Papst an Jugend: Lasst euch niemals entmutigen

Wie ein evangelikaler Prediger hat sich Papst Franziskus am Morgen beim Treffen mit Kongos Jugend und Katecheten gegeben. Er provozierte minutenlange Sprechchöre, in denen die Jugendlichen am Ende den Präsidenten des Landes aufforderten, nicht mehr für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. Eigentlich wollte er nur die jungen Menschen ermutigen, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, Korruption, Gewalt, Misstrauen, Gruppendenken abzuschwören und für eine bessere Zukunft des Landes zu sorgen. Wie schon zweimal gestern erklärte Franziskus auch heute Morgen ausführlich, wie er sich eine Wende hin zum friedlichen Miteinander vorstellt. Dass dies bestehende Strukturen erschüttern kann, wurde andeutungsweise deutlich. Am Abend traf sich der Papst mit Priestern, Ordensleuten und Seminaristen. Neben dem Dank für ihren Einsatz in dieser schwierigen Situation im Land, warnte er vor drei Herausforderungen: geistlicher Mittelmäßigkeit, weltlicher Bequemlichkeit und Oberflächlichkeit. Vor der Kathedrale demonstrierte eine kleine Gruppe von Betroffenen sexualisierter Gewalt durch Kleriker. Sie forderten unter anderem ein Treffen mit dem Pontifex.

Papst Franziskus schwor die 65.000 im Stadion auf Veränderung zum Guten hin ein. (Quelle: VaticanMedia/reuters)

Fünf Zutaten für die Zukunft

Es war ein kleiner Vorgeschmack auf den Weltjugendtag Anfang August in Lissabon, das Treffen mit jungen Menschen und Katecheten am Morgen im „Stadion der Märtyrer“ in Kinshasa. 65.000 waren nach offiziellen Angaben gekommen. Papst Franziskus genoss sichtlich den Jubel und ließ sich von der guten Stimmung offenbar anstecken. Denn an mehreren Stellen verlies er den vorbereiteten Text bei der Ansprache und fachte somit die Dynamik im Stadion noch mehr an. Die Anlage der Ansprache war denkbar einfach. Entsprechend der Finger an der Hand hatte sich Franziskus vorgenommen, den Jugendlichen fünf „Zutaten für die Zukunft“ im wahrsten Sinne des Wortes an die Hand zu geben. Und er stellte zu Beginn die Frage: „Wozu dienen diese meine Hände? Zum Aufbauen oder zum Zerstören, zum Geben oder zum Anhäufen, zum Lieben oder zum Hassen? Schau, du kannst die Hand schließen, dann wird sie zu einer Faust, oder du kannst sie öffnen und sie Gott und anderen zur Verfügung stellen.“

Die fünf Zutaten waren dann das Gebet, die Gemeinschaft, die Ehrlichkeit, die Vergebung und schließlich der Dienst. Das Gebet solle die einzige Waffe sein, die die Jugendlichen bei sich tragen, erklärte Franziskus. Beim Thema Gemeinschaft warnte er, wie schon gestern, davor, jemanden auszuschließen, nur weil er anderer Herkunft sei. „Erst glaubt man den Vorurteilen über andere, dann rechtfertigt man den Hass, dann die Gewalt und schließlich befindet man sich mitten im Krieg“, mahnte Franziskus. Immer wieder stellte er den Jugendlichen direkt Fragen: „Hast du jemals mit Menschen aus den anderen Gruppen gesprochen oder hast du dich immer auf deine eigene Gruppe beschränkt?“ „Seid ihr diejenigen, die die Gesellschaft verwandeln, die Böses in Gutes verwandeln, Hass in Liebe, Krieg in Frieden. Wollt ihr das sein?“

Mutmacher Papst

Zugleich machte er ihnen Mut, beschwor sie nahezu, dass sie es natürlich in der Hand hätten, das Böse in Gutes zu verwandeln. „Du bist ein einzigartiger, unwiederholbarer und unvergleichlicher Schatz. Keiner in der Geschichte kann dich ersetzen.“ Oder: „Ja, du bist unverzichtbar und verantwortlich für deine Kirche und dein Land; du gehörst zu einer größeren Geschichte, die dich dazu aufruft, Protagonist zu sein: einer, der Gemeinschaft stiftet, ein Meister der Geschwisterlichkeit, ein unbeirrbarer Träumer von einer geeinteren Welt.“ Auf die Frage, ob die Jugendlichen das Böse ins Gute verwandelt wollten, sagte er später: „Wenn ihr es wollt, ist es möglich: Wisst ihr warum? Weil jeder von euch einen Schatz besitzt, den euch niemand stehlen kann. Das sind eure Entscheidungen. Ja, du bist die Entscheidungen, die du triffst, und du kannst dich immer für das Richtige entscheiden. Wir können uns frei entscheiden.“

Er unterstrich die Worte auch mit Gesten. Er forderte die Anwesenden auf, sich an den Händen zu fassen. „Fühlt euch als eine einzige Kirche, als ein einziges Volk.“ Spontan ließ er ein Lied anstimmen. Später, als er vor Korruption warnte, geriet die Situation etwas aus dem Ruder. Es könne nicht sein, fing Franziskus an, dass man von einem Menschen sage, er sei ein guter Arbeiter und zugleich korrupt. Das gehe nicht zusammen, so der Papst. „Wenn dir jemand einen Umschlag entgegenstreckt, dir Gefälligkeiten und Reichtum verspricht, dann tappe nicht in die Falle, lass dich nicht täuschen, lass dich nicht von dem Sumpf des Bösen verschlingen.“ „Keine Korruption“ sagte Franziskus dann spontan und forderte die Jugendlichen auf, das zu wiederholen. Sie stimmten ein und gingen einen Schritt weiter. Es gebe Korruption, riefen sie, und fügten hinzu, den Präsidenten bei seinem Spitznamen nennend, dass sein Mandat abgelaufen sei. Gegen Ende des Jahres finden Wahlen im Land statt. Die Botschaft war klar.

Veränderung von unten

Franziskus hatte Mühe, die Stimmung wieder einzufangen. Erst nach einigen Minuten konnte er seine Ansprache fortsetzen. Er hatte noch einen wichtigen Punkt, der auch gestern schon Thema war: die Vergebung. Diese bedeute nicht, die Vergangenheit zu vergessen, „sondern sich nicht damit abzufinden, dass sie sich wiederholt“. Es gehe darum, den Lauf der Geschichte zu verändern. Ein Christ liebe nicht nur diejenigen, die ihn liebten, „sondern weiß auch, wie er die Spirale persönlicher und stammesbezogener Fehden durch Vergebung stoppen kann“. Übrigens hatte er auch gewürdigt, dass die Jugendlichen mehrmals gezeigt hätten, „dass ihr fähig seid, euch zu erheben, um die Menschenrechte und die Hoffnung auf ein besseres Leben für alle Menschen in diesem Land zu verteidigen, auch wenn dies mit großen Opfern verbunden ist.“ Er gedachte derer, die bei diesem Einsatz das Leben oder ihre Gesundheit verloren hätten. „Und ich ermutige euch, macht gemeinsam weiter, ohne Angst, als eine Gemeinschaft!“

Es gab schon einmal eine ähnliche Situation. Bei seinem Besuch auf Kuba hatte Franziskus 2015 beim Jugendtreffen ähnlich deren Engagement für mehr Gerechtigkeit gewürdigt. Dieser Papst misstraut eher den Eliten und baut auf Veränderung von unten her. Das wurde heute in Kinshasa einmal mehr deutlich. Hier in der Demokratischen Republik Kongo, wo die Kirche verhältnismäßig groß und mächtig ist, kann er leichter diese revolutionären Töne anschlagen, als das seinerzeit auf Kuba der Fall war. Dennoch ist es nicht ohne Risiko, denn Franziskus fliegt morgen weiter. Die 52 Millionen Katholikinnen und Katholiken bleiben zurück und müssen mit den Verhältnissen vor Ort weiter klarkommen. Der Papst will für die gute Sache mobilisieren. Er skizziert Optionen für eine friedliche Zukunft und macht den Menschen hier Mut, sich zu erheben und eine Zeitenwende einzuläuten. Ob das gelingt, hängt nicht allein von den Kongolesen ab.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

2 Kommentare

  • Wanda
    03.02.2023, 18:35 Uhr.

    Wenn der Papst von Menschenrechten spricht, stellen sich mir die Haare auf: eine Organisation die dem Absolutismus frönt wie die röm.-kath. Amtskirche, verweigert selbst wesentlichste Menschenrechte. Das klammert er bewußt aus. Grotesk !

    • Zufälliger Gastleser
      06.02.2023, 19:01 Uhr.

      Was sind Menschenrechte? Was besagen die, welche sind es und wieweit erstrecken / erweitern sie gestern / heute / morgen sich? Woher kommen sie und wer hat Definitionsmacht darüber; das kirchliche Lehramt, die internationale Staatengemeinschaft? Von Gott? Aus Wesen oder Natur des Menschen? Und was / wer ist Mensch? Essentialismus? Etwa von Menschen einer bestimmten Zeit und Zivilisation deklariert, also zeitabhängig und kontingent – oder ewiggültig, woher? Was haben dann Staats- und Verfassungsformen mit dieser ominösen Größe überhaupt zu tun und inwieweit widersprechen Absolutismen oder Demokratismen der Menschenwürde? Haben sie überhaupt damit zu tun? Verwechseln Sie nicht allzu schnell Menschenrechte mit einem historisch momentanen „Menschenbild“ und daraus politisch ausgehandelten, abgeleiteten Normen? Ist eine solche Wortmeldung nicht etwas reflexhaft?

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