Ein streitbarer Theologe
Hans Küng ist tot. Er war einer der streitbarsten katholischen Theologen. Sein Wort löste Reaktionen aus, nicht nur im deutschen Sprachraum, nicht nur im Vatikan, sondern weltweit. Bis zuletzt hofften seine Freunde und Weggefährten auf eine offizielle Rehabilitation durch den Papst. Zumal Küng sich in vielen Punkten auf einer Linie mit Franziskus sah. Viele der Kritikpunkte, die Küng ab den 1970er Jahre mit Blick auf die katholische Kirche formulierte, gehören seit langer Zeit zu den Kernforderungen der katholischen Reformbewegungen, werden vom großen Teil der Katholikinnen und Katholiken weltweit geteilt. In den vergangenen Jahren ist es, bedingt durch die Parkinson-Erkrankung Küngs, leise geworden um den Rebell. Seine Anliegen leben aber weiter, seine Kritik ist aktuell wie eh und je.
Vom Konzil geprägt und inspiriert
Das Engagement für Ökumene und den Dialog der Religionen sowie der Kampf gegen aus seiner Sicht überkommene Dogmen der katholischen Kirche prägten das Leben des Theologen Hans Küng. In den 1960er Jahren gehörte er zu den theologischen Beratern des II. Vatikanischen Konzils, jener großen Kirchenversammlung, die zwischen 1962 und 1965 versuchte, die katholische Kirche in die Moderne zu katapultieren. Die Liturgie in Landessprache gehörte ebenfalls zu den Neuerungen wie die Öffnung für den Dialog mit den anderen christlichen Kirchen und Religionen. Innerkirchlich wurden die Laien als wichtige Player entdeckt und sollten gestärkt werden.
Schnell merkte Küng, dass die Reformen nicht so weit gehen würden, wie es notwendig gewesen wäre, damit die katholische Kirche wirklich im 20. Jahrhundert hätte ankommen können. Vertreter der Römischen Kurie engten die Spielräume für die Bischöfe vor Ort und die Theologinnen und Theologen rasch wieder ein. Küng lies sich nicht einschüchtern. 1979 wurde ihm schließlich die Lehrerlaubnis entzogen. Professor blieb er trotzdem, ab 1980 als Professor für Ökumenische Theologie unabhängig von der Theologischen Fakultät an der Universität Tübingen.
Seiner Zeit voraus
Viele seiner Positionen finden sich Jahrzehnte später in offiziellen kirchlichen Positionen wieder. Als er Ende der 1950er Jahre in seiner Dissertation schreibt, dass die Rechtfertigungslehre in wesentlichen Punkten kein Trennungsgrund mehr zwischen Katholiken und Protestanten ist, wird Rom bereits unruhig. 1990 unterzeichnet der Vatikan mit dem Lutherischen Weltbund die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Als Papst Franziskus im Oktober vergangenen Jahres seine Enzyklika „Fratelli tutti – Geschwister alle“ veröffentlicht, erklärt die Stiftung Weltethos, die Küng in den 1990er Jahren initiierte, das offizielle Lehrschreiben liege ganz auf der Linie des „Weltethos-Projekts“.
Eines der großen Anliegen Küngs war es, die Religionen und Kulturen miteinander ins Gespräch zu bringen, weil er überzeugt war, dass ohne ein Miteinander der Religionen es keine Zukunft in Frieden und Gerechtigkeit für die Menschheit geben wird. Diese Vorstellung teilt er mit Franziskus. Dennoch kam es auch unter dem Papst aus Argentinien nicht zu einer Aussöhnung mit Rom. Als Küng im Sommer 2005, wenige Monate nach der Wahl Joseph Ratzingers zum Papst, von diesem in der Päpstlichen Sommerresidenz Castelgandolfo empfangen wurde, hofften viele Beobachter, es komme Bewegung in die schwierigen Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem berühmten Kritiker. Doch die strittigen theologischen Themen wurden bei der Begegnung ausgeklammert. Zwar gab es anschließend noch gelegentlich Post zwischen Rom und Tübingen. Doch in der Sache gab es keine Bewegung. Im August 2020 sprach Papst Franziskus mit Kardinal Walter Kasper über Hans Küng und sagte: „Ich grüße ihn und umarme ihn, ich schicke ihm den Segen in der christlichen Gemeinschaft und bete für ihn.“
Tiefe Wunden in der katholischen Welt
Die Kritik Küngs etwa am Unfehlbarkeitsdogma, am Zölibat und zentralen ekklesiologischen Fragen teilen heute viele Katholikinnen und Katholiken weltweit. In ihren Reformbemühungen werden sie fortbestehen. Mit ihnen sind Küngs Anliegen längst im Herzen der katholischen Kirche angekommen. Umgekehrt sind viele Gläubige aus der katholischen Kirche ausgetreten, weil sie den Umgang Roms mit Küng und anderen Kritikern nicht verstehen konnten und können. Sicherlich war die Kritik Küngs und sein Vorgehen in manchen Punkten überzogen. Schnell war eine Situation entstanden, in der beide Seiten in starren Positionen verharrten und sich nicht mehr bewegen wollten. Das passt letzten Endes nicht ganz in das gerade von Papst Franziskus immer wieder beschworene Bild einer neuen Kultur des Dialogs und der Begegnung, die notwendig seien. Küngs Tod und die Beschäftigung mit seinem Werk sowie dem Umgang des Vatikans mit ihm machen einmal mehr deutlich, welche tiefen Wunden es in der katholischen Gemeinschaft der Glaubenden gibt.
12 Kommentare
Küng war nur aus der Institution Amtskirche ausgetreten, seinen Glauben hingegen behielt er unbeirrt und verteidigte seine Haltung auch. Der hierarchisch organisierte Kirchenadel und die zahlreichen Betonköpfe des Klerus, die auch Franziskus so sehr zu schaffen machen, könnten viel von ihm lernen.
*lach*: küng ist nie aus der kirche als institution ausgetreten, er war ja trotz lehrbeanstandungsverfahren nicht einmal als priester suspendiert. @wanda verwechselt ihn wohl mit eugen drewermann. peinlich.
@Alberto Knox 07.04. 10:46
– Sie haben vollkommen recht und es ist mir überhaupt nicht peinlich das einzugestehen. Akzeptiere auch Ihre Gemütsbewegung in Comic-Manier (*lach*) auszudrücken und lasse ich mich gern korrigieren. Wer bin ich, die Fakten abzulehnen ? Zumal Sie absolut in’s Schwarze treffen: ich lese gerade das Buch von Eugen Drewermann „Giordano Bruno oder Der Spiegel des Unendlichen“. Nun, da kann man nichts machen.
Zur Sache und das mag jeder anders sehen: mir ist klar, dass sich Hans Küng selbst von der Amtskirche verabschiedet hatte, nicht von seiner Konfession. Seine offene Kritik an Grundpositionen Roms (hier oft Diskussionsthemen) brachten ihm ua. den Entzug der (zum Glück nur) kirchlichen Lehrbefugnis ein, die sich als Rohrkrepierer erwies und ihm mehr Interesse, Gläubige und Hörer zutrieb als je zuvor.
Höchst bemerkenswert auch der Satz Nr. 1 in seinem Weltethos „Kein Friede unter den Nationen ohne Friede der Religionen“. Damit widerspricht er der Behauptung vom Missbrauch der Religionen durch die profane Welt. Für ihn ist die allererste und wichtigere Bedingung: zuerst einmal den (fehlenden) Frieden zwischen den Religionen zu schaffen…
Er wird die Barmherzigkeit Gottes in besonderer Weise benötigen.
@Arminius 07.04. 7:20
– Wenn es Gott denn gibt wird er wohl sehr bedauern, dass die Amtskirche einen wie diesen weisen Mann nicht zum Papst hatte. Küng wäre zu ihrem Aktivposten geworden. Bin überzeugt, der Kirchenaustritt vieler Gläubiger wäre durch ihn gestoppt worden und besonders die jüngeren Generationen hätten aufgehorcht, denn Küng hatte etwas zu sagen und man nahm ihm ab, dass er dahinterstand. Als Analyst realistisch genug, erkannte und benannte er die Gründe für die geschwächte Position der Kirche ua. in ihrer Struktur und der Mentalität des Klerus. Und das nahm ihm Rom in (un)schöner historischer Gewohnheit übel…
@Arminius
Gott beurteilt keinen danach, was er ehrlichen Herzens für wahr hält. Küng braucht also nicht mehr und nicht weniger die Barmherzigkeit Gottes als wir alle.
Arminius
07.04.2021, 7:20 h
Küng stand eben nicht für die so typische katholische konservative Lethargie in Allem, dieser prämortalen anmutenden Starre in theologischer Rechthaberei. In der höchstens eine Bewegung möglich war, nämlich Treten von Oben nach Unten, dem schließlich sogar sein theologischer Zwilling Ratzinger zum Opfer fiel. Sondern Küng war in seiner Lebendigkeit im Glauben für einen Franzsikus einer der notwendigen Wegbereiter, nicht zuletzt beide der Ausweg aus den zahlreichen Skandalen eines solchen mafiös anmutenden nicht reformierbaren Systems. Welches dann schließlich das Fußvolk bis zum Überdruss satt hatte. Legendär z.B. Küng´s ausführliches Interview mit der Sterbeforscherin Dr. Elisabeth Kübler-Ross in den 80iger Jahren.
So wie Sie und ich und wir alle.
„Schnell war eine Situation entstanden, in der beide Seiten in starren Positionen verharrten und sich nicht mehr bewegen wollten.“
Man muss hier sehen, dass ein singulärer Freigeist einem riesigen Machtapparat der Katholischen Kirche gegenüberstand. Im zweiten Band von Küngs Erinnerungen lässt sich das in allen Einzelheiten nachlesen. Rom wollte einen Mann wie Hans Küng nicht mehr länger ertragen und hat ihn deshalb nach allen Regeln der Kunst erledigt.
Wie REFORMRESISTENT die Katholische Kirche ist, lässt sich gut an Franziskus‘ Engagement für wiederverheiratet Geschiedene zu Beginn seiner Amtszeit nachvollziehen. Mittels zweier Familiensynoden erreichte er, dass in der Schlussrelatio von der Möglichkeit die Rede ist, über das Gespräch mit einem begleitenden Priester zu einer volleren Teilnahme am Leben der Kirche zu gelangen. (Nr. 86) Seinen Niederschlag fand dies in der Aussage des nachsynodalen Schreibens ‚Amoris Laetitia‘,
„dass man mitten in einer objektiven Situation der Sünde … in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt.“ (Nr. 307) Berühmt-berüchtigt wurde dann die Fußnote hierzu:
„In gewissen Fällen könnte es auch die Hilfe der Sakramente sein.“
Dies fasste das Anti-Bergoglio-Lager als Kriegserklärung auf und ließ vier Kardinäle mit an den Papst gerichteten Dubia auf den Plan treten. Wenige Wochen später legten die Traditionalisten nach und übersandten Franziskus in Form einer Petition „eine brüderliche Zurechtweisung“ wegen Häresie.
Man fragt sich, welche Reformen in einer Kirche möglich sind, in der selbst der mit allen Vollmachten ausgestattete Papst von seinen innerkirchlichen Gegnern bis aufs Blut bekämpft wird.
@Erasmus 09.04. 13:30
– uns allen zum Trost: man darf beruhigt feststellen, dass es der Amtskirche nicht gelungen ist, Hans Küng zu erledigen. Im Gegenteil: erst danach rückte er so richtig in’s Blickfeld der auch nicht religiösen, weltweiten Öffentlichkeit und wurde für seine humanen Initiativen und versöhnlichen Aktivitäten auf höchsten Ebenen anerkannt und geehrt. Er blieb bescheiden und zeigte, dass ein Priester auch ohne grossen Pomp, Brimborium und Weihrauchgewaber auskommt, wenn er wirklich was zu sagen hat. Rom sollte sich ernsthaft ohne Vorurteile mit ihm auseinandersetzen. Für alle, die sich mit dem Gedanken beschäftigen auszutreten, wäre es ein Signal der Hoffnung.
Silberdistel 7.4.2021 7:20
„Legendär z.B. Küng´s ausführliches Interview mit der Sterbeforscherin Dr. Elisabeth Kübler-Ross in den 80iger Jahren.“
Weil das Thema Sterben und Tod gerne von der Gesellschaft vermieden wird, habe ich ein Buch von Kübler-Ross seinerzeit mit Interesse gelesen. Oft werden Nahtoderfahrungen nur auf der Ebene des Materiellen betrachtet, die Folge ist, daß solche Erlebnisse von vielen Leuten verschwiegen werden, um nicht entweder für verrückt oder als einer Selbsttäuschung erlegen bezeichnet zu werden.
Denn „wenn da noch was wäre“. Soll aber nicht sein, ist für viele bequemer.
Dienstag letzte Woche tagsüber, ich habe Kartonböden zusammengeklebt, erst längs, dann einmal quer, ein christliches Kreuz, eindeutig und überall mit dieser Bedeutung, dann zum zweiten Mal quer, ein Bischofskreuz, das weiß aber nicht jeder. Dazu der wehmütige Satz, ach wie schön wars in Sanssouci, ach wie schön wars in Sanssouci, wiederholt im Takt, wie der Herzrhythmus. Hört sich auch an wie „sans Susi“, hm…
Abends in den Nachrichten: Küng ist gestorben. Priester, Weltethos (Kreis um das Bischofskreuz ist stilisiert für Globus), Frauenordination (der Mangel daran), Kindheit in Sursee. Der mit Sansouci unmittelbar verbundene Alte Fritz war König von Preußen.
Da wird die „Liturgie in der Landessprache“ erwähnt und nicht mal drei Zeilen weiter von den Laien als „wichtige(n) Player(n)“ gesprochen! Ich finde das hochgradig komisch, angesichts zunehmender (Fremdsprachenkenntnisse und kosmopolitischer Bekenntnisse) – zurecht als „neoliberal“ zu verortender – Anglismen in dem pastoraltheoretischen Slang sogar ärgerlich. „(Tiefe) Wunden“ bei „Freunden und Weggefährten“ gab es auch bei den Lefebvrianern: auch der Traditionalistenbischof übrigens ließ sich nicht „einschüchtern“. Was „wie weit gehen muss“, um igendwo „anzuzkommen“, bleibe dahingestellt. Immer die Kirche als „a quo“ und die Moderne als „ad quem“? Eine nicht mehr selbstkritikfähige Moderne wird zum Götzen! Hans Küng wünsche ich von Herzen „requiescat in pace“ – und “ de mortuis nil nisi bene“!
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