Franziskus und die „innere Freiheit“

Papst Franziskus betete am Grab von Coelestin V. (Quelle: VaticanMedia)

Mit Spannung war der Besuch von Papst Franziskus in L’Aquila an diesem Sonntag erwartet worden. Wird er sich ein Beispiel an Coelestin V. nehmen und zurücktreten? Ausgeschlossen hat Franziskus das nie, doch aktuell sieht er den Zeitpunkt dafür nicht gekommen. Er spricht lieber über die „innere Freiheit“, die Coelestin ausgezeichnet habe. Er stehe für eine Kirche, die frei sei von weltlicher Logik, so Franziskus. Eine Anspielung auf den Rücktritt kann er sich in der Predigt dann aber doch nicht verkneifen. Der Grund für seinen Besuch war die Eröffnung der „Wallfahrt der Vergebung“, die heute stattfand, sowie die Erinnerung an die Opfer des Erdbebens von 2009 in L’Aquila, das damals über 300 Todesopfer forderte, viele Menschen verloren ihre Existenz.

 

Franziskus: Coelestin mehr als nur Papst des Rücktritts

Jeder Schritt ist mühsam für Papst Franziskus, das sieht man ihm an. Die ständigen Wechsel zwischen Rollstuhl, Auto, Sesseln auf der Bühne strengen ihn sichtlich an. Die Knieprobleme, die ihn seit Anfang des Jahres plagen, fordern ihren Tribut. Doch Franziskus reizt das Mögliche aus. Die Öffnung der Heiligen Pforte in Collemaggio zum Start der „Wallfahrt der Vergebung“ ist ein mühsames Unterfangen. Erst betet Franziskus im Rollstuhl sitzend vor der verschlossenen Pforte; dann erhebt er sich mit Hilfe seines Kammerdieners, liturgische Gewänder, Mitra und Ferula werden gereicht. Dann schlägt er dreimal gegen die Pforte, sie öffnet sich und Franziskus tritt, gestützt von seinem Zeremonienmeister, mit langsamen Schritten hindurch. Am Ende einer Rampe wartet wieder der Rollstuhl, der ihn dann zum Grab Coelestins V. bringt.

Der liegt in einem Altar mit Glasfront begraben, sichtbar trägt er das Pallium, das Benedikt XVI. bei seinem Besuch 2009 hier abgelegt hatte. Es ist müßig darüber zu spekulieren, ob Joseph Ratzinger bei diesem Besuch entschieden hat, dass er zurücktreten werde. Er hatte das nie ausgeschlossen und schon früh in einem Interview als Option erwähnt. Franziskus verharrte einige Momente im stillen Gebet am Grab seines Vorgängers, der 1294 nach wenigen Monaten im Papstamt freiwillig zurücktrat. Papst Bergoglio nahm in seiner Predigt am Morgen kurz Bezug darauf. „Wir erinnern uns fälschlicherweise an die Figur von Coelestin V. als ‚derjenige, der die große Absage erteilt hat‘, wie es Dante in der Göttlichen Komödie ausdrückt; aber Coelestin V. war nicht der Mann des ‚Neins‘, er war der Mann des ‚Ja‘“, erklärte Franziskus.

Coelestin sei ein demütiger Mensch gewesen und habe vollkommen auf die Macht Gottes vertraut, begründete der Pontifex seine Sicht auf Coelestin. Dieser sei „ein mutiger Zeuge des Evangeliums“ gewesen, „denn keine Logik der Macht konnte ihn einsperren und kontrollieren. In ihm bewundern wir eine Kirche, die frei von weltlicher Logik ist und den Namen Gottes, der Barmherzigkeit ist, voll bezeugt“. Coelestin stehe für die Überzeugung, dass die Barmherzigkeit Gottes den Menschen zu einem Leben in Freude verhelfe. „Solange wir nicht verstehen, dass die Revolution des Evangeliums in dieser Art von Freiheit liegt, werden wir weiterhin Zeugen von Kriegen, Gewalt und Ungerechtigkeit sein, die nichts anderes als das äußere Symptom eines Mangels an innerer Freiheit sind.“ Franziskus ist überzeugt: „Wo es keine innere Freiheit gibt, halten Egoismus, Individualismus, Eigennutz und Unterdrückung Einzug.“

Tritt Franziskus nun zurück?

Es ist schwierig, aus den Worten von Franziskus heute in L‘Aquila Hinweise auf einen möglichen Papstrücktritt zu finden. Die Bedeutung der „inneren Freiheit“ hat dieser Papst immer wieder betont. Und dass er sich nicht von „äußeren Logiken“ einschränken lässt, hat er unzählige Male bewiesen. Damit wird man einen künftigen Rücktritt immer auch mit dem heutigen Tag in Verbindung bringen können. Die Physis bereitet Franziskus Probleme, der Kopf ist klar und der Wille zum Gestalten scheint ungebrochen. Immer wieder weicht er am Vormittag vom vorbereiteten Manuskript ab und fügt weitere Gedanken ein, um seine Anliegen zu veranschaulichen.

Morgen beginnen die zweitägigen Beratungen mit den Kardinälen. Offiziell geht es um die Kurienreform, die Anfang Juni in Kraft getreten ist. Neun Jahre hatte Franziskus darüber mit dem Kardinalsrat diskutiert. Am 19. März war die Konstitution „Praedicate Evangelium“ überraschend veröffentlicht worden. Damit verbundene notwendige Personalentscheidungen sind aber noch nicht getroffen. So sind etwa die beiden ehemaligen Leiter des Kulturrats, Kardinal Gianfranco Ravasi, und der Präfekt der ehemaligen Bildungskongregation, Kardinal Giuseppe Versaldi, beide weiter im Amt, obwohl ihre Behörden um Dikasterium für Kultur und Bildung fusioniert wurden. Neben der Debatte über die Kurienreform gibt Erzbischof Rino Fisichella am Dienstag zum Abschluss der Beratungen einen ersten Ausblick auf das Heilige Jahr 2025. Darüber hinaus sind bisher keine weiteren Themen offiziell benannt.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

2 Kommentare

  • Novalis
    28.08.2022, 18:53 Uhr.

    Solange die Physis Franziskus nur bei den Amtsgeschäften behindert, diese aber nicht verhindert, sehe ich keine Probleme – mir wär ganz recht, wenn er das Amt noch hat am 31.12.2027. Allerding gönne ich auch Franziskus einen Ruhestand. Ich kann mich noch an das wirklich segensreiche Wirken meines alten Pfarrers als Pensionist erinnern. Bis in die 90er hat er die Messe gefeiert. Man musste ihn einfach mögen. Gleich wohl ist ihm dabei der Pfarralltag mit Verwaltung erspart geblieben. Ich habe höchsten Respekt vor unserem guten Papst, wenn er das noch hinbekommt.

  • Wanda
    28.08.2022, 20:46 Uhr.

    Die Parallelen zu Coelestin V. sind nicht zu übersehen: auch damals zogen im Vatikan ganz andere die Fäden. Der biedere Coelestin war hoffnungslos überfordert…

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