Papst Franziskus in Albanien
Ein klares Nein zu Gewalt im Namen der Religion, die Forderung nach Religionsfreiheit sowie die Würdigung der Leiden der Gläubigen während der kommunistischen Zeit in Albanien standen im Mittelpunkt des eintägigen Besuchs von Papst Franziskus in dem Balkanland. Von den Menschen wurde Franziskus in Tirana mit großem Jubel empfangen. Während der Papst in seinen Ansprachen vor allem ermutigte, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen, benannte der Vorsitzende der albanischen Bischofskonferenz, Erzbischof Angelo Massafra, klar die Herausforderungen, vor denen das Land aktuell steht. Auf dem Rückflug erklärte Franziskus, er habe mit der Auswahl Albaniens als erstem europäischen Land, das er besucht, ein klares Zeichen setzen wollen. Die Reise war kurz; der Text hier ist trotzdem lang, denn es steckte viel im heutigen Tag.
Papst erinnert an Leiden im Kommunismus
Im Vorfeld der Reise hatte Franziskus zwei Gründe genannt für seinen Besuch in Albanien. Daran erinnerte er bei seiner kurzen Begegnung mit den mitreisenden Journalisten nach dem Start des Papstfliegers in Rom: Zum einen wolle er würdigen, dass dort das interreligiöse Zusammenleben sowie die Zusammenarbeit von Katholiken, Orthodoxen und Muslime in Gesellschaft und Politik gut funktioniere. Zum anderen wolle er den Menschen danken, die unter Einsatz ihrer Freiheit und ihres Lebens in der kommunistischen Zeit Albaniens treu zum Glauben standen und an die erinnern, die in der Zeit der Diktatur ermordet worden waren. Bereits 1944 begann der Kampf von Diktator Enver Hoxha gegen die Religionen im Land. 1967 verhängte er ein totales Religionsverbot, das erst Ende 1990 wieder aufgehoben wurde. Er machte Albanien zum ersten atheistischen Staat. In der Folge wurden Priester, Ordensleute und Bischöfe, aber auch viele Laien, die treu zu ihren Religionen standen, inhaftiert, gefoltert und ermordet. Nach Schätzungen ließ Hoxha rund 100.000 Landsleute töten oder inhaftieren. Für ein Kreuzzeichen in der Öffentlichkeit drohten 25 Jahre Gefängnisstrafe. Ein Rosenkranz in der Tasche oder ein Kreuz im Haus konnte die sofortige Erschießung zur Folge haben. Religiöse Gebäude wurden zerstört, darunter mehr als 1.800 Kirchen; andere wurden fortan als Theater, Kinos oder Ballsäle genutzt. Papst Franziskus erinnerte beim Gottesdienst auf dem Mutter-Teresa-Platz in Tirana an die Opfer aller Religionen in dieser Zeit. An der Messe nahmen nach offiziellen Angaben mehr als 250.000 Menschen teil.
Einer der emotionalen Höhepunkte der Reise war dann auch das Zeugnis des 84-jährigen Priesters Ernest Simoni bei der Begegnung des Papstes mit den Priestern und Ordensleuten. Ab 1963 bis zur Aufhebung des Religionsverbots verbrachte Simoni 27 Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern und Arbeitslagern. Als Gründe für seine Verhaftung nach der Mitternachtsmette am 24. Dezember 1963 hätten die Militärs damals angegeben, er sei ein Feind, weil er gepredigt habe, dass alle für Christus sterben würden, wenn es notwendig sei. Zudem habe er Gedenkgottesdienste für den ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy gefeiert. Er sei zum Tode verurteilt worden; doch Diktator Hoxha habe die Strafe in 18 Jahre Arbeitslager umgewandelt, nachdem sich Simoni nicht durch einen Spion in seiner Zelle zu negativen Äußerungen über die kommunistische Führung habe hinreißen lassen, sondern mit dem Verweis auf Jesu Worte konterte: „Du sollst deine Feinde lieben.“ Papst Franziskus war sichtlich bewegt, als er Simoni umarmte. Seine vorbereitete Rede legte er beiseite, dankte für das Zeugnis und die Opfer während der Diktaturzeit und brachte seine Bewunderung gegenüber den Gläubigen dieser Zeit zum Ausdruck. „Gehen wir nach Hause und sind uns bewusst, heute haben wir Märtyrer berührt,“ schloss Franziskus seine Rede.
Papst verurteilt Extremisten
Am Morgen hatte der Pontifex beim Treffen mit Vertretern des öffentlichen Lebens und des Diplomatischen Korps die Bedeutung der Religionsfreiheit als „Vorbedingung für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung eines Landes“ unterstrichen. Bei der Begegnung mit Vertretern der Religionen führte er den Gedanken fort. Er zitierte seinen Vorgänger Johannes Paul II., der bei seinem Besuch in Albanien 1993 feststellte: „Die wahre Religionsfreiheit schreckt vor den Versuchungen zu Intoleranz und Sektierertum zurück und fördert Haltungen eines achtungsvollen und konstruktiven Dialogs.“ Zwei Haltungen seien wichtig bei der Förderung der Religionsfreiheit: jede Person, auch der anderen religiösen Tradition, nicht als Rivalen oder Feinde zu sehen, sondern als Brüder und Schwestern. „Wer sich seiner eigenen Überzeugungen sicher ist, hat es nicht nötig, sich durchzusetzen und Druck auf den anderen auszuüben.“ Die zweite Haltung sei das Engagement zugunsten des Gemeinwohls.
Franziskus würdigte das gute Zusammenwirken der verschiedenen Konfessionen und Religionen in Albanien. Dies sei umso wichtiger in einer Zeit, „in der von extremistischen Gruppen das echte religiöse Empfinden verfälscht wird und die Unterschiede zwischen den verschiedenen Bekenntnissen verzerrt und instrumentalisiert werden, indem man sie zu einem gefährlichen Anlass für Auseinandersetzungen und Gewalt macht“. Dann wiederholte er seine in den letzten Wochen wiederholt geäußerte Kritik am Missbrauch von Religion zur Legitimation von Gewalt: „Niemand soll meinen, er könne sich hinter Gott verstecken, während er Gewalttaten und Übergriffe plant und ausführt! Niemand nehme die Religion zum Vorwand für seine Taten, die der Würde des Menschen und seinen Grundrechten entgegenstehen, an erster Stelle dem Recht auf Leben und auf Religionsfreiheit aller!“ Beim Treffen mit den Religionsvertretern verurteilte er scharf den „verkehrten Gebrauch von Religion“: „Die echte Religion ist eine Quelle des Friedens und nicht der Gewalt! Niemand darf den Namen Gottes gebrauchen, um Gewalt auszuüben! Im Namen Gottes zu töten, ist ein schweres Sakrileg! Im Namen Gottes zu diskriminieren, ist unmenschlich.“ Die Rede zum interreligiösen Dialog gehört sicher zu den wichtigsten des bisherigen Pontifikats. Franziskus fügte frei hinzu, dass Dialog dann nicht auf Relativismus hinauslaufe, wenn er aus der eigenen Identität heraus geführt werde und diese nicht verstecke.
Warnung vor „neuen Diktaturen“
Mehrfach erinnert Franziskus im Verlauf des Tages daran, dass Wachstum und Entwicklung allen zugutekommen müsse, dass Kirche und Politik auch die Schwachen und Armen im Blick haben müssen. „Der Globalisierung der Märkte muss notwendig eine Globalisierung der Solidarität entsprechen“, forderte er gegenüber den Politikern. Beim Treffen mit den Religionsvertretern fordert er eine „inklusive Wirtschaftsentwicklung“ und mehr soziale Gerechtigkeit. Mit Blick auf die gesellschaftliche Entwicklung in Albanien warnte er vor „neuen Formen der ‚Diktatur‘“ wie Individualismus oder übertriebene Rivalitäten. Die Jugendlichen rief er dazu auf, „nein sagen zum Götzenkult des Geldes, nein zur falschen individualistischen Freiheit, nein zu Abhängigkeiten und Gewalt.“ Vielmehr sollten sie eine Kultur der Begegnung und der Solidarität pflegen. Zum Abschluss seines Kurztrips nach Albanien besuchte Franziskus ein Heim für Waisen sowie Kinder mit Behinderung oder großen Problemen in ihren Familien.
Albanien zählt zu den ärmsten Ländern des Kontinents. Das Durchschnittseinkommen liegt bei 329 Euro, die Arbeitslosenquote offiziell bei 17 Prozent. Doch die Zahl der Menschen ohne Arbeit unter den 3,2 Millionen Albanern liegt nach Schätzungen weit höher. Über die Probleme des Landes hatte am Nachmittag auch der Vorsitzende der albanischen Bischofskonferenz gesprochen: Korruption, Konsumismus, Drogenhandel, Prostitution und Frauenhandel sowie Blutrache nannte er als die heutigen „Übel“, denen sich die Religionen im Land stellen müssten. Der Papst hingegen machte Mut in seinen Ansprachen. Für ihn ist Albanien mit seiner zentralen lage auf dem Balkan geostrategisch ein wichtiges Land. Er hofft, dass seine Botschaften auf die ganze Region Auswirkungen haben werden. Papst Franziskus hat mit dem Besuch in Albanien erneut ein Zeichen gesetzt. Wie schon bei seiner ersten Reise außerhalb Roms, die er Anfang Juli letzten Jahres auf die Mittelmeerinsel Lampedusa gemacht hat, um auf das Schicksal der Flüchtlinge aufmerksam zu machen, so wählte er jetzt für seine erste Auslandsreise auf dem europäischen Kontinent nicht eine der Metropolen, Paris, Madrid, London oder Berlin, sondern eine Stadt auf dem Balkan, an der Peripherie, einen Brennpunkt in vielerlei Hinsicht, ein Land, das mehrheitlich muslimisch ist (56%) und in dem die Christen (16% Katholiken, 7% Orthodoxe) in der Minderheit sind. Dort würdigt er das Positive, wie das gute Zusammenleben der Religionen, und setzt damit ein Zeichen gegen Intoleranz im Namen Gottes. Es ist damit eine kurze, aber symbolische Reise für das Pontifikat von Papst Franziskus.
P.S. Gestern gab der Vatikan bekannt, dass Papst Franziskus Ende August eine Kommission eingesetzt hat, die eine Reform der Eherechtsprozesse erarbeiten soll. Ziel sei es, die Prozesse zu beschleunigen und zu vereinfachen. Dabei solle aber die Unauflöslichkeit der Ehe „bewahrt“ werden. Die Kommission leitet der Dekan des vatikanischen Ehegerichts Rota Romana, Pio Vito Pinto. Ihr gehören mehrere Eherechtsexperten an. Schon Papst Benedikt XVI. hatte immer wieder eine Überprüfung der Verfahren gewünscht. Dabei werden mehrere Möglichkeiten diskutiert, die Verfahren zu vereinfachen. Bisher muss das Urteil der ersten Instanz durch eine zweite bestätigt werden. Diese Verpflichtung könnte eventuell wegfallen. Eine andere Möglichkeit der Beschleunigung könnte in größeren Kompetenzen für die Bischöfe bestehen.