, aber auch aus röm.-kath.(!) Roma-Familien.“
        Was die Romafamilien angeht: Eine kirchliche Ehe kann das nicht sein. Kein Pfarrer darf einer solchen Eheschließung assistieren (er braucht dazu vorher in Deutschland die Unterlagen einer standesamtlichen Heirat). Und wenn er es täte, wäre das eine Nichtehe. Hier ist bereits alles gesagt. Es wäre allerdings ein Zeichen (wenn auch wegen der staatlichen Gesetzgebung ein relativ sinnfreies), das Ehealter auf 18 bei beiden Geschlechter anzuheben.

        • Wanda
          29.08.2018, 2:08 Uhr.

          Ich bitte Sie, Novalis: seit wann ist das was ein Pfarrer darf oder nicht, ein Kriterium ?
          Wenn es danach ginge, müsste doch wohl jeder Pfarrer der sich des Missbrauchs schuldig machte, längst in den Laienstand zurückversetzt worden sein.
          Und wurden sie das ? Meines Wissens nicht…

          • Novalis
            30.08.2018, 12:12 Uhr.

            Ob Sie es glauben oder nicht: Wenn eine Ehe nicht protokollarisch korrekt aufgezeichnet wird, ist sie kirchlich nichtig. Es gehört zum Irrsinn, den die Amtskirche pflegt, dass solcherlei penibel eingehalten wird. Im Übrigen haben die Nazis auch protokollarisch ihre widerlichen Greueltaten aufgezeichnet, obwohl sie selbstredend nicht „erlaubt“ waren. Sie sehen: Das geht.

          • Novalis
            30.08.2018, 12:38 Uhr.

            Nachtrag: Der letzte große Fall in Regensburg (Riekofen) hatte eine staatliche Verurteilung und die von Ihnen angemahnte „Laisierung“ als Folge. Ich möchte also bitten, dass Sie sich umfassend informieren. SO pauschal wie Sie kann man das einfach nicht sagen (dass die Kirche dennoch skandalös schludrig und überhaupt nachsichtig mit Klerikern umgegangen ist, obwohl keine Nachsicht angebracht war, und das in einem Maße, für das das Wort „skandalös“ verharmlosend ist, ist zwischen uns beiden wohl nicht umstritten).

  • Novalis
    25.08.2018, 20:27 Uhr.

    Maciel – Johannes Paul II. – Ratzinger – Müller (Pell etc.). Wenn unser Franz sich undiplomatisch traut, die Schuldigen an Missbrauch, Vertuschung und der systematischen Grundierung des Missbrauch auch zu nennen, dann wäre viel getan. Und wenn dann auch noch die suspensio a divinis bei Ratzinger und Müller dazukäme, dann käme der Vatikan wieder in Reichweite einer Grundglaubwürdigkeit.

    • @ bernardo
      26.08.2018, 10:04 Uhr.

      Werden jetzt schon missliebige Päpste und Kardinäle auf eine Stufe mit bösartigen Kinderschändern (Maciel) gestellt?

      • Novalis
        27.08.2018, 12:30 Uhr.

        Es ist verharmlosend, jemanden als missliebig zu bezeichnen, der, wie JP2 oder Ratzinger, im Amt durch Nichtwissenwollen (JP2) Beihilfe zum Missbrauch geleistet hat (sogar Ratzinger hat bekannt, dass er sich an JP2 die Zähne ausgebissen hat – das sagt doch alles) oder schlicht – wie in der causa Murphy – mitvertuscht hat.

      • Wanda
        28.08.2018, 17:22 Uhr.

        Bernardo 26.08.10:04
        – die Genannten sind nicht „missliebig“ sondern an vorderster Front „mitschuldig“ geworden, weil (bitte beachten Sie die Vorwurf-Reihenfolge) diese an zuständiger und verantwortlicher Stelle in ihren hohen Positionen
        „gewusst“ und trotzdem verschwiegen, unterschlagen, vertuscht, die Täter geschützt- und somit letztlich weitere Opfer ermöglicht haben.
        Gewiss ein ungeheurer Vorwurf: nichtsdestoweniger berechtigt !

        • Novalis
          28.08.2018, 22:53 Uhr.

          Sehe ich auch so.

    • Maria
      26.08.2018, 13:35 Uhr.

      Dem kann ich nur zustimmen.
      Und noch eine Anmerkung zur fehlenden Bitte um Entschuldigung: diese Bitte verlangt den Opfern sehr viel ab. Denn darin steckt die Erwartung des Täters, seine Schuld los zu werden. Aber sind solche Taten entschuldbar?

    • Suarez
      27.08.2018, 14:00 Uhr.

      Dem kann man nur beschämt beipflichten.

  • Silberdistel
    25.08.2018, 22:57 Uhr.

    Erninnert an Roland Koch´s „Brutalstmögliche Aufklärung“, dem daraufhin ein „dröhnendes Schweigen“ folgte.

  • Silvia
    26.08.2018, 18:57 Uhr.

    Inzwischen gehen massive Beschuldigungen eines ehemaligen Nuntius gegen den Papst durch die Medien.

    Weiß die Moderation hierzu Genaueres?

Kommentare geschlossen

Dieser Beitrag kann nicht länger kommentiert werden.