Papst in Sarajevo: Nie wieder Krieg!

Frieden, Dialog und Versöhnung war die zentrale Mission der 8. Auslandsreise von Papst Franziskus an diesem Samstag nach Sarajevo. Während im deutschen Elmau die Mächtigen der Welt beim G7-Treffen über Wirtschaft, Umwelt, Krieg und Frieden beraten, zog es Franziskus an die Peripherie, in eine der vergessenen Krisenregionen Europas: den Balkan. Der ist in diesen Tagen zwar in den Medien präsent, in der Diskussion um Flüchtlinge aus der Region, die nach Westeuropa streben; doch dass die Region noch immer von großen Spannungen geprägt ist, die die Menschen zur Flucht zwingen, kommt selten in den Blick. Das wollte Franziskus mit seiner Reise ändern. Die Menschen im Land ermutigte Franziskus in ihrer Heimat zu bleiben und beim Aufbau einer gerechten und geschwisterlichen Gesellschaft mitzuhelfen. Zugleich beklagte er eine „Kriegsstimmung“ in der Welt, sprach einmal mehr vom „dritten Weltkrieg in Teilen“ und wiederholte die Worte, die Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Sarajevo 1997 den Menschen beim Gottesdienst im Stadion zurief: „Nie wieder Krieg!“

Spannungen trotz Frieden

20 Jahre nach dem Friedensabkommen von Dayton 1995 ist Bosnien-Herzegowina noch immer stark vom Krieg gezeichnet. Das Abkommen beendete zwar den Krieg, eröffnete jedoch wenige Perspektiven für die Zukunft. Die Wunden des Konflikts von damals sind längst nicht verheilt. An vielen Häusern in Sarajevo sind noch die Einschläge zu sehen. Bosnische Muslime, kroatische Katholiken und orthodoxe Serben finden nur schwer zu einem Miteinander. In den vergangenen Monaten haben sich die Spannungen eher noch verschärft. Die Wirtschaft liegt am Boden. Statisten sprechen von einer Arbeitslosenquote von bis zu 40 Prozent, unter Jugendlichen bis zu 60 Prozent. Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung der Volksgruppen fehlten auch 20 Jahre nach Ende des Krieges, beklagte im Vorfeld der Reise Kardinal Vinko Puljic, der Erzbischof von Sarajevo.

Vor allen Dingen die Katholiken im Land fühlen sich benachteiligt. Von den einstmals 830.000 Katholiken vor dem Krieg, leben heute nur noch 440.000 in Bosnien-Herzegowina und die Abwanderung hält weiter an. Das Wort Gerechtigkeit fiel heute immer wieder und zwar im Sinne einer Gleichbehandlung aller. Gleich bei der Ankunft betonte Franziskus, dass „die effektive Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz und bei dessen Ausführung unerlässlich […], welcher Volksgruppe, Religion oder Region auch immer sie angehören“. Beim Gottesdienst im ehemaligen Olympiastadion unterstrich er anschließend vor zehntausenden Gläubigen, es gehe nicht um „eine vorgetragene, theoretisch durchgespielte, geplante Gerechtigkeit, sondern eine praktizierte und gelebte Gerechtigkeit“.

Nicht nur reden, sondern handeln!

Diese Gerechtigkeit sei Voraussetzung für den Frieden. Und auch dazu stellte er fest, der Evangelist Matthäus sage nicht: „‘Selig, die Frieden predigen‘; denn alle sind fähig, ihn zu verkünden, auch in scheinheiliger oder sogar lügnerischer Weise. Nein. Er sagt: ‚Selig, die Frieden stiften‘; das heißt, die ihn herstellen. Frieden herzustellen ist eine ‚handwerkliche‘ Tätigkeit, die Leidenschaft, Geduld, Erfahrung und Ausdauer erfordert.“ Scharf kritisierte der Papst, dass es Personen gebe, die absichtlich weltweit ein Klima des Krieges schafften. Sie suchten den Zusammenstoß verschiedener Kulturen. Daneben gebe es jene, die mit dem Krieg spekulierten, um Waffen zu verkaufen. „Doch Krieg bedeutet Kinder, Frauen und alte Leute in Flüchtlingslagern; bedeutet Vertreibungen; bedeutet zerstörte Häuser, Straßen und Fabriken; bedeutet vor allem so viele zerbrochene Leben.“

Neben der Gerechtigkeit ist der interreligiöse Dialog eine unumgängliche Voraussetzung für den Frieden, zeigte sich Franziskus am Nachmittag bei der Begegnung mit Vertretern anderer christlicher Kirchen und anderer Religionen überzeugt. Er sei daher eine Pflicht für alle Gläubigen. „Man lernt zusammenzuleben, man lernt sich gegenseitig kennen und lernt, einander in aller Freiheit so zu akzeptieren, wie man ist, in den jeweiligen Unterschiedlichkeiten“, so Franziskus. Stichworte wie Vorurteile und Misstrauen auf der einen Seite sowie Toleranz und Akzeptanz in der Verschiedenheit durchzogen heute viele Texte der Gastgeber. Sei es von Seiten der Religionsvertreter oder der Jugendlichen. Es wurde spürbar, wie schwierig es ist, nach den schrecklichen Ereignissen des Krieges in den 1990er Jahren, wieder Vertrauen zu fassen. Es sind nicht nur mehr als 100.000 Tote zu beklagen; Folter, die Zerstörung von Gotteshäusern und ganzer Dörfer, die Diskriminierung Andersgläubiger haben tiefe Spuren hinterlassen.

Zeugnisse der Opfer

Beim Treffen mit Klerikern und Ordensleuten gab es am Nachmittag wohl einen der emotionalsten Momente des Reisetages. Eine Ordensfrau, ein Ordensmann und ein Priester berichteten von den Misshandlungen, die sie in der Gewalt von Milizen und in Gefängnissen ertragen mussten. Franziskus war sichtlich bewegt, überreichte dem Erzbischof von Sarajevo, Kardinal Puljic die vorbereitete Rede und sprach frei. Die Zeugnisse der drei seien Teil des Gedächtnisses und der Geschichte Bosnien-Herzegowinas. Dies dürfe man nie vergessen; doch aus dem Gedenken müsse Vergebung erwachsen, damit Zukunft möglich wird. Die Welt heute sei voller Grausamkeiten, so Franziskus. „Macht immer das Gegenteil der Grausamkeit“, so Franziskus, „die Zärtlichkeit“. In seiner vorbereiteten Rede dankte er den Klerikern und Ordensleuten für ihren Einsatz und forderte sie auf, hinauszugehen und allen zu helfen, die Hilfe nötig haben, gleich welcher Religion. Diese Botschaft hatte er bereits für die sechs Bischöfe des Landes, als sie im März zum Ad-Limina-Besuch in Rom waren. Damals hatte er sie aufgefordert, „Väter aller zu sein“.

Zum Abschluss seiner Reise traf sich Franziskus mit Jugendlichen. Auch hier legte er seine vorbereitete Rede beseite und beantwortete spontan Fragen der Jugendlichen.Dabei erklärte er etwa, warum er kein Fernsehen schaue, stellte aber fest, dass wir heute in einer Zeit der Bilder lebten. Es ist wie in seiner Jugend mit den Büchern. Man müsse das Gute auswählen. Die Programmverantwortlichen in den Sendern müssten Programme machen, die das Gute förderten. Die Zuschauer sollten umgekehrt das Gute auswählen und gegebenenfalls  umschalten. Franziskus warnte davor, Sklave des Computers zu werden; denn damit verliere man das Leben. Computer seien gut; aber man müsse das Gute suchen, das, das voranbringt.

in seiner vorbereiteten Rede hatte er die Jugendlichen davor gewarnt, angesichts der deprimierenden Zukunftsperspektiven, nicht Versuchungen wie Alkohol, Drogen oder Ideologien, die Hass und Gewalt predigten, zu erliegen. „Um jede Spur von Pessimismus zu besiegen, braucht es den Mut, sich mit Freude und Hingabe ganz und gar in den Aufbau einer einladenden Gesellschaft einzubringen, die alle Verschiedenheiten respektiert und auf die Zivilisation der Liebe ausgerichtet ist.“

Der Balkan gehört zu Europa

Europa – das ist für Papst Franziskus Straßburg, Albanien und Sarajevo. Beim Treffen mit Politikern unterstrich er, dass Bosnien-Herzegowina aus Sicht der katholischen Kirche „ein integraler Teil von Europa“ sei. Auch beim Treffen von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin mit mehreren lokalen Politikern ging es um das Thema Europa. Der aktuelle Präsident des Staatspräsidiums, Mladen Ivanić, brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Europäische Union für alle Länder Südosteuropas offen stehe. Papst Franziskus sitzt nicht am Verhandlungstisch in Brüssel. Mit seinem Besuch in Sarajevo will er deutlich machen, dass für ihn auch die Ränder Europas zum Zentrum des Kontinents gehören.

Ob es Franziskus gelingt, mit seinem Besuch das Land aus seiner Lethargie zu reißen, wird die Zukunft zeigen. Vatikansprecher Federico Lombardi wertete das gute Wetter am Samstag als positives Zeichen. Beim Besuch von Papst Johannes Paul II. im April 1997 sei es kalt gewesen, starker Schneefall und Wind hätten den Winter symbolisiert, durch den das Land gegangen sei. Die Sonne an diesem Samstag erinnere an Frühling, auf den hoffentlich ein Sommer für das Land folgen werde.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.