Ein „strategischer Heiliger“?

In Rom hat Papst Franziskus heute seine erste Heiligsprechung als Papst vorgenommen. In der Predigt sprach er von den Heiligen als Vorbilder im Glauben: in jedem Anderen das Bild Christi sehen, alle annehmen ohne Vorurteile und ohne Zwang, sondern mit Liebe und ihnen das Wertvollste geben, was wir als Christen haben: Christus und sein Evangelium. Solch ähnliche Worte haben wir vergangene Woche auch bei unserem Besuch in Buenos Aires gehört. Allerdings sprachen wir da mit den Gläubigen über deren ehemaligen Erzbischof Jorge Mario Bergoglio. Für sie scheint Papst Franziskus schon zu Lebzeiten ein Heiliger zu sein.

 

Pater Sebastian im Gespräch mit Florinda Flores.

Wir sind mit Pater Sebastian durch seine Pfarrei gegangen. Sie liegt in einem der Armenviertel der argentinischen Hauptstadt; gleich neben dem schicken Stadtteil Flores. Dort hat Jorge Mario Bergoglio seine Kindheit verbracht. Dort, in der Kirche San José de Flores hat er Mitte der 1950er Jahre bei einer Beichte seine Berufung erfahren. Ab 1992 war er für den Stadtteil auch als Weihbischof zuständig. Er sei in der Zeit als Weihbischof sehr oft in die angrenzende „Villa miseria“ gekommen, erzählt Pater Sebastian. Später als Erzbischof und Kardinal habe er dann weniger Zeit gehabt. Trotzdem habe er sie jedes Jahr mindestens ein oder zweimal besucht. Die Menschen in der Villa erzählen begeistert von „ihrem“ Papst Franziskus. Er bringe ihre Sorgen und Probleme nun in die Weltkirche ein, ist Florinda Flores überzeugt. Bei ihr war Bergoglio einmal zum Essen zu Gast. Seine Bescheidenheit und Herzlichkeit habe sie sehr beeindruckt, erzählt sie. In vielen Häusern des Viertels hängen Fotos von Bergoglio. Nach den Firmungen etwa nahm er sich jedes Mal Stunden Zeit, um mit allen Firmlingen und ihren Familien fotografiert zu werden.

Pater Sebastian feiert einen Gottesdienst.

Auch Pater Sebastian erzählt viel Positives über seinen ehemaligen Chef. Jeder Priester habe die persönliche Telefonnummer Bergoglios gehabt. Man hatte so einen direkten Draht zu ihm. Wenn er nicht sofort erreichbar gewesen sei, habe er innerhalb kürzester Zeit zurückgerufen. Die Arbeit in den Armenvierteln sei ihm ein besonderes Anliegen gewesen. Zu Beginn seiner Amtszeit als Erzbischof 1998 seien nur noch wenige Priester in den Villas miserias gewesen. Bergoglio habe ihre Präsenz systematisch ausgebaut. Heute seien die meisten Pfarreien in den Armenvierteln mit mindestens zwei Klerikern besetzt. Sebastian lebt mit einem jungen Diakon in seinem Pfarrhaus. Das wurde gerade umgebaut. Viele Jahre lebte Sebastian in einer einfachen Hütte. Auf Bergoglios Wunsch wurde nun ein größeres Pfarrhaus gebaut, in dem dann auch Räume für Katechese und caritative Angebote sind.

Bergoglio also der „Kardinal der Armen“!? Hier wird Pater Sebastian etwas ungehalten. In der Weltöffentlichkeit werde Bergoglio gegenwärtig so dargestellt, als habe er sich nur um die Armen gekümmert. Das sei nicht richtig. Bergoglio habe sich um alle gekümmert: Reiche, Mittelschicht und eben auch um die Armen. Während die Armen oft vergessen würden, habe Bergoglio sie sehr klar im Blick gehabt, aber eben nicht nur die Armen. Bergoglio, ein Hirte, für alle Gläubigen und die Priester. Es hört sich beinahe so an, als hätten wir es hier mit einem Mann ohne Ecken und Kanten zu tun.

Das sieht der Journalist Washington Uranga nicht ganz so. Er schreibt unter anderem für die regierungsnahe Zeitung „Pagina 12“. Ihn treffen wir in La Plata, eine Stadt vor den Toren von Buenos Aires. Für ihn ist Bergoglio ein Mann großer Widersprüche. Auf der einen Seite sei beispielsweise diese starke Option für die Armen, auf der anderen Seite gebe es aber auch die noch ungeklärte Rolle Bergoglios als Jesuitenprovinzial in der Zeit der argentinischen Militärdiktatur. Wie hat er sich im Falle der beiden verschleppten Jesuiten Yorio und Jalics wirklich verhalten? Uranga kannte Yorio persönlich. Dieser habe zwar, wie Jalics jüngst auch, erklärt, Bergoglio habe sie seinerzeit nicht an die Militärs verraten. Doch, so habe ihm Yorio erzählt, hätten sie sich von ihrem damaligen Oberen im Stich gelassen gefühlt. Uranga hofft, dass Bergoglio als Papst nun den Anstoß für eine Aufarbeitung der Rolle der Kirche in der Militärdiktaturzeit gibt.

Uranga ist Bergoglio mehrfach begegnet. Auch er zeigt sich beeindruckt von dessen Bescheidenheit. Zugleich sieht er im neuen Papst einen ausgewiesenen Strategen. Bergoglio wisse stets genau was er wolle, und setze dies auch durch, so Uranga. Bergoglio ein Stratege? Es gibt durchaus Belege dafür: Als Erzbischof von Buenos Aires und Vorsitzender der Argentinischen Bischofskonferenz (2005-2011) ärgerte er sich mehrfach über die Ernennung von konservativen Bischöfen in Argentinien. Kurzerhand platzierte er in der Bischofskongregation, die für die Vorbereitung der Ernennungen zuständig ist, einen Priester aus seinem Bistum. Fortan war er über die Vorgänge vorab informiert und konnte gegebenenfalls versuchen rechtzeitig einzugreifen.

Über die ersten Bischofsernennungen als Papst hört man übrigens Positives. Im argentinischen Bistum Merlot-Moreno waren die Gläubigen hoch erfreut über ihren neuen Bischof Fernando Carlos Maletti. Am vergangenen Sonntag, einen Tag vor der Ernennung, nannten sie uns beim Besuch in der Gemeinde eben diesen Bischof als ihren Wunschkandidaten. Tags darauf ging ihr Wunsch in Erfüllung. Und auch aus der österreichischen Diözese Feldkirch hört man viele positive Rückmeldungen nach der Ernennung von Benno Elbs zum neuen Bischof. Mit Spannung werden daher die ersten Ernennungen für Deutschland erwartet. Die Bistümer Erfurt und Passau warten auf neue Bischöfe; einige andere Bistümer wie Freiburg und Köln warten auf neue Weihbischöfe. Zum 25.12. wird dann auch das Erzbistum Köln vakant, nachdem Kardinal Meisner in der vergangenen Woche noch einmal das öffentlich bestätigte, was laut Kirchenrecht selbstverständlich ist, dass er mit dem Erreichen seines 80. Geburtstag am Weihnachtstag in Pension gehen möchte.

Das war eigentlich keine Sensationsmeldung. Zwei andere Vorgänge hingegen schon eher. Am Dienstagabend gab der Vatikan bekannt, dass man künftig mit den USA eng im Kampf gegen Geldwäsche und die Finanzierung des Terrorismus zusammenarbeiten will. Eine entsprechende Vereinbarung war an diesem Tag zwischen der vatikanischen Finanzaufsichtsbehörde AIF und der entsprechenden Organisation der US-Regierung unterzeichnet worden. Das ist ein Zeichen, dass es dem Vatikan ernst zu sein scheint, die Probleme in seinem Finanzsektor in den Griff zu bekommen. Transparenz und saubere Geschäfte lautet die Devise für die Zukunft.

Ungewöhnlich und auch etwas überraschend kommt der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel nächsten Samstag im Vatikan. Immerhin sind im September Bundestagswahlen. Es ist nicht üblich, dass Politiker in den sechs Monaten vor einer Wahl vom Papst empfangen werden. Noch vor wenigen Wochen hieß es in Rom, dass es zu einer Begegnung vor der Wahl nicht mehr kommen werde. Jetzt ist das doch der Fall. Man darf gespannt sein, welchen Grund die Bundeskanzlerin nächste Woche für die Begegnung anführen wird. Das Verhältnis zwischen Angela Merkel und den Päpsten war nicht immer einfach. Johannes Paul II. traf sie 2003 einmal als Oppositionsführerin. Sie hatte damals George W. Bush beim Irakkrieg unterstützt. Papst Wojtyla stand klar auf der Gegnerseite. Benedikt XVI. traf Angela Merkel dreimal. Schwer belastet wurde das Verhältnis, als Merkel 2009 in der Williamsonaffäre den Papst öffentlich zu einer Klarstellung aufforderte. Zwar glätteten sich die Wogen wieder, und beim Deutschlandbesuch im Herbst 2011 begegnete man sich in herzlicher Atmosphäre in Berlin. Doch gewisse Irritationen sind geblieben. Die Begegnung mit Papst Franziskus ist im Wahljahr aus Sicht der Kanzlerin sicher eine strategisch kluge Sache. Viele Katholiken in Deutschland verspüren ein Gefühl von Aufbruch und Neuanfang. Wenn es der Kanzlerin gelingt, durch einen Schulterschluss mit dem Papst diese Stimmung auch auf sich zu übertragen, kann sie von der Begegnung nur profitieren. Zumal sie durch den Rücktritt Annette Schavans im Februar die wichtigste Katholikin an ihrer Seite verloren hat. Man darf gespannt sein, ob der Besuch im Vatikan mehr wird als nur ein Wahlkampftermin. Dafür könnte vielleicht Papst Franziskus sorgen. Denn der Papst, dem soziale Gerechtigkeit sowie die Option für die Armen und Marginalisierten sehr am Herzen liegen, wird einiges zu besprechen haben mit der Regierungschefin der größten Volkswirtschaft in Europa. Die Sorgen und Nöte der Menschen in Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und den anderen Krisenländern sind ihm sicherlich präsent, ganz zu schweigen von der Rolle der großen Industrienationen im weltweiten Kampf gegen die zunehmende soziale Ungerechtigkeit.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.