Franziskus in Deutschland

„Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee.“ Das will Papst Franziskus und das wollen nach Aussage des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, auch die deutschen Bischöfe und Katholiken. Der Münchner Erzbischof hatte seine Rede beim traditionellen Sankt-Michaelsempfang der katholischen Kirche in Berlin unter diesen Gedanken gestellt. Er stammt aus dem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium von Papst Franziskus vom November letzten Jahres. Marx nutzte die Gelegenheit, vor der politischen Prominenz Berlins zu beteuern, dass sich die katholische Kirche einmischen möchte in den gesellschaftlichen Diskurs zum Wohle der Menschen. Marx sieht damit die katholische Kirche in Deutschland bereits ein gutes Stück im Franziskus-Modus. Bei den Gesprächen anschließend wurde allerdings deutlich, dass viele Anwesende noch viel Luft nach oben sehen, wenn es um die Umsetzung einer „armen Kirche an der Seite der Armen“ in Deutschland geht.

Politische Prominenz trifft katholische Kirche

Die Bundeskanzlerin war da. Die Bundesminister Schäuble, de Maiziere, Gröhe und Nahles waren da, Bundestagspräsident Lammert ebenso wie viele Staatssekretäre, Fraktionsvorsitzende und Bundestagsabgeordnete. Dazu Repräsentanten vieler katholischer Verbände und Organisationen, Nuntius Eterovic und Vertreter anderer christlicher Kirchen sowie anderer Religionen. Jedes Jahr Anfang September bietet der Michaelsempfang in der katholischen Akademie in Berlin den Rahmen für die Begegnung zwischen katholischer Kirche und der Berliner Republik. In diesem Jahr war der Andrang besonders groß. Viele wollten den neuen DBK-Vorsitzenden Marx erleben. Der beeindruckte die Anwesenden durch seine 20-minütige nahezu frei gehaltene Rede, in der er die wichtigsten aktuellen politischen Themen streifte und die Gesprächsbereitschaft der katholischen Kirche unterstrich.

Beim Thema Irak und Flüchtlinge sieht er zwar an erster Stelle die Politik in der Verantwortung, fügte aber hinzu: „Wir wollen unseren Beitrag leisten.“ Bei der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz ab 22. September soll die Situation im Nahen und Mittleren Osten eines der Schwerpunktthemen sein. Die Bischöfe erwarten dazu ihren katholischen Amtsbruder Emil Shimoun Nona aus Mossul in Fulda. Zum Thema Sterbehilfe betonte Marx, dass es nur darum gehen könne, ein „menschenwürdiges Sterben“ zu ermöglichen und nicht darum, möglichst viele Wege für ein „menschenwürdiges Töten“ anzubieten. Marx betonte, die katholische Kirche wolle die Diskussionen in Politik und Gesellschaft in Deutschland „hellwach, ermutigend und auch selbstkritisch“ begleiten.

Von den Armen her denken

Immer wieder betonte Marx, dass die Kirche bei ihrer Arbeit und bei ihren Beurteilungen etwa beim Thema Waffeneinsatz „von den Armen“ her denken müsse. Sie seien Maßstab für kirchliches Handeln. Die katholische Kirche sei nicht eine Institution, die gleichsam über den Wolken schwebe und Wahrheiten „vom Himmel regnen lasse“. Vielmehr gehe es darum, die konkrete Situation der Menschen im Blick zu haben. Dies bedeute allerdings nicht, sich an Umfrageergebnissen zu orientieren. Die christliche Weltsicht, so Marx, zeichne sich durch das Spannungsgefüge von Aktion und Kontemplation aus: „Wir müssen uns fragen, was wir in der Welt tun, denn es gibt Dinge, die bewahrt werden und solche die verändert werden müssen. Das ist auch eine Einladung an die politisch Verantwortlichen“.

Marx hielt sich brav an die Vorgabe, nur 20 Minuten zu reden. So blieb viel Zeit, über die Idee des Papstes vom Vorrang der Wirklichkeit vor der Idee zu diskutieren. Dabei war doch immer wieder viel Skepsis in den Gesprächen herauszuhören, ob die katholische Kirche in Deutschland wirklich schon voll im Franziskus-Modus angekommen ist. Wie werden die Finanzen verwendet? Wie leben die Bischöfe? Wie nah sind sie bei den Menschen? Diese Fragen wurden immer wieder diskutiert. Es wurde deutlich: Franziskus fordert die deutschen Kirchenoberen heraus, durch seine Worte und durch seine Taten. Kritisch merkten einige Teilnehmer an, dass nur wenige Diözesanbischöfe beim Empfang anwesend waren. Auf der einen Seite freuen sich die Vertreter der Bischofskonferenz, wenn viele hochrangige Politiker teilnehmen. Umgekehrt erwarten viele Politiker auch, dass sich ihre Heimatbischöfe bei dieser Gelegenheit sehen lassen bzw. dass die Möglichkeit zum Austausch besteht. Mit den Kardinälen Marx und Woelki sowie den Bischöfen Overbeck und Hofmann war die Dichte der Diözesanbischöfe am Dienstag in Berlin überschaubar.

Vatikan gibt Teilnehmer der Sondersynode bekannt

Viele Anwesende sind vor dem Hintergrund des Gedankens des Vorrangs der Wirklichkeit vor der Idee auch gespannt, wie sich die Diskussionen auf der bevorstehenden Bischofssynode entwickeln werden. Dafür gab der Vatikan gestern die Teilnehmerliste bekannt. Geborene Mitglieder der Synode sind die 114 Vorsitzenden der Bischofskonferenzen, aus Deutschland Kardinal Reinhard Marx, sowie die Chefs der vatikanischen Dikasterien, darunter der Chef der Glaubenskongregation Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Daneben hat der Papst Experten und sogenannte „Hörer“ berufen. Darunter ist als zweite Vertreterin aus Deutschland Ute Eberl. Die 52-Jährige ist im Erzbistum Berlin für die Ehe- und Familienpastoral zuständig. Insgesamt sind unter den 252 Synodenteilnehmern knapp 50 Laien, darunter 13 Ehepaare. Unter den Kardinälen, die Papst Franziskus zusätzlich in die Synode berufen hat, ist der deutsche Kardinal Walter Kasper, der mit seinem Einführungsreferat zum Thema „Ehe und Familie“ beim Konsistorium im Februar für heftige Diskussionen gesorgt hatte. Unter den berufenen Kardinälen ist auch der Erzbischof von Bologna, Kardinal Carlo Caffarra, der zu den schärfsten Kritikern von Kaspers Vortrag zählt. Caffarra hat unter Papst Johannes Paul II. an der Entwicklung von dessen Theologie der Familie entscheidend mitgewirkt. Eine kontroverse Diskussion ist damit vorprogrammiert. Franziskus hat auch den Chef der katholischen Universität in Buenos Aires, Erzbischof Victor Manuel Fernández, in die Synode berufen. Er wird zusammen mit dem vatikanischen Kulturminister, Kardinal Gianfranco Ravasi, für die Schlussbotschaft der Synode verantwortlich sein. Fernández ist ein enger Vertrauter von Papst Franziskus. Beide haben zusammengearbeitet bei der Abfassung des Schlussdokuments der CELAM-Konferenz von Aparecida. Franziskus vertraut Fernández, der wohl auch starken Einfluss bei der Entstehung von Evangelii Gaudium hatte. Der argentinische Erzbischof hat direkten und unmittelbaren Zugang zum Papst – und Franziskus über ihn die Schlussbotschaft unter Kontrolle.

P.S. Am Montag hat Papst Franziskus Annette Schavan in Audienz empfangen. Sie ist damit nun offiziell Deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl. In einem Interview mit Radio Vatikan äußerte sie sich über ihre neue Aufgabe und die Rolle des Vatikans in der internationalen Politik. Ihre Ernennung war nicht unumstritten – sowohl im Vatikan als auch in Deutschland. Dabei ging es nicht nur um die Frage nach der Aberkennung ihres Doktortitels nach Plagiatsvorwürfen, sondern auch um ihr Verhalten als Politikerin sowie als engagierte Katholikin im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Hier hatte sie sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit Forderungen nach Reformen in der katholischen Kirche zu Wort gemeldet. Trotzdem ist der Gesprächsfaden mit Rom nie abgerissen. So empfingetwa Papst Benedikt XVI. sie Ende März 2011 zu einem Gespräch im Vatikan.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.