Zwischen Ängsten und Freudentränen
Die Wunden der Welt und im Leben vieler junger Menschen standen am Freitag im Mittelpunkt des Weltjugendtags in Lissabon. Papst Franziskus betete mit rund 800.000 Menschen den traditionellen Kreuzweg. An den einzelnen Stationen gab es Meditationen und Gebete zu Themen wie Armut, Einsamkeit, Gewalt und Intoleranz. Franziskus versuchte den jungen Menschen Mut zu machen mit der Zusage, Jesus sei in den schwierigen Situationen an ihrer Seite. Am Morgen war das Kirchenoberhaupt mit Vertretern mehrerer Sozialprojekte zusammengetroffen. Dabei konnte er wegen Problemen mit den Augen den vorbereiteten Text nicht verlesen. Er führte nur kurz einen Gedanken frei aus: soziales Engagement müsse immer konkret sein. Abstrakte Liebe gebe es nicht.
Weinst Du?
Die Liste der Probleme und Herausforderungen ist lang, die beim Kreuzweg am Abend angesprochen wurden. Von den Kriegen bis zur Gewalt in den Familien und Missbrauch von Minderjährigen, von Alkohol- und Drogensucht bis zur Ausbeutung der Schöpfung, von Depressionen und Burnout bis zu Selbstbezogenheit und Individualismus, von Mobbing bis Machtmissbrauch, von Arbeitslosigkeit bis zum Mangel an Zugang zu Bildung, von den Menschen, die aufgrund von Hunger, Verfolgung oder anderer Gründe fliehen müssen bis zur Ausgrenzung von älteren Menschen und Menschen mit Behinderung, von Fake-News bis hin zu Zukunftsängsten, die wichtige Entscheidungen fürs Leben hemmen. Die Themen wurden von einem Team aus 20 Jugendlichen von allen Kontinenten ausgewählt. Ein Ensemble von 50 jungen Künstlerinnen und Künstler aus 21 Ländern übersetzte sie in Bewegung und Tanz, begleitet vom Chor und Orchester des Weltjugendtags.
Franziskus blieb in seiner Ansprache sehr spirituell und versuchte die Jugendlichen eher auf der emotionalen Ebene zu erreichen. In seiner weitestgehend frei gehaltenen Rede zu Beginn der Veranstaltung stimmte er mit sehr persönlichen Fragen die Jugendlichen auf das Kommende ein: „Weine ich von Zeit zu Zeit? Gibt es Dinge im Leben, die mich zum Weinen bringen?“ Jesus weine mit den Menschen, so Franziskus. „Jesus will unsere Angst, deine Angst, meine Angst, diese dunklen Ängste mit seinem Trost erfüllen, und er wartet darauf, dass wir das Risiko des Liebens eingehen.“ Dann fragte Franziskus die jungen Menschen nach ihren Ängsten, nach ihren Leiden, nach ihrem Elend, um mit der Zusage zu enden: „Habt keine Angst, denkt darüber nach, und denkt an den Wunsch, dass die Seele wieder lächeln kann.“
Keine abstrakte Liebe
„Liebe ist riskant“, erklärte Franziskus beim Kreuzweg. Warum das so ist, hatte er bereits am Morgen beim Besuch einer Pfarrei erklärt. Diese liegt in einem ehemaligen Drogen- und Kriminalitätshotspot der portugiesischen Hauptstadt Lissabon. Im dortigen Sozialzentrum mit 170 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bekommen rund 800 Menschen Hilfe, von der Kinderbetreuung bis zu Angeboten für Senioren. Bei der Begegnung waren auch Vertreter einer Organisation für Waisenkinder anwesend sowie einer Initiative für an Krebs erkrankte Kinder. Franziskus erklärte in seiner spontan gehaltenen Rede, „so etwas wie abstrakte Liebe gibt es nicht. Die platonische Liebe befindet sich im Orbit, sie ist nicht in der Realität.“ Es gebe zu viele „keimfreie Leben“, die aber am Ende keine Spuren hinterließen, beklagte das Kirchenoberhaupt. Sprich: Wer wirklich hilft, macht sich auch die Hände schmutzig. Seine vorbereitete Rede übergab er den Anwesenden zur Lektüre. Darin betonte Franziskus, dass bei der Hilfe keine Unterschiede gemacht werden dürfe. „Für einen Christen gibt es nämlich keine Bevorzugungen unter denen, die in Not an die Tür klopfen: Landsleute oder Ausländer, Angehörige der einen oder anderen Gruppierung, jung oder alt, sympathisch oder unsympathisch…“
Der Freitag war für manche Teilnehmer ein Wechselbad der Gefühle. Bei den Meditationen und Texten des Kreuzwegs waren viele sehr ergriffen. Es flossen unzählige Tränen auf dem großen Platz. Vor und nach der Veranstaltung beherrschten Jubel, Freude, Tanzen und Singen das Bild. So lächelten am Ende des Tages zumindest die Gesichter der 800.000 die gekommen waren.