Berechtigte Rügen
Der Vatikan hat vom UN-Komittee für die Rechte der Kinder massive Vorwürfe einstecken müssen. Am 16. Januar hatte der maltesische Bischof Charles Scicluna in Genf dem Gremium Rede und Antwort gestanden. Er hatte eingeräumt, dass „es bestimmte Dinge gebe, die der Vatikan anders machen muss“. Dennoch konnte er auch darauf verweisen, dass speziell zum Thema Missbrauch seit Benedikt XVI. eine Null-Toleranz gegenüber Priestern, die sich sexuell an Minderjährigen vergehen, ausgesprochen wurde. Konkretes Zeichen dafür ist die Entlassung von knapp 400 Priestern während des Pontifikats von Benedikt XVI.
Einmischung in die Religionsfreiheit?
Dass trotz dieser Entwicklungen der Bericht der UN so harsch ausfällt, hat den Vatikan dann doch überrascht. Das vatikanische Presseamt wies die Vorwürfe zurück, verbat sich die Einmischung in die kirchliche Lehre und sprach von einer Einmischung in die Religionsfreiheit. Dies bezieht sich z. B. auf Passagen, in denen die Kirche aufgefordert wird, ihre Haltung zu Homosexualität und zur Abtreibung zu überdenken. Es wirft tatsächlich Fragen auf und stärkt den Ideologieverdacht des Papiers, wenn ausgerechnet eine Kommission, die sich dem Schutz des geborenen und ungeborenen Kindes verpflichtet wissen müsste, sich positiv zur Abtreibung äußert. Doch das ist eher ein Nebenschauplatz des Berichts, der es dem Vatikan erleichtert, die Hauptprobleme zu verdrängen.
Der Bericht und die Reaktionen darauf machen ein Problem deutlich, das in Bezug auf den sexuellen Missbrauch sehr klar zutage tritt. Da ist zum einen eine Kirche, die sich gerne als Weltkirche bezeichnet, mit einer Zentrale in Rom und einer klar hierarchischen Ausrichtung, die nahe legt, dass ein Machtwort des Papstes genügt, damit alle Missstände allüberall in der Welt behoben sind. Davon geht auch die UN-Kinderschutzkommission aus. Zum anderen verweist der Vatikan in dieser Frage darauf, dass die Ortskirchen ihre Verantwortung wahr nehmen müssen und in den jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Kontexten dafür sorgen müssen, dass es keinen Missbrauch von Kindern gibt und vergangene Straftaten umfassend aufgeklärt werden. Und da gibt es einen sehr unterschiedlichen Umgang mit dem Problem in den einzelnen Ländern. Während in den USA und in Irland inzwischen offensiv gegen den Missbrauch vorgegangen wird, sperren sich andere Bischofskonferenzen noch sehr dagegen, wollen an das heiße Eisen nicht ran, weil sie den Skandal und den Imageschaden für die Kirche fürchten. Die Vorwürfe des UN-Berichts lassen sich daher immer in einzelnen Ländern belegen, in anderen widerum widerlegen.
Fortschritte in Deutschland
Die Situation in Deutschland hat sich nach dem Aufdecken des Skandals in 2010 durchaus verbessert. Die Leitlinien wurden überarbeitet, eine Hotline war eingerichtet worden, die katholische Kirche hat Modelle zur Prävention entwickelt. Der Wille zur Aufklärung kann den Bischöfen nicht abgesprochen werden, auch wenn das großangelegte Forschungsprojekt nicht so richtig vorankommt.
Um nicht missverstanden zu werden: Jeder einzelne Missbrauchsfall ist ein Skandal und zum Schutz der Opfer kann gar nicht genug getan werden. Und es gibt sicher auch heute in Deutschland noch genug Grund zur Klage. Aber man sollte die Anstrengungen, die unternommen wurden, auch anerkennen. Das Vertrauen ist allerdings gründlich zerstört, es wird noch Jahrzehnte dauern, bis die katholische Kirche das Image verliert, dass sie pädophile Priester schützt und die Schande, von der auch Papst Franziskus gesprochen hat, lieber vertuscht.
Der Vatikan hat zugesagt, dass er die einzelnen Punkte des Berichtes genau prüfen wird. Papst Franziskus muss dafür Sorge tragen, dass der nächste Prüfbericht besser ausfällt.