Papst: Schiffbruch der Zivilisation stoppen
Es war der Höhepunkt der 35. Auslandsreise von Papst Franziskus: der Besuch des Aufnahme- und Registrierungszentrum für Geflüchtete auf Lesbos. Vor fünf Jahren war Franziskus schon einmal auf der griechischen Mittelmeerinsel. Während sich beim Kampf gegen den Klimawandel und die Corona-Pandemie weltweit etwas bewege, „sieht alles im Bereich der Migration nach einem schrecklichen Stillstand aus“, stellte das Kirchenoberhaupt fest. Scharf verurteilte er die europäische Uneinigkeit in der Migrationspolitik und kritisierte den Missbrauch der Geflüchteten für politische Propaganda. Er mahnte, dass „die Achtung des Menschen und der Menschenrechte immer gewahrt werden, gerade auf dem Kontinent, der sie weltweit propagiert“. Franziskus dankte denen, die sich in der Migrationsfrage engagieren, den vielen Ehrenamtlichen und den Bewohnern der Insel.
Scharfe Kritik an Mauern und Stacheldraht
Franziskus möchte den Geflüchteten zeigen, dass er sie ernst nimmt und sie nicht vergessen sind. „Ich bin hier, um eure Gesichter zu sehen und euch in die Augen zu schauen. Es sind Augen voller Angst und Erwartung, Augen, die Gewalt und Armut gesehen haben, Augen gerötet von zu vielen Tränen“, sagte das Kirchenoberhaupt zu Beginn seines Besuchs. Er erinnerte an die Worte des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. beim gemeinsamen Besuch der beiden Kirchenoberen 2016 auf Lesbos: „„Wer Angst vor euch hat, hat euch nicht in die Augen geschaut. Wer Angst vor euch hat, hat eure Gesichter nicht gesehen. Wer Angst vor euch hat, sieht eure Kinder nicht und vergisst, dass Würde und Freiheit über Angst und Trennung hinausgehen, vergisst, dass Migration nicht ein Problem des Mittleren Ostens und Nordafrikas, Europas und Griechenlands ist. Es ist ein Weltproblem.“
Entsprechend kritisierte Franziskus, “dass es in Europa noch immer Leute gibt, die so tun, als ginge sie dieses Problem [der Migration] nichts an“. Die Geschichte habe gelehrt, dass Nationalismen und Abkapselung katastrophale Folgen hätten. Der Papst erinnert an die Worte von Elie Wiesel, der bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises 1986 feststellte: „Wenn Menschenleben in Gefahr sind, wenn die Menschenwürde in Gefahr ist, werden nationale Grenzen irrelevant.“ Franziskus bezeichnete es als „traurig“, wenn als Lösung der Migrationsfrage vorgeschlagen werde, mit gemeinsamen Ressourcen Mauern zu bauen und Stacheldraht anzubringen. „Wir leben in einer Epoche der Mauern und des Stacheldrahtes“, so Franziskus.
Papst: Mehr über Ursachen der Flucht sprechen
Statt Ängste zu schüren vor den Geflüchteten, forderte Franziskus eine offene Debatte über die Ausbeutung der Armen, über die „vergessenen und oft großzügig finanzierten Kriege“, die „heimlichen Manöver des Waffenhandels“ oder die ungerechten Wirtschaftspakte. Hier sieht er die zugrundeliegenden Ursachen für Flucht, die angegangen werden müssten, „nicht die armen Menschen, die die Folgen zu tragen haben und sogar für politische Propaganda missbraucht werden“.
Einmal mehr versuchte Franziskus, mit eindrücklichen Bildern den Ernst der Lage zu verdeutlichen. Das Mittelmeer, das Wiege zahlreicher Zivilisationen gewesen sei, dieses Wasserbecken erscheine nun als „Spiegel des Todes“. „Lassen wir nicht zu, dass das Mare Nostrum [Unser Meer] sich in ein trostloses Mare Mortuum [Meer der Toten] verwandelt“, sagte der Papst, der in dem Meer einen „kalten Friedhof ohne Grabsteine“ sieht. Sein Appell: „Brüder und Schwestern, ich bitte euch, lasst uns diesen Schiffbruch der Zivilisation stoppen!“ Er bezeichnete es als eine Beleidigung Gottes, „wenn man den nach seinem Abbild geschaffenen Menschen verachtet, ihn den Wellen und dem Schwappen der Gleichgültigkeit überlässt, was dazu noch manchmal mit vorgeblichen christlichen Werten gerechtfertigt wird“.
Franziskus Positionen sind nicht neu. Er weiß, dass es viele kritische Stimmen gibt, selbst innerhalb seiner eigenen Kirche. Das lässt ihn nicht verstummen. Für ihn ist es eine christliche Pflicht, die Stimme zu erheben, wo die Würde des Menschen verletzt wird. Angesichts der Debatten um die Corona-Pandemie scheint das Schicksal der Geflüchteten in den Hintergrund zu gelangen. Um dem entgegenzuwirken, setzt Franziskus einen Akzent mit der aktuellen Reise.
3 Kommentare
„Wenn Menschenleben in Gefahr sind, wenn die Menschenwürde in Gefahr ist, werden nationale Grenzen irrelevant.“
Ein kluger, ein richtiger Satz, der allen Christ*innen ins Herz geschrieben ist. Danke Papst Franziskus für die Erinnerung an Elie Wiesel!
DANKE FRANZISKUS! Er geht dorthin, wo man nicht gerne hingeht. Er gibt denen eine Stimme, die nicht gehört werden. Und er geht mit gutem Beispiel voran. 50 Flüchtende, die er mit nach Rom nimmt, ist keine große Zahl, aber wenn das Beispiel Schule machen und viele Kommunen und Kirchengemeinden jeweils Angebote für wenig Flüchtende machen würden, wäre ganz vielen Migranten geholfen.
Während Franziskus in der „Außenpolitik“ glänzt, sieht es „innenpolitisch“ düster aus.
– Die STÄNDEKIRCHE (oben die Kleriker, unten die Laien) hat ihre Legitimationsgrundlage verloren. Wenn sich reihenweise Bischöfe nicht Evangeliums-gemäß verhalten haben und ihren missbrauchenden Mitbrüdern beistanden, die Opfer von sexueller Gewalt aber im Stich ließen, muss die Frage gestellt werden, worin denn der behauptete WESENSUNTERSCHIED des hierarchischen Priestertums im Vergleich zum Priestertum aller Gläubigen bestehen soll.
– Die fundamentale DISKRIMINIERUNG VON FRAUEN in der Katholischen Kirche hat keine Zukunft. Wenn die Katholische Kirche von der gleichen Würde von Frauen spricht, so hat sie ihnen auch die gleichen Rechte einzuräumen.
Hinsichtlich der notwendigen TIEFGREIFENDEN REFORMEN in der Kirche wird allerdings – so meine Einschätzung – unter Franziskus nicht viel voran gehen.
Ich sehe es ähnlich, wenngleich aus einer anderen Perspektive. Zwischen „Außenpolitik“ und „Innenpolitik“ besteht ein Zusammenhang: Das Pontifikat von Franziskus ist in eine Krise geraten, da der Papst die geweckten Hoffnungen einiger seiner Anhänger nicht erfüllen kann. Diese Anhänger hoffen auf eine gnostische Geistkirche, die den „Geist des Konzils“ erfüllt, einen Geist wohlgemerkt, der mit dem Buchstaben des Konzils nichts mehr gemein hat. Eine hierarchiefreie, von allen Autoritäten befreite Kirche, die in irgendeinem Zusammenhang mit einem machtlosen Gott steht, den man sich wohl als Transgender vorstellen mag (Gott* wie die deutsche „katholische“ Jugend schreibt), und sich auf einen Jesus beruft, der auf die Lobpreisungen der Bergpredigt und das „Ich war hungrig“ reduziert wird, dessen Auferstehung in ein „die Jüngerinnen und Jünger waren der Ansicht, dass es irgendwie weitergehen müsse mit seiner Lehre“ uminterpretiert wird. Eine solche häretische Kirche ist im Wortsinne eine U-topie, das heißt ein Nicht-Ort. Das weiß auch der Papst, und bisher wurden nicht einmal die Minimalwünsche erfüllt: Ordination von Frauen (zumindest Diakonat der Frau), Abschaffung des Pflichtzölibats, Segnung von Homosexuellenverbindungen, Leitung der Gemeinden durch Laien. Sogar die Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion ist nicht im gewünschten Umfang erfolgt. Das einzige Zeichen, das der Papst innerkirchlich durchgesetzt hat, war die Beseitigung der außerordentlichen Form des römischen Ritus, der natürlich mit dem entsprechenden Jubel der Anhänger begrüßt wurde. Je weniger der Papst aber innerkirchlich durchzusetzen vermag (vielleicht auch nicht durchsetzen will), desto eifriger werden die Zeichen nach außen, desto lieber spricht er über das Klima, die Migranten, die bösen Populisten (ausgerechnet er) und Nationalisten, die Wirtschaft, „die tötet“. Und desto lieber entschuldigt er sich für seine Kirche. Gibt es eigentlich noch eine Gruppe, bei der er sich nicht entschuldigt hat – sogar die nun wirklich nicht von der römischen Kirche verfolgten Rohingya hat er in seine Entschuldigungsbitten einbezogen. Die Wege des Herrn sind unerforschlich, heißt es. Und Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade. Das gibt uns vielleicht die größte Hoffnung.
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