Kreuzweg ohne Papst

Papst Franziskus hat am Karfreitag kurzfristig die Teilnahme am traditionellen Kreuzweg am Kolosseum abgesagt. Am Nachmittag teilte der Vatikan mit, aufgrund der Kälte in diesen Tagen in Rom werde das Kirchenoberhaupt den Kreuzweg von zuhause aus mitverfolgen. Franziskus dürfte das nicht leichtgefallen sein, denn die Texte in diesem Jahr sind „bittere Früchte“ seiner Reisen: Zeugnisse von Menschen, die Leid, Gewalt, Hass, Misshandlungen und brutale Ermordung von Familienangehörigen, Freunden und Nachbarn erlebt haben. Ein weltweiter Kreuzweg des 21. Jahrhunderts. Die Texte der 14 Stationen sind aus Begegnungen von Franziskus mit den Betroffenen entnommen, die während der mittlerweile 40 Auslandsreisen stattfanden. Lediglich die Zeugnisse von zwei jungen Menschen aus der Ukraine und Russland lassen sich nicht mit den Besuchen des Papstes verbinden. Doch wie schon im vergangenen Jahr war es dem Vatikan wichtig, dass der Krieg in Europa auch beim Kreuzweg präsent ist.

Am Nachmittag leitete Papst Franziskus die Karfreitagsliturgie im Petersdom. (Quelle: dpa)

Vernunft obsiegt

Am Ende hat sich Franziskus wohl doch dem Rat der Ärzte gebeugt. Vergangenen Samstag erst war er aus dem Krankenhaus entlassen worden, offiziell nach einer Bronchitis-Behandlung. Seitdem absolvierte er das normale Programm der Karwoche angefangen vom Palmsonntagsgottesdienst auf dem Petersplatz, der Generalaudienz am Mittwoch, der Chrisammesse am Gründonnerstagmorgen und schließlich einem Gottesdienst zur Erinnerung an das Letzte Abendmahl mit Fußwaschung am Donnerstagnachmittag in einem Jugendgefängnis in Rom. Auch die Karfreitagsliturgie im Petersdom leitete er am Nachmittag. Mit der Osternacht morgen und der Ostermesse am Sonntag stehen noch zwei anstrengende und vor allem lange Zeremonien auf dem Programm. Da schien es klug, am Freitagabend auf den Ausflug zum Kolosseum zu verzichten.

Was die Inhalte der Texte zum traditionellen Kreuzweg anbetrifft, machte der Vatikan in diesem Jahr ein großes Geheimnis darum. Normalerweise wird Wochen vorher bekannt gegeben, wer die Autoren sind. Die Texte liegen dann meist Mitte der Karwoche vor. Dieses Mal wurden sie erst am Nachmittag veröffentlicht. Sie sind erschütternde Zeugnisse vom „Dritten Weltkrieg in Stücken“, wie es in der Einleitung heißt. Papst Franziskus hat diesen Begriff geprägt und verwendet ihn immer wieder, wenn er über die unzähligen Konflikte rund um den Globus spricht. In den Texten sind Zeugnisse aus dem Nahen Osten, verschiedenen Regionen Afrikas, Zentral- und Südamerika, Asien sowie der Ukraine vertreten. Die Brutalität, zu der Menschen fähig sind, wird deutlich, nicht in der Theorie, sondern in der Erzählung von Menschen, die sie erleiden mussten. Die große Frage, wie Menschen aus dem Teufelskreis von Hass und Gewalt ausbrechen können, wird ebenso thematisiert.

Abgründe des 21. Jahrhunderts

Wer an ein Kreuzweggebet denkt, dem kommt oft eine angestaubte Tradition mit frommen Gebeten in den Sinn. Der Kreuzweg am Kolosseum ist schon seit vielen Jahren genau das Gegenteil. Er steht für die dunklen Momente des Lebens im Heute. Bei der Auswahl der Autoren, gerade auch in diesem Jahr, könnte man den Eindruck bekommen, Franziskus möchte die Gelegenheit nutzen, um den Menschen rund um den Globus – das Ereignis wird in viele Länder live übertragen – die Abgründe des 21. Jahrhunderts vor Augen zu führen, um wachzurütteln und wie ein Exerzitienmeister jede und jeden Einzelnen dazu zu bewegen, sein Gewissen zu prüfen, wo er oder sie im ganz persönlichem Umfeld anfangen kann, weniger Trennung und mehr Miteinander zu leben.

P.S. Die aktuelle Dokumentation „Papst Franziskus – große Hoffnung, tiefer Fall?“ zu 10 Jahre Pontifikat gibt es hier.

Autorenbild

Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

Ein Kommentar

  • Silvia
    08.04.2023, 11:50 Uhr.

    Gut, dass der Papst vernünftig war und sich nicht der nächtlichen Kälte ausgesetzt hat.

    Ich wundere mich sowieso, was er alles noch bewältigt und vorhat.

Kommentare geschlossen

Dieser Beitrag kann nicht länger kommentiert werden.