Missbrauchsstudie: zweiter Anlauf
Qualität statt Quantität lautet die Maßgabe bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Missbrauchsfälle der Deutschen Bischofskonferenz. Das erklärten die beteiligten Wissenschaftler sowie der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, heute bei der Vorstellung der Neuauflage der Missbrauchsstudie. Die Arbeiten werden stichprobenartig durchgeführt. D.h. nicht alle Bistümer lassen sich in die Karten schauen. Die Wissenschaftler sind allerdings zuversichtlich, dass die Studie trotzdem repräsentativ sein wird; denn die geplante Datenanalyse reiche dafür aus.
Interdisziplinäre Studie
Die Studie wird von einem Forschungsverbund um den Mannheimer Psychiater Harald Dreßing durchgeführt. Dreßing leitet die Forensische Psychiatrie am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim. Neben ihm gehören dem Projekt zwei Vertreter des Instituts für Kriminologie der Universität Heidelberg an, Dieter Dölling (Leiter) und Dieter Hermann, sowie zwei Vertreter des Instituts für Gerontologie der Universität Heidelberg, Andreas Kruse (Leiter) und Eric Schmitt, sowie die Kriminologin Britta Bannenberg, die an der Universität Gießen lehrt. Sie wollen in den nächsten dreieinhalb Jahren nicht nur Personalakten studieren, sondern auch Interviews führen mit rund 100 Opfern und 70 Tätern.
Das besondere an der neuen wissenschaftlichen Studie ist die Interdisziplinarität. Zudem wollen die Forscher auch vergleichbare Studien aus dem Ausland berücksichtigen sowie wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema aus dem nichtkirchlichen Bereich heranziehen, um Spezifika von Missbrauch im kirchlichen Kontext herauszuarbeiten. In neun Bistümern werden die Personalakten ab 1945 durchforstet, in 18 Bistümern seit 2000. Dabei sollen alle datenschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Forscher sind sich bewusst, dass es im kirchlichen Bereich Vorschriften zur Vernichtung von Akten gibt. Sie wollen daher auch alle Staatsanwaltschaften Deutschlands kontaktieren, um gegebenenfalls von dort Informationen zu erhalten.
Unabhängige Studie
Professor Dreßing betonte, dass die Arbeiten unter streng wissenschaftlichen Gesichtspunkten ausgeführt werden. Bischof Ackermann erklärte, dass die Frage der Publikation der Ergebnisse in der Hand der Wissenschaftler liege, da es sich hier nicht um eine Studie der Bischofskonferenz handle, sondern um ein klassisches durch Drittmittel finanziertes Wissenschaftsprojekt. Es sei allerdings vereinbart worden, dass die Interviews mit Opfern und Tätern ausschließlich für die vorliegende Studie verwendet werden und nicht für weitere Studien zur Verfügung stünden. Begleitend zur Studie soll es einen Beitrag geben, in dem auch die Opfer vertreten sein sollen. Vertreter von Betroffenenverbänden hatten in den letzten Tagen beklagt, dass sie in der Diskussion um die Neuauflage der wissenschaftlichen Studie, die immerhin ein Jahr dauerte, nicht beteiligt gewesen seien.
Mit dem Design der neuen Studie ist klar, dass es trotz des Aufwands von knapp einer Million Euro, die die Studie kostet, am Ende keine quantitativen Zahlen über die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche geben wird. Dies dürfte allerdings aufgrund der Aktenlage auch schwierig sein. Zudem werden nur Fälle in den Bistümern untersucht. Die Orden bleiben außen vor; es sei denn, ein Ordensmann oder eine Ordensfrau war zum Zeitpunkt der Tat in Diensten eines Bistums. Den Wissenschaftlern wie den Bischöfen geht es vor allem darum, qualitative Antworten zu bekommen. Es gehe darum „Dynamiken offenzulegen, die dazu beitragen, dass solche Taten geschehen“. Es geht also in erster Linie darum, aus der Vergangenheit zu lernen, um solche Taten künftig zu verhindern. Eine spannende Frage ist dabei, ob strukturelle Faktoren den Missbrauch begünstigten.