Das Fenster bleibt zu!

Wohnung frei im Vatikan

Das hat es zuletzt am 17. April 2005 gegeben – ein Sonntag ohne Angelusgebet des Papstes. Selbst während des Urlaubs und auf Reisen betete der Papst am Sonntag um 12 Uhr mit den Gläubigen den Angelus. Doch heute blieb das Fenster zu in der Terza Loggia, dem 3. Stock des Apostolischen Palasts. Die Läden sind geschlossen. Die Privatgemächer des Papstes sind seit Donnerstagabend versiegelt. Es gibt keinen Papst mehr. Das hält die Menschen nicht ab, sich auf dem Petersplatz zu versammeln. Eine Gruppe von 300 Jugendlichen aus der Nähe von Mailand singt und tanzt auf dem Platz. Ist das etwa schon die Vorhut des neuen Papstes? Immerhin gehört der Mailänder Erzbischof Angelo Scola zu den Favoriten auf die Nachfolge Benedikts XVI. Schwester Valentina, die die Gruppe begleitet, lacht: „No comment!“ Die Reise sei schon lange geplant gewesen und jetzt bete man eben für eine gute Wahl.

Das sagt auch Michele aus Catania. Der 61-jährige Arzt ist mit einer Gruppe der Bewegung der Neokatechumenalen aus Sizilien nach Rom gereist. Sie wollten eigentlich den Papst sehen; doch jetzt bleibt das Fenster zu. Er sei schon etwas traurig. Michele und seine 110 Mitpilger haben aber schnell reagiert. Auf ihrem Transparent grüßen sie „den Pilger Benedikt XVI.“ in Anspielung auf die letzten öffentlichen Worte Joseph Ratzingers am vergangenen Donnerstag in Castelgandolfo, als er sagte, dass er ab 20 Uhr nur noch ein einfacher Pilger sein werde. Trotz des Wehmuts, die Stimmung ist gut. Mit den üblichen Gitarrenklängen und Gesängen tanzen die Neokatechumenalen auf dem Petersplatz.

Singen und Tanzen auf dem Petersplatz

Unterdessen geht es in den Restaurants im nahe gelegenen Viertel Borgo Pio ruhiger zu. Unauffällig eilt Kardinal Marc Ouellet, ein weiterer hoher Favorit, seiner Verabredung zum Mittagessen entgegen. Besonders beliebt ist in diesen Tagen das Restaurant „Il passetto“. Wo vor knapp zwei Jahren Benedikt XVI. angeblich selbst einmal zum Abendessen gewesen sein soll (als Kardinal war er öfters hier), speisen jetzt Journalisten, Prälaten und Kardinäle „Seit an Seit“; während die Kleriker mit gedämpfter Stimme sprechen; sind Ohren und Augen der Medienleute überall zur selben Zeit. Überhaupt steigt die Kardinalsdichte rund um den kleinsten Staat der Welt von Tag zu Tag. Allenthalben begegnet man einem „Senator“ der Kirche. Meist unauffällig, mit einem schwarzen Anzug bekleidet, streben sie einem der vielen geheimen Treffen entgegen, in denen über Themen und Personen gesprochen wird. Die Bereitschaft, mit Journalisten zu sprechen, nimmt von Tag zu Tag ab.

Trotzdem wird weiter heftig spekuliert. Heute gibt es keine neuen Namen; dafür konzentrieren sich die Berichte auf vier Personen: Scola, Ouellet, Erdö und Scherer. Die Chancen für einen Afrikaner sinken derzeit; vor allem, weil die Analysten langsam auch auf die Inhalte schauen. Und da stellen viele plötzlich überrascht fest, dass ein Papst aus Afrika sehr wahrscheinlich den konservativen Kurs der letzten beiden Pontifikate fortführen würde. So hatte sich ja etwa Kardinal Onaiyekan aus Nigeria erst vergangenen Mittwoch im ZDF-Auslandjournal ganz klar gegen eine Änderung der kirchlichen Position beim Thema Homosexualität ausgesprochen. Auch in anderen Bereichen sind die afrikanischen Kardinäle, die oft in Rom ihre Ausbildung absolviert haben, eifrige Verfechter traditioneller katholischer Positionen.

Gendarmerie bei der Arbeit

Unterdessen laufen die Vorbereitungen für die erste Generalkongregation der Kardinäle morgen Vormittag ab 9.30 Uhr in der Synodenaula. Vor dem Gebäude fielen heute Morgen zwei Fahrzeuge auf, die meines Wissens zur Anti-Spionage- bzw. Anti-Sabotage-Einheit der vatikanischen Gendarmerie gehören. Auch auf den Dächern des vatikanischen Gästehauses Santa Marta wurden in den letzten Tagen immer wieder Arbeiter gesichtet. Dort wohnen die Kardinäle während des Konklaves. Das Haus wird abgeschirmt und mit Störsendern versehen. Die Experten scheinen also bereits am Werk zu sein. Sie sollen verhindern, dass von den Beratungen der Kardinäle etwas nach außen dringt. In den vergangenen Tagen äußerte bereits ein Purpurträger entsprechende Bedenken. Bei 200 Teilnehmern sei es wahrscheinlich, dass Inhalte der Diskussionen nach außen getragen würden. Er befürchtet daher, dass die Gespräche nicht wirklich offen und kontrovers geführt würden. Sollten am Ende etwa wieder die Medien Schuld sein, wenn die Kardinäle nicht ehrlich miteinander sprechen?

P.S. Ab sofort gibt es auch News über Twitter.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.