Papst Franziskus in Lateinamerika – Tag 3

Sambarhyhtmen an der katholischen Universität, ein Papst, der zur Revolution aufruft und die Rechte der Ureinwohner anmahnt. Das war der dritte Tag von Franziskus in Lateinamerika. Trotz eines intensiven Programms und ständiger Klimawechsel, gestern tropisch in Guayaquil, heute regnerisch und kühl in Quito, wirkte der 79-jährige Pontifex bis zum Abend frisch. Bergoglio fühlt sich wohl in seiner Heimat. Und er trifft den richtigen Ton. Auch wenn er gestern Abend beim Treffen mit den Bewohnern Quitos vor der Kathedrale betonte, dass er als Pilger gekommen sei, fehlen die klaren politischen Akzente nicht. Beim Gottesdienst heute Morgen machte er einmal mehr deutlich, dass für ihn der christliche Glaube immer eine klare politische Komponente hat.

Franziskus als Seelsorger und Hirte

War Franziskus gestern in Guayaquil eher der Seelsorger, der den Familien in ihren schwierigen Situationen Mut machte, war er heute der Hirte, der seine Herde antrieb zu einer Evangelisierung, die für den lateinamerikanischen Pontifex nicht Proselytismus bedeutet, sondern revolutionäres Zeugnis. Er war der Hirte, der an der katholischen Universität mahnte, „einen Universitätsabschluss nicht mit einem Synonym für höheren Status, Geld, soziales Ansehen gleichzusetzen“. Und schließlich war er der Anwalt derer, die am Rande stehen, als er beim Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft von einer „partizipativen Demokratie“ sprach, in der „jede der sozialen Kräfte – die Gruppen der Ureinwohner, die afrikanisch stämmigen Ecuadorianer, die Frauen, die bürgerlichen Gruppierungen und alle, die für die Gemeinschaft in öffentlichen Diensten arbeiten – unentbehrlicher Protagonist des Dialogs“ sind.

Welche Revolution will der Papst?

Beim Gottesdienst am Morgen verband Franziskus vor mehr als einer Million Menschen den Schrei nach Unabhängigkeit der Völker Lateinamerikas mit dem Schrei nach Einheit, den er im Wort Jesu von der Einheit beim Letzten Abendmahl fand. An diesem Abend habe Jesus die „zunehmende Bosheit dieser Welt“ erfahren: „Intrigen, Misstrauen, Verrat – aber er zieht den Kopf nicht ein“, so Franziskus. Auch heute sei die Welt von Kriegen und Gewalt zerrissen. Als Ursache sieht der Papst einen „verbreiteten Individualismus“, der die Menschen trenne und gegeneinander stelle. Dagegen müssten Christen eine Evangelisierung setzen, die zur Einheit führe. Es gehe darum, um „Inklusion auf allen Ebenen zu kämpfen, Egoismen zu vermeiden und den Dialog zu fördern sowie zur Zusammenarbeit zu ermutigen“. In der ersten Reihe beim Gottesdienst saß Ecuadors umstrittener Präsident Rafael Correa. Ob die Botschaft ankam?

Interessant ist, dass Franziskus am Ende seiner Predigt von „Revolution“ sprach. In zahlreichen Ländern des Kontinents herrscht angesichts zunehmender sozialer Ungerechtigkeit und schwieriger ethnischer Verhältnisse eine revolutionäre Stimmung. Franziskus bietet eine andere Revolution an, die sich an einer Einheit in Vielfalt orientiert, die von einer geschwisterlichen Gemeinschaft geprägt ist. In diesem Sinne, so Franziskus sei der christliche Glaube „immer revolutionär“.

Und immer wieder: Inklusion + Dialog

Am Abend entfaltete der Pontifex diese Gedanken noch weiter bei seiner Begegnung mit der Zivilgesellschaft. Er sprach von der Gesellschaft als großer Familie, in der „wesentliche soziale Werte“ gelebt werden sollten: Unentgeltlichkeit, Solidarität und Subsidiarität. Wie schon am Morgen kritisierte er, „unsere sozialen Beziehungen und das politische Spiel basieren oft auf Konfrontation und Ausschließung“. Erneut fielen die Stichworte Inklusion, Dialog und Begegnung, um „jegliche Art von Repression, maßloser Kontrolle und Beeinträchtigung der Freiheiten“ zu beenden. Klar forderte er die Achtung der Rechte der Indigenen ein und mahnte, dass die Nutzung der natürlichen Ressourcen Ecuadors „nicht den unmittelbaren Profit suchen“ dürfe. Der linksgerichtete Präsident Correa will trotz Protesten der Indigenen im Amazonasgebiet Öl fördern. Kritik wies er in der Vergangenheit mit dem Hinweis zurück, dass der Erlös wichtig für die Entwicklung des Landes und die Bekämpfung der Armut sei.

Auch wenn Franziskus seine neuste Enzyklika Laudato si nur einmal wörtlich zitierte – bei seiner Kritik an der Ausbeutung des Amazonsagebiets – erinnerte die Ansprache am Abend an vielen Stellen an den Text. Etwa die „soziale Hypothek“ des Besitzes oder die Forderung nach einem neuen Wirtschaftssystem. Auch beim Treffen mit den Studendierenden und Schülern kurz zuvor in der katholischen Universität von Ecuador hatte Franziskus breit auf sein jüngstes Lehrschreiben Bezug genommen. Die Studierenden hätten Verantwortung für die Umwelt und die Gesellschaft. Er stellte eine Reihe kritischer Fragen an sie und die Lehrkräfte, in wie weit sie die Gesellschaft und ihre konkreten Probleme im Blick hätten. „Es genügt nicht, Analysen durchzuführen und Beschreibungen der Wirklichkeit; es ist notwendig, Bereiche, Orte authentischer Forschung zu schaffen sowie Diskussionsforen, die Alternativen zu den bestehenden Problemen entwickeln, vor allem heute.“

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.