Papst will „Kultur-Revolution“
Die Barmherzigkeit ist das „eigentliche Leben“ der Kirche. Das wollte Papst Franziskus mit dem Außerordentlichen Jahr der Barmherzigkeit deutlich machen. Nach dessen Ende soll damit aber nicht Schluss sein, sondern jetzt soll die Kirche in der Sache erst richtig durchstarten. Damit das gelingt, hat der Papst ein 15-seitiges Papier mit einigen Eckpunkten vorgelegt. Nur an wenigen Stellen wird er konkret. Entscheidend ist für ihn die Grundhaltung, die er für seine Kirche will und die dann jeder Gläubige sowie die Verantwortungsträger für sich durchbuchstabieren müssen. Kein Gesetz und keine Regel könnten letztendlich der Vergebung durch Gott und dessen Barmherzigkeit entgegenstehen, lautet die Grundmaxime. Wer nur beim Gesetz stehen bleibe, „vereitle“ den Glauben und das göttliche Erbarmen. Um das Schicksal von Millionen Menschen in Armut nicht aus dem Blick zu verlieren, führt Franziskus einen „Welttag der Armen“ ein, der künftig jedes Jahr am vorletzten Sonntag vor dem 1. Advent begangen werden soll. Das Kirchenoberhaupt fordert eine „wahre kulturelle Revolution“ hin zu einer „Kultur der Barmherzigkeit“. In einem TV-Interview zum Abschluss des Heiligen Jahres hatte er gestern Abend Hartherzigkeit als „eine der schlimmsten Krankheiten“ der Gegenwart bezeichnet.
Ausnahmen werden zur Regel
Manche Ausnahme für das Heilige Jahr wird jetzt zur Regel – zumindest bis auf Wiederruf. So können Gläubige auch weiterhin „gültig und erlaubt“ das Bußsakrament bei Priestern der Piusbruderschaft empfangen. Die Ausnahmeregel, dass Priester von der Sünde der Abtreibung lossprechen können, wird ebenfalls verlängert. Zugleich unterstreicht Franziskus aber in seinem Schreiben, „dass Abtreibung eine schwere Sünde ist, da sie einem unschuldigen Leben ein Ende setzt“. Im TV-Interview gestern hatte er Abtreibung als „grauenhaftes Verbrechen“ bezeichnet. Heute gibt er allerdings in seinem Schreiben zum Abschluss des Heiligen Jahres in diesem Kontext zu bedenken, es gebe keine Sünde, „die durch die Barmherzigkeit Gottes nicht erreicht und vernichtet werden kann, wenn diese ein reuevolles Herz findet“.
Im TV-Interview hatte er gestern vor einer übertriebenen moralischen Strenge gewarnt. Eine solche Härte nehme „immer den Posten des Richters ein“. Das sei aber nicht die Haltung Jesu. „Gerechtigkeit und Barmherzigkeit sind bei Gott dieselbe Sache: Die Barmherzigkeit ist gerecht und die Gerechtigkeit ist barmherzig.“ Das könne man nicht trennen, so der Papst. Entsprechend fordert er heute in seinem Papier die Priester in der Seelsorge und der Beichte auf, weitherzig zu sein. Sie sollten zwar „unmissverständlich die moralischen Prinzipien darlegen“, zugleich aber „weitsichtig in der Unterscheidung jedes einzelnen Falles“ sowie „großherzig in der Gewährung der Vergebung Gottes“ sein. „Selbst in den kompliziertesten Fällen, in denen man versucht ist, einer Gerechtigkeit den Vorrang zu geben, die allein aus den Normen hervorgeht, muss man an die Kraft glauben, die aus der göttlichen Gnade entspringt“, so Franziskus. Die Priester sollten sich bemühen, „den Raum des persönlichen Gewissens mit der unendlichen Liebe Gottes zu erleuchten“.
Sozialer Charakter der Barmherzigkeit
Franziskus nennt keine konkreten Beispiele. Darin bleibt er sich treu. Im Kontext des Thema Familie spricht er davon, dass es eine „tiefe und weitsichtige geistige Unterscheidung [brauche], damit niemand ausgeschlossen wird, in welcher Situation er auch lebt, und jeder sich von Gott konkret angenommen fühlen, aktiv am Gemeindeleben teilhaben und in jenes Volk Gottes eingegliedert werden kann“. Es sind genau die Worte, die Franziskus bei diesem Thema seit gut drei Jahren immer wieder wählt. Was das konkret bedeutet, vermag er aus dem fernen Rom für die einzelne konkrete Situation nicht zu beurteilen, da müssen der Seelsorger und die Betroffenen vor Ort ran.
Konkreter wird Franziskus, wenn es um den „sozialen Charakter der Barmherzigkeit“ geht. Hier nennt er Beispiele wie Armut und Unterdrückung, neue Formen der Sklaverei oder die schwierige Situation in Gefängnissen. Künftig soll der „Welttag der Armen“ am 33. Sonntag im Jahreskreis dazu beitragen, dass das Schicksal der Betroffenen nicht in Vergessenheit gerät. Franziskus wird sicherlich dafür sorgen, dass dieser Tag nicht zu einer Alibiveranstaltung wird, um sich den Rest des Jahres nicht um die damit verbundenen Themen kümmern zu müssen. Was die „Kultur-Revolution“ anbetrifft wird er wohl noch etwas Überzeugungsarbeit leisten müssen, bis diese in der katholischen Kirche auf allen Ebenen voll in Gang kommt.
Sind 15 Seiten zum Abschluss des Mamutprojekts „Heiliges Jahr“ nicht zu kurz? Hätte Franziskus nicht noch eine Enzyklika zum Thema schreiben sollen? Die Frage ist, ob das einen großen Mehrwert gebracht hätte. „Evangelii gaudium„, „Amoris laetitia“ und auch die Enzyklika „Laudato si“ sind so stark vom Thema Barmherzigkeit – theoretisch und praktisch – durchzogen, dass ein eigenes Papier dazu nicht mehr viel Neues hätte bringen können. Zudem verweist Franziskus auch immer wieder auf die Barmherzigkeits-Enzyklika von Johannes Paul II. „Dives in misericordia„. An Worten zum Thema fehlt es nicht. Das Entscheidende ist jetzt die Praxis.
Papst schläft gut
Noch einige kurze Anmerkungen zum TV-Interview gestern Abend. Dabei erklärte Franziskus, dass er Lobhudelei weniger vertragen könne als unfaire Angriffe. „Ich habe eine Allergie gegen Schmeichler“, sagte er. Diese wollten andere mehr oder weniger offen für sich selbst einspannen. In Argentinien, so der Papst, nenne man sie übrigens „Sockenlecker“. Üble Nachrede hingegen bringe ihn zum Nachdenken über sich selbst. Warum er mit bald 80 Jahren noch so fit sei, fragten die Interviewer. Ein bestimmter Tee sei es nicht, scherzte Franziskus. Vielmehr habe er einen guten Schlaf und finde Kraft im Gebet. Die Probleme mit der Wirbelsäule habe er aktuell gut im Griff. „Ich mache, was ich kann, und nichts mehr.“ Weniger scherzhaft ging es bei Fragen zur Todesstrafe, den Eindrücken des Papstes von seiner Begegnung mit ehemaligen Prostituierten sowie der Frage nach „Barmherzigkeit in der Politik“ zu.
P.S. Das Papstschreiben zum Abschluss des Heiligen Jahres trägt den Titel „Misericordia et misera – die Barmherzigkeit und die Erbärmliche“. Es sind die beiden Worte, die der heilige Augustinus verwendet, um die Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin im Johannesevangelium (8,1-11) zu beschreiben.
4 Kommentare
– was die Abtreibung angeht bin ich abolut Ihrer Meinung…
Man darf aber nicht unterschlagen, dass nicht die Gesellschaft an sich sondern die röm.-kath. Amtskirche sich seinerzeit völlig unverständlich aus der Beratung der Schwangeren in Gewissensnöten verabschiedet hatte. Und das trotz der enormen Erfolge, denn viele der Frauen verzichteten nach den Beratungsgesprächen letztlich auf eine Abtreibung und trugen ihr Kind aus. Ein derart positives Ergebnis war nicht erwartet worden und wurde auch nie wieder erreicht.
Diesen Vorwurf kann man den geistlichen Repräsentanten der röm.-kath. Kirche nicht ersparen…
in der tat – das lebensfreundlichste abtreibungsrecht hatte und hat deutschland im internationalen recht. und johannes paul ii. sowie joseph ratzinger, meißner und andere spießgesellen haben schwerste schuld am tod ungeborener auf sich geladen, als sie wider besseres wissen den ausstieg um einer klinisch reinen, sterilen wahrheit angeordnet haben – diese wahrheit hat sich als lüge herausgestellt.
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