Missbrauch, Enzyklika-Leak und zwei Päpste im Urlaub

Der Vatikan legt weiter ein konsequentes Vorgehen im Fall von Missbrauch an den Tag. Am Montag wurde bekannt, dass der ehemalige Nuntius in der Dominikanischen Republik sich vor dem Vatikangericht verantworten muss. Das ist das erste Mal, dass der Vatikan gegen einen Bischof wegen sexuellen Missbrauchs in dieser Weise vorgeht. In den USA sind am Montag der Erzbischof sowie der Weihbischof von Saint Paul und Minneapolis zurückgetreten. Wenige Tage zuvor hatte die US-Staatsanwaltschaft dem Bistum beim Schutz Minderjähriger Versagen vorgeworfen. Unterdessen kämpft der Vatikan gegen Indiskretionen in Bezug auf die Ökoenzyklika des Papstes. Offiziell soll sie am Donnerstag vorgestellt werden. Das italienische Wochenmagazin L’Espresso veröffentlichte gestern Nachmittag einen Entwurf des Papiers im Internet und sorgte damit für Aufregung im Vatikan und unter Journalisten. Da ging es ganz unter, dass die beiden Päpste, also der amtierende und der emeritierende, wohl einige gemeinsame Tage Urlaub in Castel Gandolfo planen.

Neues Kapitel bei Missbrauchsaufarbeitung

Die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen scheint nun endlich auch in den oberen Hierarchieebenen angekommen zu sein. Vergangene Woche kündigte der Vatikan die Schaffung eines Gerichts an, das Vertuschung und Verschleppung von Aufarbeitung von Missbrauchsfällen durch Bischöfe aufarbeiten soll. Gestern dann der Rücktritt der beiden US-Bischöfe. Bereits im April musste mit dem Bischof von Kansas City-Saint Joseph, Robert Finn, ein Bischof zurücktreten. Er war 2012 von einem staatlichen Gericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, weil er den sexuellen Missbrauch durch einen Priester nicht zur Anzeige gebracht haben soll. Auch mit dem Prozess gegen den ehemaligen Nuntius Jozef Wesolowski vor dem „weltlichen“ Vatikangericht schlägt der Papst ein neues Kapitel auf. Der 66-jährige Wesolowski wurde 2014 nach einem kirchenrechtlichen Prozess durch die Glaubenskongregation aus dem Klerikerstand entlassen. Er hält sich im Vatikan auf und muss sich nun wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen sowie dem Besitz von kinderpornografischem Material verantworten.

Enzyklika geleakt

Die Spannung ist groß, was Papst Franziskus wohl in seiner Ökologieenzyklika sagen wird. Vor allem in den USA wird bereits heftig gestritten, obwohl der Text noch nicht bekannt ist. War, muss man wohl besser sagen. Denn der L’Espresso hat gestern einen Entwurf veröffentlicht. Damit ist die Luft raus und die Gegner des Papstes können sich schon einmal vorbereiten für den Tag der Veröffentlichung am Donnerstag. Ob es Zufall ist, dass ausgerechnet die Zeitung von Sandro Magister, einem der größten Kritiker des aktuellen Pontifikats, drei Tage vor der Veröffentlichung eine nicht mehr ganz aktuelle Version der Enzyklika veröffentlicht? Zugegeben, allzu viele Änderungen wird es nicht mehr gegeben haben. Aber drei Tage vor der offiziellen Bekanntgabe, zu einem Zeitpunkt, an dem bereits viele das Papier in Händen halten, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, ist kein Coup, sondern da steckt ein Ziel dahinter: Sand ins Getriebe zu streuen. Der Vatikan betonte umgehend, dass die Sperrfrist für das Dokument weiter gelte und appellierte an die „journalistische Korrektheit“ bis zur offizielle Bekanntgabe des Papiers zu warten.

Was sagten frühere Päpste?

Bevor das neue Papier kommt, lohnt ein Blick in die Vergangenheit päpstlicher Aussagen zum Thema. Umweltschutz und Bewahrung der Schöpfung gehören seit langer Zeit auf die Agenda der Päpste. Allerdings ist Franziskus der erste Pontifex, der das Thema in einer eigenen Enzyklika ausführlicher bearbeitet. Schon Papst Johannes Paul II. hat beispielsweise in seiner Botschaft zum katholischen Weltfriedenstag 1990 einen Zusammenhang von Frieden und Bewahrung der Schöpfung hergestellt. Er forderte damals deutlich einen veränderten Lebensstil, um für die Folgen des Klimawandels, der nach Ansicht von Johannes Paul II. zu einem großen Teil von den Menschen verursacht ist, eine Lösung zu finden. Auch für Benedikt XVI. war klar, dass Friedensförderung und Bewahrung der Schöpfung zusammengehören. 2010 widmete er die Botschaft zum Weltfriedenstag dem Umweltschutz. Den Päpsten geht es einerseits immer um die Bewahrung der Schöpfung, weil sie als Ganze nach christlichem Verständnis Schöpfung Gottes ist. Andererseits ist der Lebensstil des Menschen im Blick und damit auch das System von Wirtschaft und Gesellschaft. Wer die Umwelt schützt, muss auch den Menschen schützen. Das führt bei den Päpsten zu einer scharfen Kritik an kapitalistischen und konsumorientierten Systemen und Verhalten. Sie fordern eine nachhaltige Entwicklung.  Das ist also nicht neu; nur Franziskus wählt drastischere Bilder und Formulierungen. Damit bekommt das Ganze noch einmal eine besondere Radikalität.

Benedikt XVI. wurde bisweilen gar als der „grüne Papst“ bezeichnet. In seiner Amtszeit wurden viele „grüne Projekte“ im Vatikan umgesetzt. Auf dem Dach der Audienzhalle wurde eine Solaranlage errichtet, die Elektromobilität im Vatikan ausgebaut. Dazu kam, dass er sich sehr oft zum Thema Umwelt und Bewahrung der Schöpfung äußerte, bei Treffen mit Politikern, beim sonntäglichen Angelusgebet, in Predigten und Ansprachen. Meines Erachtens sogar öfter als das etwa Franziskus in seinen ersten beiden Amtsjahren getan hat. Anfang 2012 hatte ich in einem eigenen Buch alle Aussagen Benedikts XVI. zur Schöpfung zusammengetragen. In seiner Enzyklika Caritas in veritate widmete er 2009 mehrere Abschnitte der Umwelt. Dabei zeigte er die Weite des Themas: Es geht hier um Fragen der Verteilung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, der Energiegewinnung, der technischen Entwicklung u.v.m. „Das entscheidende Problem“, so Benedikt XVI. in Caritas in veritate, „ist das moralische Verhalten der Gesellschaft“. Er sprach oft von der „Humanökologie“. Dahinter steckt etwas verkürzt gefasst letzten Endes der Gedanke: Wer den Menschen achtet, achtet auch die Welt, in der er lebt.

Ökologie des Menschen

Franziskus knüpfte bisher in Teilen an Benedikt XVI. an. „Die Ökologie des Menschen und die Ökologie der Umwelt gehen Hand in Hand“, sagte er bei einer Generalaudienz wenige Monate nach seiner Wahl. Bereits in der Predigt zu seiner Amtseinführung machte er deutlich, dass der Name Franziskus für ihn ein umfassendes Programm bedeutet. Damals stellte er mit Berufung auf den Schöpfungsbericht und Franz von Assisi fest: „Die Berufung zum Hüten […] besteht darin, die gesamte Schöpfung, die Schönheit der Schöpfung zu bewahren. […] Sie besteht darin, Achtung zu haben vor jedem Geschöpf Gottes und vor der Umwelt, in der wir leben. Die Menschen zu hüten, sich um alle zu kümmern, um jeden Einzelnen, mit Liebe.“ Damit hängen für Franziskus Themen wie Umweltschutz, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aufs engste zusammen. Die Sorge um den Nächsten und die Sorge um die Umwelt sind zwei Seiten einer Medaille. Für Franziskus ist beides eine moralische Verpflichtung. „Die Natur steht uns zur Verfügung, und wir sind berufen, sie verantwortlich zu verwalten“, sagte er in seiner Weltfriedensbotschaft 2014.

Zwei Päpste im Urlaub

Papst emeritus Benedikt XVI. wird dem Vernehmen nach im Sommer einige Wochen in der Päpstlichen Sommerresidenz in Castel Gandolfo verbringen. Ab Anfang Juli soll er sich dort aufhalten. Einige Tage wird wohl auch Papst Franziskus vorbeischauen – vor oder nach der Lateinamerikareise, die vom 5. bis 13. Juli dauert. Da werden die beiden Päpste viel Zeit haben zu reden – im Rückblick über die Enzyklika und im Ausblick über anstehende Reformen und die Familiensynode im Oktober. Benedikt XVI. wird am 3. Juli die Ehrendoktorwürde der Päpstlichen Universität Johannes Paul II. und der Musikakademie von Krakau verliehen werden. Das kündigte der amtierende Erzbischof von Krakau und langjährige Privatsekretär Kardinal Stanislaw Dziwisz an. Benedikt XVI., der eigentlich ein Leben im Verborgenen führen und keine Ehrungen annehmen wollte, begründete demnach die Ausnahme mit seiner besonderen Verbundenheit zu Johannes Paul II. Ob man einen emeritierten Papst mit einem HC ehren muss, ist die andere Frage. Oder steckt dahinter gar einmal mehr Politik?

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.