Der Papst in Südostasien – Tag 8

Zahlenmäßig ist es der Höhepunkt der 45. Auslandsreise von Papst Franziskus: der Gottesdienst nahe des Pazifik-Ufers von Dili in Osttimor mit rund 600.000 Menschen. Die feierten den Pontifex wie einen Superstar und er wiederum schmeichelte ihnen und erklärte, dass das Wertvollste, was Osttimor habe, nicht das Sandelholz und nicht das Teakholz seien, sondern das Volk. Die Menschen quittierten das mit Jubel und Beifall. Am Morgen hatte er beim Treffen mit Klerus, Ordensleuten und Katecheten einen „neuen Schwung bei der Evangelisierung“ gefordert und dabei sehr konkrete Handlungsfelder benannt, in denen er Änderungsbedarf sieht. Obwohl Franziskus in seinen Ansprachen nicht an Mahnungen spart, fliegen ihm die Sympathien der Timoresen zu. Lange harren sie an den Straßen aus, um den Papst im Auto vorbeifahren zu sehen. Viele Tränen der Freude und Rührung fließen in den zwei Tagen, an denen sich Franziskus in Dili aufhält. Rein rechnerisch war zum Gottesdienst am Dienstagnachmittag fast die Hälfte der 1,5 Millionen Einwohner Osttimors gekommen. Selbst wenn die Zahl von den Behörden etwas zu hoch gegriffen sein könnte, ist der Gottesdienst bezogen auf die Einwohnerzahl eines Landes sicher der am besten besuchte Papstgottesdienst aller Zeiten.

Nach dem Gottesdienst fuhr Franziskus mit dem Papamobil durch die Menge. (Quelle: afp)

Ränder werden zum Zentrum

„Im Herzen Christi haben die Peripherien einen zentralen Platz.“ Mit diesem Gedanken startete Papst Franziskus am Morgen seine Ausführungen beim Treffen mit Klerus, Ordensleuten und pastoralen Mitarbeitenden. Das dürfte auch der Schlüssel sein, warum dieser Pontifex so starke Akzente auf die Ränder setzt. „Das Evangelium ist voll von Personen, Figuren und Geschichten, die sich an den Rändern, an den Grenzen befinden, die aber von Jesus gerufen werden und zu Protagonisten jener Hoffnung werden, die er uns bringt“, führte er den Gedanken weiter aus. Dann gab es einige für solche Treffen bekannte Themen, etwa die Warnung an Priester und Ordensleute, nicht die Bodenhaftung zu verlieren. Für die Priester hatte er noch einen besonderen Hinweis. Sie werden in Osttimor gerne mit dem Titel „Amu – Herr“ angesprochen. „Es darf euch nicht zur Versuchung des Stolzes und der Macht verleiten; es darf nicht dazu führen, dass es euch bei eurem Dienst um gesellschaftliches Ansehen geht, dass ihr handelt wie Chefs, die andere niedermachen.“ Der Priester dürfe seine Rolle nicht auszunutzen, sondern müsse immer segnen, trösten, ein Diener des Mitgefühls und ein Zeichen der Barmherzigkeit Gottes sein.

Auch wenn Osttimor mit 98 Prozent das katholischste Land der Welt ist, sieht Franziskus Bedarf für neuen Schwung in der Evangelisierung. Als Herausforderungen sieht er etwa das Thema Versöhnung nach den leidvollen Jahren des Krieges, das Mitgefühl für die Armen, den Kampf gegen Korruption, Alkoholismus, Gewalt und mangelnden Respekt vor der Würde der Frau. Zudem mahnte er bei dem Treffen auch eine ordentliche Ausbildung für die pastoralen Mitarbeiter im geistlichen, katechetischen und theologischen Bereich an. Diese könne dann auch dabei helfen, die richtige Balance zwischen der Inkulturation des christlichen Glaubens und der „Läuterung und Reifung“ , der jede Kultur und jede gesellschaftliche Gruppe bedürfe, herzustellen.

Gegen Selbstsucht und Ungerechtigkeit

Der Gottesdienst am Nachmittag fand am Rande der Hauptstadt Dili, auf einem Platz nahe des Pazifiks, statt. Viele der offiziell 600.000 waren bereits seit den frühen Morgenstunden dort, um sich möglichst einen direkten Blick auf den Papst zu sichern, zumindest bei der Fahrt mit dem Papamobil nach Ende der Messe. In seiner Predigt kritisierte Franziskus, dass Wohlstand die Menschen selbstsüchtig und ungerecht mache. Er warnte vor einer „trügerischen Fassade einer auf den ersten Blick perfekten Welt, hinter der sich eine „viel dunklere und traurige, harte und grausame Wirklichkeit“ verberge, „die dringend der Umkehr, der Barmherzigkeit und der Heilung“ bedürfe. Der Pontifex warb dafür, im Weniger mehr zu sehen.

Neben der Kritik hatte Franziskus aber auch ermutigende Worte für die Timoresen. „Ihr seid ein junges Land, in dem man in jeder Ecke das Leben pulsieren und aufblühen sieht“, erklärte der 87-Jährige. Mit Anspielung auf den hohen Anteil junger Menschen in dem Land erklärte er, Kinder seien ein Geschenk. „So viel Jugend und so viele Kinder erneuern nämlich beständig die Frische, die Energie, die Freude und den Enthusiasmus eures Volkes.“ Die Messe fand auf dem Gelände statt, auf dem die indonesische Armee während der Besatzung Osttimors die Leichen getöteter Menschen verscharrte. Heute heißt er „Park der Freiheit“. 1989 feierte Papst Johannes Paul II. hier bei seinem Besuch im damals von Indonesien besetzten Osttimor einen Gottesdienst. Der Besuch wirkte für die lokale Bevölkerung wie eine Unterstützung ihres Kampfes um Unabhängigkeit. Johannes Paul II. wird daher in Osttimor bis heute eine hohe Verehrung zuteil. Die Regierung hat in dem Park eine sechs Meter hohe Statue des polnischen Papstes aufstellen lassen.

Das Sakrament der Armen

Am Morgen hatte Franziskus eine Sozialeinrichtung besucht, die sich um Kinder mit Beeinträchtigungen kümmert. Eine Rede war bei dem Termin nicht vorgesehen. Doch Franziskus formulierte frei einige Gedanken, die sehr typisch für ihn sind, regelmäßig aber auch Anstoß in konservativ katholischen Kreisen erregen. Er sprach vom „Sakrament der Armen“. Dabei geht es um die Frage, welche Kategorien beim Jüngsten Gericht ausschlaggebend seien. Jesus sage in dieser Situation nicht: „Komm mit mir, weil du getauft wurdest, weil du gefirmt wurdest, weil du kirchlich geheiratet hast, weil du nicht gelogen hast, weil du nicht gestohlen hast …“, Er sage vielmehr: „Komm mit mir, weil du dich um mich gekümmert hast.“ Das Leben mit den Bedürftigsten zu teilen, müsse eigentlich Programm eines jeden Christen sein, erklärte Franziskus.

Am Abend säumten wieder Tausende den Weg des Papamobils auf dem Rückweg von der Messe in die Nuntiatur. Wie schon in Papua-Neuguinea sehen die Menschen auch in Osttimor im Besuch des Papstes ein Zeichen dafür, dass sie nicht vergessen sind. Das Land gehört mit zu den ärmsten der Welt. Laut Welternährungsprogramm leben etwa 42 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, da es wenige Möglichkeiten für Beschäftigung gibt. Ein hoher Anteil der Menschen lebt von dem, was sie selbst anbauen und erwirtschaften. Viele haben kein regelmäßiges Einkommen. Ein Papst, der sich für soziale Gerechtigkeit einsetzt und selbst bescheiden auftritt, ist für viele ein Hoffnungsträger. Allerdings dürfte es schwer sein, mit dem aktuellen Besuch eine ähnliche Wirkung für das Land zu entfalten, wie das beim Besuch von Johannes Paul II. mit Blick auf den Unabhängigkeitskampf geschehen ist. Dafür sind die Herausforderungen heute wohl zu vielfältig.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

2 Kommentare

  • Novalis
    10.09.2024, 16:56 Uhr.

    „Doch Franziskus formulierte frei einige Gedanken, die sehr typisch für ihn sind, regelmäßig aber auch Anstoß in konservativ katholischen Kreisen erregen. Er sprach vom ‚Sakrament der Armen‘. Dabei geht es um die Frage, welche Kategorien beim Jüngsten Gericht ausschlaggebend seien. Jesus sage in dieser Situation nicht: ‚Komm mit mir, weil du getauft wurdest, weil du gefirmt wurdest, weil du kirchlich geheiratet hast, weil du nicht gelogen hast, weil du nicht gestohlen hast …‘, Er sage vielmehr: ‚Komm mit mir, weil du dich um mich gekümmert hast.'“
    Es dürfte wohl eher ein Problem der Konservativen als eines des Papstes sein, wenn er treu Mt 25 auslegt…

  • Wanda
    11.09.2024, 19:34 Uhr.

    Keine Frage, die frei formulierten Gedanken dieses Franziskus sind immer ein Problem für seinen Stab und bedürfen wie so oft der Interpretation: man muss den Armen ihre Armut also nur als Sakrament verkaufen, dann passt’s schon ? Mit anderen Worten: Leiden und Wohlverhalten auf Erden gegen die Belohnung im Jenseits ? Eine wirklich fragwürdige, krämerische Mentalität…

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