Endlich da: Leitfaden für Missbrauchsverfahren

Im Februar 2019 wurde er angekündigt. Nach 17 Monaten liegt er nun vor: der Leitfaden für Verfahren bei sexuellem Missbrauch durch Kleriker. Für Außenstehende ist es schwer nachzuvollziehen, warum der Vorgang so lange dauerte. Schließlich musste das Verfahren nicht neu erfunden werden, sondern sollte längst Praxis sein. Doch besser spät als nie. Das nun vorliegende Papier schafft zum einen ein wenig Transparenz dahingehend, wie die katholische Kirche ihre Verfahren intern durchführt. Das ist ein Novum. Zum anderen soll der Leitfaden zu mehr Gerechtigkeit führen in dem Sinne, dass die Verfahren weltweit vereinheitlicht werden. An mehreren Stellen wird in dem Papier betont, die jeweils geltenden staatlichen Regelungen sind einzuhalten, ein staatliches Verfahren hat Vorrang vor dem kirchlichen.

Februar 2019: Papst Franziskus berät mit den Vorsitzenden der Bischofskonferenzen über Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. (Quelle: epa/VaticanMedia)

Späte Frucht des Missbrauchsgipfels

Der Missbrauchsgipfel im Vatikan im Februar 2019 hatte weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Die Erwartungen an das Treffen der Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen mit dem Papst und den wichtigsten Kurienchefs waren hoch. Die Enttäuschung danach ebenso. Aus Sicht des Vatikans war er ein Erfolg gewesen, weil endlich alle Konferenzvorsitzenden sich dem Thema und Zeugnissen von Betroffenen aussetzen mussten und das Problem nicht mehr leugnen konnten. Die Betroffenen und mit ihnen viele Gläubige hatten konkrete Ergebnisse erwartet. Stattdessen gab es Absichtserklärungen und Ankündigungen. Dazu gehörte, dass Franziskus das jetzt von der Glaubenskongregation veröffentlichte Vademecum in Aussicht stellte.

Das Papier ist ein wichtiger Schritt. Es setzt keine neuen Normen, erklärt aber in Teilen sehr detailliert, wie vor allem die Voruntersuchungen abzulaufen haben. Es stellt klar, dass „jeder Information über eine mögliche Straftat“ nachgegangen werden muss, auch wenn sie aus anonymen Quellen kommt. Dabei hängt die Glaubenskongregation die Latte sehr hoch, wenn es darum geht, eine Voruntersuchung nicht einzuleiten. Das geht eigentlich nur, wenn der Täter zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Straftat noch kein Kleriker war, wenn das mutmaßliche Opfer zum Tatzeitpunkt nicht minderjährig war oder „wenn allgemein bekannt ist, dass die beschuldigte Person sich zum Zeitpunkt der ihr zur Last gelegten Taten nicht am Ort der Straftat befunden haben kann“. Mehrfach wird betont, dass die Betroffenen nicht zum Schwiegen verpflichtet werden können und dürfen.

Gibt auch Schwachstellen

Allerdings gibt es auch einige Punkte, die wenig entschieden formuliert sind. Etwa wenn erklärt wird, dass die Unterlassung der Pflicht, eine Voruntersuchung einzuleiten, „eine Straftat darstellen könne“. Hier müsste statt Konjunktiv eigentlich der Indikativ stehen. Das gilt ähnlich für das Einschalten der staatlichen Stellen. Zwar durchzieht das Papier eine klare Haltung, dass mit staatlichen Stellen zusammengearbeitet werden muss, aber in Bezug auf die Anzeigepflicht bleibt das Papier am Ende doch wage für die Fälle, in denen das jeweilige staatliche Recht diese Pflicht nicht vorsieht. Die Anzeigepflicht wird auch unter Betroffenen und Betroffenenverbänden unterschiedlich gesehen. Zudem stellt sich die Frage, wie die Situation in Ländern ist, in denen Rechtsstaatlichkeit nicht garantiert ist. Der Vatikan gibt auch klar vor: wenn staatliche Justizbehörden innerhalb des geltenden staatlichen Rechts Informationen anfordern, müssen die kirchlichen Stellen kooperieren.

Der Leitfaden ist ein wichtiger Schritt im Prozess der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch durch Kleriker. Wie schon die Aufhebung des Päpstlichen Geheimnisses für Missbrauchsfälle, die Franziskus im Dezember 2019 verfügt hat, ist das Vademecum eine Frucht des Missbrauchsgipfels vom Februar 2019. Die Vorgänge zeigen, dass sich etwas bewegt in der katholischen Kirche. Doch die Mühlen mahlen langsam, zu langsam.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

9 Kommentare

  • Novalis
    17.07.2020, 17:25 Uhr.

    In der Tat ein viel zu langsamer Schritt. Aber ein Schritt in die richtige Richtung ist auch als langsamer kein Schritt auf einem Irrweg. Man muss aber auch die Messlatte so legen, dass die Frage, was Johannes Paul II. vom Gründer der Legionäre wusste, und wenn er hinreichend Bescheid wusste, warum er nichts gehabt, aufs Tapet kommt.
    Warum hat es hier seit 2 Monaten keine Meldung mehr gegeben? Es ist doch Etliches passiert in Rom und der DBK?

    • Jürgen Erbacher
      Jürgen Erbacher
      18.07.2020, 20:12 Uhr.

      Wir bedauern sehr, dass es eine längere Pause gab. Aber es ist aus Zeitgründen aktuell nicht möglich, das Blog wie gewohnt zu führen.

      • Novalis
        18.07.2020, 23:41 Uhr.

        Alles Gute Ihnen! Möge sich die Situation wieder bessern!

      • Novalis
        20.07.2020, 13:53 Uhr.

        Wird es einen Beitrag zur grundvernünftigen neuen Instruktion der Kleruskongregation geben? Oder soll man sich hier äußern?

        • Jürgen Erbacher
          Jürgen Erbacher
          20.07.2020, 15:52 Uhr.

          Wir werden spätestens morgen dazu einen eigenen Text verfassen.

    • Wanda
      22.07.2020, 5:00 Uhr.

      @Novalis 17. 07 17:2
      – Wir sind (zu) oft unterschiedlicher Meinung. Was aber den Vorgang um den Gründer der Legionäre Christi Marcial Maciel und sein monströses Unwesen angeht, welches dezent ausgedrückt bis heute nicht die notwendige „Würdigung“ erfuhr, weder Woyitylas noch Ratzingers als dessen ergeben devoten Chef der Glaubenkongregation, scheinen wir die gleichen Zweifel zu haben. Ob das je zur Gänze auf den Tisch kommt, ist für mich unwahrscheinlich. Es wäre jedoch ein Anfang mit einem Paukenschlag, die Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen. Allerdings besteht nur wenig Hoffnung.

  • Christ343
    17.07.2020, 18:38 Uhr.

    Sexueller Missbrauch ist nur ein Missstand unter vielen. Auch Heilige Messen in großen Kirchengebäuden sind überflüssig. Veranstaltungen in kleinen kirchlichen Gemeindezentren, in denen es um Mystik und Spirituelles Heilen geht, genügen. Ausführlich behandelt werden die Themen in der Öko-Theosophie (bitte googeln).

    • neuhamsterdam
      19.07.2020, 13:45 Uhr.

      „Mystik und Spirituelles“
      Der Orden der Karmeliter hat den Propheten Elias als besonderes Vorbild.
      Es war der 11. Januar 2016, an diesem Tag besuchte ich die Karmeliterkirche in der Stadt. Es war schocking. Kaum die Stufen des Portals erklommen und die schwere Tür von der Straße her geöffnet, sah ich mich mit einer kühlen Glaswand konfrontiert, die sofort den vollständigen Blick in das Kirchenschiff und auf den Altar freigab. Mir war entgangen, daß inzwischen die altehrwürdige Trennwand aus dunklem Holz mit Schwingtüren zu beiden Seiten entfernt wurde, welche einen sanften Übergang vom geschäftigen und gehetzten Treiben des Alltags in die Stille des Gotteshauses ermöglichte und durch eine sachliche und nichts verbergende spiegelnde Konstruktion ersetzt worden war, deren mittige Flügeltüren mit zylindrischen Edelstahlgriffen den Kontrast zum kunstvoll gestalteten Inneren der Kirche noch unterstrich.
      Noch ganz von diesem Erlebnis beeindruckt, begab ich mich in den naheliegenden (Konsumtempel (ehem. Kaufhaus Schocken) und passierte beim Betreten eine der Glastüren mit Edelstahlstangen als Türgriffen, um daraufhin Elastikbänder für den Nähbedarf zu erstehen.
      Was geschah inzwischen? Kirchen und Kaufhäuser wurden zeitweise geschlossen. Jene Leute, welche Gottesdienste mitfeiern wollen, sind fast ausnahmslos auf Flachbildschirme angewiesen, um dann in weitgehend leere Kirchen zu sehen.
      Was ist das Besondere am 11. und 15. Januar? Die alten Römer (vor allem Römerinnen) wussten noch, an diesen beiden Tagen wurde das Fest der Carmenta (hm, erster Satz) gefeiert, jene war zuständig für Weissagung und Geburt.
      …und Geburt. Nix genaues weiß man nicht.
      Wozu sind elastische Bänder gut? Mit einem Stück Stoff verbunden und um die Ohrwaschel gezogen wird man dadurch die Zeit wohl nicht dehnen können, aber einen Versuch kann es wert sein. Kaufhäuser kaufen und verkaufen könnte man damit auch — oder Hamster hamstern.

  • Silberdistel
    17.07.2020, 20:00 Uhr.

    „Und täglich grüßt das Murmeltier“ hieß mal ein bekannt gewordener Film. Als Beispiel für das blogthema genommen, müßte sich die Sonne verfinstern bei diesem Gruß des fast alltäglich gewordenen Themas Mißbrauch, nicht nur im blog. Sogar und gerade wenn man die eigenen Moralvorstellungen der Kirche als Maßstab nimmt.

    Aber es geschieht noch mehr auf der Welt, z.B. seit Jahren die neu aufgekommene Christenverfolgung sowie ganz aktuell die Nutzung der Hagia Sophia („Göttliche Weisheit“), die als größte Kirche der Christenheit ihr über 1.000 Jahre zur Verfügung stand, wiederum als Moschee.
    Die Hoffnung stirbt immer zuletzt, nämlich das es der Christenheit doch gelingen möge das zu verwirklichen, was ihr ursprünglich aufgetragen wurde. Und sie sich nicht vor der Größe der Aufgabe selbst suizidiert, wie einst Judas nach der Hinrichtung des Christus (Matth. 27.3-5)

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