Rückblick: Papst auf Kuba – Tag 2

20.9.2015: Franziskus hat am zweiten Tag auf Kuba so weiter gemacht, wie er am ersten begonnen hatte. Diplomatisch verpackt, sprach er doch deutliche Worte. Seine Warnung, die christlichen Werte nicht durch Ideologien zu vereinnahmen, könnte beinahe als eine Replik auf die Begrüßungsrede von Staatschef Raul Castro vom Vortag verstanden werden.  Der Papst warnte beim Gottesdienst auf dem Platz der Revolution in Havanna vor einem „Elitismus“ und Cliquenwirtschaft. Bei einem Treffen mit Priestern, Ordensleuten und Seminaristen forderte er einmal mehr eine arme Kirche, die an der Seite der Menschen steht. Sowohl bei diesem Treffen wie auch bei der anschließenden Begegnung mit den Jugendlichen improvisierte der Papst und übergab die vorbereiteten Reden den zuständigen Bischöfen zur Publikation. Medien berichteten, dass am Abend des ersten Besuchstages Oppositionelle verhaftet worden sein sollen, die Franziskus zu einem Treffen in die Nuntiatur eingeladen hatte. Das Entscheidende ist: Anders als seine Vorgänger nimmt Franziskus Kontakt zu Dissidenten auf.

Papst warnt vor Ideologien

Das Tagesevangelium im Markusevangelium (Mk 9,34) mit dem Bericht über die Jünger, die unter sich berieten, wer von ihnen der Größte sei, bot Franziskus eine Ideale Vorlage. Der Maximo Líder war zwar nicht persönlich anwesend, aber der Bruder von Revolutionsführer Fidel Castro, Raul Castro, saß in der ersten Reihe beim Gottesdienst. Jesu Botschaft sei fern jedes „Elitismus“ und eben nicht nur für einige wenige Privilegierte, sondern für alle. Das dürfte den Kadern der kommunistischen Partei, die gerne ihre vielen Vorteile angesichts des harten Alltags genießen, nicht gerne gehört haben. Auch nicht, als Franziskus sich gegen eine die Vereinnahmung christlicher Werte durch Ideologien wehrte. Er warnte vor einem „Dienst, der sich bedient“. „Es gibt eine Form, den Dienst auszuüben, deren Interesse darin besteht, die „Meinen“ zu begünstigen im Namen des ‚Unsrigen‘. Dieser Dienst lässt die ‚Deinen‘ immer draußen und schafft eine Dynamik der Ausschließung.“ Zugleich rief er die Kubaner zur Solidarität untereinander auf. „Denn Christ zu sein schließt ein, der Würde der Mitmenschen zu dienen, für die Würde der Mitmenschen zu kämpfen und für die Würde der Mitmenschen zu leben.“

Gibt es auch Cliquen in der Kirche?

Dass man die Worte bei der Messe am Morgen nicht nur in Richtung Politik und Gesellschaft deuten kann, zeigte sich am Nachmittag bei der Begegnung mit Priestern, Ordensleuten und Seminaristen – zumindest im vorbereiteten Text. Neben dem Dank und der Bestärkung für ihre Arbeit, findet sich dort auch eine klare Warnung von Franziskus an das kirchliche Personal. Es solle sich nicht „in die eigenen Sicherheiten, die eigene Geborgenheit, die eigenen Räume“ zurückziehen. Er warnte davor, „sich nicht um die anderen zu kümmern, indem sie sich auf kleinen ‚Gutshöfen‘ niederlassen, die das vielgestaltige Gesicht der Kirche zersplittern“. Allerdings verwahrte sich Franziskus davor, Einheit der Kirche mit Einheitlichkeit zu verwechseln. Homogenität bedeute, „das Leben des Geistes auszulöschen“. Und dann kam ein Abschnitt, dessen Inhalt sich sicherlich auch die Synodenteilnehmer in den nächsten Wochen und Monaten auf die Fahnen schreiben dürfen:

„Bitten wir Gott, dass er in uns den Wunsch nach Nähe wachsen lasse. Dass wir ‚Nächste‘ sein, einander nahe sein können, mit unseren Verschiedenheiten, Macken, Stilen, aber nahe. Mit unseren Diskussionen und Streitereien, indem wir offen reden und nicht hinter dem Rücken. Dass wir volksnahe Hirten sind, dass wir uns von unseren Leuten in Frage stellen und befragen lassen. Die Konflikte, die Diskussionen sind in der Kirche wünschenswert, und ich wage sogar zu sagen: notwendig. Sie sind ein Zeichen, dass die Kirche lebendig ist und dass der Geist weiter wirkt, sie weiter in Schwung hält. Weh den Gemeinschaften, wo es weder ein Ja noch ein Nein gibt! Sie sind wie diese Ehen, in denen nicht mehr diskutiert wird, weil man das Interesse verloren hat, weil man die Liebe verloren hat.“

Soweit der vorbereitete Text. In seiner sehr langen Improvisation standen die Themen Armut und arme Kirche im Mittelpunkt. „Gott will eine arme Kirche.“ Reichtum hingegen lasse einen verarmen, so Franziskus. Die Kirche müsse sich vor allem um diejenigen kümmern, die am Rande der Gesellschaft stehen. Er dankte den Ordensleuten und Priestern für die Arbeit, die sie in diesem Sinn machen.

Papst macht Jugend Mut

Auch bei der Begegnung mit den Jugendlichen anschließend improvisierte der Papst. Franziskus wollte den jungen Menschen Hoffnung zu machen. Er rief sie zur Förderung einer Kultur des Dialogs und der Begegnung auf. Wirkliche Veränderungen könnten nur gemeinsam bewirkt werden: „Die Welt zerstört sich durch Feindschaft und die größte Feindschaft ist der Krieg.“ Die Menschen müssten endlich miteinander verhandeln, anstatt sich umzubringen. Unterschiede müssten respektiert werden, damit gemeinsam an der Zukunft gearbeitet werden könne.  In der vorbereiteten Rede des Papstes gab es durchaus noch deutlichere politische Anspielungen, die allerdings nicht nur für Kuba gelten. Franziskus warnte vor „parteiischen und ideologischen Deutungen der Wirklichkeit“. Diese seien nutzlos. „Sie entstellen die Wirklichkeit, damit sie in unsere kleinen vorgefassten Schemen passt, und verursachen immer Enttäuschung und Hoffnungslosigkeit.“ Franziskus sprach von „unfruchtbarer Konfrontation“ und warb stattdessen für eine „Kultur der Begegnung und des Dialogs“. „Eine grundlegende Bedingung dafür ist, dass man die Unterschiede in den Denkweisen nicht als eine Gefahr, sondern als einen Reichtum betrachtet und als einen Wachstumsfaktor“, so Franziskus. Als weiteren Schlüssel für die Zukunft nannte Franziskus die Solidarität: „Über jeder anderen Erwägung oder jedem anderen Interesse muss die konkrete und reale Sorge um den Menschen stehen, der mein Freund, mein Gefährte sein kann oder auch jemand, der anders denkt, der seine eigenen Ideen hat, der aber genauso Mensch und genauso Kubaner ist wie ich selbst.“

Franziskus geht es bei seinem Besuch auf Kuba nicht um eine Einmischung in parteipolitisches Kleinklein. Vielmehr versucht er die Vision einer freien und solidarischen Gesellschaft zu Entfalten. Er ist bedacht, sich nicht von den kommunistischen Machthabern vereinnahmen zu lassen. Denn unweigerlich ist angesichts der Kapitalismuskritik und manch sozialistischem Gedanken in seiner Verkündigung hier die Gefahr groß. Doch Franziskus versucht hier auf Distanz zu bleiben. Er muss auch vorsichtig sein. Denn, selbst wenn die aktive Teilnahme der Gläubigen am Leben der Kirche sehr gering ist, ist sie die einzige Institution neben der kommunistischen Partei und der Staatsführung, die als zivilgesellschaftlicher Akteur präsent ist. Sie ist allerdings auch gut für die Politik greifbar und ihre Arbeit kann selbst mit kleinen Nadelstichen sehr erschwert werden. Für Franziskus ist es daher eine Gratwanderung, die er bisher ganz gut gemeistert hat.

Papst wollte Dissidenten treffen

Wichtig ist: Es gibt den Versuch, mit Dissidenten in Kontakt zu kommen. Hier geht Franziskus über seine beiden Vorgänger hinaus! Nach Auskunft seines Sprechers wollte Franziskus in Havanna Dissidenten treffen. Es habe telefonischen Kontakt gegeben, so Vatikansprecher Federico Lombardi am Abend gegenüber Journalisten. Bei der Frage, warum das Treffen bisher nicht stattgefunden habe, vermied der Sprecher eine klare Antwort. Es sei nie ein großes Treffen geplant gewesen, eher eine kurze Begegnung und ein kurzer Gruß. Medien berichteten unter Berufung auf die betroffenen Dissidenten, dass diese von Sicherheitskreisen daran gehindert worden seien, zum Papst zu gelangen. Demnach sollten sie am Vespergottesdienst am Nachmittag teilnehmen.

P.S. Die Treffen mit den beiden Castrobrüdern seien nur kurz erwähnt. Nach dem Gottesdienst am Morgen besuchte Franziskus Fidel Castro. Am Nachmittag war der offizielle Besuch bei Staatschef Raul Castro. Beide Begegnungen dauerten rund 40 Minuten.

Autorenbild

Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.