Europa schrumpft, Afrika und Asien wächst

Papst Franziskus formt das Kardinalskollegium weiter um. Mit dem Konsistorium von diesem Samstag hat er knapp dreiviertel der Wahlkardinäle in einem möglichen Konklave ernannt. Im Gesamtkollegium sind es erst gut die Hälfte der 242 Purpurträger, die auf den amtierenden Pontifex zurückgehen. Deutlich ist bei den unter 80-jährigen Kardinälen die Verschiebung weg von Italien und Europa in Richtung Asien und Afrika zu erkennen. Damit nähert sich die Verteilung der Kardinäle der Verteilung der Katholiken auf den Kontinenten an. Einmal mehr versäumte es Franziskus, die Kardinäle aus Anlass des Konsistoriums zu Beratungen zu konsultieren. Auch wenn in den nächsten Wochen die Synode zur Synodalität ansteht, gäbe es viele Themen, die Franziskus mit dem Senat besprechen könnte. Zugleich beraubt er die Kardinäle der Möglichkeit, sich besser kennenzulernen.

Das Kardinalskollegium soll nach Franziskus einem Symphonieorchester ähneln. Vielfalt sei notwendig und unverzichtbar, doch jeder Musiker müsse auf die anderen hören. (Foto: Erbacher)

Mehr Einfluss für globalen Süden

21 neue Kardinäle, darunter 18 unter 80 Jahre. Es war das neunte Konsistorium von Papst Franziskus zur Kreierung von Kardinälen. 99 der aktuell 137 Papstwähler hat er benannt. 29 sind aus dem Pontifikat von Benedikt XVI. und neun noch aus der Zeit von Johannes Paul II. Dass Franziskus nun knapp dreiviertel der Wahlkardinäle ernannt hat, muss nicht zwangsläufig eine Richtungsentscheidung für das nächste Konklave bedeuten. Immerhin hat ein Kardinalskollegium, das von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. geprägt wurde, einen Papst wie Franziskus hervorgebracht. Die Karten werden dann gemischt, wenn das Konklave ansteht. Die dann vorhandenen Herausforderungen für die Kirche werden wichtig sein bei der Auswahl eines geeigneten Kandidaten.

Deutlich ist aber, dass Franziskus der Vorherrschaft Europas und der Dominanz der Italiener im Kardinalskollegium entgegenwirkt. Nahmen am Konklave 2013 noch 28 Italiener teil, wären es heute nur noch 14. Ihr Anteil ist von 24 Prozent auf 10 Prozent geschrumpft, der der Europäer von 52 Prozent im Konklave 2013, das waren 61 Kardinäle, auf aktuell 38 Prozent, 52 Kardinäle. Am stärksten gewachsen ist der Einfluss Asiens und Ozeaniens. Zehn Prozent, also 12 Kardinäle, im Konklave 2013 kamen aus dieser Region, heute wären es 20 Prozent (27 Kardinäle). Der Anteil Afrikas ist in den zehn Jahren von neun Prozent (11 Kardinäle) auf 14 Prozent (19 Kardinäle) gestiegen, während die Anteile Nord- und Südamerikas unverändert bei zwölf und 16 Prozent geblieben sind.

Diese Verschiebungen dürften die Debatten vor dem nächsten Konklave verändern im Vergleich zu den letzten Vorkonklaven. Schon nach der Papstwahl 2013 stellte der Mainzer Kardinal Karl Lehmann fest, dass sich die Kirchen des globalen Südens viel selbstbewusster in die Diskussionen eingebracht hätten als beim Konklave 2005. Das wird sich nun noch verstärken. Ein Problem ist allerdings, dass sich die Kardinäle kaum kennen. Daher kritisieren Purpurträger, dass Franziskus die Konsistorien meist nicht mit Beratungen oder einem Studientag verbindet, wie das etwa Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. gemacht hatten. So sind auch viele Kardinäle nicht zum Konsistorium am Samstag angereist, weil sie das angesichts einer Zeremonie von einer guten Stunde als nicht angebracht ansahen. Traditionell feiert der Papst am Tag nach der Kreierung eine Messe mit den neuen Kardinälen. Diese findet erst am Mittwoch statt, zusammen mit der Eröffnung der Synode zur Synodalität. Manche der neuen Kardinäle nehmen an der Synode teil und ziehen sich am Samstagabend mit den anderen Synodalen in ein Exerzitienhaus vor den Toren Roms zu Besinnungstagen zurück.

Ökumenegipfel beim Gebet

Am Abend fand auf dem Petersplatz ein ökumenisches Gebet für die Synode statt. Dieses war vom langjährigen Leiter der Gemeinschaft von Taizé, Bruder Alois, angeregt worden. Zusammen mit dem Papst und rund 18.000 meist jungen Menschen aus verschiedenen Ländern beteten unter anderem das Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, Patriarch Bartholomaios, das Oberhaupt der Syrisch-Orthdoxen Kirche, Patriarch Ignatius Ephrem II. von Antiochien, der Primas der Anglikaner, Erzbischof Justin Welby, und ein hochrangiger Vertreter des griechisch-orthodoxen Patriarchats aus Jerusalem. So wurde das Gebet am Vorabend der Synode zu einem kleinen Ökumenegipfel mit vielen emotionalen Momenten – durch die Zeugnisse der Jugendlichen, aber auch die meditativen Taizé-Gesänge. Papst Franziskus möchte die Synode als einen großen spirituellen Prozess verstanden wissen. Deshalb sind dieses Mal die Besinnungstage vorgeschaltet. Franziskus sprach bei dem Gebet über die Stille, die wichtig und mächtig sei. Sie sei wesentlich im Leben der Gläubigen und auch im Leben der Kirche. Die Wahrheit brauche kein gewaltiges Geschrei, um die Herzen der Menschen zu erreichen, erklärte der Pontifex. Das Schweigen in der kirchlichen Gemeinschaft ermögliche eine geschwisterliche Kommunikation, „in der der Heilige Geist die Standpunkte in Einklang bringt“. Die Stille ermögliche die Unterscheidung durch aufmerksames Zuhören.

Debatte um Öffentlichkeit bei Synode

Die Worte des Papstes könnten eine Anspielung auf die Debatten im Vorfeld der Synode sein, wie öffentlich die Diskussionen im Vatikan in den nächsten Wochen sein werden. Der Papst möchte einen Freiraum schaffen, in dem alle frei sprechen können und möchte deshalb die Öffentlichkeit weitestgehend außen vor lassen. Nur wenige Teile des Geschehens werden für Medienvertreter zugänglich sein oder live gestreamt. Dazu gehören die Gebetszeiten und Gottesdienste sowie die Einführungen in die einzelnen Diskussionsblöcke durch den Generalrelator, Kardinal Jean-Claude Hollerich. Die Arbeit in den Sprachgruppen sowie die Debatten im Plenum finden hinter verschlossenen Türen statt. Das führte vor allem bei den Journalisten in den vergangenen Wochen zu Unmut.

Franziskus und seine Mitarbeiter betonten wiederholt, es solle ein geschützter Raum geschaffen werden für eine offene Debatte, in der einzelne Synodale unter Umständen auch eine Entwicklung durchmachen können, ohne dass sie sich gleich rechtfertigen müssten. Eventuell haben die Erfahrungen beim Synodalen Weg in Deutschland beim Vorgehen des Vatikans eine Rolle gespielt. Dort wurde alles öffentlich diskutiert. Die Minderheit der Reformgegner fühlte sich dadurch unter Druck gesetzt und sagte, eine echte Debatte sei nicht möglich gewesen. Ob das den Papst bestärkt hat, die Öffentlichkeit bei der Synode weitestgehend auszuschließen – die Reformgegner werden in Rom immer mehr gehört als die Reformbefürworter – bleibt Spekulation, ist aber, was man aus dem Vatikan hören kann, nicht auszuschließen.

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Jürgen Erbacher

Seit Juli 2018 leite ich die ZDF-Redaktion "Kirche und Leben katholisch", für die ich seit 2005 über die Themen Papst, Vatikan, Theologie und katholische Kirche berichte. Dafür pendle ich regelmäßig zwischen Mainz und Rom - meiner zweiten Heimat. Dort habe ich vor meiner ZDF-Zeit mehrere Jahre gelebt und für Radio Vatikan gearbeitet. Studiert habe ich Politikwissenschaft und Katholische Theologie in Freiburg i.Br. und Rom.

10 Kommentare

  • Silvia
    30.09.2023, 21:38 Uhr.

    Papst Franziskus tat sich von Anfang an spürbar schwer mit Europa und den USA.

    Als Europäerin und Deutsche bedauere ich das natürlich, gerade, weil das Christentum in Europa und speziell in Deutschland einen immer schwereren Stand hat.

    Bedauerlich, dass er den Kardinälen, sowohl den neuen als auch den „alten,“ nicht die Gelegenheit geboten hat, sich näher kennenzulernen. Das erschwert die Wahl im nächsten Konklave.

    • prospero
      02.10.2023, 10:24 Uhr.

      @Silvia
      Wie schon gesagt wurde – es ist gut, das Franziskus bei der Zusammensetzung des Kardinalskollegiums nicht auf die sogenannten „wohlerworbenen Rechte“ blickt, sondern andere Kriterien gelten lässt.Dabei kommen eben Regionen zum Zug, die mit ziemlicher Sicherheit nie einen Kardinal erhalten hätten.

      In diesem Zusammenhang erinnere ich mich, dass anlässlich einer der ersten Kardinalsernennungen von Franziskus ein Diskussionsteilnehmer meinte, es sei
      ungerecht, dass es jetzt in Tonga einen Kardinal geben würde, während er Venedig und Mailand absichtlich übergeht.

      Was meinen Sie konkret mit Ihrer Feststellung
      „Papst Franziskus tat sich von Anfang an spürbar schwer mit Europa und den USA“ ?

      • Silvia
        03.10.2023, 15:14 Uhr.

        Es ist mein rein subjektiver Eindruck, und den hatte ich von Anfang an, dass die Mentalität und das Denken westlicher Menschen ihm fremd sind.

        Z.B. das, was er unter Synodalität versteht, weicht doch ziemlich von dem ab, was man beim Synodalen Weg darunter verstanden hat und auch immer noch versteht.

        Dazu gehört auch, dass zwar alle Synodalen und diesmal auch Laien und Frauen abstimmen dürfen, er sich aber nicht an Abstimmungsergebnisse gebunden fühlt. Laut Kirchenrecht muss er das auch nicht, weil der Papst der Einzige ist, der am Schluss die endgültige Entscheidung trifft.

        Für westliche, in der Staatsform der Demokratie lebende Menschen, schwer zu akzeptieren, zumal Franziskus immer wieder betont, dass er eine synodale Kirche will. Aber eben synodal nach seinem Verständnis.

        Über die Wirtschaftsform der freien Marktwirtschaft sagte er mal „diese Wirtschaft tötet“. Eine nähere Erläuterung blieb er allerdings schuldig.

        • prospero
          03.10.2023, 17:41 Uhr.

          Danke für Ihre ausführliche Antwort !

          Nach Möglichkeit werde ich mich dazu noch einmal melden.

  • Maria
    01.10.2023, 10:43 Uhr.

    Haben sich die Kardinäle früher wirklich gekannt?
    Ich erinnere mich an ein Interview mit Kardinal Marx, veröffentlicht in der „Zeit“ nicht lange nach der Wahl von P. Franziskus, in dem er sagte, dass er von der sog. „Brandrede“ von Kardinal Bergoglio im Vorkonklave sehr beeindruckt war, aber nichts über den Redner wusste und sich Informationen bei Kardinälen holte, von denen er wuste, dass sie ihn kannten. Aber der heutige Papst war damals in Lateinamerika kein Unbekannter – doch vielleicht nur dort.

    • Jürgen Erbacher
      Jürgen Erbacher
      01.10.2023, 11:23 Uhr.

      Dass alle 137 Kardinäle sich gut kennen, ist vermutlich nicht zu erreichen. Aber Studientage ermöglichen es doch, zumindest einen Eindruck von anderen zu bekommen.

    • prospero
      02.10.2023, 9:33 Uhr.

      Jorge Mario Bergoglio war spätestens seit seiner Tätigkeit als Berichterstatter wäh der Bischofssynode 2001 über die Grenzen Lateinamerikas kein Unbekannter mehr. Es heißt, dass er seit damals als ein möglicher Kandidat bei der nächsten Papstwahl galt. Schenkt man den nach dem Konklave 2005 verbreiteten Informationen glauben, dann war seine Kandidatur doch relativ erfolgreich. Als dann 8 Jahre später wieder eine Papstwahl anstand, war er für viele seiner Kollegen aus verschiedenen Erwägungen ganz offenkundig der „Mann der Stunde“.

  • Erasmus
    01.10.2023, 15:11 Uhr.

    KARDINALSERNENNUNGEN IM ZEICHEN VON INTERNATIONALISIERUNG UND ANTI-KLERIKALISMUS
    Die 115 Kardinäle, die 2013 zur Wahl des Papstes berechtigt waren, entstammten 48 Herkunftsländern. Zehn Jahre später wären bei einem Konklave 71 Länder durch mindestens einen Kardinal vertreten. Diese deutliche INTERNATIONALISIERUNG erfolgte vor allem zu Lasten Italiens und zugunsten von Asien. Die Zahl der italienischen Papstwähler schrumpfte seit 2013 von 28 auf 14, die der asiatischen vergrößerte sich von 10 auf 23.
    Von einer ENT-EUROPÄISIERUNG kann man allerdings nicht sprechen, denn klammert man Italien aus, so hat sich die Zahl der wahlberechtigten europäischen Kardinäle innerhalb der letzten 10 Jahre von 32 auf 38 erhöht.
    Neben Italien ist Deutschland der große Verlierer. 2013 nahmen noch sechs deutsche Kardinäle am Konklave teil, inzwischen wären es nurmehr drei – denen Franziskus zudem ausgesprochen kritisch gegenüberstehen dürfte. KARDINAL MÜLLER wurde 2012 von Papst Benedikt zum Glaubenspräfekten auserkoren und nach 5 Dienstjahren von Franziskus abberufen. KARDINAL MARX war sechs Jahre lang Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz und beriet über 10 Jahre hinweg den Papst als Mitglied des handverlesenen Kardinalsrates. Dennoch wurde er nicht zur Teilnahme an der in diesen Tagen in Rom stattfindenden Weltsynode eingeladen. KARDINAL WOELKI ist aus meiner Sicht die Eiterbeule des deutschen Katholizismus. Er hat nicht nur den größten Teil seines Erzbistums gegen sich aufgebracht, sondern wird – nachvollziehbar – von der Kölner Staatsanwaltschaft des Meineids verdächtigt.
    Wenn der Pontifex den Kardinälen keine Gelegenheiten einräumt, sich kennenzulernen und sich auszutauschen, so ist das sehr fragwürdig. Ich vermute, dass es mit seinem KAMPF GEGEN DEN KLERIKALISMUS zu tun hat und er verhindern will, dass sich im Hinblick auf die nächste Papstwahl Seilschaften ausbilden.
    Franziskus aktuelle Entscheidung, tatsächlich einen Ordensmann und einen Weihbischof als Kardinäle zu berufen, ist auch ein ANTI-KLERIKALISTISCHES ZEICHEN. Im Gegenzug werden althergebrachte Privilegien außer Kraft gesetzt. Das Erzbistum Mailand ist mit über 5 Millionen Katholiken eines der größten der Welt, und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts waren dessen Erzbischöfe auf den Kardinalstitel quasi abonniert. Der derzeitige Oberhirte, Mario Delpini, befindet sich seit über sechs Jahren im Wartestand.
    Von Christoph Strack stammt der Gedanke, dass die Tatsache, dass der Zuwachs an asiatischen Kardinälen wesentlich größer ist als der der afrikanischen, damit zu tun hat, dass insbesondere in Afrika nach wie vor der KLERIKALISMUS vorherrschend ist.

    • prospero
      02.10.2023, 6:03 Uhr.

      Ihr letztgenannter Gedanke ist nicht uninteressant: Nun werden seit 1960 afrikanische Kardinäle ernannt; den den seit dieser Zeit stattgefundenen 33 Konsistorien gab es in 7 keine Ernennungen, die nach Afrika gingen (unter Johannes XXIII. insgesamt 4, unter Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. jeweils einmal). Betrachtet man den Hintergrund dieser Männer, dann ist festzustellen,dass die Zahl jener afrikanischen Kardinäle, die in Europa (vor allem Rom, dann aber auch in den Ländern der früheren Kolonialmächte) ausgebildet wurden, in der Relation wesentlich größer als die ihrer Kollegen aus Asien war.

      Als der damalige Kardinal Ratzinger sagte, er könne sich durchaus vorstellen, dass es eines Tages einen afrikanischen Papst geben könnte, dann hatte er mit Sicherheit solche Männer im Auge. Ein interessanter Repräsentant dieser Gruppe ist Kardinal Robert Sarah, der aus Guinea stammt und seit 2001 in Rom lebt; er ist als eines der konservativsten Mitglieder des Kollegiums bekannt. Von „traditionalistischen“ Gruppierungen wird er immer wieder als möglicher Franziskus-Nachfolger genannt; mittlerweile ist er allerdings schon 78, was seine Chancen nicht gerade begünstigen dürfte.

  • prospero
    02.10.2023, 6:14 Uhr.

    Nur zur Ergänzung – die erwähnten Ernennungen umfassen den Zeitraum bis 2012; in den bisher unter Franziskus erfolgten 9 Kardinalskreationen wurde bei jedem Konsistorium mindestens ein Kandidat aus Afrika ernannt.

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