Papst schreibt Brief zu Missbrauch

Einmal mehr greift Papst Franziskus zu ungewöhnlichen Mitteln. Auf einem neuen Höhepunkt der Debatte über Missbrauch in der katholischen Kirche wendet er sich in einem Brief an „das Volk Gottes“. Darin wird zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit von höchster kirchlicher Stelle ein Zusammenhang zwischen „sexuellem wie Macht- und Gewissensmissbrauch“ gesprochen. Franziskus gibt zu, dass „wir nicht rechtzeitig gehandelt haben, als wir den Umfang und die Schwere des Schadens erkannten, der sich in so vielen Menschenleben auswirkte“. Die „so notwendigen Maßnahmen und Sanktionen“ seien „mit Verspätung angewandt“ worden. Franziskus bringt den sexuellen Missbrauch in enge Verbindung mit dem in der katholischen Kirche vorherrschenden und von ihm seit langer Zeit kritisierten Klerikalismus. „Zum Missbrauch Nein zu sagen, heißt zu jeder Form von Klerikalismus mit Nachdruck Nein zu sagen“, ist der Pontifex überzeugt. Angesichts der Taten, aber auch der schleppenden Aufarbeitung spricht er von „Scham und Reue“. Von der Kirche fordert er eine Haltung der Umkehr und Buße, aber auch der Solidarität mit den Opfern. Gerade Letzteres kann auch als Aufruf verstanden werden, dass die, die bisher schweigen, seien sie selbst Opfer oder Mitwisser, endlich reden, um die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen zu können.

Bringt der neue Druck durch die Vorfälle in Chile und den USA den Papst dazu, mit aller Konsequenz auch gegen Vertuschen und Verschleppen bei der Aufarbeitung vorzugehen? (Quelle: dpa)

Weckruf an gesamte Kirche

Es kann durchaus etwas irritieren, dass Papst Franziskus sich in dieser Weise an das Volk Gottes richtet. Er wendet sich nicht allein an den Klerus und die Hierarchie mit der Mahnung zur Umkehr und Solidarität, sondern an alle Gläubigen. Wie der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, in seiner Stellungnahme zu dem Papstbrief zu Recht feststellt, könnte einige Leser die „Wir-Form“, in der der Brief gehalten ist, irritieren. Ackermann selbst gibt bereits einen Leseschlüssel. „Zugleich lässt der Papst keinen Zweifel daran, dass er dem Klerus allein nicht die notwendige Kraft zur Erneuerung zutraut.“ Man kann aus den Worten des Papstes auch die Klage herauslesen, dass es nicht der Klerus war, der die Aufarbeitung in Gang gesetzt und vorangebracht hat, sondern „der Schrei des Volkes Gottes“.

In diesem Sinne kann der Brief in der Tat als ein Weckruf verstanden werden an alle Betroffenen, sich nicht länger den „Macht- und Gewissensmissbrauch“ bieten zu lassen, der bereits so großen Schaden angerichtet hat. Noch immer gibt es weltweit unzählige Bischofskonferenzen, die die Notwendigkeit einer systematischen Aufarbeitung nicht erkannt haben. Selbst in Deutschland gibt es keine einheitliche Linie. Wie ernst es der Bischofskonferenz hierzulande ist, wird sich Ende September zeigen, wenn ein interdisziplinäre Forschungsprojekt zum Missbrauch im Bereich der Bischofskonferenz vorgestellt wird, an dem sich nach Angaben der Konferenz alle Bistümer beteiligt hätten.

Volk muss einbezogen werden

Der aktuelle Brief des Papstes ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Franziskus die Kirche vom Kopf auf die Füße stellen möchte. Einige Passagen dürften weit über das konkrete Thema des Missbrauchs und der Aufarbeitung hinaus Wirkung entfalten. Kirchliches Handeln „ohne die aktive Teilnahme aller Glieder des Volkes Gottes“ ist zum Scheitern verurteilt, könnte man diese Position zusammenfassen. „Jedes Mal, wenn wir versucht haben, das Volk Gottes auszustechen, zum Schweigen zu bringen, zu übergehen oder auf kleine Eliten zu reduzieren, haben wir Gemeinschaften, Programme, theologische Entscheidungen, Spiritualitäten und Strukturen ohne Wurzeln, ohne Gedächtnis, ohne Gesicht, ohne Körper und letztendlich ohne Leben geschaffen.“ Das zeige sich „in einer anomalen Verständnisweise von Autorität in der Kirche – sehr verbreitet in zahlreichen Gemeinschaften, in denen sich Verhaltensweisen des sexuellen Missbrauchs wie des Macht- und Gewissensmissbrauchs ereignet haben –, nämlich als Klerikalismus“.

Der Papst spricht von „Komplizenschaft“ derer, „die versucht haben, ihn [den Missbrauch] totzuschweigen, oder sich einbildeten, ihn mit Entscheidungen zu kurieren, welche die Sache verschlimmert haben“. Dass Franziskus nun keinen konkreten Maßnahmenkatalog vorlegt, wie er mit Vertuschen und schleppender Aufarbeitung umgehen will, wird sicher Kritiker auf den Plan rufen. Doch der Brief hat eine andere Stoßrichtung. Franziskus kritisiert damit „Hochmut und Selbstherrlichkeit“, die die Kirche in der Vergangenheit an den Tag gelegt hat und verordnet ihr eine „büßende Haltung“. Wenn er in dem vierseitigen Papier von Buße, Fasten und Umkehr spricht, will er sicherlich nicht sagen, dass mit einer Beichte und ein bisschen Verzicht das Problem zu lösen wäre, sondern es geht um eine grundsätzliche Haltung der Kirche in dieser Welt. „Demut“ und „Dienen“ sind zwei Charaktereigenschaften, die er in seinem Pontifikat immer wieder als die Haltungen der Kirche benennt.

Vor schwieriger Irland-Reise

Der Brief soll sicherlich auch den hohen Erwartungsdruck mindern, der auf dem Papstbesuch in Irland am kommenden Wochenende lastet. Angesichts der aktuellen Ereignisse in Chile und den USA sowie des Missbrauchsskandals in Irland selbst war klar, Franziskus muss sich in Dublin zum Thema äußern. In der grundsätzlichen Art, wie das jetzt mit dem Brief geschehen ist, wäre das im Rahmen einer Ansprache oder Predigt nicht möglich gewesen. Das wird Franziskus aber nicht davon entlasten, in Irland noch einmal klar Stellung zu beziehen. Für die Bischofskonferenzen weltweit ist der Brief Aufforderung und Mahnung, konsequent aufzuklären und die Präventionsarbeit zu intensivieren.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

22 Kommentare

  • Novalis
    21.08.2018, 12:42 Uhr.

    Vielleicht sollten auch die deutschen Bischöfen ihren Rücktritt anbieten. V.a. gehört der Vertusch Kardinal Müller seiner Würde enthoben. In den USA verlangen etliche Laien, dass ihnen ihre Kirche, die die Kleriker an sich gerissen haben, zurückgegeben wird.
    „Der aktuelle Brief des Papstes ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Franziskus die Kirche vom Kopf auf die Füße stellen möchte.“
    Sehr schön, es wird auch hier erkannt, dass Marx’sche Gedanken nicht a priori böse, dumm oder falsch sind.

  • Suarez
    21.08.2018, 13:46 Uhr.

    Der Papst hat’s verstanden. Gottlob. Mit seinen Klerikern ist eine Kirche nach dem Willen Jesu nicht zu machen.
    Es wird bitter sein, aber Joseph Ratzinger ist als Mitwisser und Vertuscher ein Komplize: Alle Missbrauchsfälle sind schon vor dem Jahr 2000 über seinen Schreibtisch gegangen – ex officio. Der Präfekt der Glaubenskongregation war damit betraut.
    Entweder hat er die zahllosen Fälle als Nummern behandelt und war sich nicht bewusst, dass es hier um gequälte Kinderseelen geht.
    Oder er hat bewusst die Anzahl verschwiegen. Man suche sich es aus. Ich weiß nicht, was besser ist.

  • Silberdistel
    21.08.2018, 17:49 Uhr.

    Ein jedes weltliches Unternehmen das Qualitätsmanagement betreibt, was es heutzutage muß, wäre schon früher darauf gekommen: Wieviel Schaden haben die sex.-Mißbrauchsfälle der rk-Kirche und nicht zuletzt dem Christentum ansich, eigentlich bereits zugefügt?! Wieviel Schaden die Finanzskandale um die Vatikanbank? Wieviel Schaden ansonsten durchgeknallte „Emminenzen“ und „Monsignores“ wie etwa TvE, Müller oder Bertone? Kirchenaustritte lassen sich eben auch ganz konkret in „Umsatzzahlen“ nicht nur eines Konzerns messen (Mir persönlich geht es nicht um den Katholizismus, sondern um das Christentum ansich).
    Man muß schon wirklich nicht mehr von dieser Welt sein, wenn man glaubt der Himmel würde die eigenen irdischen Angelegenheiten ganz von selbst regeln, die man vorher selber nur zu gern verschludert hat. – Papst Franziskus als ´Chef´ hat völlig recht: Es muß mal wieder eine Tempelreinigung her! Wenn es denn nicht zur Aufgabe wird einen Augiasstall zu misten… Doch „Restrukturierung“ gehört nunmal zum Geschäft, – nicht nur dem irdischen.

    • neuhamsterdam
      23.08.2018, 2:23 Uhr.

      „Man muß schon wirklich nicht mehr von dieser Welt sein, wenn man glaubt der Himmel würde die eigenen irdischen Angelegenheiten ganz von selbst regeln, die man vorher selber nur zu gern verschludert hat.“
      Für die einen ist es das Ende der Welt und die anderen glauben es nur nicht. Ansonsten keine meßbaren oder abzählbaren Ereignisse, die es geschichtlich faßbar machen würden, daß die Welt zu Ende ist. Jeder hat Recht und jeder lebt in der Welt, die er bekommt. Göttliche Fügung.
      Man sagt, es solle wärmer werden. Nunja…

  • Wanda
    22.08.2018, 19:25 Uhr.

    Respekt: eine in diesem Blog selten zu findende Einigkeit in der Sache.
    …“die Kirche vom Kopf auf die Füsse stellen“ – ein treffender Vergleich und eine allerdings nur schwer zu realisierende Notwendigkeit. Da sollte man sich keiner Täuschung hingeben.
    Aber genau diese Kopflastigkeit (oben der Klerus und unten das ohnmächtige Glaubensvolk) sicherte sich die von Adeligen und anderen Cleveren okkupierte und durchsetzte Führungsschicht der Hl. Mutter Kirche bereits in ihrer Frühzeit und es hat sich an deren arrogantem Anspruch nicht viel geändert.
    Damit war sie mindestens soweit entfernt von den Ideen des Nazareners (mein Reich ist nicht von dieser Welt) wie vorher die antiken Grossreiche mit ihren absolutistischen und gottähnlichen Herrschern. Eigentlich schlimmer: gaben die Kirchenfürsten doch scheinheilig vor, für den verlassenen und ohnmächtigen Menschen zu stehen und ihm den nötigen Halt und Hoffnung in einer niedergehenden Epoche mit zerbrechendem Weltbild zu geben.
    – Aber wer weiss ? Vielleicht erwächst ja aus diesen schlimmen Skandalen von „Unten“ eine so breite Unterstützung für Franziskus, dass die ominösen Zirkel und Interessens-Gruppierungen im Vatikan und obersten Klerus mit ihren Intrigen und Machtspielchen einer fundamentalen Tempelreinigung und gründliche Restrukturierung (Silberdistel) nichts mehr entgegenzusetzen haben. Und spekulieren darf man doch wohl…
    P.S. Novalis 21.08. 12:42
    – stimme Ihrem letzten Satz ausdrücklich zu: in den Marx’schen Ideen ist oft mehr christliches Gedankengut zu finden als in so manchen Kirchengesetzen, -regeln und -Vorschriften…

    • Novalis
      24.08.2018, 11:09 Uhr.

      „– stimme Ihrem letzten Satz ausdrücklich zu: in den Marx’schen Ideen ist oft mehr christliches Gedankengut zu finden als in so manchen Kirchengesetzen, -regeln und -Vorschriften…“
      Absolut richtig. Allein philosophiegeschichtlich. Da Hegel die evangelische Theologie als nicht mehr metyphysik betreibend vorfand, die katholische als mit sich selbst in einem unverständlichen Sprachspiel (was beides ein wenig pointiert ist, aber eben auch nicht falsch), war es sein entschiedener Ansatz, in eigener Person das Christentum zu sich selbst zu bringen. Das kann man als Anmaßung abtun, oder die intellektuelle Herausforderung, die dahintersteckt, annehmen. Letzteres schadet nie. Marx übernimmt weitgehend Hegel, verzichtet aber aus dessen Theismus. Angesichts dessen, was die zeitgenössischen Kirchen gepredigt haben, muss man sogar sagen: Man kann seinen Atheismus nachvollziehen. Vermutlich – ich kann in Marx Seele nicht hineinblicken – lehnt er etwas ab, was auch die katholische Lehre ablehnen würde: einen zum Objekt gewordenen, neben der Schöpfung stehenden gebarteten alten Mann, der immer wieder in sein Werk hineinfummeln muss.
      Das ändert aber nichts daran, dass viele Aussagen aus Hegels und Marx‘ System eben im christlichen Sinne richtig bleiben, ja christlich sind. Und man muss als Christ „die bedrückende Realität des liberalen Kapitalismus klar zu sehen. Man kann sagen, daß man angesichts der Gefahr eines Systems, das deutlich von der Sünde gekennzeichnet ist [damit ist der Marxismus gemeint], vergißt, jene Realität anzuklagen und zu bekämpfen, die das Ergebnis eines anderen, ebenso von der Sünde gekennzeichneten Systems [damit ist der Kapitalismus gemeint] ist.“ Solche, ausgerechnet vom „Kommunistenfresser Johannes Paul II. approbierten Äußerungen zeigen sehr klar: Man kann nicht Kapitalist und Neoliberaler sein, ohne das Christentum zu verraten.

      • Silberdistel
        25.08.2018, 6:44 Uhr.

        @Wanda, @Novalis
        Wenn denn der Marxismus im Grunde gelungenes Christentum als Faksimile nur nachgeahmt hat, möglicherweise und wahrscheinlich ganz unbewußt. Eine Nachahmung des Zusammenlebens der ersten Christen als Kommune, in der tatsächlich auch materielle Güter miteinander geteilt wurden. – Allerdings in Verwirklichung der Lehre Jesu und aufgrund dessen in aufrichtiger Liebe und Verständnis des Höheren, zueinander.
        Das unterscheidet sich doch diametral entgegengesetzt zur rein intellektuellen Verstandesleistung des Marxismus. Sich gegenseitig nur als „Genossen“ zu begreifen, ist noch lange nicht das, was der Christus predigte. Und letztlich lohnt sich im Zweifelsfall immer auf die Früchte zu schauen. Im Fall des Marxismus und dessen daraus abgewandelten Lehren, einen bodycount der Opfer zu betreiben.

        • Wanda
          25.08.2018, 23:48 Uhr.

          Silberdistel 25.08. 06:45
          – Frage mich allen Ernstes, wieso die Ideen und Philosophie von Marx nur wegen deren fehler- und stümmperhafte Realisierung durch den „russischen“ Kommunismus/Bolschewismus von Ihnen so einfach in Bausch und Bogen verunglimpft werden ?
          Mit Ihrer voreiligen Mahnung, im Zweifelsfall auf die Früchte zu schauen, lehnen Sie sich zu weit aus dem Fenster: wieso gilt diese Mahnung nicht auch für die Kirche mit ihrer 2000-jährigen unseligen Geschichte ? Denn da hat sich doch wohl weit mehr Faules und Verdorbenes an „Früchten“ gezeigt und angesammelt, oder ? Und vieles von dem was dem Nazarener vorschwebte ist erst gar nicht zur Blüte und noch viel weniger zur Reife gekommen.
          – Also, reflektieren Sie besser nochmal ob es sinnvoll ist, einen bodycount der unzáhligen Opfer der Hl. Mutter Kirche mit denen des staatlich verordneten Kommunismus (nicht Marxismus) zu vergleichen oder aufzurechnen !
          Wäre so, als ob man den Düwel gegen Beelzebub antreten lässt…

        • Novalis
          26.08.2018, 0:12 Uhr.

          Aufpassen, Silberdistel: Zwischen Marx und Marxismus gibts Unterschiede. Marx hätte sich nicht als Marxist gesehen. Ich habe ausdrücklich die vom römischen Lehramt unterstützte Wertung des Marxismus als von Sünde gekennzeichnetes System zitiert. Sonst habe ich gar nichts vom Marxismus geschrieben.

      • @ bernardo
        25.08.2018, 10:50 Uhr.

        Sie haben Marx nicht verstanden, weder seine Religionskritik noch seine Geschichtsphilosophie. Von Migration verstehen Sie auch nichts, sonst wüssten Sie, dass mit steigendem Wohlstand auch die Migrationsströme steigen werden, einmal, weil sich mehr Menschen die bis zu 10.000 Dollar teure Reise leisten können, zum zweiten, weil die Wohlstansunterschiede dann mehr ins Auge fallen, wie die Standesunterschiede im Vorfeld der Frz. Revolution auch umso stärker ins Auge fielen, je mehr der Feudalstaat verschwand. Was den Papst angeht: Gut gebrüllt, Löwe, aber wir werden ihn an seinen Taten, nicht an seinen Worten messen.

      • @ bernardo
        27.08.2018, 0:14 Uhr.

        Man kann also nicht Neoliberaler und Christ sein? Vielleicht sollte man zuerst definieren, was Neoliberalismus bedeutet? Ordoliberalismus, also den ursprünglichen Neo(neu)Liberalismus, oder den Monetarismus oder die Wiederentdeckung des klassischen Liberalismus durch die Wiener Schule der Nationalökonomie. Oder jenes moderne Mischwesen aus Big Business und „managerial state“, das in den westlichen Staaten dominiert. Sonst bleibt Neoliberalismus nämlich nur eine Worthülse. Was Marx angeht – und wir reden nicht vom Marxismus, erst recht Nichtvorhandensein jener leninistischen Sonderinterpretation -, so hat Marx nie moralische oder ethische Forderungen erhoben. Er verstand seine Sichtweise als naturgesetzliche, als wissenschaftliche. Die Religion war ihm der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Opium des Volkes, ein Relikt, das verschwinden würde, wenn sich die Verhältnisse ändern, wenn die entfremdete Arbeit verschwinden, wenn der Staat absterben und die kommunistische Gesellschaft erreicht würde. Mit anderen Worten, Christentum und Marx verhalten sich wie Öl und Wasser, man kann sie nicht mischen. Wer sie zu verbinden sucht, wird weder dem Christentum noch Marx gerecht.

  • Micaela Riepe
    24.08.2018, 13:48 Uhr.

    Bezeichnend ist, dass ein Theologe und Jurist, ich glaube, er heißt Büning und war selbst Opfer sexualisierter Gewalt durch einen Priester, nach der Veröffentlichung dieses Papstschreibens seine Unterschrift unter „Pro-Pope-Francis“ zurückgezogen hat. Gut so.
    Und wer mehr wissen will über die zum Himmel-schreienden Abgründe der Entstehung, des Ausmaßes und der Vertuschung von Pädokriminalität in der katholischen Kirche, schaue sich „Hinter dem Altar“ an, der auf Arte noch in der Mediathek zu finden ist, am letzten Samstag gegen fünf Uhr nachts.
    Diese Kriminalität und der Umgang mit ihr ist systemisch und liegt in der Ideologie der sich selbstvergottenden Institution und ihres Personals begründet. O Jesus.

  • neuhamsterdam
    24.08.2018, 20:41 Uhr.

    „Franziskus muss sich in Dublin zum Thema äußern.“
    Der aufgebaute Spannungsbogen läßt das vermuten. Man denke an das Ereignis der Mondlandung.
    Wobei man die Theorie erfinden könnte, der Papst wäre gar nicht in Irland, sondern in einem gestalteten Areal mit Kulissen. Psychologisch könnte das durchaus zutreffen, da wird es wieder ex kathedra zugehen, denn der Spannungsbogen will Vollständigkeit.

  • Maria
    25.08.2018, 8:37 Uhr.

    Ein wundervoller Brief des Papstes und wunderbare Kommentare, denen ich mich im Wesentlichen nur anschließen kann.
    Leider ist der sexuelle Missbrauchsskandal nur einer von vielen Missbrauchstaten im Klerus. Es gibt Lügen,Betrug und Ausstoß ausgehend von höherer Ebene bis in die tiefste Ebenen der sogenannten Kirchengemeinden. Was dort alles im Namen Jesu passiert,ist in erster Linie Missbrauch an Jesus.
    Jesus sagte, wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Der Klerus stößt Menschen aus, die einmal „gesündigt“ haben und sogar schon reuig geworden sind.
    Unser wunderbarer Papst sagte einmal, wer bin ich, dass ich über Menschen urteilen könnte.
    Das will der Klerus nicht hören.
    Jesus ist zu den Menschen, die am Rande stehen und zu Sündern gegangen. Jesus sagte, bindet euch keine lange Gebetsquasten um…usw.
    Aber der Klerus beweihräuchert sich am Liebsten selbst.
    Franziskus forderte gleich zu Beginn seines Amtsantrittes auf, raus aus den Sakristeien auf die Strasse.
    Der Klerus will das gar nicht, bis auf ein paar wenige sehr gute Seelsorger. Der Klerus will nicht mal Menschen in seinen Reihen, die das alles gerne im Namen der Kirche und Jesu tun möchten.
    Da kann man nur Vertrauen und Beten, dass unser wunderbarer Papst ganz viel Kraft, Segen, Mut und Anhänger und Helfer für ganz viele kräftige Tempelreinigungen erhält.

    • Wanda
      25.08.2018, 23:54 Uhr.

      Maria 25.08 08:37
      – Sie sollten nicht vergessen, dass „unser wunderbarer Papst“ seinerzeit genau so schwieg wie alle anderen geistlichen Würdenträger. Leider…

  • Wanda
    25.08.2018, 17:52 Uhr.

    Micaela Riepe 24.08. 13:48
    – Trotz aller nun plötzlich hastigen Verurteilungen und Absichtsbekundungen durch Franziskus kann man nur pessimistisch reagieren. Wieso ? Seien wir doch einmal realistisch und schauen uns die Fakten an. Heuchelei steht da an vorderster Stelle:
    – 1. alle derzeitigen Amtsinhaber der höheren kirchlichen Chargen haben geschwiegen und „nie“ ihre Stimmen gegen diese himmelschreiende Duldung, Untätigkeit und Schweigen durch den jeweiligen Papst, dessen Kirchenführung und die Glaubenkongregation erhoben. Wie können diese überhaupt noch guten Gewissens ihrer Berufung nachkommen ? Sie müssten die Konsequenz ziehen.
    – 2. das schliesst leider auch Franziskus ein, dem als Kardinal und Bischof (davon darf man wohl ausgehen) die Untaten seiner „Berufskollegen“ bekannt waren und trotzdem zur beschämenden Handlungsweise der Kirchenführung wie fast alle seine Kollegen ergeben schwieg, anstelle die Stimme für die Opfer zu erheben. Diesen Vorwurf muss er sich gefallen lassen…
    – 3. Was sollte sich ändern, wenn die gleichen geistlichen Funktionsträger, die schon vorher aus opportunistischer Gesinnung total versagt haben und mitschuldig sind, auf ihren kirchlichen Positionen verbleiben ? Ausgerechnet diese Personen jetzt mit der Problembewältigung zu beauftragen, hiesse „den Bock zum Gärtner zu machen“…
    P.S. wie nun mit dem greisen Josef Ratzinger umzugehen wäre, wie mit der Heiligsprechung des Herrn Wojtyla, wüsste ich auch nicht…

    • Novalis
      26.08.2018, 0:25 Uhr.

      „– 2. das schliesst leider auch Franziskus ein, dem als Kardinal und Bischof (davon darf man wohl ausgehen) die Untaten seiner „Berufskollegen“ bekannt waren und trotzdem zur beschämenden Handlungsweise der Kirchenführung wie fast alle seine Kollegen ergeben schwieg, anstelle die Stimme für die Opfer zu erheben. Diesen Vorwurf muss er sich gefallen lassen…“

      Ja, das muss man ernst nehmen. Ich habe von einem befreundeten Salesianerpater auch so manches erfahren, was mir die Haare zu Berge hat stehen lassen (und zwar schon um 2000 herum) – und nichts davon wäre von der Justiz benutzbar gewesen (nebenbei: in der Hand der Salesianer Don Boscos war und ist die Masse der Jugendarbeit der Kirche). Mit einer Ausnahme: Hätte ich etwas öffentlich gesagt, hätte ich mich der üblen Nachrede strafbar gemacht. Oder schauen Sie sich das Interview von Kardinal Lehmann bei der Mixaaffaire vor 10 Jahren auf heute an. Da hat Lehmann frank und frei davon gesprochen, dass das Alkohol- und das darauf zurückzuführende Leitungsproblem in Augsburg den Bischofskollegen bekannt war. Was sollten sie tun?
      So hart das klingt: Auch ein wahrscheinlicher Missbrauchstäter hat vor dem Abschluss eines ordentlichen Gerichtsverfahrens den Anspruch auf die Unschuldsvermutung (nebenbei bemerkt, es ist zwar nur selten vorgekommen, aber man hat auch schon Pfarrer zu Unrecht angeklagt). Ich weiß selber keine Patentlösung, wie das in Harmonie gebracht werden soll damit, dass man Opfern erst einmal glaubt. Zumindest, was die STAATLICHE Gerichtsbarkeit betrifft.
      Was die KIRCHLICHE Gerichtsbarkeit betrifft: Da müssen die Akten auf den Tisch. Hier hat man nachweislich auf Kosten der Opfer vertuscht, verharmlost, versetzt, Täter geschützt. Kardinal Marx wäre gut beraten, die Ratzingerakten schonungslos zu veröffentlichen.

      • Wanda
        26.08.2018, 18:22 Uhr.

        Novalis 26.08. 00:25
        – Das mit der Unschuldsvermutung steht ganz ausser Frage. Niemand rüttelt daran. Und ich darf korrigieren: es ist keineswegs so, dass man bei der staatlichen Behörden bzw. der Gerichtsbarkeit den Opfern „per se“ glaubt. Die Anzeige ist einzig und allein Anlass, neutral und unvoreingenommen zu ermitteln. Nicht mehr und nicht weniger. Alles Weitere, ob dann Anklage erhoben wird und/oder es überhaupt zu einem Gerichtsverfahren (mit offenem Ausgang) kommt, bestimmt das Ermittlungsergebnis. Das Verfahren ist also ziemlich klar, logisch und transparent. Mehr geht eigentlich nicht…
        – Anders verhält es sich mit der kirchlichen Gerichtsbarkeit und die Kirche täte gut daran, „ihre“ Fälle sofort und ohne Ausnahme mit all ihren Kenntnissen und Informationen in der Sache den weltlichen Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden zu übergeben.
        Alles andere ist nur Kochen im eigenen Saft, wie sich leider allzu oft herausgestellt hat. Was soll denn dabei schon anderes herauskommen als Misstrauen ?

        • Novalis
          27.08.2018, 12:18 Uhr.

          „es ist keineswegs so, dass man bei der staatlichen Behörden bzw. der Gerichtsbarkeit den Opfern „per se“ glaubt.“
          Das wollte ich auch gar nicht so gesagt haben. Ansonsten stimme ich Ihnen mit einer Ausnahme zu: Es gibt Opfer, die KEIN Verfahren wollen, weil es sie schmerzt. Hier weiß ich wirklich nicht, ob wegen dieses verständlichen Unwillens ein monströses Verbrechen ungeahndet bleiben soll oder ob die Ahndung vor den Opferschutz geht.

          • Wanda
            29.08.2018, 2:13 Uhr.

            In der Tat: man steht ratlos da…

  • Helmut Betsch
    28.08.2018, 13:00 Uhr.

    Erst dann, wenn die Priester und Nonnen heiraten dürfen und auch heiraten werden, wird es weniger Missbrauchsfälle geben. Die Standespflicht der Geistlichen ehelos zu leben ist ein gewaltiger Eingriff in die Menschenrechte und nur zu verstehen aus der früheren großen Macht der kath. Kirche. Wenn junge Menschen sich auf das Zölibat einlassen, dann können sie noch nicht beurteilen, ob sie wirklich ihr Leben lang ohne Geschlechtsverkehr leben können. Es ist einfach unnatürlich von einen Menschen zu verlangen ein Leben lang auf Sex zu verzichten. Das Zölibat sollte deshalb sofort abgeschafft werden! Auch wenn das Zölibat abgeschafft ist kann ein Mensch auf Sex verzichten, wenn er will!

    • Novalis
      28.08.2018, 22:57 Uhr.

      Ich glaube schon, dass es Menschen gibt, die problemlos auf die gelebte genitale Sexualität verzichten können. Die sollen das auch tun dürfen. Nur ist das eine verschwindende Minderheit. Das Verzichtsversprechen auf die ausgelebte Sexualität sollte nur nicht als etwas Hochheiliges stilisiert werden. Das ist es nämlich nicht. Heilig ist ja auch guter Sex. Und v.a. sollt der Zölibat genauso wenig wie das Mannsein eine notwendige Voraussetzung zum Amt des Diakons, Priesters oder Bischofs sein.

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