Der Papst in Fernost – Tag 6

Mut machen, das war das Ziel von Papst Franziskus bei den Terminen am vorletzten Tag seiner Reise nach Fernost. Am Morgen traf er zunächst die Opfer der „Dreifachen Katastrophe“ von 2011. Dabei schlug er beim Thema friedliche Nutzung der Atomenergie für vatikanische Verhältnisse ungewöhnliche Töne an. Anschließend äußerte er sich beim Treffen mit Jugendlichen in der Kathedrale von Tokio ausführlich zum Thema Mobbing. Beim Gottesdienst mit rund 50.000 Teilnehmern im Tokyo Dome ging es um den Leistungsdruck in Japans Gesellschaft. Zum Abschluss des Tages mahnte er bei der Begegnung mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft, dass die Würde des Menschen im Mittelpunkt jedes sozialen, ökonomischen und politischen Handels stehen müsse. Jedes Leben müsse geschützt werden, betonte Franziskus, und verband damit die Forderung, dass Menschen in jedweder Notlage Solidarität und Unterstützung erfahren müssten.

Franziskus fordert von der Politik mehr Einsatz zum Schutz des „gemeinsamen Hauses“ sowie mehr multilaterale Anstrengungen zur Friedenssicherung. (Quelle: Erbacher)

Kritik an mangelnder Hilfe

Mit dieser Äußerung gegenüber Politikern und Vertretern der Zivilgesellschaft spielte er auch auf die Situation vieler Menschen an, die von der „Dreifachen Katastrophe“ 2011 betroffen sind, dem schweren Erdbeben, dem darauf folgenden Tsunami und der daran anschließenden Nuklearkatastrophe von Fukushima. Am Morgen hatte Franziskus Betroffene der Katastrophe getroffen. Ein junger Mann fasste sich dabei ein Herz und beklagte in seinem kurzen Zeugnis, dass vielen Betroffenen nicht mehr geholfen werde. Seine Familie floh aus dem Gebiet und musste wiederholt umziehen. Er selbst sei an vielen Orten Opfer von Mobbing geworden.

Franziskus griff den Faden auf und forderte weitere Hilfen für die Betroffenen, „die sie so sehr brauchen“. Einige Bewohner der betroffenen Region fühlten sich vergessen und nicht wenige müssten sich anhaltenden Problemen stellen wie verseuchten Böden und Wäldern sowie die langfristigen Auswirkungen der Strahlungen. Er mahnte, dass die Probleme nicht der einzelne alleine lösen könne, sondern dass dies in Solidarität der Gemeinschaft passieren müsse. „Keiner baut sich von selbst wieder auf“, so der Papst.

Ist friedliche Nutzung der Atomenergie ok?

Dann sprach er von der „Sorge über die fortdauernde Nutzung der Kernenergie“, die die japanischen Bischöfe zu der Forderung geführt habe, Kernkraftwerke sollten abgeschafft werden. Franziskus machte sich diese Forderung nicht explizit zu Eigen. Er referierte sie nur. Doch im Kontext der weiteren Aussagen, lässt die Erwähnung aufhorchen. Kurz zuvor hatte er von „kühnen und wichtigen Entscheidungen“ gesprochen, „die hinsichtlich der Verwendung der natürlichen Ressourcen und vor allem hinsichtlich der künftigen Energiequellen“ zu treffen seien. Später sprach er noch von der „großen Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen“.

Bisher ist aus kirchlicher Sicht die friedliche Nutzung der Atomenergie kein Problem. Auch Franziskus hat sich schon entsprechend geäußert. Die Frage ist allerdings, ob eine solche Position zu einem Papst und einer Kirche passt, die sich das Thema nachhaltige Entwicklung und nachhaltiger Lebensstil auf die Fahnen geschrieben haben. Solange Gefahren bestehen, wie sie sich in Fukushima gezeigt haben, und die Frage des Umgangs mit dem Atommüll nicht geklärt ist, müsste die kirchliche Position eher ein Nein sein. Von den Kosten einmal ganz abgesehen, die mit dieser Technik und vor allem der Entsorgung des Mülls verbunden sind. Der Tag heute könnte ein erster Schritt hin zu einer Neubewertung gewesen sein. Japanische Kollegen sind überzeugt, allein durch die Erwähnung der Forderung der Bischöfe des Landes habe der Papst diese Position übernommen. Das dürfte etwas zu weit gegriffen sein. Allerdings scheint Bewegung in dem Thema zu sein.

Mobbing ist Seuche

Beeindruckend war im Anschluss die Begegnung des Papstes mit den Jugendlichen in der Kathedrale von Tokio. Zum ersten Mal auf der gesamten Reise hat Franziskus bei einer Ansprache im größeren Stil improvisiert. Zwar gab es keine entscheidenden Hinzufügungen, doch spürte man, dass er den Jugendlichen Mut machen wollte, sie begeistern wollte – nicht für sich, sondern für das Leben, für ein Miteinander in einer begeisternden Gemeinschaft, für eine hoffnungsvolle Zukunft. Die Zeugnisse der drei Jugendlichen, mit denen das Treffen begonnen hatte, waren auch eher niederschmetternd. Da war vom ungeheuren Leistungsdruck in der japanischen Gesellschaft die Rede, von Mobbing, von der hohen Zahl an Selbstmorden und von Diskriminierung.

Angesichts dieser düsteren Visionen sah der Papst seine Aufgabe darin, den Jugendlichen eine Perspektive zu bieten. Seine Botschaft: jeder ist wichtig in seiner Unterschiedlichkeit und Besonderheit. „Wie sehr muss unsere Menschheitsfamilie noch lernen, in Harmonie und Frieden zusammenzuleben, ohne dass wir dazu alle gleich sein müssen“, mahnte Franziskus. Es brauche mehr Aufmerksamkeit für andere und mehr „Achtung vor unterschiedlichen Erfahrungen und Standpunkten“. Mit Blick auf Mobbing und Diskriminierung sprach er von einer „Seuche“ und meinte, dass „paradoxerweise gerade die Belästiger die eigentlich Schwachen sind“. Sie seien „Angsthasen, die sich hinter ihrer scheinbaren Stärke versteckten“. Alle müssten sich gegen diese Kultur des Mobbings zusammenschließen und lernen zu sagen: „Es reicht!“

„Angst ist Feind der Liebe“

Über den „Teufelskreis der Angst und des Leistungsdrucks“ sowie die „hektische Suche nach Produktivität und Konsum“ sprach Franziskus dann auch am Nachmittag beim Gottesdienst im Tokyo Dome. Er beklagte, dass angesichts des übermäßigen Wettbewerbs bei der Suche nach Gewinn und Effizienz, Haus, Schule und Gemeinschaft immer mehr verfielen. Das sieht er besonders kritisch, weil das die Orte seien, an denen „jeder die anderen unterstützt und ihnen hilft“. Sprich: Der soziale Kit zerfällt in einer Gesellschaft wie der japanischen, in der es nur um Leistung, Gewinn und wirtschaftlichen Erfolg geht. „Viele Personen fühlen sich verwirrt und unruhig, sie werden von zu vielen Anforderungen und Sorgen erdrückt, die ihnen den Frieden und das Gleichgewicht nehmen“, so Franziskus.

Die Antwort des Papstes: Sucht die Gemeinschaft, das Miteinander. Und zwar eine Gemeinschaft, in der alle willkommen sind. „Ist jemand, nur weil er behindert oder fragil ist, nicht der Liebe würdig? Ist jemand, nur, weil er ein Fremder ist, weil er Fehler gemacht hat, weil er krank ist oder weil er im Gefängnis sitzt, der Liebe nicht würdig?“, fragte der Papst. Entsprechend interpretierte Franziskus das Motto der Reise: „Jedes Leben schützen“. Es gehe um einen Lebensstil, der von Unentgeltlichkeit gekennzeichnet ist. Sprich: Es zählt nicht nur der, der etwas leistet, oder sogar nur der, der viel leistet, sondern jeder, eben jedes Leben.

Falsche Reiseplanung?

Die Menschen, die selbst von dem Leistungsdruck betroffen sind, waren nicht ganz die richtigen Adressaten für das Thema. Natürlich ist es wichtig, sich um die zu kümmern, die dem Druck nicht standhalten können. Es ist auch lobenswert, dass der Papst versucht, den Menschen Mut zu machen und sie zu bewegen, auf die gesellschaftliche Entwicklung Einfluss zu nehmen. Doch Franziskus hätte dieses Thema stärker in Richtung Politik und Wirtschaft spielen müssen. Beim Treffen mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft am Abend sprach er es nicht dezidiert an. Vielleicht wäre auch ein eigenes Treffen mit Vertretern der Wirtschaft sinnvoll gewesen.

Hier fehlt es bei der päpstlichen Reiseplanung an Flexibilität. Die Besuchsprogramme in den einzelnen Ländern kann man beinahe wie Blaupausen übereinander legen. Geringe Abweichungen gibt es bei den „sozialen Programmpunkten“. Mal ist es ein Gefängnis, mal eine Einrichtung für Menschen mit Behinderung, für Alte oder Kranke. Das Treffen mit den Opfern der „Dreifachen Katastrophe“ war schon eine Besonderheit hier in Japan. Doch reichte das angesichts der besonderen Situation im Land nicht aus. So massiv, wie heute das Thema Mobbing, Diskriminierung und Leistungsdruck kam, hätte es hier noch einer anderen Form der Begegnung bedurft.

P.S. Wenn Worte oder ganze Satzpassagen farbig sind, dann verbirgt sich dahinter ein Link – meist zum Originaltext, der an dieser Stelle erwähnt wird, bzw. der Veranstaltung, die an dieser Stelle erwähnt wird.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

Ein Kommentar

  • Wanda
    27.11.2019, 17:54 Uhr.

    Die ständigen Vorwürfe und Forderungen von Franziskus an die schnöde Welt da draussen nutzen sich immer mehr ab und wirken heuchlerisch angesichts der Probleme und skandalösen Vorgänge im Vatikan und Klerus. Man kann man dem Papst nur raten: konzentriere Dich erst einmal auf die Vorgänge in Deiner Amtskirche und schaffe dort endlich Ordnung und humane Verhältnisse. Kehre vor der eigenen Tür, bevor Du auf die Welt losgehst. Du wirst allmählich unglaubwürdig. Ablenken geht heute nicht mehr !

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