Popacabana!?

So nennen hier in Rio viele die Copacabana seit heute Abend. Hunderttausende füllen den Strand in Erwartung des Papstes. Für die Jugendlichen scheint es kein Problem, dass die großen Veranstaltungen vom Wochenende von dem 3,5 Hektar großen Feld vor den Toren Rios an den Strand verlegt werden mussten. Der Regen hatte den „Campus Fidei“ aufgeweicht. Die Stimmung war hier schon Stunden vor der Papstankunft wie auf einem Rockfestival. Nicht von ungefähr werden die katholischen Jugendtage ja auch als katholisches Woodstock bezeichnet. Samba-Rhythmen, christlicher Pop und Rock, dazu das Rauschen der Wellen. Die katholische Jugend der Welt feiert ausgelassen.

Viele Jugendliche wollen an der Copacabana übernachten.

Franziskus macht mit und genießt das Bad in der Menge. Auch bei der dritten Fahrt an der Copacabana entlang ließ er sich viel Zeit, um die Jugendlichen zu grüßen. Auch heute war er ganz überschwenglich, fiel seinem Zeremonienmeister, Guido Marini, strahlend um den Hals, als er auf der Bühne ankam. Das hatte er am Donnerstag zu Beginn der Willkommensfeier schon einmal gemacht. Das fällt natürlich auf, sagte man zu Beginn des Pontifikats den beiden nicht gerade ein gutes Verhältnis  nach. Mit seiner Ansprache macht er den Jugendlichen Mut, zu ihrem Glauben zu stehen. Er stellt aber auch ganz konkrete Fragen an sie, wie sie es mit dem Glauben halten. Hier kommt, wie in den letzten Tagen schon mehrfach der Fall, der Jesuit durch. Die ignatianischen Exerzitien stellen sehr konkrete Fragen an den Einzelnen, seinen Glauben, sein Leben.

Diese Fragen stellt Franziskus den Jugendlichen, aber z.B. auch heute Mittag den Bischöfen Brasiliens bei einem Treffen. Hier wurde er sehr deutlich. Gab den Bischöfen eine ganze Reihe von Hausaufgaben mit auf den Weg. Viele dieser Punkte gelten sicher auch über die Grenzen Brasiliens hinaus. Da wir hier kurz vor der Übertragung der Vigil sind, nur einige Zitate und Stichworte aus der Ansprache: „Das Ergebnis der pastoralen Arbeit stützt sich nicht auf den Reichtum der Mittel, sondern auf die Kreativität der Liebe.“ Die Kirche dürfe sich nicht von der Einfachheit entfernen. Franziskus spricht die zahlreichen Kirchenaustritte an: „Vielleicht ist die Kirche zu schwach erschienen, vielleicht zu fern von ihren Bedürfnissen, vielleicht zu arm, um auf ihre Beunruhigungen zu antworten, vielleicht zu kalt ihnen gegenüber, vielleicht zu selbstbezogen, vielleicht eine Gefangene ihrer eigenen steifen Ausdrucksweisen, vielleicht scheint es, als habe die Welt die Kirche zu einem Überbleibsel aus der Vergangenheit gemacht, unzureichend für die neuen Fragen; vielleicht hatte die Kirche Antworten für die Kindheit des Menschen, nicht aber für sein Erwachsenenalter.“ Er stellt die kritische Frage: „Sind wir noch eine Kirche, die in der Lage ist, die Herzen zu erwärmen?“ „Ist mittlerweile auch die Kirche von der Hektik des Leistungsdrucks fortgerissen?“ Er wiederholt seine Forderung, dass die Kirche keine Angst haben dürfe hinauszugehen.

Ganz konkret forderte er die Bischöfe auch, sich persönlich um die Priesterausbildung zu kümmern und diese Aufgabe nicht zu delegieren. Er forderte eine Einheit in Vielfalt für die Kirche in Brasilien. „Für die Kirche in Brasilien genügt nicht ein nationaler Leader, sondern es braucht ein Netzwerk regionaler ‚Zeugnisse‘, die die gleiche Sprache sprechen und so nicht etwa Einstimmigkeit überall, sondern vielmehr die wahre Einheit in der Vielfalt gewährleisten. […]Es ist also nützlich, das lokale und regionale Element in zunehmendem Maße zur Geltung zu bringen. Die zentrale Bürokratie reicht nicht aus: Ein Zuwachs an Kollegialität und an Solidarität ist nötig, und das wird ein wahrer Reichtum für alle sein.“ Wie schon kurz nach seiner Wahl verpflichtet er die Kirche, die Barmherzigkeit wiederzuentdecken. „Ohne Barmherzigkeit ist es heute kaum möglich, in eine Welt von ‚Verletzten‘ einzudringen, die Verständnis, Vergebung und Liebe brauchen.“

Er forderte, die Frauen zu stärken, die eine grundlegende Rolle bei der Weitergabe des Glaubens spielten. „Schränken wir den Einsatz der Frauen in der Kirche nicht ein, sondern fördern wir ihre aktive Rolle in der kirchlichen Gemeinschaft. Wenn die Kirche die Frauen verliert, riskiert sie, unfruchtbar zu werden.“ Schließlich stellt sich Franziskus hinter das Engagement der Kirche für die Bewahrung der Schöpfung – gerade auch im Amazonasgebiet – und ermutigt, es noch auszubauen.

Vatikansprecher Federico Lombardi bezeichnete die Rede an die Bischöfe heute als wohl eine der wichtigsten des Pontifikats – auch auf Zukunft hin. Eine ähnlich programmatische Rede wird für morgen Nachmittag erwartet, wenn Franziskus Vertreter der Bischofskonferenzen Lateinamerikas und der Karibik trifft. Dem Vernehmen nach soll das Papier, das er bei der Gelegenheit überreichen will umfangreich sein – nicht nur eine dreiseitige Rede. Man darf gespannt sein. Papst Franziskus scheint den Weltjugendtag zu nutzen, um seiner Kirche Entscheidendes ins Stammbuch zu schreiben.

P.S. In seiner Ansprache bei der Vigil verglich Franziskus den Glauben mit Fußball: Campus Fidei, wo die Vigil ja ursprünglich stattfinden sollte, als Glaubensfeld, als Sportplatz. Beim Glauben sei es wie beim Fußball, wo man trainieren müsse, „um ‚in Form zu bleiben‘, um allen Situationen des Lebens ohne Angst zu begegnen und dabei unseren Glauben zu bekennen“. Wo er die Jugendlichen anspornte keine Teilzeit-Christen, keine Spießer zu sein. Wie schon oft zitierte Franziskus Mutter Teresa. Die auf die Frage, was sich in der Kirche ändern müsse, antwortete: „Du und ich!“ Franziskus meint damit aber, glaube ich, nicht ein Abwiegeln gegenüber Forderungen der Gläubigen nach Änderungen in der Kirche, wie das in der Vergangenheit von Teilen der Hierarchie gerne immer wieder gemacht wurde. Bei Franziskus kann man mehr und mehr den Eindruck bekommen, dass er die Kirche vom Kopf auf die Füße stellen will. Er will Veränderung von unten her.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.