Der Papst in Lateinamerika – Tag 6
Heute war Papst Franziskus als Seelsorger unterwegs. In Trujillo im Norden Perus wollte er den Opfern des Küsten-El-Ninos Trost spenden und mit einer Papamobilfahrt in einem der am schwersten betroffenen Gebiet der Stadt demonstrativ zeigen, dass auch ein Jahr nach dem Ereignis wenig für den Wiederaufbau getan wurde. Bei einem Gottesdienst mit rund 200.000 Menschen am Pazifikstrand erinnerte Franziskus besonders an die, „die ihre Häuser bis heute nicht aufbauen konnten“. Er fügte hinzu: „Auch deswegen wollte ich hier sein und mit euch beten.“ Er kritisierte bei dem Gottesdienst scharf „das organisierte Verbrechen mit seinen Auftragsmorden“, die er als „andere Unwetter“ bezeichnete. Am Nachmittag forderte er die Lateinamerikaner auf, gegen die „Plage“ der Frauenmorde zu kämpfen. „Und es sind unzählige Situationen von Gewalt, die hinter so vielen Mauern totgeschwiegen werden.“ Er forderte eine entsprechende Gesetzgebung und eine „Kultur der Ablehnung jeder Form von Gewalt“. Beim Treffen mit dem Klerus und Ordensleuten mahnte er diese zu Demut in ihrer Haltung und zur Einheit. Allerdings garnierte der sichtlich gut gelaunte Papst seine Botschaft mit einer Reihe Anekdoten und damit wirkte das Ganze nicht sehr streng.
Die Bedrohung des Meeres
Es bot sich eine beeindruckende Kulisse am Samstagmorgen am Pazifikstrand von Trujillo. Im Hintergrund rollten die Wellen an den Sandstrand, während Franziskus, mit Blick auf das weite Meer, den Gottesdienst feierte. Idylle, würde das Meer nicht die Menschen hier in ihrer Existenz bedrohen. Das natürliche Klimaphänomen „El Nino Costero“ ist in unregelmäßigen Abständen vor der südamerikanischen Pazifikküste zu beobachten. Außergewöhnlich hohe Meerestemperaturen im peruanischen Küstengebiet führen zu enormen Mengen verdunstenden Wassers. Die Folge: immer heftigere Regenfälle, die Flüsse über die Ufer treten lassen. Die letzte große Flutkatastrophe ereignete sich im März 2017. Insgesamt waren mehr als 1,1 Millionen Menschen von den Verwüstungen betroffen, die die Überschwemmungen und Schlammlawinen hinterließen. Viele Schäden sind noch nicht behoben. Als Papst Franziskus am Mittag durch das Stadtviertel Buenos Aires fuhr, versperrten an vielen Stellen Bretterwände den Blick auf die Baustellen. Trotzdem waren die unzähligen Häuserruinen gut zu erkennen.
Franziskus zeigte Verständnis, dass „diese erschütternden Ereignisse“ den „Geist und unsere Grundeinstellungen auf die Probe“ stellten. In diesen Situationen werde den Menschen aber bewusst, „wie wichtig es ist, nicht allein, sondern vereint und erfüllt zu sein in dieser Gemeinschaft, die eine Frucht des Heiligen Geistes ist“. Er rief die Menschen dazu auf, „die Seele ihrer Gemeinschaft“ weiter zu pflegen. Diese werde daran gemessen, „inwieweit sie in der Lage ist, in schwierigen und widrigen Momenten zusammenzustehen“. Zu den „anderen Unwettern“, die „wie die schlimmsten Erdrutsche das gegenseitige Vertrauen zerstören“ und „die Seele erschüttern“ zählte Franziskus neben der organisierten Kriminalität auch den Mangel an Bildungs- und Arbeitsplätzen und das Fehlen sicherer Unterkünfte.
Ein politischer Glaube
„Die Peruaner haben nicht das Recht, sich die Hoffnung rauben zu lassen“ rief er den Menschen zu. Der christliche Glaube gebe die Kraft, so Franziskus, damit sie das, was die Hoffnung raubt, „nicht einfach als normal akzeptieren“. Die Gemeinschaft der Glaubenden sei eine, „die hofft und deshalb dafür kämpft, die vielfältigen Widrigkeiten abzuwehren und zu verwandeln“. Es geht hier also nicht um eine Spiritualisierung von Leid und Not, sondern um einen klaren Handlungsauftrag inspiriert durch die christliche Botschaft. Der Glaube, so ist Franziskus überzeugt, spendet einerseits Trost, er hat zum anderen aber eine politische Option. In diesem Sinne betonte er am Nachmittag bei einem Mariengebet im Zentrum von Trujillo, Maria weise die Menschen „auf die beste Verteidigung gegen das Übel der Gleichgültigkeit und Herzlosigkeit hin“. Immer wieder findet sich in den Ansprachen des Papstes die Aufforderung zum konkreten Handeln, der Appell an die Solidarität und die Stärkung der Gemeinschaft hat immer eine politische Komponente.
Mahnungen an Klerus und Ordensleute
Für die Priester, Ordensleute und Seminaristen hatte Franziskus am Nachmittag wieder mahnende Worte parat. Zwar hatte die Ansprache nicht ganz die Tiefe und Schärfe wie die beim Treffen mit dem Klerus in Santiago de Chile am Dienstag. Franziskus gab den Anwesenden aber dennoch einige Denkanstöße mit nach Hause, wie sie ihr geistliches Amt leben sollen. In erster Linie forderte er sie zu einer demütigen Haltung auf. „Wir geweihten Männer und Frauen sind nicht dazu berufen, den Herrn zu verdrängen, weder mit unseren Werken noch mit unseren Missionen, noch mit den unzähligen Aktivitäten, die wir zu tun haben.“ Der Schüler wisse, dass er eine Hilfskraft des Meisters sei. „Es tut uns gut zu wissen, dass wir nicht der Messias sind! Es befreit uns davon, dass wir uns zu wichtig und für zu beschäftigt halten.“ Ein gutes Mittel, um dieser Versuchung zu widerstehen, sei der Humor, erklärte Franziskus. „Wenn wir lernen, über uns selbst zu lachen, erlangen wir die Fähigkeit, mit unseren eigenen Grenzen, Fehlern und Sünden, aber auch mit unseren Erfolgen […] vor dem Herrn zu stehen.“
Zum zweiten mahnte Franziskus die Kleriker und Ordensleute, die Volksfrömmigkeit nicht zu verachten. „Werdet nicht zu Profis des Heiligen, die ihr Volk vergessen, aus dem der Herr sie berufen hat.“ Das gläubige Volk „hat ein feines Gespür und weiß zwischen einem Funktionär des Heiligen und dem dankbaren Diener zu unterscheiden“, gab der Papst zu bedenken. „Das Volk Gottes kann vieles ertragen, aber es erkennt denjenigen, der ihm dient und es mit dem Öl der Freude und Dankbarkeit versorgt“, lautet das Fazit des Papstes. Schließlich mahnte er die Anwesenden zur Einheit. „Spaltungen, Kriege und Isolierung erleben wir auch in unseren Gemeinschaften, und wie sehr schaden sie uns!“ Jesus habe sie gesendet, um Gemeinschaft und Einheit zu bringen, „aber oft scheint es, dass wir dabei uneins sind und – noch schlimmer – uns gegenseitig ein Bein stellen“, sagte Franziskus. Dabei unterstrich er zugleich, dass Einheit nicht bedeute, „dass wir alle das Gleiche denken und tun müssen“. Vielmehr hätten die unterschiedlichen Charismen in der Kirche ihren Platz. Jeder Einzelne leiste seinen spezifischen Beitrag für die Kirche, müsse zugleich aber auch wissen, dass er auch die anderen brauche.
Es sind immer wieder die gleichen Mahnungen des Papstes an die Vertreter des geistlichen Standes. So wird einmal mehr deutlich, dass diese Reise eine in eigener Mission ist, um die Kirche in Lateinamerika auf einen neuen Kurs zu bringen. Dazu muss Franziskus zum Brückenbauer werden. Denn gerade auf dem „katholischen Kontinent“ ist die Kirche extrem gespalten. Morgen wird Franziskus noch die Bischöfe Perus treffen. Das wird ihm noch einmal Gelegenheit bieten, ein deutliches Signal zu setzen, wohin die Reise der Kirche gehen wird.
Ein Kommentar
Wer vor Ort ist in Lateinamerika, kann nicht übersehen welcher Erosion die röm.-kath. Kirche in dem vormals als „kath. Erblande“ beanspruchten Lateinamerika ausgesetzt ist.
Die offensiv evangelikalen Glaubensgemeinschaften aus den USA und daneben auch einige christliche Sekten sind gewaltig auf dem Vormarsch. Und sie erreichen die Menschen mit ihrem realistischen System: weniger vergeistigtes Beten als unbürokratische Sozial- und Jugendarbeit, praktizierter Gemeinsinn der eben auch die Ärmeren erreicht und weitestgehende Abstinenz, was die Kontakte zu regionalen und überregionalen Politikern bzw. Parteien angeht. Sie haben sehr genau beobachtet, dass die Verbindung und das Paktieren von Kirchenvertretern mit den Mächtigen bei den Menschen übel vermerkt wird und welche Vorwürfe daraus erwachsen. Das sichert ihnen Glaubwürdigkeit und damit Zulauf.
Scheint aber in Rom trotz der Papstreise kein ernstes Thema zu sein…
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