Synodenväter fordern prophetische Kirche

Im Vatikan geht die Amazonassynode in die entscheidende Phase. Am Freitag wurden die Ergebnisse der zwölf Kleingruppen veröffentlicht, die als Grundlage für das Abschlussdokument dienen. Darin wird deutlich, dass es bei einigen Punkten noch lange keinen Konsens gibt. Dazu gehören eher die innerkirchlichen Fragen nach den Viri probati und dem Diakonat der Frau. Größere Einigkeit besteht bei der Vorstellung, dass die Kirche prophetisch sein müsse. Neben der besonderen Option für die Armen und Indigenen ist mehrfach von der besonderen Option für die Jugend die Rede. Dabei sehen sich viele Synodenväter in der Tradition der CELAM-Konferenzen von Medellin, Puebla und Aparecida. Dass in der Synodenaula Hans Küng zitiert wird als Beleg für die Notwendigkeit des Dialogs der Religionen, zeigt, dass sich doch einiges in der katholischen Kirche verändert hat oder zu ändern scheint.

Ein neuer Stil bei der Synode. Erstmals gilt freie Kleiderwahl bei den Beratungen. Keiner kommt mehr im Talar, Anzug ist angesagt. Ausnahmen sind der Papst und Kardinal Baldisseri, der Sekretär der Bischofssynode. (Quelle: Erbacher)

Befreiungstheologe praktisch

Niemand spricht bei der aktuellen Synode von Befreiungstheologie. Aber das, was in den Plenarsitzungen und den Kleingruppen als Idee der Kirche im Amazonasgebiet besprochen wurde, ist letzten Endes die praktische Umsetzung dieser theologischen Idee: eine Kirche, die dem Gründer verpflichtet, an der Seite der Armen, Unterdrückten und ausgegrenzten steht und ihre Stimme erhebt. „Wir sind keine Wissenschaftler, sondern Hirten und Propheten“, formulierte eine der spanischsprachigen Kleingruppen. Dennoch gehe es darum, „bei der Suche nach Alternativen mitzuarbeiten“.

Dazu gehört für viele Synodenväter der Einsatz für die Rechte der Indigenen sowie für eine integrale Ökologie. Wiederholt wird die in Lateinamerika weit verbreitete Gewalt als große Herausforderung benannt. Hier dürfe die Kirche nicht zurückschrecken und müsse etwa auch denen beistehen, die für ihren Einsatz für Menschenrechte, die Natur oder die Indigenen kriminalisiert und bedroht werden. Der Kampf gegen Menschen- und Drogenhandel, gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder sowie gegen Korruption gehört für die meisten Synodenväter ebenso dazu, wie ein besonderes Augenmerk auf die Themen Migration, Landflucht, Stadtpastoral und Bildung.

Vorschlag eines eigenen Amazonas-Ritus

Dieses Engagement speist sich aus dem Glauben und ist in einer tiefen Volksfrömmigkeit verwurzelt, deren Schutz und Anerkennung die Synodenväter immer wieder fordern. Vorschläge für eine stärkere Inkulturation durchziehen die Berichte nahezu aller Sprachgruppen. Dabei ging eine Gruppe besonders weit. Sie schlägt vor, für den Amazonas eine eigene Ritus-Kirche innerhalb der katholischen Kirche zu errichten. Mit Verweis auf die bereits bestehenden mehr als 20 verschiedenen Riten innerhalb der katholischen Kirche sehen sie in einem „amazonischen Ritus“ offensichtlich den besten Weg, um „das liturgische, theologische, disziplinäre und spirituelle Erbe“ der Region zum Ausdruck zu bringen.

Dieser Vorschlag, der aus einer der beiden italienischen Sprachgruppen kam, in denen die meisten Kurienvertreter mitarbeiteten, klingt durchaus verlockend. Doch er birgt auch seine Tücken. Gründet man eine neue Ritus-Kirche, vergleichbar mit den unierten Ostkirchen, gelten neue Regelungen etwa für Viri probati auch nur für diese Kirche. Innerhalb des römischen Ritus bliebe es dann bei den wenigen bisherigen Ausnahmen etwa für konvertierte verheiratete evangelische Pfarrer. Das spielt den Gegnern einer Lockerung des Pflichtzölibats in die Hände. Sie können weiterhin sagen, im römischen Ritus bleibt alles beim Alten. Für den Amazonas wäre viel gewonnen, für den Rest der Weltkirche die Forderung nach Viri probati oder einer grundsätzlichen Lockerung des Pflichtzölibats erschwert.

Unterschiedliche Positionen bei Viri probati

Der zweite italienische Sprachkreis schlug vor, das Thema Viri probati auf einer eigenen Synode zu behandeln, da es auch andere Regionen der Welt betreffe. Darin sehen einige Synodenteilnehmer ein Ablenkungsmanöver. Denn während bei der aktuellen Synode die Bereitschaft, dem Papst die Einführung der Viri probati zu empfehlen hoch ist, dürfte diese bei einer Ordentlichen Bischofssynode im Verhältnis viel geringer sein. Denn es wäre dann schwieriger, die Bischöfe aus Afrika und Osteuropa in der Mehrheit für eine solche Empfehlung zu gewinnen. Es ist zu erwarten, dass die Mehrheitsverhältnisse bei einer eigenen Synode zum Priesteramt ganz anders wären. „Jetzt ist der Kairos dafür da“, so ein Synodenteilnehmer. Der Verweis auf eine eigene Synode zum Thema kam auch noch aus einer spanischsprachigen Kleingruppe. Eine andere betonte, dass der Zölibat „ein Geschenk für die Kirche“ sei.

Fünf Sprachgruppen sprechen sich klar für die Einführung der Viri probati aus, weitere sind zögerlicher. Mehrere lassen erkennen, dass sie dagegen sind. Immerhin fünf Sprachgruppen thematisieren das Diakonat der Frau, drei mit der klaren Option, dieses einzuführen, die anderen mit der Aufforderung einer erneuten Prüfung, die sich aber „mehr mit den zukünftigen Möglichkeiten befasst als mit der Vergangenheit“, so eine der Gruppen. Einmal wurde auch die Option einer eigenen Synode zum Thema Frauen angeführt. Lektorat und Akolythat sowie das Amt der Gemeindeleitung für Frauen ist für viele Gruppen angebracht. „Eine prophetische Kirche beginnt mit der Anerkennung der grundlegenden Gleichheit der Rechte“, stellt eine Sprachgruppe fest, um zu dem Schluss zu kommen, dass Frauen auch Ämter mit Entscheidungsbefugnis innehaben müssten, „denn dort wird das, was wir predigen, Wirklichkeit“.

Schlussdokument ab Montag in Diskussion

Jetzt wird mit Spannung der erste Entwurf des Schlussdokuments erwartet. Geplant war, dass die Synodenteilnehmer diesen bereits am Sonntag bekommen. Am Montag treffen sie sich wieder im Plenum, um das Papier zu diskutieren. Dann beginnt die entscheidende Woche im Ringen darum, welche Vorschläge dem Papst am Ende präsentiert werden. Am 26. Oktober wird über die einzelnen Abschnitte des Papiers abgestimmt. Dann wird sich zeigen, ob die Synodenväter Neues wagen und in welchen Bereichen sie Neues wagen.

P.S. Wenn im Text des Blogs Worte farbig hinterlegt sind, verbirgt sich dahinter ein Link. Dieses Verfahren nutzen wir seit langer Zeit, um auf die Originaltexte und Dokumente zu verlinken, über die wir hier schreiben. Heute etwa die Zusammenfassungen der Sprachzirkel. In der Regel sind die Worte dann orange gefärbt.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

10 Kommentare

  • Novalis
    19.10.2019, 0:30 Uhr.

    „Das spielt den Gegnern einer Lockerung des Pflichtzölibats in die Hände. Sie können weiterhin sagen, im römischen Ritus bleibt alles beim Alten. Für den Amazonas wäre viel gewonnen, für den Rest der Weltkirche die Forderung nach Viri probati oder einer grundsätzlichen Lockerung des Pflichtzölibats erschwert.“
    Warum eigentlich? Es hat einmal eine eigene gallische Kirche mit eigenem Ritus gegeben, eine mailändische gibt es noch – dann kann man auch eine eigenständige deutsche Rituskirche ohne Zölibat machen. Oder haben wir Deutsche soviel weniger an eigener Kultur und Selbstständigkeit als Ukrainer oder Libanesen, dass wir Römer sein müssten, um katholisch zu sein?

  • bernardo
    19.10.2019, 10:28 Uhr.

    Ich gestehe, ich tue mich etwas schwer mit dem Ruf nach einer „prophetischen Kirche“, nicht weil ich Prophetie, die Auslegung des Wortes Gottes in der Zeit, gering schätze, sondern weil ich die Politisierung des Christentums und seine damit verbundene spirituelle Entleerung fürchte.

    @ Carla Maltese: Ich schreibe noch zu Don Camillo, versuche aber den Bogen zum Thema Synode zu schlagen. In den Guareschi-Geschichten geht es zwar um die Auseinandersetzungen mit dem Bürgermeister, aber nicht nur. (In den herrlichen alten Filmen mit Fernandel und Gino Cervi wird es sehr darauf fokussiert.) Don Camillo ist ein Seelsorger, deswegen weigert sich der alte, störrische Doktor während des „Exils“ Don Camillos auch zu sterben. Natürlich ist er ein Seelsorger von altem Schrot und Korn, also nicht jemand, der Abstriche an der kirchlichen Lehre macht, um bei den Leuten besser anzukommen, und einer der „Tacheles“ redet. (Ein bisschen so, wie Padre Pio gewesen sein muss.)

    Das Problem heute ist nicht die Verirrung – die hat es immer gegeben. Das Problem ist die Verwirrung. Ein wiederverheiratetes Paar erwartet im Gegenzug für die gezahlten Kirchensteuern, das Sakrament der Kommunion empfangen zu können; Homosexuelle erwarten eine Segnung ihrer Verbindung etc. Weigert sich ein Priester, findet er sich schnell auf der Anklagebank wieder. Menschen, die den Priester schätzen, obwohl sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht die Kraft aufbringen, die Regeln der Kirche einzuhalten, werden immer seltener. Natürlich kann man die Regeln immer weiter verdünnen – das Christentum in Deutschland ist von heroischen Ausnahmen abgesehen – ohnehin eine recht dünne Suppe -, aber das Beispiel der evangelischen Kirche zeigt, dass damit nichts gewonnen ist.

    @ Wanda: Der heutigen PD, der aus dem KPI hervorgegangen ist, unterscheidet sich massiv von diesem. Die alten Kommunisten, Peppone gleich, waren Patrioten. So wie linke Südamerikaner wie Ortega oder Morales auch ihren Patriotismus betonen. Damit können die Renzis, Orlandos, Zingarettis des heutigen PD nicht mehr viel anfangen. Viele gehören den „radical chic“ an, sind Salonsozialisten, die auf die „plebs sordida“ herabschauen, die heute auf der Piazza San Giovanni in Rom (wo früher Togliatti und Berlinguer sprachen) gegen die neue Regierung demonstriert.

    Wanda, was ist Tolkien schon verglichen mit dem Erfinder der Ankh-Morpork und Lord Vetinari? Ich glaube, ich schreibe auch einen Roman über eine Phantasiewelt, über die ein Kaiser herrscht, der aus dem Hause Castle-Hawk stammt. (Castle-Hawk, Burg-Habicht, Habichtsburg, Habsburg). Toll, diese meine Genialität. 🙂

  • Maria
    19.10.2019, 18:31 Uhr.

    „Dabei ging eine Gruppe besonders weit…..“

    Ihre Bedenken, dass unter dem Strich die Einführung der Viri probati außerhalb Amazoniens erschwert werden, sind nachvollziehbar. Vielleicht ist dieser Vorschlag aber auch ein Fuß in der richtigen Tür.
    Erstaunlich ist aber, dass dieser Vorschlag aus der Gruppe kam, in der der Präfekt der Glaubenskongregation mitgearbeitet hatte. Und wenn ich diesen Gedanken mit der abschätzigen Haltung vergleiche, mit der Kardinal Müller, also sein Vorgänger, in der Sendung „Stationen“ über die Viri probati urteilte, dann wird wieder einmal deutlich, dass in der Kirche einiges in Bewegung geraten ist und auch ausgesprochen werden darf – zum Glück.

  • Wanda
    20.10.2019, 21:46 Uhr.

    Da Hans Küng erwähnt wurde:
    – Inzwischen fast vergessen, dass katholische und protestantische Theologen sich ganz offen mit nichtchristlichen Gelehrten (besonders Juden) zusammentaten, um wichtigste Fragen zu erforschen wie z.B. ob Jesus sich selbst für göttlich hielt oder wirklich einen messianischen Anspruch erhob, wie die Evangelien behaupten. Es gibt durchaus Theologen, welche zugeben, die (wenigen*) historischen Daten lassen auch eine offene Diskussion über die Interpretation zu, dass Jesus ohne die Absicht einen neue Religion zu gründen am Kreuz gestorben ist.
    Dass Hans Küng dazu schrieb, dieses sei zwischen den Konfessionen nicht mehr umstritten, kostete ihn (nur) einen Titel: 1979 verbot ihm der Vatikan, sich weiter katholischer Theologe zu nennen. Doch er behielt seinen Lehrstuhl in Tübingen und die Leitung seines eigenen ökumenischen Institutes.
    Kern der küng’schen Christologie ist, dass der Jesus des Glaubens einerseits und der historische Jesus andererseits nur dann zu verschmelzen sind, wenn man sie von den zeitbedingten Verkrustungen der Kirche befreit. Mit anderen Worten: man muss zu den Wurzeln des Christentums zurück, um die deutliche Diskrepanz zwischen dem wie Jesus sich selbst sah und dem, was die Amtskirche nach dessen Tod in ihn hinein-interpretierte, aufzulösen und zu beseitigen.
    – Jesus war tiefgläubiger Jude und blieb es bis zuletzt. Er lehnte ja das jüdische Glaubensgebäude und seine Regeln nicht ab. Er kritisierte jedoch heftig (welche Parallele) die Einschränkungen der Glaubenspraxis und des jüdischen Lebens durch vollkommen hirnrissige rabbinische Einschränkungen, Ankrustungen und Schlacken als dumpfe, heuchlerische Dogmatik: worin z.B. liegt der Sinn, dass eine Hausfrau am Sabbat zwar das Seil an einem Eimer befestigen durfte, jedoch kein Wasser schöpfen? Oder dass eine Person am Sabbat etwa 18 km reisen durfte, aber keinen Meter zuviel, Mahlzeiten verzehrt aber nicht zubereitet werden-, die gerissen Saiten eine Instrumentes zusammengeknüpft aber nicht ersetzt werden durften ? Von der Heilung und Behandlung Kranker am Sabbat durch ihn ganz zu schweigen.
    Mein persönlicher Eindruck: Jesus wollte (dem NT zufolge) eine Rückbesinnung und Erneuerung seines Glaubens, zumal er immer wieder äusserst „schriftgelehrt“ und oft gewollt provozierend die Gestalten und die Geschichte des AT als gottgefällige gute Beispiele allem Anderen voran stellt.
    Hochinteressant:
    Zeev W. Falk, Prof. für Familienrecht an der Hebräischen Universität Jerusalem ist Autor eines akademisch begründeten Kataloges, den er „historische Oberflächlichkeit der Evangelien“ nennt.
    Chaim H. Cohn, Richter des Obersten Gerichtshofes Israels und hochrangiger Experte für jüdische Rechtsgeschichte ist der Ansicht, dass sich a) das Christentum sicher ganz anders entwickelt hätte, wäre der Prozess Jesu anders durchführt worden – und b) dieser Prozess genauer und vollständiger in den 4 Evangelien geschildert.
    Jedenfalls ist die jüdische Interpretation des Prozessverlaufes vor dem Hintergrund der genauen wissenschaftlichen Kenntnisse der damaligen Rechtverhältnisse in Judäa präziser und logischer als die biblische Darstellung im Neuen Testament: Jesus war eine Bedrohung für das religiöse und politische jüdische Establishment. Einzig diese relativ kleine, vom jüdischen Volk als Kollaborateure Roms verachtete Gruppe betrieb seinen „politischen“ Mord und war dafür verantwortlich. Die Kirche sah das fast 2000 Jahre leider anders und bevorzugte die Kollektivschuld der Juden…
    *) Jene die ihn kannten haben nichts über ihn geschrieben und die über ihn schrieben, haben sind ihm nie begegnet und die sonst sehr penible römische Militäradministration, die jeden noch so geringen Anlass aus den zumal unruhigsten Provinzen nach Rom meldete, schwieg sich über den gefährlichen Messias aus…
    – Es ist wohl inzwischen unumstritten, dass die übergreifende Betrachtung der vier Evangelien unter Einbeziehung der Quellen-, Form- und literarischen Kritik sowie der Philologie, Linguistik und Semiotik etc., beträchtlich mehr als 4 Verfasser zudem unterschiedliche Epochen nachweisen kann.
    Welche Kriterien seinerzeit für die Aussortierung zahlreicher anderer Evangelien sorgten, bleibt weiterhin ungeklärt, wird aber erneut diskutiert.

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