Der Papst in Südostasien – Tag 2
„Einklang im Respekt vor der Vielfalt“ – der Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch den ersten aktiven Tag von Papst Franziskus in Indonesien. Beim Treffen mit Vertretern aus Politik und Zivilgesellschaft am Morgen erklärte er, dass die katholische Kirche den interreligiösen Dialog verstärken wolle. „Auf diese Weise können Vorurteile abgebaut werden und ein Klima des gegenseitigen Respekts und Vertrauens entstehen“, ist er überzeugt. So könnten auch Extremismus und Intoleranz besser bekämpft werden. Beim Treffen mit dem Klerus und Katecheten rief er diese am Nachmittag dazu auf, „Propheten der Gemeinschaft [zu werden], in einer Welt, in der die Tendenz sich zu spalten, sich zu behaupten und zu provozieren, immer mehr zuzunehmen scheint“. Bestens gelaunt zeigte er sich am Abend bei der Begegnung mit Schülern. Hier würdigte er den in Asien geschätzten Wert der „Harmonie“ und ermutigte zum „kreativen Aushalten“ von Unterschieden. „Wenn alle Dinge gleich wären, wäre es langweilig“, so Franziskus.
Für eine universale Geschwisterlichkeit
Es war der emotionale Höhepunkt des ersten Tages. Das Zeugnis einer jungen Muslima beim Treffen des Papstes mit den Schülerinnen und Schülern am Abend. Immer wieder versagte ihre Stimme, als sie von ihren Erfahrungen in der gemeinsamen interreligiösen Arbeit als Ehrenamtliche in einem Schulprojekt berichtete. Sie habe hier viel Geschwisterlichkeit und Toleranz erlebt und gelernt, erklärte sie. Sie arbeitet bei der internationalen Bildungs-Initiative „Scholas Occurrentes“ mit, die der damalige Erzbischof Jorge Mario Bergoglio in Buenos Aires gründete und die mittlerweile in 190 Ländern benachteiligte Kinder und Jugendliche unterstützt. Es ist ein Beispiel dafür, wie Papst Franziskus sich den interreligiösen Dialog ganz praktisch vorstellt. Menschen unterschiedlicher Religionen arbeiten zusammen und können so Vorurteile abbauen und eine gemeinsame Zukunft aufbauen.
Dass das nicht immer gelingt, dessen ist sich der Papst bewusst. Beim Treffen mit Politik und Zivilgesellschaft warnte er daher am Morgen vor Extremismus und Intoleranz. Diese versuchten, indem sie Religion verfälschten, sich mit Hilfe von Täuschung und Gewalt durchzusetzen. Er kritisierte Tendenzen, die die Entwicklung der universalen Geschwisterlichkeit behinderten. „In verschiedenen Regionen sehen wir das Aufkommen gewaltsamer Konflikte, die oft das Ergebnis eines Mangels an gegenseitigem Respekt sind, des intoleranten Wunsches, die eigenen Interessen, die eigene Position oder die eigene partielle Geschichtsdarstellung um jeden Preis durchzusetzen, auch wenn dies zu endlosem Leid für ganze Gesellschaften führt und in echte blutige Kriege mündet.“ Konkrete Beispiele nannte Franziskus nicht. Ob er an Russland dachte, an den Konflikt zwischen China und Taiwan oder einen der zahlreichen Spannungsherde in Afrika, im Nahen Osten oder anderswo, blieb offen. Auch als er von gewalttätigen Spannungen innerhalb von Staaten sprach, die sich manchmal entwickelten, „weil die Machthaber alles vereinheitlichen wollen und ihre Vorstellungen auch in Angelegenheiten durchsetzen, die der Autonomie der Einzelnen oder der betreffenden Gruppen überlassen werden sollten“.
Mehr „wir“ wagen
Unabhängig von der konkreten Situation geht es dem Papst um die zugrundliegenden Handlungsmotive. „Was die Welt weiterbringt ist nicht Interessenkalkül – das in der Regel zur Zerstörung der Schöpfung und zur Spaltung der Gesellschaften führt – sondern die Liebe, die sich verschenkt.“ So formulierte er es am Nachmittag beim Treffen mit dem Klerus und Katecheten in der Kathedrale der langjährigen indonesischen Hauptstadt Jakarta. Weniger „ich“, mehr „wir“ könnte man den Gedanken kurz zusammenfassen. Dabei geht es dem Papst nicht um eine Gleichmacherei oder ein marxistisches Gesellschaftsideal. Das wies er beim Treffen mit den Schülerinnen und Schülern am Abend weit von sich. Doch er fordert, dass sich alles Handeln am Gemeinwohl orientiert. Das ist klassische katholische Soziallehre.
Trotz des Ruhetags gestern zum Start der Mammutreise wirkte Franziskus heute am Morgen müde und abwesend. Vielleicht lag es daran, dass er die offiziellen Termine mit Hymnen und Vorstellung der Delegationen nicht mag. Am Nachmittag hingegen zeigte er sich bestens gelaunt und überzog zeitlich das Programm weit. Für ein Urteil, ob er sich zu viel vorgenommen hat, ist es noch zu früh. Zum Abschluss des Tages wirkte er in seinem Element. Mag sein, dass er gerade bei dem Schulprojekt sehen konnte, dass seine Initiative als Erzbischof und Seelsorger offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen ist. So könnte auch ein bisschen Stolz dem bescheidenen Franziskus etwas Auftrieb gegeben haben.
Ein Kommentar
Man merkt unserem Papst an, wie sehr er in seinem Element ist, wenn es um Bildung geht. Da ist der ehemalige Literaturlehrer wieder ganz jung. Und er ist auch nah am Glutkern des Christlichen. Christentum ist paideia, ist Erziehung – zu Toleranz, Wohlwollen, Anerkennung von gottgewollter Vielfalt.
Kommentare geschlossen
Dieser Beitrag kann nicht länger kommentiert werden.