Papst zu Marx: Mach weiter!
Die Entscheidung kam überraschend schnell. Papst Franziskus nimmt das Rücktrittsangebot von Kardinal Reinhard Marx nicht an. Der Münchner Erzbischof wurde heute, wie viele andere auch, von der Post aus Rom überrascht. Dass das Kirchenoberhaupt so rasch Klarheit schafft, war nicht zu erwarten. Marx muss sich nun erst einmal sortieren, machte aber gleich deutlich, dass es ein „weiter so“ wie vor seinem Rücktrittsangebot nicht geben kann. Die Reformer sind durch die Entscheidung des Papstes gestärkt. Für Marx bedeutet das Votum, dass er sich im Amt den Ergebnissen der Untersuchungen zu seinem Handeln in Missbrauchsfällen als Bischof in Trier und Erzbischof von München und Freising stellen muss. Nachvollziehbar ist, dass Betroffene sexualisierter Gewalt enttäuscht sind von dem Vorgehen des Papstes, weil er mit der Annahme des Rücktritts ein klares Signal hätte setzen können, dass Verantwortung übernehmen für die Institution auch wirklich Konsequenzen hat.
Papst stärkt Reformer
Einmal mehr brach am Morgen Hektik aus in den Redaktionen rund um den Globus. Der Vatikan veröffentlichte um 12 Uhr die Reaktion von Papst Franziskus auf das Rücktrittsangebot von Kardinal Reinhard Marx: „Genau das ist meine Antwort, lieber Bruder. Mach weiter, so wie du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising.“ Mit seiner Antwort macht sich Franziskus das zu eigen, was Marx in seinem Brief mit dem Rücktrittsangebot schreibt: die Analyse, dass die Kirche „an einem toten Punkt“ ist, dass Reformen im System notwendig sind, dass heutige Amtsträger Verantwortung für das Versagen der Institution in der Vergangenheit übernehmen müssen.
Damit stärkt Franziskus Marx den Rücken, wenn es um Reformen geht, die nicht nur oberflächliche Kosmetik sind. Der Papst geht sogar noch einen Schritt weiter. Er sieht in dem Anliegen des Münchner Erzbischofs keine „Reformation“, sondern einen legitimen Weg in der Nachfolge Jesu. Allzu oft müssen sich Marx und die Bischöfe, die sich für den Synodalen Weg stark machen, anhören, sie wollten letzten Endes eine zweite Reformation. „Aus Deutschland kam schon einmal eine Reformation“, ist ein Satz, den man in vatikanischen Gängen in den vergangenen drei Jahren oft hören konnte. Franziskus macht sich diese Deutung nicht zu eigen.
Kritik von Betroffenen sexualisierter Gewalt
In den Zeilen des Papstes steckt auch Kritik an Marx‘ Vorgehen, in dem Sinn, dass sich der Erzbischof nicht durch einen Rücktritt aus der Verantwortung stehlen soll. Hier stellt sich die Frage, ob Franziskus wirklich verstanden hat, was Marx mit seinem Schritt bewirken wollte, nämlich gerade Verantwortung übernehmen. Das Kirchenoberhaupt anerkennt zwar die Geste des Münchner Kardinals, doch durch die Entscheidung, den Rücktritt nicht anzunehmen, entwertet er diese auch gleich wieder. Hier knüpft dann die Kritik der Betroffenenvertreter an. Der Papst nehme dem Rücktrittsangebot von Marx die Wucht, so Matthias Katsch von der Initiative Eckiger Tisch.
Katsch sieht noch ein anderes Problem beim Brief des Papstes. Franziskus relativiere die Verantwortung der Bischöfe weltweit für Machtmissbrauch und Missbrauchsvertuschung, „indem er darauf verweist, dass früher eben ‚andere Zeiten‘ gewesen seien“. In der Tat sind einige Passagen des Briefes in zwei Richtungen interpretierbar. Matthias Katsch sieht eine Relativierung, doch sie könnten auch in einem anderen Sinn gelesen werden. Obwohl die aktuellen Amtsträger „persönlich an dieser historischen Phase nicht beteiligt waren“, müssen sie heute Verantwortung übernehmen. Das fordert Franziskus: „Jeder Bischof der Kirche muss sie [die Verantwortung] annehmen und sich fragen: Was muss ich angesichts dieser Katastrophe tun?“. Zuvor hatte er Marx zugestimmt, der den Missbrauchsskandal als „Katastrophe“ bezeichnet hatte.
Papst entkoppelt Münchner und Kölner Vorgänge
Interessant ist neben den Inhalten das Vorgehen. Marx übergibt am 21. Mai dem Papst in einer Audienz den Brief. Der bittet um Bedenkzeit und ordnet dann in der vergangenen Woche die Veröffentlichung des Rücktrittsbriefes an. Keine Woche später gibt es die Antwort, ebenfalls öffentlich. Franziskus hätte das Ganze diskret behandeln können, niemand hätte vermutlich je davon erfahren. In diesem Pontifikat bleiben erstaunlich viele vertrauliche Vorgänge auch nichtöffentlich. Der Papst wollte aber, dass dieser Vorgang publik wird, die scharfe Analyse des Kardinals ebenso wie seine Antwort. Es ist damit Teil seiner Politik beim Thema Missbrauch, Aufarbeitung und Reformen.
Wäre es klug gewesen, mit der Antwort zu warten, bis die Apostolische Visitation in Köln zu Ende ist? Damit wären die beiden Vorgänge durch den Papst in einen direkten Zusammenhang gekommen. Das vermeidet er nun mit der schnellen Entscheidung zu Marx. Damit bleibt Franziskus freier in der Entscheidung zu Köln, wenn die Ergebnisse vorliegen. Mit Blick auf den Münchner Kardinal wird es nun spannend, wie der Vorgang zu einem „Wendepunkt“ werden kann für die Missbrauchsaufarbeitung in Deutschland. So wollte er seinen Rücktritt ja ursprünglich verstanden wissen. Hier braucht es jetzt sicherlich auch die Unterstützung der anderen Bischöfe, damit die „Wucht“ des Rücktrittsangebots nicht wirklich verpufft.
7 Kommentare
Zuviel Trickserei und Winkelzüge nach politischer Art und zu wenig christliches Verhalten, lieber Franziskus. Die Gläubigen und Opfer sind es wohl allmählich leid.
P.S. „aus DEU kam schon einmal eine Reformation“: zum Glück der röm.-kath. Kirche, denn ohne diesen Wachruf würde sie möglicherweise gar nicht mehr existieren…
Finde ich echt gut. Das ist eine Schwächung der Woelkis und Voderholzers in der Kirche.
„Mit seiner Antwort macht sich Franziskus das zu eigen, was Marx in seinem Brief mit dem Rücktrittsangebot schreibt: die Analyse, dass die Kirche ‚an einem toten Punkt‘ ist, dass Reformen im System notwendig sind, dass heutige Amtsträger Verantwortung für das Versagen der Institution in der Vergangenheit übernehmen müssen.“
Das kann ich nicht erkennen. Marx‘ zentrale Analyse lautet, „dass es viel persönliches Versagen und administrative Fehler gab, aber eben auch institutionelles oder ’systemisches‘ Versagen.“ Für ihn leitet sich daraus ab, dass das institutionelle Versagen „zu Veränderungen und zur Reform der Kirche herausfordert.“
Wenn Franziskus von Reform spricht, meint er etwas anderes als Marx. „Jede Reform beginnt bei sich selbst. Die Reform in der Kirche haben Männer und Frauen bewirkt, die keine Angst hatten, sich der Krise auszusetzen und sich selbst vom Herrn reformieren zu lassen. Das ist der einzige Weg; andernfalls wären wir nur ‚Ideologen der Reformen‘.“ Reform in diesem Sinne ist persönliche Umkehr, ist ein geistlicher Prozess des Suchens nach dem Willen Gottes. Bei den angestrebten Strukturreformen des Synodalen Weges würde der Papst vermutlich von ‚Reformation‘ sprechen.
Meine Lesart finde ich am Ende des papalen Briefes bestätigt: „Lieber Bruder, mach weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising.“ Und was hat der Kardinal vorgeschlagen? „Die nächsten Jahre meines Dienstes würde ich gerne verstärkt der Seelsorge widmen und mich einsetzen für eine geistliche Erneuerung der Kirche.“
Originalton Kardinal Marx heute, am Mittwoch: „Können wir uns vorstellen, dass Jesus Kinder prügelte? Wohl kaum!“ Nun, Herr Kardinal, wir können uns Jesus auch überhaupt nicht in Brokat mit Mitra, Weihrauch und Brimborium vorstellen, auch nicht mit einer Amtskirche, nicht mit hierarchischem, gut bezahltem Priesteradel, Ämtern, Kirchenverwaltung, Bankgeschäften und als seine Vertreter minderjährige Päpste und Papstdynastien und schon gar nicht mit inquisitorischen Strafgerichten über Zweifler, die dann von ihm auf die Scheiterhaufen geschickt worden wären. Und genau dort beginnt bereits die Heuchelei, Herr Marx, denn es handelt sich dabei nicht nur um verharmlosende Prügelei der Kinder sondern viel zu oft um grausamen, sexuellen Missbrauch ! Das sollte Sie bitte auch nicht vermeiden auszusprechen !
@wanda
„Das sollten Sie bitte auch nicht vermeiden auszusprechen!“
Nämlich dass die Kirche nicht nur aus Missbrauch, Gewalt und Prunksucht besteht.
Ich frage mich seit langem, warum Sie sich die Zeit nehmen für Ihre gehässigen Kommentare zu den ausgesprochen interessanten und sachlichen Beiträgen von Herrn Erbacher und was Sie damit erreichen wollen.
Wenn man die recht lebhaften Diskussionen und überaus zahlreichen Kommentare zu den Vorgängen um Marx, Woelki und den Papst-Reaktionen in überregionalen Druckmedien sowie den regionalen Öffentlich-Rechtlichen zur Kenntnis nimmt und mit der hiesigen Friedhofsruhe im „Papstgeflüster“ vergleicht, kommt man schon in’s Grübeln. Woran mag es liegen ?
Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass es hier weniger Artikel gibt als früher. Die Hoffnung bleibt, dass sich das auch einmal wieder ändern wird.
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