Papst Franziskus in der Türkei – Tag 2
War der erste Tag des Papstbesuchs in der Türkei der Tag der Worte, war der zweite der Tag der Bilder. Am Morgen der Besuch von Franziskus in der Blauen Moschee und der Hagia Sofia, am späten Nachmittag die Begegnung mit Patriarch Bartholomaios I., dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, an dessen Amtssitz in Istanbul, dem Phanar. In der Moschee verharrte Papst Franziskus für einige Momente in stiller Anbetung. Anschließend besuchte der Pontifex die Hagia Sofia, die heute ein Museum ist und in der Vergangenheit erst eine Kirche, dann eine Moschee war. Beim Treffen mit den Katholiken am Nachmittag mahnte er, dass Verschiedenheit in der katholischen Kirche kein Problem sei.
Moment der Anbetung in Blauer Moschee
Es ist wohl das Bild dieser Reise: Papst Franziskus steht neben dem Großmufti, Rahmi Yaran, in der Blauen Moschee von Istanbul mit Blickrichtung zur Mihrab, der Gebetsnische. Beide verharren in Stille. Franziskus faltet die Hände, schließt die Augen, bewegt die Lippen nicht. Der Großmufti spricht sichtbar leise ein Gebet, die Hände erhoben. In Richtung der Mihrab, die wie üblich gen Mekka ausgerichtet ist, liegt übrigens auf der geografischen Linie zum wichtigsten Heiligtum der Muslime auch Jerusalem. Hat der Papst nun gebetet? Vatikansprecher Federico Lombardi legte Wert darauf, dass es sich um eine „stille Anbetung“ gehandelt habe. Papst Franziskus habe kurz zuvor beim Gang durch die Moschee beim Blick in die große Kuppel gesagt, dass man Gott nicht nur loben und verherrlichen müsse, sondern auch anbeten. Der Großmufti habe Franziskus mehrere Verse aus dem Koran erklärt.
Der Moment der Stille erinnerte an jenen Augenblick, als 2006 Benedikt XVI. ebenfalls mit dem damaligen Großmufti in Stille vor der Gebetsnische verharrte. Anders als Franziskus heute, faltete der Papst damals die Hände nicht zum Gebet. Der Besuch Benedikts XVI. in der Blauen Moschee wurde kurzfristig ins Programm genommen, nachdem es in Folge der Regensburger Rede wenige Wochen zuvor beim Papstbesuch in Bayern im September 2006 zu scharfen Protesten aus der islamischen Welt gekommen war. Der gemeinsame Moment der Stille wurde damals als wichtiges Zeichen der Aussöhnung gewertet. Beim Besuch von Franziskus in der Moschee gab es kurzfristig eine kleine Programmänderung. Ursprünglich sollte der Papst zunächst die Hagia Sophia und anschließend die Blaue Moschee besuchen. Dies hätte bedeutet, dass er um 12 Uhr beim Gebetsaufruf des Muezzins in der Moschee gewesen wäre. Um dies zu vermeiden, wurden die beiden Termine vor wenigen Tagen getauscht. Die Hagia Sophia ist ja heute ein Museum. Ein Aufenthalt dort um 12 Uhr stellte damit kein Problem dar.
Verschiedenheit ist positiv
Beim Treffen mit den Katholiken in Istanbul sprach Franziskus über eines seiner Lieblingsthemen: die Einheit in Vielfalt in der katholischen Kirche. Der Heilige Geist, so der Papst, „erwecke die verschiedenen Charismen in der Kirche“. Auch wenn das auf den ersten Blick nach Unordnung aussehe, stelle es unter der Führung des Geistes „einen gewaltigen Reichtum dar“. Der Geist sorge gleichzeitig dafür, dass die Verschiedenheit letztendlich auch wieder zur Einheit werde. „Wenn wir es sind, die die Verschiedenheit erzeugen wollen und uns dabei in unseren Partikularismen verschließen, schaffen wir Spaltung; und wenn wir es sind, die nach unseren menschlichen Plänen die Einheit herstellen wollen, führen wir schließlich Uniformität und Vereinheitlichung herbei.“ Vom Geist geleitet, gerate Verschiedenheit niemals in Konflikt sondern der Geist „drängt uns, die Vielfalt in der Gemeinschaft der Kirche zu leben“.
Auf den ersten Blick verwunderte die Ansprache von Papst Franziskus an die Katholiken am Nachmittag in der Heilig-Geist Kathedrale in Istanbul. Doch der Pontifex wollte mit seinen mahnenden Worten wohl Brückenbauer sein, denn das Verhältnis zwischen den Katholiken der vier katholischen Riten (Armenier, Syrer, Chaldäer, Lateiner) ist dem Vernehmen nach nicht reibungslos. Ein Vertreter der römisch-katholischen Kirche erklärte, dass die schwierige Situation der Katholiken in der Türkei zu einem großen Teil den politischen Bedingungen geschuldet sei; zu einem Teil aber auch der Uneinigkeit der Katholiken untereinander. Immer wieder gebe es Vorwürfe des gegenseitigen innerkatholischen Proselytismus. Teilweise verschlössen sich einzelne Riten auch gegenüber katholischen Einwanderern, weil diese ihre Muttersprache oder Traditionen aus ihrer Heimat pflegen wollten. Diese würden sich dann oft evangelischen Kirchen anschließen, von denen es in Istanbul rund 100 gebe. Meist seien das kleine Gruppen von weniger als 50 Gläubige; doch verstünden es die Vorsteher dieser Gemeinden/Kirchen, die Menschen mit ihren Traditionen und auch Nöten anzunehmen.
Botschaft über Istanbul hinaus
Der Papst dürfte mit seinen Worten in Istanbul allerdings nicht nur die kleine Zahl der Katholiken in der Türkei im Blick gehabt haben. Wenn er davon spricht, der Geist „bringt die Kirche in Verwirrung, rüttelt sie auf, setzt sie in Bewegung und drängt sie, voranzugehen“, klingen die Vorwürfe konservativer Kreise in den Ohren, die vor wenigen Wochen rund um die Familiensynode von Verwirrung sprachen angesichts der Diskussionen dort. Sie forderten ein Eingreifen des Papstes, weil die Gläubigen „verwirrt“ seien. Nun stellt der Papst fest: Der Geist setzt die Kirche in Verwirrung, um sie wachzurütteln. „Es ist immer bequemer, sich in den eigenen statischen und unbeweglichen Positionen auszustrecken“, stellte Franziskus heute fest. Er warnte vor einer „übertriebenen Verschanzung hinter unseren Ideen, hinter unseren Kräften“, hinter der er gar die Gefahr des Pelagianismus sieht, oder einer „Haltung von Ehrsucht und Eitelkeit“. Die Verteidigungsmechanismen hinderten die Kirche daran, „die anderen wirklich zu verstehen und uns für einen aufrichtigen Dialog mit ihnen zu öffnen“. Eine klare Ansage an die vier katholischen Riten in der Türkei; aber auch an die gesamte Kirche.
Beim Gottesdienst heute Mittag waren die vier katholischen Riten auf jeden Fall vereint. Die katholische Vielfalt drückte sich in den Sprachen und unterschiedlichen Rhythmen aus. Latein, Aramäisch, Armenisch, Türkisch, Spanisch, Italienisch, Arabisch und andere Sprachen mehr waren zu hören. Neben orientalischen Gesängen gab es auch afrikanische Klänge. Neben dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. nahmen auch Vertreter anderer orthodoxer Kirchen sowie der evangelischen Kirche in der Türkei teil.
Ökumenisches Gebet
Am frühen Abend kam Franziskus am eigentlichen Ziel seiner Reise an: dem Phanar, dem Sitz des Ökumenischen Patriarchen und Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, Bartholomaios I. Der feiert am 30. November mit seiner Kirche das Fest des heiligen Andreas, auf den die Gründung des Patriarchensitzes zurückgeht. Es ist bereits die vierte Begegnung zwischen Papst und Patriarch und man merkt, die Chemie stimmt. Franziskus grüßte den „Bruder Bartholomaios“ und erinnert daran, dass Andreas und Petrus „Blutsbrüder“ waren und zu Brüdern im Glauben und der Liebe geworden seien. An diesem Abend seien sie „Brüder in der Hoffnung“. Während Franziskus die Worte Ökumene und Einheit an diesem Abend nicht in den Mund nahm, sprach der Gastgeber gleich mehrfach davon. Bartholomaios wertete den Besuch des Papstes als Signal, „dass der brüderliche und kontinuierliche Weg [der Kirche von Rom] mit unserer orthodoxen Kirche zur Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft zwischen unseren Kirchen fortgesetzt wird“. Von der Kirche von Rom sprach Bartholomaios in guter orthodoxer Tradition von der „Vorsteherin der Liebe“. Am Ende des Gottesdienstes bat Franziskus den Patriarchen, ihn und die Kirche von Rom zu segnen. Der Papst verneigte sich tief vor Bartholomaios. Der gab ihm einen Bruderkuss auf den Pileolus.