Franziskus zwischen Weltkrieg und Gender

Es waren nur zwei Sätze, aber sie sorgen für Diskussionen. Die Gender-Theorie sei ein „großer Feind der Ehe“ so Papst Franziskus am Samstag beim Treffen mit Priestern, Ordensleuten und Laien im pastoralen Dienst in Tiflis und er fuhr fort: „Es gibt heute einen Weltkrieg, um die Ehe zu zerstören.“ Auf Nachfrage erläuterte Franziskus seine Worte bei der fliegenden Pressekonferenz auf dem Weg von Baku nach Rom am Sonntagabend. Dabei betonte er, alles, was er in Tiflis gesagt habe, finde sich auch in Amoris laetitia. Er bat zu beachten, dass er frei gesprochen habe und auch vielleicht etwas hitzige Worte gewählt habe. Aber: Während Konservative nach den Worten des Papstes vom „Weltkrieg“ zunächst jubelten, waren die Worte des Papstes bei der Pressekonferenz dann wieder weniger in ihrem Sinne. Da stand ein katholisches Kirchenoberhaupt, das homosexuell praktizierende Menschen begleitet und einen Transsexuellen mit seiner Frau empfängt  und damit kein Problem hat. Franziskus zeigte in diesen Tagen einmal mehr, dass Christsein, wie er es sich vorstellt, nicht einfach ist.

Papst Franziskus hat heute die Orte besucht, die vom Erdbeben am 24. August betroffen sind. der "private Besuch" dauerte den ganzen Tag und führte Franziskus an mehrere Orte. (Quelle: reuters)

Papst Franziskus hat heute das Erdbebengebiet in Mittelitalien besucht. Wie vom Papst bei der fleigenden Pressekonferenz am Sonntag angekündigt, erfolgte der Besuch in streng „privater“ Form ohne protokollarische Formalitäten und ohne offizielle Delegation. (Quelle: reuters)

Was versteht Papst unter Gender-Theorie?

Scharf kritisiert Franziskus eine aus seiner Sicht „ideologische Kolonisierung“. Diese Kritik vom Samstag wiederholte er auch in der fliegenden Pressekonferenz. Und er bringt ein Beispiel eines Vaters aus Frankreich, der ihm über eine Begebenheit in seiner Familie berichtet habe. Bei Tisch habe er den 10-jährigen Sohn gefragt, was er einmal werden wolle. Der habe geantwortet: „ein Mädchen“. Daraufhin habe der Vater gesehen, dass in den Schulbüchern die „Gender-Theorie“ gelehrt werde. „Und das ist gegen die natürlichen Dinge“, so Papst Franziskus. Es sei eine Sache, wenn jemand diese Tendenz habe [also homosexuell ist] oder auch sein Geschlecht wechseln wolle. Etwas anderes sei es aber, „wenn man in den Schulen in diese Richtung unterrichtet, um die Mentalität zu verändern“. Das seien „ideologische Kolonisierungen“. Franziskus scheint sich also gegen eine Theorie zu wenden, nach der man sein Geschlecht frei wählen kann. Dass es aber nicht die eine „Gender-Theorie“ gibt, beachtet er nicht.

Interessant ist, dass Franziskus gegenüber den Journalisten noch einmal betonte, dass es im Umgang mit gescheiterten Ehen, mit Homosexuellen und Transsexuellen darum geht, den Einzelfall zu sehen. Annehmen, begleiten, unterscheiden und integrieren seien die vier Schlüsselworte in solchen Fällen. Er berichtete von einem Transsexuellen, der als Mädchen geboren wurde und heute nach entsprechenden medizinischen Eingriffen als Mann verheiratet ist. Er habe ihn mit seiner Frau im Vatikan empfangen, so Franziskus. Der Mann habe vom jungen Pfarrer in seiner Gemeinde in einer spanischen Stadt erzählt, der ihm immer wieder sage, dass er in die Hölle kommen werde; während der 80-jährige ehemalige Pfarrer ihn immer wieder zur Beichte animiere und sage, er könne die Kommunion empfangen. „Das Leben ist das Leben“, erklärte Franziskus lediglich dazu, ohne zu sagen, welcher der beiden Priester aus seiner Sicht auf dem richtigen Weg ist. Wenn man allerdings den Kontext der Worte und Taten von Franziskus hinzunimmt, wird vor diesem Hintergrund deutlich, dass der Papst eher auf der Seite des 80-jährigen Priesters steht.

Über neue Kardinäle und Reisen

Franziskus bestätigte, dass er gerade an der Liste neuer Kardinäle arbeite. Allerdings sei die Auswahl noch nicht getroffen. Schließlich habe er nur 13 freie Plätze. Er wolle, dass das Kardinalskollegium die „Universalität der Kirche“ abbilde und nicht nur das Zentrum – sprich Europa. Auch das Datum des Konsistoriums zur Kreierung der neuen Kardinäle stehe noch nicht fest. Es könnte noch in diesem Jahr stattfinden; spätestens aber Anfang 2017. Da Franziskus von 13 freien Plätzen sprach, hat er wohl einen Zeitraum von Anfang Dezember bis Ende Januar im Blick; denn würde er das Konsistorium zum Fest Kathedra Petri abhalten, hätte er 15 freie Plätze. Das Fest Kathedra Petri, 22. Februar, war in der Vergangenheit oft das Datum für die Kreierung neuer Kardinäle. Für 2017 bestätigte Franziskus, dass es wohl ziemlich sicher eine Reise nach Indien und Bangladesch geben werde. Auch wolle er nach Afrika reisen. Allerdings seien hier die Ziele noch nicht ganz klar. Das hänge vom Klima und den politischen Verhältnissen ab. Am 13. Mai wolle er zudem in einem Tagestripp nach Fatima reisen.

Angesprochen auf die Präsidentschaftswahlen in den USA stellte Franziskus klar, dass er sich zu Wahlen nicht äußere. Jeder solle die Programme der Kandidaten eingehend studieren, beten und vor seinem Gewissen entscheiden. „Das Volk ist der Souverän.“ In diesem Kontext machte er dann noch eine allgemeine Beobachtung. Aus seiner Sicht gebe es Länder, die „überpolitisiert“ seien, aber „nicht viel politische Kultur“ hätten. Dies läge oft in solchen Ländern vor, in denen es mehrere Kandidaten gebe, die nicht allen gefielen. Er denke dabei besonders an einige lateinamerikanische Staaten. Zuvor hatte Franziskus bereits bei einer anderen Frage kritisiert, man schaue heute bisweilen mehr auf die demokratischen Formen als auf das Volk als Souverän. Als Beispiel nannte er die Versuche von Regierenden, vor Ende ihrer regulären maximalen Amtszeit die Verfassungen in ihren Ländern zu ändern, um eine weitere Amtszeit zu ermöglichen. „Das ist eine Überbewertung der ‚sogenannten Demokratie‘ gegenüber der Souveränität des Volkes, die in der Verfassung begründet liege“, so Franziskus.

Im Streit um die Region Berg-Karabach zwischen Aserbeidschan und Armenien sieht Franziskus als einzigen Lösungsweg den friedlichen Dialog und Verhandlungen. Sollte das zu keinem Erfolg führen, müssten sich die beiden Staaten an ein internationales Schiedsgericht wenden und sich dem Urteil dann unterwerfen. Angesprochen, wen er als Favoriten für den Friedensnobelpreis sehe, sagte Franziskus, es müsste neben der Anerkennung derer, die für den Frieden arbeiten, auch ein Gedenken für die Opfer von Konflikten geben. Er erinnerte dabei besonders an die Kinder, Menschen mit Behinderung sowie zivile Opfer von Bomben.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

7 Kommentare

  • Wanda
    11.10.2016, 16:40 Uhr.

    Suarez 12:44
    – bin grundsätzlich Ihrer Meinung, um das klarzustellen.
    Wir sollten aber nicht ausser Acht lassen, dass Kinder grundsätzlich „indoktriniert“ werden und zwar durch die Erziehung und aus dem Vorbild der Eltern heraus. Jedoch nur wenn mit den Eltern was „nicht stimmt“ nennen wir das Indoktrinierung. Läuft es unserer persönlichen Einstellung zufolge „normal“, empfinden und nennen wir es positiv Erziehung. Eine Angelegenheit der Sichtweise, wie so oft…
    – Erinnere mich übrigens sehr gut an die 68er-Zeit, als der führende Juso in München (heute Dr.) Rudolf Schöfberger allen Ernstes davor warnte, den Eltern zuviel Einfluss auf ihre Kinder zu gestatten, da diese indoktriniert würden. Seine weiteren Vorstellungen erspare ich mir an dieser Stelle. Nur soviel: es war das 1. und einzige Mal, dass die immer SPD-regierte Stadt München danach (temporär) einen CSU-Bürgermeister bekam. Eine Reaktion gesunden Volksempfindens…

    • Suarez
      12.10.2016, 15:51 Uhr.

      „Wir sollten aber nicht ausser Acht lassen, dass Kinder grundsätzlich „indoktriniert“ werden und zwar durch die Erziehung und aus dem Vorbild der Eltern heraus.“

      JA! Das ist und bleibt ein Drahtseilakt. Im Grunde muss man sich als ErziehendeR immer fragen: Dient das der Selbstwerdung des Kindes? Je weniger wir an (angeblich) unverzichtbaren Vorstellungen mit in die Erziehung hineinbringen, desto besser. Und zwar sowohl von genderkritischer als auch von gendereuphorischer Seite. Im Grunde wissen wir erschreckend wenig über die Genese des Geschlechtsselbstverständnisses des Menschen. Und da wo wir noch vor 50 Jahren vermeintlich sicher waren, sind unsere Gewissheiten erschüttert. Es gibt eben zwar viele Menschen, die sich nur als Männer und nur als Frauen empfinden, aber es gibt auch nicht wenige, die sich als etwas dazwischen empfinden. Ob das krank ist oder nicht – und ob das Krankheitsempfinden aus der/m Betroffenen selbst kommt oder ob es von der Gesellschaft in den so Empfindenden hineintransportiert wird, da haben wir schlicht KEINE Ahnung und wenn man wirklich nach Pius XII. und dem 2. Vatikanum die Bibel historisch-kritisch interpretiert, dann liefert auch die Bibel, weil völlig uninteressiert an solchen Fragestellungen, selbstredend keine Antworten. Ein bisschen mehr Urteilsenthaltung würde allen nicht schaden. Und im Gegensatz zu seinen Vorgängern ist auch Franziskus unbeschadet seiner südamerikanisch-temperamentvollen Wortwahl ERHEBLICH zurückhaltender (und im Sinne der Urteilsenthaltung ist das positiv zu werten) und ambivalenter – das ist kein Schaden, sondern ein Vorteil (wo nur noch Dogmen „gemacht“ werden, gibt es halt auch nur noch Häresien). Auch wenn die Reaktionären von kath und katholisches den Papst dafür verdammen.

  • 12.10.2016, 0:34 Uhr.

    🙂

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