Trotz Urteil viele Fragen offen

Palazzo del Tribunale: Hier fand der Prozess statt.

Ein Jahr und sechs Monate Gefängnis lautet das Urteil gegen den Ex-Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele. Dabei machten die Richter mildernde Umstände geltend, die zur Halbierung des eigentlichen Strafmaßes von drei Jahren führten. Das Urteil war noch keine Stunde alt, erklärte Vatikansprecher Federico Lombardi, dass die Möglichkeit einer Begnadigung durch den Papst „sehr konkret“ sei. Allerdings wollte er nichts über den Zeitpunkt und den Modus sagen. Lombardi machte auch deutlich, dass mit dem Urteil gegen Gabriele wegen „schweren Diebstahls“ der Vatileaks-Skandal nicht abgeschlossen sei.

Das Thema wird die Medien also weiter beschäftigen. Zum einen steht noch der Prozess gegen den Informatiker Claudio Sciarpelletti aus, der wegen Beihilfe zum Diebstahl angeklagt ist. Zum anderen sind am Ende des Prozesses noch viele Fragen offen. Zwar erklärte der vatikanische Staatsanwalt in seinem Abschlussplädoyer, dass Gabriele leicht von außen zu beeinflussen sei, doch betonte er ausdrücklich, dass es keine Beweise für Komplizen gebe. Dies wurde von Vatikansprecher Federico Lombardi noch einmal eigens betont. Prozessbeobachter zeigten sich allerdings wenig überzeugt von der offiziellen Darstellung, dass der Ex-Butler als Einzeltäter agierte und, wie er heute morgen kurz vor Urteilsverkündung noch einmal erklärte, dass er aus „tiefer Liebe für die Kirche und ihr sichtbares Oberhaupt“ gehandelt habe: „Ich fühle mich nicht als Dieb.“ Wer mehrere zehntausend Papiere in 82 Kartons in seiner Wohnung hortet, müsse Mitwisser gehabt haben, lautet die Einschätzung. Immerhin enthält das Enthüllungsbuch „Ihre Heiligkeit“ Dokumente, die nicht bei Gabriele gefunden wurden, obwohl er sonst immer Kopien von dem Material anfertigte, das er weitergab. Ist er also nicht das einzige „Leak“? Auch die Frage, wie es zu der Zusammenarbeit zwischen dem Ex-Kammerdiener und dem Journalisten Gianluigi Nuzzi kam, ist nicht hinreichend beantwortet.

Gianluigi Nuzzi - Wie kam der Kontakt zustande?

Unklarheit herrscht auch bei einem Goldklumpen und einem Scheck, die in Gabrieles Wohnung gefunden worden sein sollen. Vatikanische Gendarmen machten im Zeugenstand unterschiedliche Angaben über den Fundort. Der Richter hielt den Vorgang für nicht relevant. Wollte er den Prozess möglichst schnell und geräuschlos durchziehen? Insgesamt dauerte er nur vier Tage; auch wenn Vatikansprecher Lombardi nach Abschluss noch einmal eigens die Unabhängigkeit des Gerichts betonte, hatten viele Beobachter den Eindruck, das ganze Verfahren ging zu schnell. So blieb auch kaum Zeit für Zeugenbefragungen. Und die meisten Zeugen waren Gendarmen, die über die Hausdurchsuchung bei Gabriele berichteten. Warum wurde außer dem Privatsekretär des Papstes kein weiteres Mitglied der Kurie geladen, obwohl doch der Ex-Butler selbst Namen nannte von Personen, die ihm nahe stehen – darunter die Kardinäle Angelo Comastri und Paolo Sardi?

Vatileaks hat den Vatikan verändert. Intern herrscht bisweilen ein größeres Misstrauen unter den Kurialen; hat der Skandal doch einmal mehr ans Tageslicht gebracht, dass hinter den Kulissen um Macht und Einfluss gerungen wird. Nach außen hin versucht man mehr Transparenz walten zu lassen – zumindest was den Prozess gegen Paolo Gabriele anbetrifft.

Die offenen Fragen könnte der Papst selbst aus der Welt räumen, indem er den Bericht der Kardinalskommission veröffentlicht, die er – neben dem vatikanisch-staatlichen Gericht – mit internen Ermittlungen im Vatileaksskandal beauftragt hatte. Der Bericht liegt seit geraumer Zeit vor. Einzig Benedikt XVI. kennt den Inhalt. Dass er bisher nicht veröffentlicht wurde, wertet Vatikansprecher Lombardi als Zeichen, dass der Papst sich nicht in das juristische Verfahren einmischen wollte. Sollte der Ex-Kammerdiener das Urteil nicht anfechten, wovon nach einer ersten Reaktion seiner Anwältin, die sich zufrieden mit dem Richterspruch zeigte, auszugehen ist, ist der Prozess am Ende – und damit der Weg frei für den Papst, mit der Veröffentlichung des Kommissionsberichts mehr Klarheit zu schaffen.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.