Am Vorabend der Synode

Der Countdown läuft. In wenigen Stunden eröffnet Papst Franziskus am Sonntagmorgen mit einem Gottesdienst im Petersdom die Sondersynode zu „Ehe und Familie“. Am Vorabend betete er mit tausenden Familien auf dem Petersplatz für das Gelingen der Synode. Franziskus erklärte, dass er sich eine ehrliche, offene und brüderliche Auseinandersetzung wünsche. Er zeigte sich überzeugt, dass zu gegebener Zeit der Heilige Geist die Beratungen zu einer Einheit führen werde. In der Geschichte der Kirche habe es viele analoge Situationen gegeben, die „die Väter mit beharrlicher Geduld und Kreativität überwunden haben“. Der müde wirkende Pontifex erklärte, die Bischöfe müssten mit Gott den „Schrei des Volkes“ hören. Er habe die Hoffnung, dass die Bischofssynode eine „gottgewollte Gelegenheit“ sei, um die „Kirche und Gesellschaft zu erneuern“. Nachdem in den vergangenen Tagen und Wochen vor allem über die Medien diskutiert wurde, unter Beteiligung einer ganzen Reihe hochrangiger Kardinäle, wird ab Montag hinter verschlossenen Türen in der Synodenaula debattiert. Nach außen wird offiziell wohl wenig Konkretes dringen. Bei einem Briefing für Journalisten wurde gestern deutlich, Informationen über die Diskussionen in der Aula wird es nur gefiltert geben.

Evangelium der Familie

Für die Buchverlage ist Papst Franziskus ein Segen. In den vergangenen Wochen kamen unzählige Bücher rund um das Thema Ehe und Familie auf den Markt. Auffallend ist, dass sich viele auf das Thema der wiederverheirateten Geschiedenen konzentrieren. Gerade die Vertreter, die hier keine Veränderung der aktuellen Praxis wollen, haben in den letzten Tagen noch einmal Akzente gesetzt. Zunächst war da das Buch der fünf Kardinäle, darunter die deutschen Gerhard Ludwig Müller und Walter Brandmüller. Zuletzt wurde gestern hier in Rom ein Buch vorgestellt, dass ganz dezidiert sich gegen den Vortrag von Kardinal Walter Kasper beim Konsistorium, dem Treffen der Kardinäle Ende Februar richtet. Darin hatte Kasper eine veränderte Haltung gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen angeregt und Wege aufgezeigt, wie in Einzelfällen auch die Zulassung zur Kommunion möglich sein könnte. Kaspers Vortrag trägt den Titel „Das Evangelium von der Familie“.

Gestern stellen zwei Professoren des „Päpstlichen Instituts Johannes Paul II. für Studien zu Ehe und Familie“ in Rom eine Antwort auf Kasper vor. Der Titel ihres Buches in der deutschen Ausgabe: „Das wahre Evangelium der Familie“. Darin setzen sich die beiden Autoren kritisch mit Kaspers Vortrag auseinander. Sie wollen „die positiven Elemente weiterentwickeln, zu einer Klärung der mehrdeutigen Aspekte beitragen und die Gründe darlegen, warum uns einige Aussagen falsch erscheinen“. Auch wenn die Autoren betonen, dass sie sich nicht nur auf Kaspers Aussagen zu den wiederverheirateten Geschiedenen beziehen wollen, scheint es doch das Hauptanliegen des Buches zu sein, Kaspers Perspektiven für eine Veränderung der kirchlichen Praxis in diesem Bereich zu widerlegen. Interessant ist, dass kein Vertreter dieses Familieninstituts an der Synode teilnimmt. Kardinal Baldisseri, der Sekretär des Bischofssynode, erklärte, dass die Bischofskonferenzen angefragt worden seien, Vorschläge zu machen.

Das Vorwort zu dem vorgestellten Buch hat der vatikanische Finanzminister und ehemalige Erzbischof von Sydney, Kardinal George Pell verfasst. Der einflussreiche Kurienmann sieht keinen Spielraum für Veränderungen. „Barmherzigkeit ist nicht alles“, so Pell. Zudem hält er das Thema wiederverheiratete Geschiedene für ein Problem, dass sich „hauptsächlich auf einige europäische Teilkirchen konzentriert“. Pell zeigte sich bei der Präsentation überzeugt, dass sich die Synode mit viel wichtigeren Themen beschäftigen müsse. „Der Westen stirbt aus“, so der Kardinal. Daher müsse man sich mehr Gedanken machen über das Thema „Kinder“. Mit einem etwas gewagten Vergleich erklärte der 73-Jährige, der russische Präsident Putin habe das längst erkannt, was die katholischen Bischöfe nicht erkennen würden, und verfolge eine entsprechende Politik.

Papst will freie Diskussion

Pell unterstrich noch einmal, dass Papst Franziskus die Diskussion wolle. Das unterstrich auch der Chef des Synodensekretariats, Kardinal Lorenzo Baldisseri, bei einem Briefing für die Journalisten. Es solle eine freie Diskussion geben, geprägt vom Respekt gegenüber den jeweils anderen Positionen. Klar und mutig sollten sich die Synodalen äußern. Deshalb mussten die Teilnehmer dieses Mal schon im Vorfeld ihre schriftlichen Statements einreichen. Die Inhalte fließen bereits in das Eröffnungsreferat des Generalrelators der Synode am Montagmorgen ein. In der Synodenaula sollen die Teilnehmer dann vier Minuten frei sprechen. Sie können entweder ihr Statement zusammenfassen oder auf Vorredner reagieren. Am Ende jedes Tages gebe es jeweils eine Stunde lang eine freie Aussprache. Aufgrund dieser großen Freiheit der Redebeiträge werde es dieses Mal keine schriftlichen Kurzzusammenfassungen der Statements für die Öffentlichkeit geben. Dies sei organisatorisch nicht leistbar. Bei den täglichen Pressebriefings würden die Namen der Redner genannt sowie eine Gesamtzusammenfassung aller Redebeiträge gemacht. Allerdings werde es keine Informationen zu einzelnen Redebeiträgen geben, sodass die Aussagen nicht zuordenbar sein werden. Das führte zu großem Unmut unter den Journalisten. Die sehen dadurch die Möglichkeit der Berichterstattung eingeschränkt, da sie die Quellen einzelner Positionen nicht benennen könnten. Das Vorgehen sei intransparent. Auf den Protest der Journalisten reagierten der Synodenchef Baldisseri und Vatikansprecher  Lombardi überraschend wirsch und mit Unverständnis.

Unterdessen haben sich in den vergangenen Tagen nicht nur die Gegner einer Veränderung der Haltung bei wiederverheirateten Geschiedenen zu Wort gemeldet, sondern auch Befürworter. Der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn twitterte am Freitag: „In jeder aufrichtigen Beziehung gibt es Elemente des Wahren und Heiligen.“ Bereits Anfang vergangener Woche hatte sich Kardinal Schönborn bei einer Pressekonferenz in Wien in ähnlicher Weise geäußert. Wie schon Kardinal Kasper zog Schönborn in Analogie zum Verständnis von Kirche im ökumenischen Gespräch beim II. Vatikanischen Konzil die Konsequenz, „dass es auch außerhalb der vollen Verwirklichung der sakramentalen Gestalt der Ehe vielfältige Elemente der Wahrheit und Heiligung gibt. Eine Teilverwirklichung ist auch hier da – zwar nicht als Vollgestalt, aber doch als eine Wegetappe, bei der es dann manchmal bleibt“. Wenn das so ist, stellt sich die Frage, ob die Kirche dann diese Teilverwirklichung auch in einer bestimmten Weise anerkennt. Darum wird es bei der Synode gehen. Und noch über eine große Zahl anderer Themen, die in dem 90-seitigen „Instrumentum Laboris“ zusammengefasst sind.

Die italienische Jesuitenzeitschrift Civiltà Cattolica wartet in ihrer neuesten Ausgabe mit einer ganzen Reihe von Artikeln zum Thema Familie auf. Einer ist dabei besonders interessant. Der Jesuit Giancarlo Pani schreibt unter dem Titel „Ehe und ‚zweite Heirat‘ beim Konzil von Trient“ über eine Entscheidung des Konzils, die bisher wenig Beachtung fand. Trient hatte in besonderer weise die Unauflöslichkeit der Ehe betont. Zugleich, so zeigt Pani, zeigt sich das Konzil aber offen für die orthodoxe Praxis einer „zweiten Ehe“. Der Grund war die Anfrage einiger Vertreter Venedigs an das Konzil. Im 15. Jahrhundert gehörten mehrere griechische Inseln zum Herrschaftsgebiet der Republik Venedig. Dort herrschte wohl ein gute ökumenisches Miteinander und so gab es Riten, die eine zweite Heirat auch für Katholiken vorsahen. Nach intensiver Diskussion, die Pani ausführlich darstellt, genehmigte das Konzil diese Ausnahmen. Nun ist die Civiltà Cattolica nicht irgendeine Zeitschrift. Die Druckfahnen werden traditionell im vatikanischen Staatssekretariat gegengelesen. Der Chefredakteur, der Jesuit Antonio Spadaro, genießt das Vertrauen von Papst Franziskus und führte das bisher wichtigste Interview mit dem Pontifex, das Mitte September letzten jahres für Aufsehen sorgte. Wenn die Jesuitenzeitschrift jetzt anmerkt, dass gerade das Konzil, auf das sich die Verteidiger des Status Quo berufen, auch Ausnahmen zuließ, werten das viele Beobachter als klares Botschaft. Schon gibt es erste Reaktionen derer, die keine Veränderungen beim Thema geschiedene Wiederverheiratete wünschen, wie dem italienischen Vatikanisten Sandro Magister. Er kritisiert bei Pani, wie übrigens auch bei Kasper und dessen Vortrag beim Konsistorium, dass Teile ihrer Argumentation nicht den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen entsprächen. Pani und Kasper berufen sich bei ihrem Blick auf den Umgang der Kirche in den ersten Jahrhunderten mit Scheidung und Wiederheirat unter anderem auf ein Werk des italienischen Theologen Giovanni Cereti aus dem Jahr 1977 und begründen damit ihre Position, dass es in der Frühen Kirche durchaus Fälle von zweiter Ehe gab. Nach Ansicht von Magister gebe es aber aktueller Forschungen, die zu anderen Ergebnissen als Cereti kämen.

Vatikan billigt Militäreinsatz gegen IS

In den vergangenen Tagen haben im Vatikan die Nuntien aus dem Nahen Osten zusammen mit Vertretern der Kurie über die Situation in der Region gesprochen. Zum Abschluss des Treffens stellte der Vatikan in einer Erklärung mit Blick auf die IS-Terrormilizen fest, dass es legitim sei, „einen ungerechten Aggressor zu stoppen“. Allerdings könnten die Probleme nicht allein durch militärische Aktionen gelöst werden und müssten sich im Rahmen des internationalen Rechts bewegen. Eine wichtige Rolle hätten die religiösen Führer, christliche und islamische, die sich für einen gegenseitigen Dialog einsetzen sowie jegliche Instrumentalisierung der Religion zur Rechtfertigung von Gewalt eine klare Absage erteilen müssten. Papst Franziskus hatte zuletzt am Donnerstag bei einem Treffen mit dem Patriarchen der assyrischen Kirche des Ostens, Mar Dinkha IV. im Vatikan die Terrormiliz „Islamischer Staat“ scharf verurteilt. Keine religiösen, politischen oder wirtschaftlichen Gründe könnten „das rechtfertigen, was mit Hunderttausenden unschuldigen Männern, Frauen und Kindern geschieht“.

P.S. Am Freitag blickt man im Vatikan übrigens gespannt nach Oslo. Dann wird dort der diesjährige Friedensnobelpreisträger bekannt gegeben. Bei einigen Wettbüros steht Franziskus hoch im Kurs zusammen mit Edward Snowden und der 17-jährigen pakistanischen Kinderrechtsaktivistin Malala Yousafzai.

P.P.S. Der Vatikan wird auf seiner Internetseite Interviews und Stimmen aus der Synode zusammenfassen. In den Pausen sprechen Mitarbeiter der verschiedenen Vatikanmedien mit den Synodalen. Für externe Journalisten gibt es keinen Zugang.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.