Papst wirbt für solidarisches Europa

Papst Franziskus ist im „Herzen Europas“ angekommen. So formulierte er es heute Morgen in Bratislava beim Treffen mit Vertretern aus Politik, Diplomatie und Gesellschaft. Seine Botschaft gilt daher auch dem ganzen Kontinent. Die Stichworte bleiben dabei: Geschwisterlichkeit, Solidarität und Gerechtigkeit. Wahrer Reichtum bestehe „nicht so sehr in der Vermehrung dessen, was man hat“, sondern „im gerechten Teilen mit den Menschen in unserem Umfeld“. Beim Treffen mit den Bischöfen, Priestern und Ordensleuten der Slowakei forderte er einmal mehr ein Umdenken: weg von starren Strukturen und Machtgehabe, hin zu den Menschen mit ihren Sorgen und Nöten. Dabei ging er am Nachmittag mit gutem Beispiel voran und besuchte eine kirchliche Sozialeinrichtung für Obdachlose und Menschen mit Behinderung. Bei einer bewegenden Feier gedachte Franziskus gemeinsam mit Vertretern des Judentums der Opfer des Holocausts und verurteilte erneut scharf jede Form des Antisemitismus.

Zum Auftakt führte Papst Franziskus heute politische Gespräche – unter anderem mit der slowakischen Präsidentin Zuzuna Caputova. (Quelle: Erbacher)

Europa braucht Solidarität und Geschwisterlichkeit

Nach dem Mammutprogramm am ersten Tag der 34. Auslandsreise von Papst Franziskus, war der Montag in Bratislava etwas großzügiger geplant. Je zwei Programmpunkte am Vor- und Nachmittag, dazu zwei kurze Besuche des Regierungschefs und Parlamentspräsidenten in der Nuntiatur. Franziskus zeigte sich den ganzen Tag fit. Beim Treffen mit den Bischöfen fügte er in den vorbereiteten Text an vielen Stellen spontane Gedanken ein und unterwegs ließ er das Auto zum Schrecken der Sicherheitsleute spontan anhalten, um Frauen mit ihren Kindern am Wegesrand zu grüßen und Rosenkränze zu verteilen. Die Spekulationen über einen möglichen Rücktritt, die in den vergangenen Wochen immer wieder ventiliert wurden, scheinen obsolet.

In seinen Ansprachen war Franziskus heute wieder deutlich. Beim traditionellen Politiktermin forderte er einen „ernsthaften Kampf gegen Korruption“ und Gerechtigkeit für alle, gerade auch vor dem Gesetz. „Niemand soll gebrandmarkt oder diskriminiert werden“, erklärte Franziskus. Der „christliche Blick“ sehe „in den Hilflosen nicht eine Last oder ein Problem, sondern Brüder und Schwestern“. Auch müsse für jeden das Recht auf Arbeit gelten, denn ohne Arbeit, gebe es keine Würde. Gerade die jungen Menschen müssten dabei im Blick sein. Franziskus warnte davor, „im Eifer kulturelle Kriege zu führen“ und ermutigte, „sich für Neuheit zu öffnen, ohne seine Wurzeln aufzugeben“. Gestern hatte er beim Ökumenetreffen einen ähnlichen Gedanken geäußert: wer tief verwurzelt sei, könne hoch wachsen, so der Pontifex.

Der Papst ist überzeugt, dass die Länder Europas nach der Pandemie nicht durch Konjunkturprogramme alleine wieder auf die Beine kommen werden, sondern dass ein gesellschaftlicher Wandel notwendig ist, der von Solidarität geprägt ist. Niemand könne sich isolieren, weder als Einzelner noch als Nation. „Es nützt nichts, die Vergangenheit zu bedauern, es tut not, sich die Ärmel hochzukrempeln, um gemeinsam die Zukunft aufzubauen“, ermutigte Franziskus.

Über das Abenteuer „Freiheit“

Ähnlich lautete seine Botschaft gleich im Anschluss beim Treffen mit Bischöfen, Priester und Ordensleuten. Von ihnen forderte er Freiheit, Kreativität und Dialog. Die Rede ordnet sich ein in die Reihe der programmatischen Ansprachen von Franziskus, wenn es um Veränderungen in der Kirche in seinem Sinn geht. „Die Kirche ist keine Festung, keine Machthaberin, keine hoch erhabene Burg, die auf die Welt distanziert und überheblich herabblickt“, erklärte er. „Bitte, lasst uns nicht der Versuchung des Prunks und weltlicher Größe erliegen! Die Kirche muss demütig sein wie Jesus.“ Vielmehr müsse die Kirche in das reale Leben eintauchen und die Menschen fragen, was sie von der Kirche erwarteten.

Selten hat man ein so dezidiertes Plädoyer eines Papstes für die Freiheit gehört, wie an diesem Montagmorgen: „Ohne Freiheit gibt es keine wahre Menschlichkeit, denn der Mensch wurde frei und zur Freiheit erschaffen.“ Freiheit sei ein manchmal mühevoller Weg. Deshalb warnte er davor, sich lieber an die „sicheren Fleischtöpfe“ zu klammern, anstatt die Mühe und das Risiko der Freiheit auf sich zu nehmen. „Aber eine Kirche, die keinen Raum für das Abenteuer der Freiheit lässt, auch nicht im geistlichen Leben, läuft Gefahr, zu einem starren und abgeschlossenen Ort zu werden.“ Die Bischöfe und Kleriker sollten keine Angst davor haben, die Menschen zu einer reifen und freien Gottesbeziehung zu führen.

„Vielleicht haben wir dann den Eindruck, dass wir nicht alles kontrollieren können, dass wir an Macht und Autorität verlieren; aber die Kirche Christi will nicht die Gewissen beherrschen und Räume besetzen, sie will eine ‚Quelle‘ der Hoffnung im Leben der Menschen sein.“ Franziskus warnte vor einer starren Religiosität. Die Verkündigung des Evangeliums dürfe nie erdrückend sein, sondern müsse immer befreiend sein. „Wenn das Gespür für Gott und die Freude am Glauben verlorengeht, nützt es nichts, sich zu beklagen, sich in einen defensiven Katholizismus zu verschanzen und die Welt zu verurteilen und anzuklagen“, mahnte Franziskus. Dann brauche es die Kreativität des Evangeliums. Dazu gehöre auch dessen Inkulturation und der Dialog zwischen den Gläubigen, zwischen den Konfessionen und unter den Völkern.

Was sind die Konsequenzen?

Franziskus ging in seiner Ansprache nicht darauf ein, was passiert, wenn Kirchenvertreter dann wirklich hinhören auf die Gläubigen, die Freiheit der Gewissensentscheidung ernst nehmen und mit der „Kreativität des Evangeliums“ Antworten zu geben versuchen. Solche Aussagen sind Wasser auf die Mühlen derer, die Initiativen wie den Synodalen Weg in Deutschland initiieren. Doch den soll der Papst ja kritisch sehen, heißt es. Auch wenn immer die Frage erlaubt sein muss, ob die vermeintlichen päpstlichen Positionen dazu wirklich richtig kolportiert werden. Oder gilt die heute getätigte Aufforderung des Papstes nur für die Fragen, die sich auf das gesellschaftliche Leben beziehen, nicht aber auf innerkirchliche Fragen? Wie sollen Menschen aber das Evangelium als „befreiend“ erleben, wenn die kirchliche Lehre als erdrückend erlebt wird? Die Antwort bleibt Franziskus bisher schuldig.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

Ein Kommentar

  • Novalis
    14.09.2021, 8:32 Uhr.

    Die Wahrheit wird uns freimachen!

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