Papst in Kasachstan: Geist von Helsinki neu aufleben lassen
Zum Auftakt seiner 38. Auslandsreise hat Papst Franziskus Religionsfreiheit und mehr konkrete Demokratie in Kasachstan gefordert. Mit seinen rund 150 ethnischen Gruppen und über 50 Sprachen sei das Land ein „einzigartiges multiethnisches, multikulturelles und multireligiöses Laboratorium“. Demokratie und Modernisierung dürften sich nicht nur auf Ankündigungen beschränken, sondern müssten sich konkret im Dienst an den Menschen auswirken. „Demokratie sei „die geeignetste Form, um die Macht in einen Dienst zum Wohle des gesamten Volkes und nicht nur einiger weniger zu verwandeln“. In seiner Rede beschwor er mit Blick auf die aktuelle Weltlage einen „neuen Geist von Helsinki“. Franziskus besucht Kasachstan, um an einem interreligiösen Dialogtreffen teilzunehmen. Dabei wollte er am Rande auch den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. treffen. Dieser sagte seine Teilnahme aber vor wenigen Tagen ab. Dass Franziskus dennoch an dem eher wenig bedeutenden Religionsgipfel teilnimmt, könnte mit seiner Asienstrategie zusammenhängen.
Franziskus und Xi am selben Ort
Mühsam bewegt sich der Pontifex am Morgen durch die Gänge des Flugzeugs bei der gut halbstündigen Begegnung mit den Journalistinnen und Journalisten. Der Stock führt dazu, dass Franziskus sich nach vorne beugen muss und damit vielleicht auch etwas älter wirkt, als er ist und sich fühlt. Er nimmt sich Zeit für den Segen eines kranken Kindes hier, eine kirchenpolitische Frage da und schließlich die Erklärungen der Kolleginnen und Kollegen, die ihm jede Menge Geschenke von Hörern, Lesern und Zuschauenden überreichen. Die offizielle Botschaft ist kurz: „Vielen Dank für Eure Arbeit während der Reise. Mehr dann auf dem Rückweg [bei der fliegenden Pressekonferenz].“ Im Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen gibt es keine Breaking News. Gegenüber einem französischen Kollegen wiederholt er seine Bereitschaft, nach China zu fahren, wenn er eingeladen werde. Doch es gebe hier nichts Neues.
Am Mittwoch wird auch der chinesische Staatspräsident Xi Jinping in Nur Sultan erwartet. Ein Treffen mit dem Papst ist nach offiziellen Angaben nicht geplant. Es ist bereits das dritte Mal, dass sich die beiden in derselben Stadt aufhalten, es aber nicht zu einem Treffen kommt. Im September 2019 beim Besuch von Franziskus bei der UNO in New York und im März 2019, als der chinesische Staatschef bei der italienischen Staatsregierung in Rom zu Gast war. Die Zeit scheint noch nicht reif für eine Begegnung auf höchster Ebene. Im Februar 2020 hatten sich überraschend am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz die beiden Außenminister getroffen. Aus Expertenkreisen ist zu hören, China lege Wert auf das Protokoll. Entsprechend wäre jetzt ein Treffen der jeweiligen Regierungschefs an der Reihe, bevor sich dann Franziskus und Xi begegnen. Doch vielleicht gibt es ja eine Überraschung.
Franziskus Blick nach Asien
Erst vor wenigen Tagen war ein Abkommen zwischen dem Vatikan und China verlängert worden. Dieses wurde im September 2018 unterzeichnet, der Inhalt ist geheim. Es geht darin um die heikle Frage der Bischofsernennungen. Zudem sollte die Trennung in eine Untergrundkirche und die offiziell von der Regierung anerkannte Katholische Patriotische Vereinigung überwunden werden. Papst Franziskus und sein Außenminister hatten im Sommer wiederholt eingeräumt, dass das Abkommen bisher nur wenig bewirkt habe. Dennoch hofften beide auf eine Verlängerung des zunächst auf drei Jahre begrenzten Regelwerks. Der kirchliche Mediendienst AsiaNews berichtete vergangene Woche, dass bei einem Treffen einer Vatikandelegation mit Vertretern Chinas Ende August in Tianjin die Verlängerung vereinbart worden sei.
Mit seinem Besuch in Kasachstan klopft Franziskus an die Tür Chinas. Ende August machte er den höchsten katholischen Repräsentanten in der Mongolei, wo rund 1.500 Katholiken leben, zum Kardinal. Eine Entscheidung, die gut in seine Asienstrategie passt. China, wo rund zwölf Millionen Katholiken leben, ist eine Herausforderung für den Heiligen Stuhl. Da ist jede Brücke recht. Doch nicht nur China ist für den Papst wichtig. Asien wächst und boomt. Für die katholische Kirche bedeutet das einerseits auch Wachstum, andererseits gibt es viele Herausforderungen. In Vietnam, China und anderen Ländern sind es politische Restriktionen, an anderer Stelle sind es fundamentalistische Strömungen und eine Radikalisierung bei Hindus und Buddhisten wie in Indien oder Myanmar. Das Verhältnis zu den Muslimen ist auf dem Kontinent an vielen Stellen ebenfalls nicht einfach. Vor diesem Hintergrund ist jede Initiative, die zum Dialog und dem friedlichen Miteinander der Religionen beiträgt, gut und wichtig. So auch der Religionsgipfel in Nur Sultan.
Führungspersönlichkeiten à la Helsinki
Franziskus sieht Kasachstan als einen Ort, „wichtiger geopolitischer Knotenpunkte“. Es spiele eine entscheidende Rolle bei der Entschärfung von Konflikten. Johannes Paul II. habe das Land wenige Tage nach dem 11. September 2001 besucht, er komme „im Verlauf des wahnsinnigen und tragischen Kriegs, der durch die Invasion der Ukraine ausgelöst worden sei“. Er komme, um den „Schrei der Vielen“ zu verstärken, die um Frieden flehen, der für eine globalisierte Welt ein wesentlicher Entwicklungsfaktor sei. Franziskus nutzt seinen Besuch in dem Sandwichstaat zwischen China und Russland, um für Multilateralismus zu werben. „Es ist an der Zeit, das Zuspitzen von Rivalitäten und das Verfestigen einander entgegengesetzter Blöcke zu vermeiden“, erklärte er beim Treffen mit Vertretern aus Politik, Diplomatischem Korps und Zivilgesellschaft. Es brauche Führungspersönlichkeiten, die einen „neuen Geist von Helsinki“ aufkommen lassen. „Um dies zu tun sind Verständnis, Geduld und Dialog mit allen nötig. Ich wiederhole: mit allen.“
In der „Schlussakte von Helsinki“ wurde 1975 die Unverletzlichkeit der Grenzen und die friedliche Konfliktlösung als Selbstverpflichtung der beteiligten Staaten vereinbart. Eine versteckte Botschaft an den russischen Präsidenten Putin und zugleich eine Verteidigung seiner Position in dem Konflikt, Türen des Dialogs mit allen Parteien möglichst offen zu halten. Einmal mehr vermied er Russland beim Namen zu nennen. „Ich komme hierher im Verlauf des wahnsinnigen und tragischen Krieges, der durch die Invasion der Ukraine ausgelöst worden ist“, erklärte er. Entscheidend dürfte am ersten Tag sein, dass er einerseits der Politik hier vor Ort ins Stammbuch geschrieben hat, alle Menschen in den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft einzubeziehen. Für die Nachbarn lautet die Botschaft: Schluss mit Blockdenken, Anerkennung internationaler Vereinbarungen und Rechte sowie die Rückkehr zum Dialog als einzigem Weg zur Lösung von Konflikten.
Ein Kommentar
Der Papst hat also „mehr konkrete Demokratie gefordert und Modernisierung dürfe sich nicht nur auf Ankündigungen beschränken“. Hoch interessant: warum setzt er diese Forderungen in seiner eigenen Institution, der röm.-kath. Kirche nicht um oder fordert das von seinem geistlichen Hochadel ? Wie kann er angesichts der Situation seiner Kirche, wo keinerlei demokratische Grundrechte gelten, alles von Oben bestimmt wird und wo Frauen zusätzlich aufgrund ihres Geschlechtes benachteiligt sind, diese Forderungen überhaupt an Andere stellen ? Glaubwürdigkeit sieht wahrlich anders aus.
Kommentare geschlossen
Dieser Beitrag kann nicht länger kommentiert werden.