Rückblick: Papst in den USA – Tag 6

27.9.2015: Wer gedacht hat, nach den Reden vor dem US-Kongress und der UN-Vollversammlung werde es ein langweiliges Wochenende mit Papst Franziskus in den USA, wurde enttäuscht. Mit seinen Reden und vor allem dem Treffen mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs setze er noch einmal klare Akzente. Die Bischöfe forderte er auf, zu motivieren, statt zu klagen und machte ihnen zugleich klar, dass er bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals hart vorgehen werde. Die Katholiken fordert er auf, an einem Strang zu ziehen. „Unser gemeinsames Haus duldet keine unfruchtbaren Spaltungen mehr“, rief er der rund eine Million Teilnehmer des Gottesdienstes zum Abschluss des 8. Katholischen Weltfamilientreffens zu. Es ist auffallend, dass die Ansprachen bei den Reisen meist gut durchdacht und konzipiert sind. Man merkt die originale Handschrift von Franziskus. Im Gegensatz dazu wirkt manche Ansprache im Vatikan bei Treffen mit Einzelgruppen oft wie Werke aus dem Apparat.

Papst konsequent bei Missbrauchsfällen

Deutlich wie nie waren die Worte von Papst Franziskus beim Treffen mit den Betroffenen sexuellen Missbrauchs am Morgen im Priesterseminar in Philadelphia. Erstmals sprach er dort offen darüber, dass nicht nur Priester sondern auch Bischöfe sich verantworten müssen. Und zwar nicht nur die Bischöfe, die selbst direkt Missbrauchstäter sind, sondern auch die, die vertuscht oder nicht entschieden gehandelt haben. Dieses Eingeständnis ist neu. Es hatte sich zwar schon angekündigt, als Franziskus im Juni eine eigene Abteilung in der vatikanischen Glaubenskongregation für Bischöfe eingerichtet hatte, das künftig auch Hierarchen zur Rechenschaft gezogen werden sollen, die sexuellen Missbrauch vertuscht haben. Doch es gab immer wieder Zweifel, ob die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals wirklich zu den Prioritäten von Franziskus zählt. Zumal er sich zuletzt während der USA-Reise zwar zweimal zum Thema äußerte, dabei aber nie konkret das Wort „Missbrauch“ gebrauchte und immer eher aus der Perspektive der Kirche und nicht der Opfer sprach.

Jetzt ist klar: Franziskus macht ernst. Das kündigte er auch im Anschluss an das Treffen bei der Begegnung mit Bischöfen aus aller Welt an, die aus Anlass des Weltfamilientreffens nach Philadelphia gekommen waren. „Die Verbrechen und Sünden des sexuellen Missbrauchs von Kindern dürfen nicht länger verheimlicht werden. Ich verspreche, dass die Kirche wachsam sein wird, um Kinder zu schützen und dass alle zur Rechenschaft gezogen werden.“ Er bleibe «überwältigt von Scham» angesichts derer, die schutzbefohlenen Kindern Gewalt angetan und ihnen schwere Wunden zugefügt hätten. „Gott weint!“ Zuvor hatte er beim Treffen mit den Betroffenen gesagt: „Ich beklage zutiefst, dass Ihnen nicht zugehört oder nicht geglaubt wurde, wenn Sie oder Ihre Familien Missbräuche anzeigten. Sie sollen wissen, dass der Heilige Vater Sie hört und Ihnen glaubt. Ich beklage zutiefst, dass einige Bischöfe nicht Ihrer Verantwortung nachkamen, Minderjährige zu schützen. Es ist sehr beunruhigend zu wissen, dass in einigen Fällen auch Bischöfe selbst Missbrauchstäter waren. Ich verspreche, dem Weg der Wahrheit zu folgen, wo immer er hinführt. Kleriker und Bischöfe werden für ihr Tun Rechenschaft ablegen müssen, wenn sie Minderjährige missbrauchen oder nicht schützen.“ Bei dem Treffen waren drei Frauen und zwei Männer anwesend, die als Minderjährige missbraucht worden waren, sowie Angehörige. Drei der Opfer waren von Klerikern oder in kirchlichen Einrichtungen missbraucht worden, zwei in der Familie.

Es war das zweite Mal, dass Franziskus sich mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs getroffen hat. Die andere Begegnung fand im Juli vergangenen Jahres im Vatikan statt. Beide Male war auch Kardinal Sean Patric O’Malley anwesend. Der Bostoner Erzbischof leitet die Päpstliche Kinderschutzkommission, die Franziskus auf Rat des Kardinalsrats K9 eingerichtet hatte. Bei beiden Begegnungen, war es, wie übrigens auch bei den zahlreichen Treffen mit Betroffen von Benedikt XVI., so, dass diese in ein kirchliches Haus zum Papst kommen mussten. Vielleicht wäre es auch einmal gut, wenn das Kirchenoberhaupt Betroffene aktiv aufsucht.

Papst: Nicht klagen sondern wertschätzen

Interessant ist die Botschaft, die Franziskus für die Bischöfe vorbereitet hatte. Kurz zusammengefasst könnte man sagen: Haltet nicht so viele Reden, sondern seid Seelsorger. Außerdem sollten sie nicht so sehr klagen, sondern vielmehr wertschätzen und dankbar sein. Dies sagte der Papst auch mit Blick auf das Thema Ehe und Familie. Man dürfe nicht „die Veränderungen des geschichtlichen Rahmens vergessen […] ,die sich auf die soziale – und mittlerweile auch die juristische – Kultur der familiären Bindungen auswirkt und uns alle einbezieht“, so Franziskus. Der Christ sei nicht immun gegen die Veränderungen der Zeit. „Wir müssen unsere Energien weniger darauf konzentrieren, immer wieder neu die Mängel der gegenwärtigen Epoche und die Vorzüge des Christentums zu erklären, sondern vielmehr die jungen Menschen offen und direkt dazu auffordern, in der Entscheidung für Ehe und Familie wagemutig zu sein.“ Ein Christentum, das in der Realität wenig praktiziert und in der Ausbildung unendlich viel erklärt werde, befinde sich in einem gefährlichen Missverhältnis. „Ich würde sagen in einem echten Teufelskreis.“ Franziskus forderte eine Haltung „unendlicher Geduld und frei von Groll gegenüber den nicht immer geradlinigen ‚Ackerfurchen‘, in die wir [die Kirche] diese Liebe [Gottes] säen sollen.“

Wenn diese Haltung bei der kommenden Bischofssynode verwirklicht wird, könnte es zu durchaus überraschenden Ergebnissen kommen. Auch wenn Franziskus die bevorstehende Synode während der Reise immer nur im Zusammenhang mit der Bitte um das Gebet für das Gelingen erwähnt hat, gab es jede Menge Impulse für die Synodenväter und die Diskussionen.

P.S. Eine Zusammenfassung der 10. Auslandsreise von Papst Franziskus nach Kuba und die USA gibt es auch bei heute.de.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.