Der „Reform-Geist“ von Frankfurt

Der Druck auf die katholische Kirche wächst von Tag zu Tag. Bei der Vollversammlung des Synodalen Wegs in Frankfurt war zu spüren, dass das auch den Bischöfen bewusst ist. Das könnte ein Grund dafür sein, dass viele Oberhirten sich für Veränderungen ausgesprochen haben in ihren Wortbeiträgen, aber auch bei den Abstimmungen. Auch am dritten Tag, bei dem die Sexualmoral und das kirchliche Arbeitsrecht im Mittelpunkt standen, sprach sich eine große Mehrheit der Versammlung für Reformen aus. Zwar wurden die Texte in Erster Lesung beraten, doch durch die klaren Voten wurden Richtungsentscheidungen getroffen. Das Votum für eine „lehramtliche Neubewertung der Homosexualität“ lag bei knapp 90 Prozent, das für eine Reform der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“, also des kirchlichen Arbeitsrechts, bei über 90 Prozent.

Am Samstagmorgen mahnte der Apostolische Nuntius, Erzbischof Nikola Eterovic die Synodalen zur Einheit mit der Weltkirche und der Tradition. (Quelle: Erbacher)

Lehre weiterentwickelt oder Paradigmenwechsel?

„Der Katechismus ist nicht der Koran. Er wird immer wieder verändert.“ Kardinal Reinhard Marx brachte mit dieser klaren Aussage auf den Punkt, was viele Synodale bei der Debatte am Samstagvormittag über „Lehramtliche Aussagen zur ehelichen Liebe“ in ihren Wortbeiträgen formulierten. In dem Papier geht es um Sexualität als positiver Kraft mit Gestaltungsverantwortung. Es geht um eine Neubewertung der ehelichen Liebe und eine Weitung des Begriffs der Fruchtbarkeit, der nicht mehr allein auf die Zeugung von Nachkommenschaft begrenzt wird. „Endlich sind damit auch einmal die kinderlosen Ehepaare im Blick“, erklärte Ursula Becker, die die Gemeinschaft Christlichen Lebens im Zentralkomitee der deutschen Katholiken vertritt. Die Öffnung des Begriffs betrifft daneben auch nicht heterosexuelle Paarbeziehungen.

Unterschiedliche Meinungen gab es dazu, ob das vorgelegte Papier eine Weiterentwicklung der bisherigen Sexualmoral ist oder ein Paradigmenwechsel. Nach Ansicht etwa von Weihbischof Stefan Zekorn oder dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer steht es im Gegensatz zur bisherigen Lehre. Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke sieht in der zugrundeliegenden Anthropologie einen Bruch mit der bisherigen Lehre. Der Speyer Bischof Karl-Heinz Wiesemann hingegen kann keinen Paradigmenwechsel erkennen. Hamburgs Erzbischof Stefan Heße zeigte sich dankbar für den Text, weil er ernst mache mit der Gradualität und Gebrochenheit des Lebens. Er biete auch Chancen für Reformen im Arbeitsrecht. „Woher sollen all die idealen Menschen kommen, die wir für unsere Einrichtungen brauchen?“, fragte er mit Blick auf die aktuell strengen Regelungen.

Der Text wurde schließlich mit 169 Ja-Stimmen, 30 Nein-Stimmen und sechs Enthaltungen in Erster Lesung angenommen. Eine separate Auswertung der Stimmen der Bischöfe ist bei der Ersten Lesung nicht vorgesehen, auch wenn viele Synodale dies gewünscht hatten, um zu sehen, wo die Bischöfe stehen. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, kündigte an, dass sich die Bischöfe in den nächsten Monaten eingehender mit dem Thema Anthropologie beschäftigen möchten, um die Basis der Zustimmung zu erweitern. Das wird auch für das zweite kontrovers diskutierte Thema des dritten Beratungstags wichtig sein: die Homosexualität. Der vorgelegte Text erhielt 174 Ja-Stimmen, 22 Nein-Stimmen bei sieben Enthaltungen.

Schuldbekenntnis vorgeschlagen

Sowohl mit Blick auf die bisherige Lehre der Kirche zur Homosexualität als auch das Gesamt der Sexualmoral sprachen sowohl Bischöfe wie Laien von vielen Verletzungen, die den Menschen in der Vergangenheit angetan worden sei. Bischof Wiesemann brachte daher den Vorschlag eines Schuldbekenntnisses in die Debatte ein. Bei der Debatte über einen Text zur Reform des Arbeitsrechts forderte später die Benediktinerin Philippa Rath, dass die Personalakten gesichtet werden müssten, um erlittenes Unrecht gegenüber ehemaligen Mitarbeitenden sichtbar zu machen, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensführung entlassen wurden. Im Vergleich zu den anderen Abstimmungen gab es beim Text über „Segnungsfeiern für Paare, die sich lieben“ mit 34 Nein-Stimmen, 11 Enthaltungen und 161 Ja-Stimmen eine geringere Zustimmung. Dennoch stellten sich mehr als Zweidrittel der Synodalen hinter den Text, so dass er zur weiteren Beratung angenommen wurde.

Große Übereinstimmung gab es schließlich bei der Frage nach einer Reform der Grundordnung, also dem kirchlichen Arbeitsrecht. 181 Synodale stimmten mit Ja, 13 waren dagegen bei 11 Enthaltungen. Am Rande der Versammlung wurde bekannt, dass die Bischöfe bereits an einer grundlegenden Reform der Grundordnung arbeiten. Es gehe im Kern um eine neue Ausrichtung, so Bischof Bätzing in der abschließenden Pressekonferenz. „Die persönliche Lebensführung in Partnerschaft bleibt als persönliche Entscheidung außen vor“, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Schon in der Debatte hatten die Synodalen die Bischöfe aufgefordert, beim Thema Arbeitsrecht sofort zu handeln und nicht das Ende des Synodalen Wegs abzuwarten.

Hoffnung auf Reformen steigen

Mit der Dritten Synodalversammlung haben die Synodalen die Latte hoch gehängt und die Hoffnung auf Reformen noch weiter geschürt. Dazu haben auch viele Bischöfe mit ihren Wortmeldungen beigetragen. Die Richtung des Synodalen Wegs in der Mehrheit scheint klar: Reformen. Wie das mit Rom in Einklang zu bringen ist, bleibt weiter offen. Bischof Bätzing betonte am Ende der Versammlung: „Rom ist nicht die Weltkirche!“ Er baut offensichtlich darauf, dass auch in anderen Ortskirchen dieselben Themen und Forderungen bei vergleichbaren Prozessen auf den Tisch kommen und diese dann gemeinsam in die römische Zentrale getragen werden. Dies könne etwa über den von Papst Franziskus selbst auf Weltebene initiierten „Synodale Prozess“ geschehen, machte Bätzing deutlich.

Die Dritte Synodalversammlung von Frankfurt könnte sich im Rückblick als ein entscheidendes Ereignis auf dem Weg der Kirche in eine neue Zeit herausstellen. Manche Synodale sind überzeugt, einen Hauch von Geschichte erlebt zu haben. Das wird sich erst im Rückblick feststellen lassen. Der „Geist von Frankfurt“, der bei der ersten Synodalversammlung im Februar 2020 beschworen wurde, war nach einer Phase der Lähmung und der Krisen rund um die Ereignisse in Köln, München sowie die Person des emeritierten Papstes, in diesen Tagen wieder zu spüren. Der „Geist von Frankfurt“ steht für das gemeinsame Bemühungen von Laien und Bischöfen, als Antwort auf den Missbrauchsskandal die Kirche so zu verändern, dass Menschen dort nicht Leid, Ausgrenzung und Schmerz erfahren, sondern Hilfe, Anerkennung und Unterstützung für ein gelingendes Leben. Der Wille ist bei der Mehrheit da, die entsprechenden Worte auch, allein die Taten müssen noch folgen.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

6 Kommentare

  • Wanda
    06.02.2022, 15:29 Uhr.

    In den Texten steckt viel Hoffnung, Rom wird sich hoffentlich unmissverständlich äussern und nicht wieder mehrdeutig dazu rumeiern…
    P.S. heute wird wieder einmal in vielen Kommentaren die merkwürdige Zurückhaltung von Regierung und Politik in Deutschland zu den Missbrauchsproblemen der Kirche kritisiert und dabei die noch immer unselige Verquickung als Grund angeführt. Zwar eine andere Baustelle, aber auch die gehört endlich in Angriff genommen…

  • Novalis
    06.02.2022, 15:49 Uhr.

    Dass Voderholzer besonders empathisch ist, hat man ja schon bemerkt.

  • Novalis
    07.02.2022, 14:30 Uhr.

    „Was dabei zu kurz kommt ist, dass 1973 die Strafrechtsreform Kindesmissbrauch nicht mehr als Verbrechen eingeschätzt hat“. Hat der Bischof von Regensburg diese Aussage belegt? NEIN! Denn in den durch die Strafrechtsreform neugefassten Paragraphen gilt Kindesmissbrauch sehr wohl als Verbrechen.
    Der Bischof von Regensburg sagt also die Unwahrheit! Wenn er es bewusst macht, dann lügt er.

  • Erasmus
    08.02.2022, 0:17 Uhr.

    AM DEUTSCHEN WESEN KÖNNTE DIE KATHOLISCHE KIRCHE GENESEN

    Die Heftigkeit der derzeitigen Kirchenkrise ist nicht allein dem Missbrauchsskandal geschuldet, sondern hat ihre Ursache auch in der restaurativen Kirchenpolitik Johannes Pauls II. und Benedikts, die über Jahrzehnte hinweg kritische Stimmen zum Schweigen brachten und jegliche Reforminitiativen abschmetterten. Erst Franziskus brachte wieder eine Debatte in Gang, als er im Vorfeld der Familiensynode 2014 in die Welt hinein hörte. Am 17.10.2015 sagte Franziskus, dass SYNODALITÄT das ist, „was Gott sich von der Kirche des dritten Jahrtausends erwartet.“
    Auch wenn der deutsche Synodale Weg, der das Kirchenrecht einfach links liegen lässt, vermutlich nicht ganz den Vorstellungen des Papstes entspricht, so ist es in meinen Augen ein Dienst an der Kirche, analog zu den 1960er Jahren ein AGGIORNAMENTO in der Katholischen Kirche, eine Verheutigung, voranzutreiben. Nach der bisherigen Performance ist ihm durchaus zuzutrauen, eine avantgardistische Bresche in die erstarrte Kirchenfestung zu schlagen.
    Die kluge Regie des Synodalen Weges versucht da anzusetzen, wo am ehesten Fortschritte zu erzielen sind. Dass die MACHT in der Kirche nicht so unkontrolliert bleiben kann, danach schreit der Missbrauchsskandal. Auf dem Weg zur GLEICHBERECHTIGUNG DER FRAU in der Kirche ist der Diakonat der Frau der nächste organische Schritt. Das Zurückbleiben der Kirche hinter GRUND- UND MENSCHENRECHTEN zeigt die Dringlichkeit einer Neufassung der katholischen Morallehre und eines reformierten Dienstrechtes.
    Es ist gut, dass Laien und Bischöfe gemeinsam vorangehen, und dass insbesondere die geforderte 2/3 Mehrheit der Bischöfe einmal verabschiedeten Texten Gewicht verleiht. Wieviel Substanz das beinhaltet, ist eine andere Frage, da die Beschlüsse für den einzelnen Oberhirten nicht verbindlich sind und den Bischöfen an den Punkten die Zustimmung möglicherweise leichter fällt, die sich letztlich an Rom richten.
    Entscheidend wird sein, ob es dem Vatikan gelingt, das deutsche Aufbruchsprojekt in die Schublade eines „teutonischen SONDERWEGES“ zu schieben oder ob andere Bischofskonferenzen auf den hierzulande gestarteten Zug aufspringen. Ob sich der Synodale Weg als erfolgreich erweist, wird sich insbesondere im Herbst 2023 zeigen, wenn die BISCHOFSSYNODE IN ROM tagt.

    • Wanda
      09.02.2022, 17:19 Uhr.

      Erasmius 08.02. 0:17
      – Nun, Rom müsste eigentlich anerkennen, dass der teutsche Weg schon einmal mit Luther als Donnerschlag den damals desolaten Klerus der röm.-kath. Kirche weckte und Anlass war, endlich längst überfällige Reformen in Gang zu setzen, sich wieder auf seine Aufgabe und Vorbildfunktion zu besinnen sowie, wenn auch nur kurzzeitig, das einfache Glaubensvolk wahrzunehmen und zwar nicht nur als Geldquelle…
      Sollte der aktuelle, noch nicht recht in Gang kommende, „teutonische Sonderweg“ (Herr Erbacher spricht von Reformgeist) eine ähnliche Umkehr für die röm.-kath. Amtskirche bewirken, kann man im Vatikan nur dankbar sein…

  • Wanda
    08.02.2022, 0:46 Uhr.

    Es melden sich schon wieder die klerikalen Bremser. Dem Augburger Bischof Bertram Meier geht alles zu schnell (Originaltext BR) „… war zu spüren, dass in der Versammlung von Bischöfen und Laien 2 unterschiedliche Kirchenwelten aufeinander prallten“, usw… Welten ? Nun, Herr Bischof, wer hat das zu verantworten ? Nett ein sarkastischer Leser-Kommentar, der bemerkte: „Als es vor einem Jahr darum ging, sich (vorzeitig) flott einen Impftermin zu ergattern, sei der Bischof nicht so zögerlich gewesen“… Obacht ! Die Vorbildfunktion spielt auch bei den geistlichen Herren eine wesentliche Rolle…

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