Paul VI. – Reformer oder Reaktionär?

Zum Abschluss der Bischofssynode hat Papst Franziskus heute seinen Vorgänger Paul VI. seliggesprochen. Dieser Vorgang ist nicht unumstritten. Die einen sehen in dem Montini-Papst einen Reaktionär und haben dabei vor allem seine Moralenzyklika Humanae vitae im Blick. Für die anderen ist Paul VI. ein großer Reformer. Sie verweisen auf die vielen Veränderungen, die er nach dem II. Vatikanischen Konzil in der katholischen Kirche umgesetzt hat. Papst Franziskus würdigte seinen Vorgänger als einen „prophetischen und demütigen“ Zeugen der Liebe zu Christus und der Kirche. An dem Gottesdienst auf dem Petersplatz nahmen mehrere zehntausend Menschen aus der ganzen Welt sowie der emeritierte Papst Benedikt XVI. teil.

Papst des II. Vatikanischen Konzils

Dass Paul VI. in Deutschland vor allem als „Pillen-Papst“ gesehen wird, darauf habe ich heute bereits in meinem heute.de-Artikel hingewiesen, auf den ich an dieser Stelle verweisen möchte. Hier möchte ich die Gelegenheit nutzen, noch auf einige andere Seiten des Montini-Papstes hinzuweisen. Damit möchte ich nicht verharmlosen, dass die Enzyklika Humanae vitae ganz erheblich zum Bruch vieler Katholiken mit ihrer Kirche beigetragen hat, zumindest was die Fragen der Sexualmoral anbetrifft, und bis heute negative Folgen hat. Trotzdem ist Paul VI. nicht nur Humanae vitae.

Er ist der Papst, der die nicht leichten Diskussionen des II. Vatikanischen Konzils zu einem einigermaßen guten Ende gebracht hat. Sicherlich merkt man vielen Konzilstexten an, dass sie Kompromisstexte sind. Das ist der Preis. Doch Paul VI. ist es gelungen, weitestgehend alle zu integrieren. Dass die Schar der Lefebvre-Anhänger, die schließlich ins Schisma gegangen ist, relativ klein geblieben ist, zeigt das. Anschließend hat er die Reformen, die das Konzil angestoßen hat, umgesetzt. Auch da lässt sich sicherlich vieles kritisieren, aber Paul VI. hat sich um eine Öffnung der katholischen Kirche zur Moderne hin bemüht. Nicht zuletzt deshalb wird er ja auch als „erster Papst der Moderne“ bezeichnet.

Moderner Papst

Er reist nach Australien, Indien und auf die Philippinen, spricht vor der UNO in New York und macht durch die historische Begegnung mit dem orthodoxen Patriarchen Athenagoras 1964 in Jersualem den Weg für die Aussöhnung mit den orthodoxen Kirchen frei.  An einer Randgeschichte dieses Treffens wird übrigens deutlich, dass Paul VI. und der amtierende Papst sich durchaus ähnlich sind. Paul VI. machte eine Vorbesichtigung in dem Raum, in dem die Begegnung mit Athenagoras stattfinden sollte. Als er sieht, dass sein Stuhl größer ist als der des Ökumenischen Patriarchen, lässt er das schnell ändern. So begegnen sich die beiden auf Augenhöhe.

Einmal zelebrierte Paul VI. die Christmette nicht feierlich im Petersdom, sondern verlegte sie recht spontan in einen Tunnel, um sie mit Arbeitern zu feiern. Er lud Künstler zu einem Treffen in die Sixtinische Kapelle ein und schaffte im Vatikan eine ganze Reihe von höfischen Ämtern ab, wie etwa den Oberstallmeister, mehrere Garden und auch eine Reihe von Titeln. Was vielen nicht bekannt ist: Paul VI. bot sich 1977 in einem Telegramm an den damaligen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Joseph Höffner, als Geisel an, um die Freilassung der von Terroristen entführten Passagiere der Lufthansa-Maschine „Landshut“ in Mogadischu zu erwirken. Er wollte damit ein Zeichen gegen den Terrorismus setzen.

Wenn man die erste Enzyklika von Paul VI. nimmt, Ecclesiam suam, und liest, was er dort etwa über den Dialog schreibt, findet man große Ähnlichkeiten zum amtierenden Papst Franziskus. „Der Dialog ist nicht hochmütig, verletzend oder beleidigend. Seine Autorität wohnt ihm inne durch die Wahrheit, die er darlegt, durch die Liebe, die er ausstrahlt, durch das Beispiel, das er gibt.“ (81) Für Franziskus ist zudem das Apostolische Schreiben „Evangelii nuntiandi – über die Evangelisierung in der Welt von heute“ von Paul VI. ein ganz entscheidendes Dokument, das er in Evangelii gaudium quasi fortschreibt. Und Paul VI. ist für Papst Franziskus der Papst der Bischofssynode. Deshalb macht es für Franziskus Sinn, ihn am Ende einer Synode seligzusprechen. Er zitiert Paul VI., der bei der Einrichtung des Instruments der Bischofssynode sagte, es gehe darum: „Die Zeichen der Zeit aufmerksam durchforschend, [suchen wir,] die Wege und Methoden […] den wachsenden Notwendigkeiten unserer Tage sowie den veränderten Verhältnissen der Gesellschaft anzupassen.“

P.S. Eine kleine Anmerkung noch zur Predigt. Papst Franziskus greift einen Gedanken des Tagesevangeliums auf: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!“ (Mt 22,21) und sagt, dass es „eine einprägsame Antwort“ sei, „die der Herr allen gibt, die Gewissensprobleme haben.“ Um dann fortzufahren, es gehe darum, „gegenüber jeder Art von Macht zu erkennen und zu bekennen, dass Gott allein der Herr des Menschen ist und es keinen anderen gibt.“ Ob er damit auch die Macht der Kirche meint, sagt er nicht. Dann würde das Gewissen über dieser Macht stehen. So argumentierten seinerzeit viele Bischöfe als Antwort auf die Enzyklika Humanae vitae. Im Gespräch mit Kollegen waren diese skeptisch, was eine solche Deutung dieser Stelle anbetrifft.

Autorenbild

Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.