Leo XIV. – ein Papst zwischen Mission und Sozialethik
Von Anfang an setzt Papst Leo XIV. eigene Akzente. Das traditionelle Treffen mit den Kardinälen fand am Samstag nicht in einem der Renaissance-Säle im Apostolischen Palast statt, sondern in der Synodenaula. Der Grund: Leo wollte nicht nur einen Vortrag halten, sondern mit den Kardinälen den Austausch vom Vorkonklave fortsetzen. Das könnte der Beginn eines stärker kollegial ausgeübten Papstamts sein. In seiner Ansprache machte er deutlich, dass er ganz auf der Linie des II. Vatikanischen Konzils steht und zwar in der Form, wie Papst Franziskus es in seinem ersten Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium „ausgezeichnet“ in Erinnerung gerufen und aktualisiert habe. Beim ersten Gottesdienst mit den Kardinälen nach seiner Wahl hatte der Pontifex am Freitag betont, dass die Kirche ein Leuchtturm sein solle, „der die Nächte der Welt erhellt“, aber nicht durch die „Großartigkeit ihrer Strukturen oder die Pracht ihrer Bauten“, sondern vielmehr durch die „Heiligkeit ihrer Glieder“, sprich durch eine missionarische Kirche. Den Leitenden in der Kirche schrieb er ins Stammbuch, „zu verschwinden, damit Christus bleibt, sich klein zu machen, damit er erkannt und verherrlicht wird, sich ganz und gar dafür einzusetzen, dass niemandem die Möglichkeit fehlt, ihn zu erkennen und zu lieben“. Der Papst erklärte am Samstag auch, warum er den Namen Leo gewählt hat und was das mit KI zu tun hat.
Evangelium bezeugen
Die ersten beiden größeren Ansprachen des Papstes sind sicherlich als programmatisch zu lesen. In seiner Predigt beim Gottesdienst am Freitag konstatierte er, dass „der christliche Glaube in nicht wenigen Fällen als etwas Absurdes angesehen [wird], als etwas für schwache und wenig intelligente Menschen; vielfach werden andere Sicherheiten wie Technologie, Geld, Erfolg, Macht und Vergnügen bevorzugt“. Es handle sich um Umfelder, in denen es nicht leicht sei, das Evangelium zu bezeugen, so Leo XIV. Gläubige würden verspottet, bekämpft, verachtet oder bestenfalls geduldet und bemitleidet. „Doch gerade deshalb sind dies Orte, die dringend der Mission bedürfen, denn der Mangel an Glauben hat oft dramatische Begleiterscheinungen: dass etwa der Sinn des Lebens verlorengeht, die Barmherzigkeit in Vergessenheit gerät, die Würde des Menschen in den dramatischsten Formen verletzt wird, die Krise der Familie und viele andere Wunden, unter denen unsere Gesellschaft nicht unerheblich leidet.“
Interessanterweise begann Leo seine Predigt beim Gottesdienst mit den Kardinälen mit einigen Sätzen auf Englisch. Darin betonte er, er wisse, dass er sich auf jeden einzelnen verlassen könne und die Kardinäle mit ihm gingen. Warum sprach er diese einleitenden Worte auf Englisch? Eine Deutung ist, weil nicht alle Kardinäle das dann folgende Italienisch verstehen. Allerdings war es keine Zusammenfassung dessen, was anschließend folgte. Eine andere mögliche Deutung ist es, dass die Worte unter anderem an seine US-amerikanischen Kardinalskollegen gerichtet waren, die längst nicht alle von der Wahl des neuen Pontifex überzeugt zu sein scheinen. Die Reaktion der US-amerikanischen Bischofskonferenz etwa war eher verhalten. Aufgefallen ist, dass Leo beim ersten Auftritt neben Italienisch auch Spanisch sprach, um sein ehemaliges Bistum in Peru zu grüßen, nicht aber Englisch.
KI im Blick
Beim Treffen am Samstagmorgen in der Synodenaula sprach Leo XIV. von den Kardinälen als den „engsten Mitarbeitern des Papstes“. Er betonte, dass der Papst ein „einfacher Diener Gottes und seiner Brüder und Schwestern“ sei und nichts anderes. Er erinnerte an den „auf das Wesentliche bedachte Lebensstil“ seines Vorgängers und forderte die Kardinäle auf, „heute gemeinsam unsere volle Zustimmung zu diesem Weg [zu] erneuern, den die Weltkirche seit Jahrzehnten in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils eingeschlagen hat“. Dann bezog er sich auf Evanglii gaudium. Er wolle einige grundlegende Aspekte hervorheben, die Papst Franziskus in diesem Schreiben mit Blick auf die Verwirklichung des Konzils in Erinnerung gerufen und aktualisiert habe.
Dazu zählt Leo „die Rückkehr zum Primat Christi in der Verkündigung; die missionarische Umkehr der gesamten christlichen Gemeinschaft; das Wachstum in der Kollegialität und der Synodalität; die Aufmerksamkeit für den sensus fidei, insbesondere in seinen typischsten und inklusivsten Formen, wie der Volksfrömmigkeit; die liebevolle Sorge für die Geringsten der Ausgestoßenen; den mutigen und vertrauensvollen Dialog mit der heutigen Welt und ihren verschiedenen Elementen und Gegebenheiten“. Er wolle den Weg des II. Vatikanums weitergehen. Dann kam er auf seinen Namen zu sprechen. Leo XIII. habe in der Enzyklika Rerum novarum die soziale Frage im Zusammenhang mit der ersten großen industriellen Revolution angesprochen. Das sei einer der Gründe, warum er den Namen gewählt habe, stellte das Kirchenoberhaupt fest und zog dann eine Parallele zur Gegenwart: „Und heute bietet die Kirche allen den Schatz ihrer Soziallehre an, um auf eine weitere industrielle Revolution und auf die Entwicklungen der künstlichen Intelligenz zu antworten, die neue Herausforderungen im Hinblick auf die Verteidigung der Menschenwürde, der Gerechtigkeit und der Arbeit mit sich bringen.“
Leo als Gefährte des Franziskus?
Was Leo im zweiten Teil mit den Kardinälen besprochen hat, ist nicht bekannt. Offensichtlich ist aber, dass sich der neue Papst große Ziele gesetzt hat. Wenn er einen ähnlich bedeutenden Akzent setzen möchte angesichts der Umwälzungen, die die KI mit sich bringt, wie sein Namensvorgänge zur Sozialen Frage Ende des 19. Jahrhunderts, legt er die Messlatte hoch. Der starke Bezug auf Franziskus dürfte vor allem die hoffungsvoll stimmen, die dessen anfanghafte Reformen mit dem Tod in Gefahr sahen. Allerdings gilt es ganz genau hinzuhören. Leo spricht von der synodalen Kirche, von Kollegialität, vom „sensus fidei“ und betont immer wieder das gemeinsame Unterwegs-Sein. In Details ist er nicht gegangen. Das ist in den ersten 48 Stunden auch nicht zu erwarten. Daher bleibt noch sehr Vieles ungewiss. Doch die ersten Zeichen stehen eher für eine Kontinuität als für einen Kontrapunkt zu Franziskus. Übrigens: einer der ersten und engsten Gefährten des heiligen Franz von Assisi war Leo. Er soll Sekretär, Beichtvater und Vertrauter des Franz gewesen sein. Das kann Zufall sein, oder ein weiterer Grund für die Namenswahl von Papst Prevost.