Ökumenischer Start ins Reformationsgedenken

Wer hätte sich das vor wenigen Jahren gedacht, dass Lutheraner und Katholiken gemeinsam in die 500-Jahr-Feier zum Gedenken an den Beginn der Reformation starten. Und dabei nicht irgendwo auf Gemeindeebene, sondern auf höchster Ebene. So geschehen heute im schwedischen Lund. Historisch waren vielleicht nicht die Worte, aber der Akt dürfte es wohl schon sein. Gerade einmal 50 Jahre ist es her, dass sich die katholische Kirche mit dem II. Vatikanischen Konzil für die Ökumene geöffnet hat und man überhaupt auf höchster Ebene im Gespräch ist. Zuvor herrschte 450 Jahre Funkstille, wenn nicht gar feindliches und blutiges Gegeneinander. Das Papsttum war vor 500 Jahren Stein des Anstoßes für Martin Luther. Heute luden die Lutheraner den Papst nach Lund ein, um das Reformationsgedenken gemeinsam zu beginnen. Gemeinsam sprechen Katholiken und Lutheraner in einer Erklärung von „tiefer Dankbarkeit […] für die geistlichen und theologischen Gaben, die wir durch die Reformation empfangen haben“. Wohlgemerkt: Unter diese Aussage setzte das Oberhaupt von weltweit 1,2 Milliarden Katholiken heute seine Unterschrift in der Kathedrale von Lund.

Katholiken und Lutheraner verpflichten sich zu noch engerer Zusammenarbeit. Papst Franziskus und der Präsident des Lutherischen Weltbundes Bischof Munib Younan nach der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung. (Quelle: dpa)

Katholiken und Lutheraner wollen noch enger zusammenarbeiten. Papst Franziskus und der Präsident des Lutherischen Weltbundes Bischof Munib Younan nach der Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung in der Kathedrale von Lund. (Quelle: dpa)

Weniger Luther, mehr Reformation

Zuvor hatte Franziskus bereits in seiner Ansprache die Zentralität der Rechtfertigungslehre für den christlichen Glauben betont. Zwar wurde das auch schon in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999 formuliert. Doch stellt sich immer wieder die Frage, ob diese Tatsache wirklich bis ins Mark der katholischen Tradition eingegangen ist. So formulierte Franziskus heute, dass „die Rechtfertigungslehre das Wesen des menschlichen Daseins vor Gott zum Ausdruck bringt“. Die Frage nach der rechten Gottesbeziehung sei die „entscheidende Frage des Lebens“, so Franziskus. Die Grundfrage Martin Luthers macht Franziskus somit zur entscheidenden Frage für alle Christen. Der Papst setzt in seiner Ansprache die Akzente anders als etwa sein Vorgänger Benedikt XVI. bei der ökumenischen Begegnung in Erfurt im September 2011. Damals hatte der deutsche Pontifex den Reformator Luther ausführlich gewürdigt. Einige Beobachter sahen in den Worten Benedikts XVI. eine Art Rehabilitierung Luthers. Franziskus setzt den Fokus auf die Reformation, ihre Folgen und die Frage, wie man in Zukunft gemeinsam vorangehen kann.

Vom Konflikt zur Gemeinschaft

Immer wieder erinnern der Papst und die lutherischen Partner an die Fehler, Missverständnisse und Leiden, die im Zusammenhang mit der Reformation und der daraus resultierenden Trennung der Konfessionen standen. „Auch wir müssen liebevoll und ehrlich unsere Vergangenheit betrachten, Fehler eingestehen und um Vergebung bitten“, so  Franziskus in seiner Ansprache in der Kathedrale von Lund. Interessant ist, dass er dann im Folgenden keine Unterscheidung zwischen Katholiken und Lutheranern macht, wenn er sagt: „Allerdings gab es auf beiden Seiten den ehrlichen Willen, den wahren Glauben zu bekennen und zu verteidigen, doch wir sind uns auch bewusst, dass wir uns in uns selbst verschanzt haben aus Furcht oder Vorurteilen gegenüber dem Glauben, den die anderen mit einer anderen Akzentuierung und in einer anderen Sprache bekennen.“

Problematisch wird es in der Ansprache von Franziskus, wenn er die Ursache für die Aufrechterhaltung der Spaltung eher in der Verantwortung der „Vertreter weltlicher Macht“ sieht als im „Willen des Gläubigen Volkes“. Auch schon im Interview mit den Jesuitenzeitschriften vom Freitag klang diese Vorstellung an. Sicherlich spielten politische Interessen eine große Rolle in der Konfessionsgeschichte; aber auch die Verantwortungsträger in den Kirchen, allen voran der katholischen Kirche, tragen Verantwortung dafür, dass die Trennung nicht längst überwunden ist.

Und das Abendmahl?

Immer wieder war heute in Lund von „Vergebung, Erneuerung und Versöhnung“ die Rede. Entsprechend dem Motto „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ sollte der heutige Tag der Vergewisserung dienen, dass die Katholiken und Lutheraner – und vermutlich auch viel andere evangelische Kirchenfamilien – mehr eint als trennt. Als schmerzende, trennende Wunde wird in der gemeinsamen Erklärung eigens das Problem des Abendmahls benannt. Neues wird dazu nicht ausgesagt. Allerdings wird betont, dass das gemeinsame Abendmahl Ziel der ökumenischen Bemühungen sei und der Einsatz im theologischen Dialog erneuert werden soll. Bei diesem Thema war Franziskus bei seinem Besuch in der Christuskirche in Rom im November 2015 weiter gegangen. Der Generalsekretär des Lutherischen Weltbunds Martin Junge ließ es sich denn auch nicht nehmen, beim Gottesdienst in Lund seine Ansprache mit dem Wunsch abzuschließen, dass man bald auch den Tisch teilen könne. „Ja, Tische, an denen wir Brot und Wein, die Gegenwart Christi, miteinander teilen können.“ Das war eine klare Botschaft.

Franziskus hatte in den vergangenen Monaten immer wieder beim Thema Ökumene von einem Dreischritt gesprochen: „Reden, Beten und Handeln“. Reden müssen die Theologen, Beten und Handeln alle Christen. Was das konkret bedeutet, wurde beim ökumenischen Treffen im Malmö-Stadion am Nachmittag deutlich. Christen aus der ganzen Welt legten Zeugnis ab für ihr Engagement. Der Papst und der Präsident des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib A. Younan, antworteten auf die Zeugnisse. Dabei machten beide deutlich, dass die Kirchen sich nicht allein auf die geistlichen Sphären beschränken. Praktische Ökumene bedeutet politisches Engagement. „Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit“, so Younan. Die Kirchen müssten mit einer Stimme sprechen und gegen jegliche Form der Unterdrückung arbeiten. Um künftig die Arbeit besser koordinieren zu können, vereinbarten Caritas internationalis, der Dachverband der katholischen Hilfswerke, und das Pendant des Lutherischen Weltbunds eine intensivere Zusammenarbeit.

Franziskus bringt die praktische Ökumene voran. Angesichts der vielen Konflikte weltweit, der Not vieler Menschen sowie der zunehmenden Unterdrückung von Christen in großen Teilen des Nahen Ostens, in afrikanischen und asiatischen Ländern will der Papst nicht auf die Theologen und ihre Diskurse warten. Angesichts der Nöte rücken auch ethische Differenzen zwischen Katholiken und Lutheranern etwa bei der Bewertung von Homosexualität in den Hintergrund. Franziskus setzt andere Akzente. Ein „ökumenisches Gastgeschenk“ hatte er keines mit nach Lund gebracht. Anders als bei seinem Vorgänger, der bei seinem Besuch in Erfurt die Forderung nach einem solchen „ökumenischen Gastgeschenk“ zurückgewiesen hatte, dürfte die Klage über das Ausbleiben desselben in Lund nicht so groß sein wie seinerzeit in Erfurt. Denn der Tag in Lund wurde zu einer großen Demonstration der Einheit, auch wenn man in theologischen Fragen keinen Schritt vorankam.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

6 Kommentare

  • Silvia
    31.10.2016, 21:43 Uhr.

    Meiner Wahrnehmung nach wurde die gemeinsame Unterzeichnung der Rechtfertigungslehre von 1999 an der katholischen Basis kaum beachtet weil man so gut wie nichts darüber gehört hat.

    Auch ist uns Katholiken der Begriff „Rechtfertigungslehre“ wenig bis gar nicht geläufig, immer bezogen auf Nichttheologen.

    Der entscheidende Durchbruch in der Ökumene wäre das gemeinsame Abendmahl. Aber da scheint sich Franziskus (noch) nicht ran zu getrauen.

    Die Trennung am Tisch des Herrn, die bei uns hierzulande durch viele Familien geht, ist ein sehr großes Problem, gerade auch für unsere Glaubwürdigkeit als Christen in einer für das Christentum sehr schwierigen Zeit.

    Die Reformation war wichtig und hätte nicht zur Spaltung führen müssen. Luther wollte die Spaltung nicht.

    • Jürgen Erbacher
      Jürgen Erbacher
      01.11.2016, 10:21 Uhr.

      Die Frage ist, ob man nicht die Barmherzigkeit, die Papst Franziskus immer wieder so betont, als praktische Variante des komplizierten Begriffs „Rechtfertigungslehre“ sehen könnte. Franziskus betont immer wieder, dass der barmherzige Gott den Menschen bedingungslos liebt. Und daraus dann die Konsequenz folgen soll, dass der Mensch als Abbild Gottes diese Barmherzigkeit dann selbst lebt. Das könnte vielleicht ein Ansatz sein.

  • Alberto Knox
    31.10.2016, 22:05 Uhr.

    „‚tiefer Dankbarkeit […] für die geistlichen und theologischen Gaben, die wir durch die Reformation empfangen haben‘.“

    wenn man sich anschaut, welchen eiertanz die deutschen bischöfe aufführten, ob und wenn ja wie man denn 500 jahre reformation als katholik*in feiern kann, sind diese worte schon ein ökumenischer und theologischer fortschritt. und wenn man bedenkt, dass ein kleingeistigerer papst vor einigen jahren gesagt hat, dass man für die einheit der christ*innen nur beten könne, und sich dafür selbst lossprach von seiner eigenen verantwortung für die einheit der christ*innen (nebenbei: das papstamt ist zur wahrung der einheit gedacht…), dann ist man jetzt wieder so weit, dass man sagt: wir wollen das gemeinsame abendmahl. und zwar beide.
    ja, wir katholik*innen können und dürfen feiern und dankbarsein für die reformation – auch wenn die trennung schmerzt.

    einer der bedeutendsten theologen schrieb:

    „Wenn wir so die Frage nach der Heilsprovidenz der Spaltung neu stellen, dann können wir vermutlich sagen, daß die Christen die eigentlich radikalen, fundamentalen Wahrheiten und Wirklichkeiten des christlichen Bekenntnisses und des christlichen Daseins deutlicher erleben und erfahren, als es vielleicht der Fall wäre, wenn alle in der kirchlich-gesellschaflich gleichen Situation wären, wenn sie alle von selbst und selbstverständlich der einen und selben Kirche angehörten. Die radikale Frage, was eigentlich Christentum sei, und die dauernde kritische Haltung gegenüber dem Christentum, das sie selbst darleben, bleibt in der Spaltung offen. Man kann natürlich nicht sagen, daß ein solcher Heilsprozeß die Christen davon dispensieren dürfe, alle Kräfte einzusetzen, nach einer kirchlichen Einheit zu streben, sich für diese Einheit verantwortlich zu fühlen. Aber solange wir nun einmal getrennt sind, solange die Gewissen der einzelnen durch die Fügung Gottes davon überzeugt sind, daß sie kirchlich getrennt sein müssen, können wir durchaus nach einem positiven Heilssinn dieser Situation fragen und uns sagen, daß wir daraus das Beste machen müssen, d. h. uns gegenseitig zwingen müssen, möglichst Christen zu sein, zu werden und das eigentlich Radikale der christlichen Botschaft ein wenig besser zu verstehen. Die Christenheit auch in ihrer Spaltung steht heute in einer geistesgeschichtlichen, gesellschaftlichen, kulturellen Situation, die alle diese getrennten Christen verpflichtet, sich zu fragen, wie sie der andrängenden Zukunft gerecht werden können. Und dort, wo die Theologien der verschiedenen Kirchen sich mühen, die Fragen der nichtchristlichen Zeit an das Christentum wirklich zu beantworten, wird die größte Chance sein, daß diese neue Theologie auf der Basis der verschiedenen Kirchenzugehörigkeit doch aus dem allen gemeinsam gestellten Thema langsam eine Einheit theologischer Art entwickelt, die dann auch manches kontroverstheologische und im Augenblick unlösbare Problem überholt und bis zu einem gewissen Grade gegenstandslos macht“ (Karl Rahner, Grundkurs des Glaubens, 357 [SW 26, 349f.]

    • Wanda
      03.11.2016, 16:18 Uhr.

      Wenn sich die Christen darauf einigen könnten, dass sie
      – a) den ganzen Schmarrn und das Brimborium, welches sich die junge Amtskirche nach dem Tod des Nazareners von den orientalisch beeinflussten Hofzeremonien der Cäsaren abgeschaut hat, abschaffen würden,
      – b) all die künstlich aufgestellten Regeln und Riten, die ganz bestimmt nicht auf Jesus zurückgehen und auch nirgendwo im NT zu finden sind, der Schwulst um Heilige, die fast götzenhafte Marienverehrung, das Fegefeuer etc., endlich verbannen würden,
      – c) sich endlich auf die doch so einfache Botschaft des Wanderpredigers konzentrieren und sich von den selbsternannten Heilsverwaltern (vor denen er übrigens warnte) konzentrieren und die ganze Hierarchie zum Teufel jagen würden…
      …Dann, aber nur dann bestände Hoffnung auf Einigung !
      Denn wenn man sich so die recht gut bezahlten und satten Spitzenvertreter der Amtskirchen mit ihren Privilegien anschaut, glaubt jemand im Ernst die würden an dem Ast sägen auf dem sie es sich -zig Jahrhunderte bequem gemacht haben ?

      • Alberto Knox
        04.11.2016, 22:45 Uhr.

        warum stört sie das alles eigentlich so als atheisten? ich störe mich nicht daran als gläubiger mensch.

        • Wanda
          07.11.2016, 18:41 Uhr.

          Alberto Knox 22:45
          – Muss Sie ja auch nicht stören: ich habe lediglich als ehemaliger Katholik aufgeführt, was sich nach dem Tode (oder Auferstehung) des galiläischen Wanderpredigers
          – 1. an Verkrustungen und Ballast an dessen Lehre angeklebt hat und zwar unter tatkräftiger Hilfe und egoistisch beabsichtigt durch die quasi „beamtete“ geistliche Führungsschicht. Jener, über die sich Jesus selbst als „die in den langen Gewändern“ mokierte und vor denen er warnte…
          – 2. bin ganz und gar nicht gegen einen würdigen Gottesdienst, frage mich aber wieso Jesus auf jegliches Brimborium verzichtete ? Beim ihm stand das Beisammensein Gleichgesinnter im Mittelpunkt, sogar beim letzten Abendmahl. Von überhöhter Pracht, Kleidung, Weihrauch, Protz keine Spur. Oder täusche ich mich da etwa ?
          – 3. sind sehr wohl viele der rituellen Details der damit überfrachteten katholischen Kirche (übrigens auch der orthodoxen) mit ihren künstlich herbeigeredeten sakralen Bedeutungen durchaus Hindernisse für eine Einigung mit den diesbzüglich nüchternen Protestanten.
          Denn wo gab es die vorher, wo hat Jesus je Bezug darauf genommen, wo kommen diese im NT überhaupt vor ?
          P.S. auf die Argumente gehen Sie erst gar nicht ein. […]* Denn nach Ihrer Logik dürften Sie sich als Nicht-Muslim auch nicht zum Islam äussern und als Nicht-Politiker auch nicht zu politischem Geschehen, richtig ?

          *Der Beitrag wurde wegen des Verstoßes gegen die Netiquette editiert.

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