Der Paukenschlag des Kardinal Marx
Für einen Moment haben viele Katholiken an diesem Freitag den Atem angehalten. Kardinal Reinhard Marx bietet Papst Franziskus seinen Rücktritt an. Er will Verantwortung übernehmen für die Fehler im System und das Handeln seiner Vorgänger, die Missbrauch und Vertuschung ermöglicht haben. Zugleich äußert er die Sorge, dass notwendige Reformen nicht angegangen werden. Die Entscheidung von Marx hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Denn Marx ist einer der engsten Berater des Papstes. Je nachdem wie Franziskus entscheidet, wirft das auch ein Licht auf das Kirchenoberhaupt und seinen Kurs mit Blick auf Missbrauchsaufarbeitung und Reformen selbst.
Überraschender Schritt
Betroffene fordern seit langer Zeit, dass es bei der Aufarbeitung auch die Frage nach der moralischen Verantwortung gestellt werden muss. Rein juristische Aufarbeitung reiche nicht aus. Bisher zeigte sich kein Bischof bereit, das zu tun. Meist reagierten Verantwortungsträger erst, wenn sie aufgrund von Medienberichten oder Gutachten mit dem Rücken zur Wand standen. Kardinal Reinhard Marx zog für sich nun die Konsequenzen. Unabhängig vom Ausgang der Untersuchungen seines Handelns als Bischof von Trier und Erzbischof von München und Freising, wo die Ergebnisse noch ausstehen. Er bot Papst Franziskus nun aus freien Stücken seinen Rücktritt an.
Mit seinem Schritt zeigt Marx einmal mehr, dass er nicht in Schubladen passt. Einst als konservativer Weihbischof gestartet, gilt er heute als einer der wichtigsten Vertreter der Reformer in der katholischen Kirche. Früher strebte er in jedes nur mögliche Führungsamt, spätestens seit seinem Aufsehen erregenden Verzicht auf eine zweite Amtszeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz im vergangenen März, setzt er auch hier andere Schwerpunkte. Ob es damit zusammenhängt, dass er immer wieder große Ohnmacht erfahren musste in den Spitzenämter? Es fehle ihm nicht an Motivation, er sei nichts amtsmüde, sagte er heute. Doch in den vergangenen zwei Jahren konnte man ihn oft frustriert, ernüchtert, auch müde erleben. Viele Prozesse gehen ihm zu langsam.
Wie entscheidet der Papst?
Es hängt nun vom Papst und den anderen Bischöfen in Deutschland ab, ob der mutige Schritt von Marx wirklich zu einem Wendepunkt für die katholische Kirche wird. Der heutige Tag könnte zu einem wichtigen Schritt hin zu mehr Glaubwürdigkeit werden. Er hat ein Zeichen gesetzt, das Betroffene lange gefordert haben. Marx übernimmt Verantwortung für Fehler der Institution, seinen persönlichen Fehlern als Bischof von Trier und Erzbischof von München-Freising wird er sich noch stellen müssen, wenn die Gutachten, die aktuell in beiden Bistümern erarbeitet werden, Ergebnisse bringen. Marx hat deutlich gemacht, dass es nicht darum gehen kann, an Stühlen zu kleben. Im Vordergrund steht die Frage, was dient der Kirche. Marx ist für sich zu dieser Entscheidung gekommen, die er heute auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes öffentlich gemacht hat.
Wie der Papst reagiert, ist noch offen. Marx gehört zu den einflussreichsten Kardinälen der Weltkirche, hat sich in den vergangenen Jahren großes Ansehen bei Konferenzen im Vatikan erarbeitet und gehört zum Kardinalsrat. Die Entscheidung, ob das Rücktrittsangebot angenommen wird, betrifft also nicht nur ein einzelnes Bistum, sondern hat durchaus Signalwirkung. Deshalb wird Franziskus hier sicher behutsam vorgehen. Er wird die Sache sicherlich auch nicht losgelöst von den Vorgängen in Köln bewerten. Hier beginnt in diesen Tagen die Apostolische Visitation. Deutschland wird somit nun endgültig zu einem Brennpunkt innerhalb der Weltkirche.
10 Kommentare
Alle Bischöfe, aber ganz besonders Voderholzer und Oster, die besonders unglaubwürdig sind, müssen zurücktreten wie in Chile, es täte mir nur einen leid, weil er wirklich spirituell ist: Heiner Wilmer.
Chile ist ein besonderer Fall, weil sich hier Franziskus selbst Fehlverhalten – dem einseitiges Informiert-sein zugrunde lag – zuschulden kommen ließ. „Ich räume ein, dass ich bei der Bewertung und Wahrnehmung der Situation schwere Irrtümer begangen habe.“ Nach Sichtung der Ergebnisse einer vom Papst eingeleiteten Visitation wurden sämtliche Bischöfe nach Rom einbestellt, und diese hatten am Ende eine Erklärung zu unterschreiben, die ihre Rücktrittsbereitschaft bekundete.
In Chile gibt es 31 Ortsbischöfe, von denen am Ende fünf zurückzutreten hatten.
In Deutschland sehe ich mindestens zwei vakante Erzbischofsstühle voraus, die man aus meiner Sicht mit Georg Bätzing und Heiner Wilmer hochwertig besetzen könnte.
Soviele Metropolitanrechte haben Erzbischöfe auch nimmer, dass man sie umpositionieren müsste. Aber es bräuchte dringend eine episkopale Erneuerung. Leute wie Oster und Co. stehen dem Evangelium im Weg.
Stellt sich die Frage, wie die Kirche angesichts der ihr vorgegebenen 10 Gebote (hier speziell dem 6. und dem 10.), den Spagat zu ihrer Sexualmoral, zur Homosexualität und auch dem Zölibat überhaupt hinkriegen will ? In meiner kath. Kindheit wurde bei der Beichte speziell das Gebot „Du sollst nicht Unkeuschheit treiben“ (so hiess es damals) bevorzugt mit allen Einzelheiten abgefragt. Die Anzahl der auferlegten Vaterunser oder Rosenkränze ging danach meist beträchtlich in die Höhe. Wie also soll das gehen ?
Der kath. Katechismus ist im Teil III zum 6. Gebot sehr deutlich: Menschen sind z.B. zur Keuschheit gerufen und die Hl. Schrift bezeichnet die Homosexualität als schlimme Abirrung (Gen 19, 1-29; Röm 1, 24-27; 1 Kor 6, 10; Tim 1, 10) und letztlich heisst es: als Mann und Frau schuf er sie. Was die weisen Kirchenlehrer Augustinus und Thomas von Aquin diesbezüglich von sich gaben, muss man nicht wiederholen. Bleibt trotzdem die Frage: wie ist das alles aufzulösen ?
Kardinal Marx sprach am Ende des Jahres 2010 von „dem SCHOCK, den die bekannt gewordenen Fälle sexuellen Missbrauchs und körperlicher Gewalt“ am Jahresbeginn ausgelöst haben. “Für mich waren es die sicher schlimmsten Monate meines Lebens. Meine Empfindungen waren Scham, Traurigkeit und Betroffenheit.“ Die erlebte Erschütterung müsse „uns als Kirche wachrütteln, uns zur UMKEHR bringen und uns zu einem neuen, geistlichen Aufbruch ermutigen. … Ich kann nur davor warnen, nach diesen Erfahrungen einfach zur Tagesordnung überzugehen.“
Marx‘ Warnung wurde von der Deutschen Kirche nicht aufgenommen und acht Jahre später hatte er – als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz – die unangenehme Aufgabe, der Öffentlichkeit bei der Vorstellung der MHG-Studie Rede und Antwort zu stehen. Beim anschließenden Synodalen Weg musste der Kardinal den Spagat zwischen Aufbruch in Deutschland und Reformunwilligkeit in Rom hinbekommen, und in noch diesem Jahr wird das WSW-Missbrauchsgutachten für die Erzdiözese München-Freising vorgelegt.
Vermutlich blickte der Erzbischof Ende 2020 auf das aufreibendste Jahrzehnt seines Lebens zurück und wäre sicher froh, wenn es dann sein Nachfolger wäre, der – im Zusammenhang mit dem WSW-Gutachten – die Fragen von Journalisten zum Verhalten seines Vorvorgängers Joseph Ratzinger zu beantworten hätte.
Dem Brief des Kardinals an den Papst entnehme ich Folgendes:
– Seine Gegenwartsdiagnose trifft ins Schwarze: „Wir sind – so mein Eindruck – an einem gewissen ‚TOTEN PUNKT‘.“
– Marx sieht auch, anders als viele Kollegen, den systemischen Zusammenhang: „Die Untersuchungen und Gutachten der letzten zehn Jahre zeigen für mich durchgängig, dass es viel persönliches Versagen und administrative Fehler gab, aber eben auch institutionelles oder ‚SYSTEMISCHES‘ VERSAGEN.“
– Ohne Namensnennung setzt er sich deutlich von Kardinal WOELKI ab: „Die Diskussionen der letzten Zeit haben gezeigt, dass manche in der Kirche gerade dieses Element der Mitverantwortung und damit auch Mitschuld der Institution nicht wahrhaben wollen und deshalb jedem Reform- und Erneuerungsdialog im Zusammenhang mit der Missbrauchskrise ablehnend gegenüberstehen. “
– Möglicherweise reagiert der Kardinal auch auf den jüngst von Rom angekündigten weltweiten Synodalen Weg, der die deutsche Aufbruchsbewegung schlucken wird. Sein Wusch, sich zukünftig verstärkt der Seelsorge widmen zu wollen, zeigt für mich an, dass er nicht mehr gewillt ist, mit seinen Reformbestrebungen permanent gegen eine Mauer zu laufen.
Ich stimme Professor Thomas SCHÜLLER zu, dass Marx‘ Botschaft auch an Papst Franziskus gerichtet ist. „Wenn Du Franziskus Reformen willst, dann bleibt im Blick auf die sexualisierte Gewalt in der Kirche kein Stein auf dem anderen. Sei so mutig wie ich und stoße endlich Reformen an.“
Genau das ist des Franziskus Schwäche „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“.
Das hat der Kardinal sehr schlau gemacht:
1) Er kommt einer eigenen Visitation zuvor, die zweifellos, wenn man seine Zeit in Trier anschaut, zu einem viel verheerenderen Ergebnis kommen wird als bei Woelki.
2) Er hat in den vergangenen Monaten seine weitere „Karriere“ mit dem Papst geplant. Ein Kurienposten für einen „verdienten“ Kardinal ist in seinem Alter immer noch drin. Damit wäre er unangreifbar. Dementsprechend ist dieses „Rücktrittsangebot“ eher als eine „Vorbereitung zur Beförderung“ zu sehen. Reinhard Marx ist ein Karrierist mit einem Karriereplan. Das konnte man schon gut in seiner Zeit als Weihbischof in Paderborn sehen. Ihn interessiert nur die Macht.
3) Herr Schüller wurde beauftragt die „Interpretationsvorlage“ für dieses „Rücktrittsangebot“ zu liefern. Hat er ja auch brav gemacht. Man will Kardinal Woelki immer noch loswerden.
—–
Der Schüller ist die katholische Version von „Karl Lauterbach warnt“:
„Herr Prof. Schüller, was sagen sie zum Wetter im Juni?“
„Woelki muss zurücktreten!“
—–
Zusätzlich dazu habe ich noch folgende Anmerkungen:
4) Warum spricht eigentlich niemand über die Vorfälle in Trier? Ackermanns und Bätzings Fehler sind sind öffentlich bekannt, Marx war dort auch beteiligt (siehe Punkt 1), aber die Presse ignoriert sie (noch). (Wie sie übrigens den Fall Heße ignoriert hat, bis es nicht mehr ging.)
5) Das zweite Kölner Gutachten wurde von „Experten“ als „Gefälligkeitsgutachten“ in Mißkredit gebracht. Ich frage mich: warum ignoriert die Presse, wer denn diese „Experten“ sind?
Fun fact: die „Experten“, die in den Artikeln von Zeit und KNA genannt sind, sind Kampfatheisten der Giordano-Bruno-Stiftung. Es ist natürlich schon bemerkenswert, daß dezidierte Kirchenfeinde in „Christ&Welt“ Expertenartikel schreiben.
„… ist dieses ‚Rücktrittsangebot‘ eher als eine ‚Vorbereitung zur Beförderung‘ zu sehen.“
NEIN. Als Mitglied im Kardinalsrat war Marx bereits an der Spitze der Kirchenhierarchie. In seinem Rücktrittsschreiben äußert er den Wunsch, sich zukünftig gerne verstärkt der Seelsorge widmen und sich für eine geistliche Erneuerung der Kirche einzusetzen zu wollen.
„Das zweite Kölner Gutachten wurde von ‚Experten‘ als ‚Gefälligkeitsgutachten‘ in Misskredit gebracht.“
Woelki hat sich ein Ergebnis-orientiertes Auftragsgutachten bestellt. Denn er wusste, dass er bei einem reinen Rechtmäßigkeitsgutachten als Mitwisser aus dem Schneider war. Als rechte Hand Meißners (Geheimsekretär) und als Weihbischof, der an Personalkonferenzen teilnahm, wusste er von den Fällen sexualisierter Gewalt. Indem Woelki moralische und institutionelle Verantwortung ausklammert und Mitwisserschaft nicht justiziabel ist, meint er sich als unbescholtener Oberhirte inszenieren zu können. Seine Tage als Erzbischof sind allerdings gezählt.
In der Tat wird immer häufiger die Zeit von Marx in Trier thematisiert. Die Vergangenheit holt ihn ein. Nicht gut, was sich da hochschaukelt: eine Institution, die für sich in Anspruch nimmt, den moralischen und ethischen Maszstab zu setzen, demontiert sich selbst, zumal durch ekelhaft kriminelle Vorgänge in den eigenen Reihen…
Heute: Kanadier sind wütend über päpstliche Zurückhaltung bezüglich des schockierenden Fundes eines Massengrabes voller Kinder auf dem Gelände einer kath. Schule zur Umerziehung indigener und Inuit-Kinder. Überlebende fordern eine Aufarbeitung und sprechen von alltäglichen Misshandlungen und Gewalt, etc…
Man ist fassungslos und fragt sich, nimmt das denn kein Ende ?
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